Ia hatte entsetzt und besorgt reagiert, als Blossom ihr erzählte, sie würde auf einem »Bananendampfer« nach Jamaika fahren, und war erst beruhigt, als sie die behagliche, geräumige Kabine sah.
Ia brach schier das Herz, als sie sich von Blossom verabschiedete. Sie hatte ihre Freundin nach Tilbury begleitet. Auch Blossom fiel der Abschied entsetzlich schwer, denn Ia war ihr wie eine Tochter ans Herz gewachsen. Sie hatte dieses Mädchen, das sie so an ihre eigene Jugend erinnerte, vom ersten Augenblick an geliebt. Ihr einziger Trost lag in der Überzeugung, daß Ia ihren eigenen geschäftlichen Erfolg noch übertreffen würde. Weinend küßten sie sich zum Abschied. Obwohl sie einander versprachen, sich wiederzusehen, wußten beide, daß das sehr unwahrscheinlich war.
Nach Blossoms Abreise suchte Ia Zuflucht in der Arbeit. Nur wenn sie bis zur völligen Erschöpfung arbeitete, wurde sie nicht wegen ihrer enormen Schuldenlast von Alpträumen und Ängsten verfolgt.
Blossoms Dampfer hatte kaum die Themsemündung erreicht, da besuchte Ia schon renommierte Hotels und Clubs, übergab den Portiers ihre Visitenkarte und vereinbarte für jeden Kunden, der ihr geschickt wurde, eine Provision. Mit den Mietkutschern traf sie eine ähnliche Vereinbarung, Blossom war noch eine Madame alten Stils gewesen und hatte ein diskretes Haus geführt, das eher einem Gentleman’s Club entsprochen hatte und in dem nur die höhere Gesellschaftsschicht ihr Vergnügen suchte. Aber Ia wußte, daß sich die Gesellschaft wandelte. Der neue König zählte auch Fabrikanten und Bankiers zu seinen Freunden. Das Wort »Geschäft« war kein abwertender Begriff mehr. Die reichen Unternehmer aus dem Norden machten regelmäßige Geschäftsreisen nach London. Bei Ia waren sie willkommen, ebenso die Bürger der Mittelschicht, wie Rechtsanwälte, Ärzte und Geschäftsleute. Blossom war in dieser Hinsicht ein Snob gewesen.
Aber Ia wollte auch ihre alten Kunden nicht verlieren. Ihr Etablissement brauchte zusätzliche Attraktionen. Sie verwirklichte alle ihre Pläne. Die Servierinnen in den durchsichtigen Kleidern wurden ein Bombenerfolg. Sie erhöhte die Preise im Restaurant und machte zu ihrem Erstaunen noch mehr Umsatz. Im Tiefparterre wurden schalldichte Zimmer für sadomasochistische Kunden eingerichtet.
Sie ließ Blossoms ehemaliges Arbeitszimmer vergrößern und zum Spielsalon ausbauen. Sie stellte einen Croupier ein, der in Monte Carlo gearbeitet hatte und ihr zeigte, wie man den Roulettetisch so manipulieren konnte, daß stets das Haus Gewinner blieb, doch diese Praktik verbot sie strikt, denn der Ruf ihres Etablissements stand auf dem Spiel.
Innerhalb einer Woche warf der Spielsalon mehr Gewinn ab als das Bordell. Beim Spiel tranken die Männer mehr. Wenn sie gewannen, hatten sie Lust auf eine Frau. Wenn sie verloren, suchten sie Trost im Sex.
Ia entschied allein, wem Kredit und in welcher Höhe gewährt wurde. Sie fand Gefallen an diesem Gefühl der Macht, denn jetzt lag es in ihren Händen, ob sie einen Mann, der der Spielsucht verfallen war, in den Ruin trieb.
Nach einem Vierteljahr war sie in der Lage, neben den Zinsen auch einen Teil ihres Kredits abzutragen.
Das Etablissement trug noch immer Blossoms Namen, und sie wehrte sich entschieden dagegen, ihn durch ihren Namen zu ersetzen. Das geschah nicht aus sentimentalen Gründen, sondern weil Ia abergläubisch war. Blossom hatte ihr Glück gebracht, und sie hoffte, ihr Name würde es weiterhin tun.
Nach sechs Monaten stellte sie mit Erleichterung fest, daß ihre Sorgen unbegründet gewesen waren, und ihre Alpträume verschwanden allmählich. Trotzdem würde sie weiterhin so hart arbeiten müssen wie bisher.
»Ia, warum bist du vom Geld so besessen? Das ist ein höchst unattraktiver Zug an einer Frau. Du brauchst nicht derartig hart zu arbeiten. Deine Besessenheit ist lächerlich – du wirst frühzeitig altern.« Peter lag auf ihrem Bett und sah ihr beim Ankleiden zu, denn sie verbrachte jetzt nur noch ein paar Stunden mit ihm und ging dann sofort wieder ins Etablissement zurück.
»Nur jemand, der immer enorm reich gewesen ist, kann eine derartige Bemerkung machen.«
»Aber bei dir ist es Habgier. Das gefällt mir nicht.«
»Damit wirst du dich abfinden müssen, mein Liebling. Ich habe zu hohe Schulden, um jetzt aufzuhören. Ich will alle Schulden bezahlen und die restlichen Anteile aufkaufen, damit eines Tages alles mir allein gehört.«
»Laß mich die Kredite übernehmen. Nimm mich als deinen Partner auf.«
Ia schob sich gerade ihre Strumpfbänder über die Seidenstrümpfe. Sie blickte auf und sagte: »Das ist sehr nett von dir, Peter. Aber es kommt nicht in Frage.«
»Warum nicht, um Himmels willen? Das wäre doch eine vernünftige Lösung.«
»Für mich nicht. Ich möchte alles besitzen – alleine.«
»Vertraust du mir immer noch nicht, nach all den Jahren?«
»Das ist es nicht. Ich bin einfach nur verdammt unabhängig, das müßtest du doch wissen – nach all den Jahren.« Sie lächelte ihm zu.
»Da steckt doch mehr dahinter.«
»Willst du es wirklich wissen? Ich möchte mich finanziell so absichern, daß ich nie mehr Angst vor der Armut haben muß. Nie wieder will ich vor Hunger Magenkrämpfe bekommen. Nie wieder will ich mit Läusen und Ratten im Dreck dahinvegetieren. Meine Tochter wird dieses Elend nie kennenlernen. Ich habe Angst vor der Armut, Peter. Noch heute habe ich deswegen Alpträume. Aus diesem Grund arbeite ich wie eine Besessene.«
Daisy Tregowan frequentierte noch immer regelmäßig las Etablissement. Ihre Schönheit war verblaßt, und obwohl sie mittlerweile dreißig war, kleidete und benahm sie sich weiterhin wie ein junges Mädchen. Diese Pose wirkte jetzt grotesk. Die schwindende Schönheit versuchte sie durch grelle Schminke zu ersetzen. Um ihren hübschen kleinen Mund lag ein verkniffener Zug, und ihre Augen lächelten nie. Ihre Garderobe war jedoch von exquisiter Eleganz, und jeden Winter präsentierte sie sich in einem neuen Pelzmantel. Ia überschlug manchmal in Gedanken, wieviel allein die Garderobe ihren Mann kostete – es mußte ein Vermögen sein. Ihr Appetit auf Ias teuren Champagner war legendär und ihr Appetit auf immer jüngere Männer unersättlich. Ia genoß es, ihre frühere Herrin mit überschwenglichem Charme willkommen zu heißen, obwohl sie sie aus tiefstem Herzen haßte. Jedesmal prüfte sie ganz genau die Rechnung der Lady, damit auch ja nicht eine Tasse Tee vergessen wurde. Sie hatte keinen Kontakt zu George Tregowan aufgenommen, denn sie wußte, daß er kommen würde, sobald er von ihrem Spielsalon erfuhr. Und tatsächlich, eines Abends kam er. Ia amüsierte sich insgeheim darüber, daß er manche Nächte im Spielsalon verbrachte, während sich seine Frau im Bordell vergnügte. Was für ein merkwürdiges Paar die Tregowans doch waren! Ia war überzeugt, daß ihr Lebenswandel ihn nicht im geringsten interessierte, während ihr seine Spielsucht gleichgültig war, solange er sie reichlich mit Geld versorgte. George Tregowan spielte wie ein Besessener. Er kam regelmäßig zur Mittagszeit und spielte oft noch um drei Uhr morgens. Ia beobachtete ihn oft, wie er hundert Pfund auf eine Karte setzte, und verachtete ihn, verachtete ihn wie alle Männer, die so wenig Respekt vor Geld hatten.
Als Lord Tregowan darum bat, ein Konto für ihn einzurichten, um ihm die Unannehmlichkeit zu ersparen, stets Bargeld bei sich zu tragen, stimmte Ia sofort zu. Sie gab ihrem Manager die Anweisung, Seiner Lordschaft einen unbegrenzten Kredit einzuräumen.
Es hatte Zeiten gegeben, da hatte Ia in ihrer azurblauen Schale Pennies gesammelt. Jetzt sammelte sie darin Lord Tregowans Schuldscheine.