»Blossom, stellen Sie sich vor, was ich erfahren habe!« Ia kam in Blossoms Arbeitszimmer gestürmt, schleuderte ihren Hut auf einen Sessel und sah ihre Freundin mit vor Aufregung strahlenden Augen an.
»Gwen hat heute noch nichts zerbrochen«, antwortete Blossom lächelnd, denn es hatte sich bald herausgestellt, daß Gwen als Dienstmädchen eine absolute Katastrophe war. Porzellan schien zu zerbrechen, wenn sie auch nur in der Nähe war. Kaffeekannen entglitten ihren Händen und ergossen ihren Inhalt über Möbel und Teppiche. Aber jedesmal, wenn Blossom verärgert davon sprach, das Mädchen zu entlassen, setzte sich Ia vehement für Gwen ein, und Blossom gab mit einem resignierten Schulterzucken nach.
»Die arme Gwen. Sie kann nichts dafür, daß sie so unbeholfen ist. Je mehr Sie sie deswegen schimpfen, um so linkischer wird sie.«
»Arme Gwen! Wie finde ich das denn? Es sollte eher heißen: Arme Blossom!« sagte sie und lachte gutmütig.
»Blossom, Sie hören mir nicht zu. Das Haus nebenan steht zum Verkauf«, platzte Ia atemlos heraus.
»Na und?«
»Sie müssen es kaufen.«
»Wozu, um Himmels willen?«
»Um zu vergrößern, natürlich.«
»Warum sollte ich vergrößern? Ich bin zufrieden mit dem Geschäft. Nein, danke, Miss St. Just.«
»Aber Blossom, es ist eine einmalige Gelegenheit. Überlegen Sie doch nur! Wir könnten die Zahl der Mädchen und damit Ihr Einkommen verdoppeln.«
»Und wie stellst du dir das vor? Wir können doch nicht zwei Salons führen.«
»Nein. Wir lassen ein Bauunternehmen die Trennwand zwischen den beiden Häusern einreißen«, sagte Ia so eifrig, daß Blossom lachen mußte. »Ach, bitte, hören Sie mir zu. Wir könnten den Salon hier über die Gesamtfläche beider Häuser vergrößern, zusätzliche Zimmer einrichten und ... jetzt kommt das Beste: Im Parterre des angrenzenden Hauses könnten wir ein Restaurant einrichten.«
»Ein Restaurant? Wozu, um Himmels willen?«
»Die meisten Männer kommen doch nach dem Lunch oder Dinner hierher, nicht wahr? Wir könnten auch an diesen leiblichen Genüssen verdienen. Dann würden sie nicht mehr in ihren Clubs essen, sondern hier. Die Mädchen könnten ihnen bei Tisch Gesellschaft leisten ... klingt die Idee nicht logisch, Blossom?«
»Mir dreht sich der Kopf.«
»Wir könnten auch einen Zimmerservice einrichten, damit die Kunden mit den Mädchen ungestört speisen können. Im Restaurant könnte ein Pianist, eine Sängerin für Unterhaltung sorgen. Ach, Blossom, ist das nicht eine aufregende Idee?«
»Es klingt interessant, das muß ich zugeben. Allerdings behagt mir der Gedanke an die ganze Mühe und den Aufwand nicht ...«
»Wir könnten auch ein Spielzimmer einrichten. Damit ist viel Geld zu verdienen.«
»Nein, keine Spiele. Das verstößt gegen das Gesetz, und die Geldstrafen sind hoch. Früher gab es in jedem Bordell ein Spielzimmer, aber heute ...«
»Ach, Blossom, Sie sind zu moralisch. Wir könnten die Polizei bestechen, wir zahlen ihr doch sowieso genug, damit sie uns in Ruhe läßt ...« Während Ia sprach, ging sie rastlos im Zimmer auf und ab. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken und Ideen. Blossom beobachtete sie mit nachsichtiger Miene. Wie sehr sie sich durch Ia an ihre eigene Aufregung erinnert fühlte, als sie damals die Eröffnung ihres eigenen Bordells geplant hatte! Ihr wurde bewußt, daß sich Ias Elan auf sie übertrug. Seit Jahren hatte sie sich nicht mehr derart angeregt gefühlt.
»Wie würde es dir gefallen, meine Partnerin zu werden?«
Ia blieb abrupt stehen.
»Ihre Partnerin? Wie denn?«
»Mit einer fünfzigprozentigen Beteiligung.«
Ias Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Sie hatte eben erst erfahren, daß das angrenzende Haus zum Verkauf stand. Sie kannte den Kaufpreis nicht. Aber in dieser Gegend, so nahe bei St. James, würde der Besitzer eine horrende Summe verlangen. Was würden die Umbauarbeiten kosten? Blossom war eine Geschäftsfrau, sie bot ihr kein Geschenk an. Selbst wenn sie alle ihre Wertpapiere verkaufte, würde ihr Kapital nicht für einen Plan dieser Größenordnung reichen.
»Dafür reicht mein Geld nicht.«
»Dann nimm einen Kredit auf.«
»Wer würde mir Geld leihen?«
»Da fallen mir mehrere potentielle Geber ein, Ia.«
»Aber wie soll ich einen Kredit von dieser Größenordnung zurückbezahlen?«
»Du führst lange genug meine Bücher, um zu wissen, welchen Gewinn dieses Etablissement abwirft. Eine Erweiterung würde zweifellos unseren Profit verdoppeln. Die Hälfte davon gehört dir, davon kannst du ohne weiteres jeden Kredit abbezahlen.« Blossom klang jetzt sehr zuversichtlich. Ia hörte genau zu. Blossom hatte zwar Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, aber sie war eine gewiefte Geschäftsfrau. Obwohl sie Blossom mochte und ihr vertraute, suchte sie nach Nachteilen. Welchen Vorteil würde Blossom daraus ziehen? Wo saß der Haken? Hatte sie etwas übersehen? Es gab keine Einwände – nur Vorteile für sie beide.
»Blossom, ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen.«
»Das würde auch bedeuten, daß du nicht mehr für die Kunden zur Verfügung stehen mußt.«
»Aber der Kredit?«
»Ia, du wirst genug verdienen, das verspreche ich dir. Du hast doch bestimmt eine schöne Summe angespart. Der Kredit würde sich in Grenzen halten. Ich weiß, wie sehr du mittlerweile deine Arbeit haßt. Überleg doch! Endlich Schluß mit der Hurerei!«
Dieser Aspekt bewog Ia, das Risiko einzugehen.
Blossom arrangierte den Kredit für ihr Unternehmen. Als Ia die Summe sah – 15000 Pfund – überfiel sie kurz entsetzliche Panik, denn sie hatte Angst, den größten Fehler ihres Lebens zu machen. Dann warf sie trotzig ihre Haarmähne zurück, schalt sich selbst einen Feigling und unterschrieb den Vertrag.
Sofort nach dem Kauf des angrenzenden Hauses hörte Ia auf zu arbeiten. Ihre Stammkunden flehten sie an, umschmeichelten sie und boten ihr unerhörte Summen, doch sie weigerte sich und verachtete sie um so mehr. Sie war froh, als Frau geboren worden zu sein und nicht vom Sex beherrscht zu werden wie ihre Kunden.
Ia stürzte sich mit aller Kraft und Energie in die Verwirklichung ihrer Pläne. Blossom hatte vor Unterzeichnung ihres Partnerschaftsvertrages die Bedingung gestellt, daß Ia das Projekt in Eigenverantwortung durchführte und der normale Geschäftsbetrieb nicht gestört werden durfte.
Glücklicherweise war es kurz vor Weihnachten, und bis ins neue Jahr hinein war im Bordell traditionsgemäß wenig Betrieb.
Ia ging beinahe generalstabsmäßig vor und unterbreitete dem Bauunternehmen exakte Pläne für die Erweiterung und den Ausbau und setzte ihm eine Frist für die Ausführung der Arbeiten. Mittlerweile wählte Ia Tapeten, Möbel, Teppiche und Dekorationen für die neuen Räume aus. Dieser Gedanke hatte sie zunächst nervös gemacht, denn sie kannte Blossoms anspruchsvollen Geschmack.
»Ich kenne mich damit nicht aus, Blossom«, hatte sie geklagt. »Sie werden wütend sein, wenn ich einen Fehler mache.«
»Ich vertraue dir voll und ganz, sonst würde ich dir nicht absolut freie Hand lassen. Ich bin schließlich keine Närrin.«
Ias Angst erwies sich als unbegründet. In den Jahren bei Blossom hatte sie nicht nur den Luxus, sondern auch guten Geschmack kennengelernt. Sie machte keine Fehler. Das neue »Haus« würde das alte an Eleganz bei weitem übertreffen.
Die zusätzlichen Zimmer waren bald eingerichtet und bezugsfertig. Im Restaurant gaben Möbel und Wandvertäfelungen in Mahagoni zusammen mit rotem Samt den Ton an. Die Beleuchtung war so diskret, daß jeder Tisch in einer Nische zu stehen schien. Ia wählte weißes und rotes Porzellan und ließ die Damastservietten mit einem großen, geschwungenen B verzieren. Nach ihren Vorstellungen entstand allmählich ein luxuriöses Restaurant in Anlehnung an die intime Atmosphäre eines Clubs. Doch ihre Freude und ganzer Stolz war der Salon, der sich über die gesamte erste Etage beider Häuser erstreckte. Vor einem eindrucksvollen Hintergrund sollten sich die Mädchen in ihrer ganzen Schönheit präsentieren. Die Damastbezüge der Sessel und Sofas wurden durch schwarze und weiße Seide ersetzt. Sie ließ einen Teppich weben, dessen weißen Untergrund Motive in Schwarz und Scharlachrot zierten. Die Wände wurden mit weißen Seidentapeten verkleidet und mit Blossoms Gemälden geschmückt. Die hohen Vasen waren nur noch für weiße und rote Blumen bestimmt. Dieses schlichte und doch perfekte Szenario unterstrich auf dramatische Weise die Schönheit der Mädchen.
»Du hast dein Geld investiert«, sagte Blossom eines Tages zu ihr. »Du hast hart dafür gearbeitet, also sollten wir den Namen ändern und das Etablissement jetzt nach dir und mir benennen.«
»Nein. Das halte ich nicht für gut. Es hieß immer ›Blossom’s‹, und so soll es bleiben.«
»Es hat dir eine Menge Freude gemacht, nicht wahr?«
»Ich vertraue Ihnen ein Geheimnis an, Blossom. Ich hatte keine Ahnung, wieviel Spaß es macht, Geld auszugeben.«
»Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis deiner Arbeit. Jetzt gefällt mir sogar der Salon. Am Anfang hatte ich so meine Zweifel, aber du hattest recht: Bald bricht das Jahr 1904 an, und wir müssen mit der Zeit gehen.«
Ia war stolz auf das neue Bordell, aber die größte Freude hatte sie an ihrem kleinen Apartment, das nur ihr gehörte. Es lag über den Ställen und wurde durch den Garten vom Haus getrennt. Versteckt hinter Bäumen und Büschen, sah es aus wie ein Cottage. Es bestand aus einem Wohnzimmer, einem Schlafzimmer und einem kleinen Bad. Eine Küche brauchte sie nicht, da ihr an ihrem freien Tag die Mahlzeiten aus dem Restaurant gebracht wurden.
An dem Abend, als sie Peter zum erstenmal dort empfing, war sie aufgeregt wie eine junge Hausfrau, die einen Gast zum Dinner erwartet.
»Ia, deine Wohnung ist bezaubernd«, sagte Peter und blickte sich in dem kleinen Wohnzimmer um. Er reichte ihr einen Blumenstrauß und ein kleines Päckchen. Neugierig entfernte sie die Verpackung und enthüllte eine Statue, die ein Paar in inniger Umarmung darstellte.
»Danke, Peter. Es ist ein wunderschönes Geschenk«, sagte sie und stellte die Statue neben ihre azurblaue Schale auf eine Kommode.
»Was für eine merkwürdige Schale ... sie paßt kaum in diese Umgebung«, sagte Peter.
»Wahrscheinlich nicht, aber sie ist das kostbarste Schmuckstück in diesem Zimmer.«
Nach dem Dinner lagen sie im neuen Schlafzimmer.
»Du bist jetzt also eine Madame und empfängst keine Kunden mehr?«
»Ganz recht, Peter. Freust du dich für mich?«
»Sehr, aber noch mehr freue ich mich meinetwegen. Mir hat dein Leben nie gefallen, Ia. Ich habe immer gehaßt, was du tatest. Jetzt gehörst du endlich mir allein.«
»Wenn du möchtest.« Sie sah ihn nachdenklich an. Er war jetzt seit langer Zeit ihr Liebhaber, hatte aber nie eine Bemerkung über ihr Leben gemacht noch gesagt, daß es ihm nicht gefiel. Dieses Thema hatten sie nie berührt.
»Ich liebe dich, Ia«, sagte er plötzlich ernst.
Zweimal hatte er schon gesagt, daß er sie liebte. Zweimal! Sie wollte ihm sagen, daß sie ihn auch liebte, wollte mit Worten ihre Gefühle für ihn ausdrücken. Aber keine Silbe kam über ihre Lippen. Statt dessen klammerte sie sich mit einer stummen Intensität an ihn. In dieser Umarmung lag ihr lebenslanges Bedürfnis nach Liebe.