Über sechs Monate strömten die Kunden ins Bordell und viel Geld in Ias Kasse. Dann fingen die Schwierigkeiten an.
Zuerst kam die Polizei. Bei der Öffnung ihres Etablissements hatte Blossom Arrangements mit gewissen Polizeibeamten getroffen. Diese Arrangements umfaßten kostenlose Dienstleistungen im Bordell, Geschenke in Form von Whisky- und Champagnerkisten und großzügige Spenden für den »Witwen- und Waisenfonds«. Einem Inspektor hatte Blossom sogar einen zweiwöchigen Urlaubsaufenthalt samt Familie in Brighton finanziert. Als Gegenleistung hatte die Polizei stillschweigend geduldet, daß Blossom ein illegales Haus führte. Der Polizeikommissar stattete Ia einen überraschenden Besuch ab und erklärte ihr auf ganz charmante Weise, daß diese Arrangements ganz erheblich verbessert werden müßten, sonst sähe er sich gezwungen, den vorgesetzten Dienststellen zu melden, daß in seinem Bezirk ein Bordell und ein Spielsalon existierten.
Sie saßen in las kleinem Büro und tranken ihren besten Champagner, während sie ganz geschäftsmäßig die Situation besprachen. Ia waren die Hände gebunden. Da sie ein Etablissement führte, das illegal war, konnte sie den Kommissar nicht wegen Erpressung anzeigen. Ihr blieb nur ein gewisser Spielraum bei der Festsetzung der Höhe des Schweigegeldes. Nach über einer Stunde harten Verhandelns einigten sich beide auf eine bestimmte Summe Bargeld, denn der Kommissar war an Sachgeschenken nicht mehr interessiert.
Nachdem Ia anhand ihrer Buchhaltung ausgerechnet hatte, wieviel Blossom in Form von Geschenken an die Polizei bezahlt hatte, war sie sehr zufrieden über die ausgehandelte Summe, sie überstieg nur um ein paar hundert Pfund die jährlichen Zahlungen. In Anbetracht des gesteigerten Umsatzes konnte sie deshalb über die getroffene Vereinbarung nicht klagen. Kaum war dieses Problem gelöst, gab es Schwierigkeiten mit den Nachbarn.
Solange Blossom ihr Etablissement wie einen Club geführt hatte und die Zahl der Gäste, die aufgrund ihrer aristokratischen Herkunft auf diskrete Weise ihren Vergnügungen nachgingen, beschränkt war, hatte es kein Aufsehen gegeben. Aber die neuen Kunden aus der Londoner Geschäftswelt und die reichen Unternehmer aus dem Norden mußten um ihr gesellschaftliches Ansehen nicht bangen, deshalb gab es häufig lautstarke Auseinandersetzungen mit Mietkutschern und angetrunkenes Gegröle auf der Straße vor Ias Haus.
Blossoms Etablissement war von den Nachbarn stillschweigend geduldet worden, da die meisten die Notwendigkeit eines Bordells akzeptierten, das auch dem Schutz ihrer eigenen Frauen diente. Nachdem jedoch die Krawalle zum öffentlichen Ärgernis geworden waren, reichten die Anwohner eine Beschwerde bei der Polizeibehörde ein.
Die Polizei beschwichtigte die aufgebrachten Bürger mit dem Hinweis, daß ein Bordell die Prostituierten davon abhielt, ihrem Gewerbe auf der Straße nachzugehen, und somit weder ihre Töchter noch ihre Frauen mit dem unzüchtigen Treiben konfrontiert wurden. Der Polizeikommissar stattete Ia einen weiteren Besuch ab, verlangte für diese Dienstleistung eine Erhöhung des Schweigegeldes und gab ihr den Rat, die Nachbarn mit kleinen Geschenken in Form von Whisky und Champagner zu beschwichtigen. Diese Unkosten minderten auf erhebliche Weise las Gewinn im zweiten Halbjahr der Geschäftsübernahme.
Um diese Ausgaben zu decken, erhöhte Ia die Preise. Das führte beinahe zu einer Revolte bei Blossoms Stammkunden. »Es tut mir leid. Ich erhöhe die Preise nicht zu meinem eigenen Vorteil. Aber ich muß die gestiegenen Unkosten decken«, erklärte sie eines Abends einem verärgerten Grafen.
»Blossom mußte der Polizei auch Schweigegeld bezahlen und hat uns deswegen nicht ausgeraubt.«
»Sie mußte nicht die enormen Summen zahlen, die jetzt von mir verlangt werden. Außerdem hat sie seit Jahren zuwenig verlangt.«
»Belle Simpson ist billiger. Ein Großteil Ihrer Stammkunden wird das Etablissement wechseln, wenn Sie Ihre Preise nicht wieder senken, Ia.«
»Bitte, Lord Borough, tun Sie das«, antwortete Ia mit einem zuckersüßen Lächeln, »und holen Sie sich einen Tripper für Ihre Knausrigkeit.« Sie verlor keinen einzigen Kunden.
Und dann machten die Mädchen Schwierigkeiten. Eines Morgens hatten sie sich im Salon versammelt und baten Ia um eine Unterredung. Emma war als Sprecherin gewählt worden und platzte nach einigen mißglückten Ansätzen mit der Beschwerde heraus: »Wir sind nicht glücklich, Ia.«
»Ach ja? Was verlangt ihr?« entgegnete Ia eisig.
»Sie haben jetzt doppelt so viele Kunden und die Einnahmen aus dem Restaurant und dem Spielsalon. Unsere Einnahmen haben sich nicht verdoppelt, das halten wir für ungerecht, und deswegen sind wir unzufrieden«, stammelte Emma unter dem aufmunternden Gemurmel der anderen.
»Ist das alles?« fragte Ia kalt und stand auf.
»Ja«, tönte es einstimmig.
»Ihr seid die bestbezahlten Huren von London. Ihr habt kostenlose medizinische Betreuung, vorzügliches Essen und eigene, schöne Zimmer. Habt ihr gesehen, wie Belles Mädchen untergebracht sind? Sie arbeiten schichtweise in den Zimmern. Habt ihr den schmutzigen, kalten Schlafsaal gesehen, in dem Belles Mädchen schlafen, wenn sie frei haben? Wenn ihr es vorzieht, unter diesen Bedingungen zu arbeiten, bitte, ich halte keine von euch.«
»Wir wissen, wie schön wir es hier haben«, antwortete Emma, fügte aber störrisch hinzu: »Es ändert aber nichts an der Tatsache, daß Sie eine Menge Geld verdienen und wir nichts davon haben.«
»Ihr habt nichts davon?« In Ias Stimme lag jetzt ein gefährlicher Unterton. »Keine von euch verdient weniger als hundert Pfund die Woche. Habt ihr denn überhaupt keinen Verstand? Doppelter Umsatz bedeutet für mich auch doppelte Unkosten.«
Sie starrte in verständnislose Gesichter. »Es ist trotzdem nicht fair«, murmelte eine Stimme im Hintergrund, worauf die Mädchen nickten.
»Wenn ihr euch unfair behandelt fühlt, schlage ich vor, ihr geht auf eure Zimmer, packt eure Sachen und verschwindet innerhalb einer Stunde.« Ia ignorierte die empörten Ausrufe und marschierte zur Tür. »Innerhalb einer Stunde«, wiederholte sie und warf die Tür hinter sich zu.
»Was ist denn in dich gefahren?« fragte Gwen, als Ia wütend in ihr Boudoir gestapft kam.
»Diese blöden Weiber! Ich habe sie alle entlassen. Wir werden dich heute in deinen Sonntagsstaat stecken müssen, Gwen. Du bist wieder im Gewerbe.«
»O Mann, dafür bin ich wohl etwas zu alt«, sagte Gwen kichernd. In diesem Augenblick klopfte es, und die ganze Mädchenschar stand mit betretenen Gesichtern vor der Tür.
»Es tut uns leid«, sagte Sally. »Wir haben uns das nicht richtig überlegt.«
»Wagt nie wieder, mich zu erpressen! Habt ihr mich verstanden? Ich habe stets ein offenes Ohr für gerechtfertigte Beschwerden, aber dergleichen Unsinn werde ich mir kein zweites Mal anhören. Geht jetzt an die Arbeit. Die ersten Gäste treffen bald ein.«
Sie schloß die Tür und lehnte sich mit einem tiefen Seufzer dagegen.
»Das hätte ins Auge gehen können, Ia«, sagte Gwen grinsend.
»Die machen mir keine Schwierigkeiten mehr«, entgegnete Ia und behielt recht.
Aber die Schwierigkeiten der vergangenen Wochen hatten Ia, etwas gelehrt. Nichts im Leben war leicht zu erreichen. Sie hatte immer gedacht, sie wüßte mehr als Blossom, verstünde es besser, das Etablissement zu leiten. Doch jetzt war sie sich dessen nicht mehr so sicher.