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»Mrs. St. Just! Aber natürlich! Als mein Butler mir meldete, eine Mrs. St. Just wolle mich dringend sprechen, hatte ich keine Ahnung ...« Lady Tregowan lachte nervös. »Ich kannte nur Ihren Vornamen – Ia.« Daisy Tregowan flatterte durch den Salon. »Danke, Phillpott. Sie können gehen.« Sie wartete, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Ich halte es nicht für richtig, daß Sie hierhergekommen sind, Ia. Wie auch immer ...«

»Da Sie seit einer Woche nicht in meinem Etablissement gewesen sind, habe ich mich gefragt, was geschehen ist. Vielleicht entspricht mein Unternehmen nicht mehr Ihren Ansprüchen?« Sie warf einen Blick auf den Sessel, neben dem sie stand. Daisy bat sie nicht, Platz zu nehmen.

»Ich hatte eine leichte Erkältung. Die Winter in London sind sehr anstrengend und schädlich für meine Gesundheit. Ich habe erwogen, nächstes Jahr die Wintermonate in Ägypten zu verbringen.« Sie betupfte sich anmutig die Nase mit einem Spitzentüchlein. »Ich finde Ihre Sorge um mich äußerst rührend, aber Ihr Besuch ist mir unangenehm. Sie verstehen ...« Sie lächelte hochmütig, ließ sich graziös in einen Sessel sinken, seufzte und strich sich leicht über ihre Stirn. Da Daisy offensichtlich nicht daran dachte, Ia zum Sitzen aufzufordern, setzte sie sich einfach.

»Ich hatte Sie nicht gebeten, Platz zu nehmen.«

»Ich habe vergeblich darauf gewartet«, sagte Ia freundlich.

»Was hat Sie zu diesem Besuch bewogen?«

»Ich bin gekommen, um den Schmuck abzuholen, der Alice Tregowan gehört.«

Ein Ruck durchfuhr Daisys Körper, sie setzte sich kerzengerade auf. Mit offenem Mund starrte sie Ia an, neigte den Kopf zur Seite, als hätte sie nicht richtig gehört. »Wie bitte?«

»Der Schmuck – er gehört jetzt mir. Ihr Mann schuldet mir einen enorm hohen Betrag. Der Wert des Schmucks deckt seine Schulden. Ich habe mit Lord Tregowan dieses Arrangement getroffen.«

»Er kann darüber nicht verfügen! Sie werden den Schmuck nicht bekommen«, keifte Daisy schrill.

»Wenn ich ohne den Schmuck aus diesem Haus gehe, Lady Tregowan, werde ich Ihren Mann vor Gericht bringen und das Geld einklagen.«

»Pah! Das können Sie nicht«, entgegnete Daisy triumphierend. »Spielschulden sind nicht einklagbar.«

»Ich werde Ihren Mann wegen unbezahlter Rechnungen in meinem Restaurant verklagen.«

»Niemand wird glauben, daß Restaurantrechnungen in dieser Höhe existieren.«

»Oh, es würde Sie erstaunen, welche Summen sich ansammeln, wenn man Freunde bewirtet, die, wollen wir sagen, merkwürdige Gelüste haben. Bestimmt möchten Sie, daß aus Rücksicht auf Ihren Mann nichts davon an die Öffentlichkeit dringt.«

»Tun Sie, was Sie wollen. Es interessiert mich nicht, was mit meinen Mann geschieht.«

»Es könnte doch von Interesse für Sie sein, Lady Tregowan. Einem geschickten Anwalt und ich kann mir den besten leisten – wird es nicht schwerfallen, als Beweismittel die Tatsache einfließen zu lassen, daß auch Sie eine meiner besten Kundinnen sind. Ihre Vorliebe für junge Männer dürfte für die Zeitungen und Ihre Freunde von größtem Interesse sein.«

Daisy wurde nicht nur weiß, sondern fast durchsichtig, da jeder Blutstropfen aus ihrem Gesicht wich. Ihre hübschen kleinen Hände flatterten zu ihrem Mund, als sie einen erstickten Schrei ausstieß. »Wer würde Ihnen glauben? Wer?« rief sie außer sich.

Ia holte aus ihrer voluminösen Handtasche ein kleines schwarzes Notizbuch hervor, in dem jeder. Besuch Daisy Dears sorgfältig vermerkt war. Darin lagen auch Quittungen und nicht eingelöste Schecks, die sie als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme zurückgehalten hatte. »Diese Beweismittel dürften genügen.«

»Das ist schlichtweg Erpressung!«

»Ja, ganz recht. Da stimme ich Ihnen zu.«

»Sie sind eine hinterhältige, abscheuliche Person.«

»Vergeuden Sie nicht meine Zeit, Lady Tregowan. Holen Sie einfach nur den Schmuck, damit ich wieder gehen kann«, sagte Ia eisig.

»Wenn Sie glauben, daß ich Ihnen ein Vermögen in Schmuck aushändige, täuschen Sie sich gewaltig. Ich werde die Polizei verständigen.«

»Wie ich höre, verkehren Sie noch manchmal in der königlichen Gesellschaft, obwohl Ihr Mann dort nicht mehr willkommen ist. Einige pikante Details aus Ihrem Intimleben dürften in diesen Kreisen für Aufsehen sorgen, glauben Sie nicht?« sagte Ia mit ihrem bezauberndsten Lächeln, das Daisy Dear noch mehr reizte. »Natürlich erwarte ich nicht, daß Sie mir den Schmuck so ohne weiteres aushändigen. Vielleicht sollten Sie zuerst mit Ihrem Mann darüber sprechen. Ich warte gern.«

Mit einem mörderischen Blick in den Augen stand Daisy auf und ging so würdevoll wie möglich hinaus.

Ia wartete. Sie war enttäuscht. Seit einer Woche hatte sie diesen Besuch bis ins Detail geplant und fand jetzt, daß die Realität ihr nicht das Vergnügen bescherte, das sie erwartet hatte. Daisy Dear war eine unwürdige Gegnerin. Sie hatte beinahe Mitleid mit ihr. Wie beraubt sie sich ohne ihre Klunker vorkommen würde! Mit der ihr eigenen trotzigen Bewegung warf sie den Kopf zurück. Geld ist Geld, dachte sie. Ich kann mir keine Schwäche erlauben.

Eine halbe Stunde später brachte eine tränenüberströmte Daisy Tregowan eine große Lederkassette in den Salon und schleuderte sie in Ias Schoß.

»Hoffentlich sehe ich Sie nie wieder«, fauchte sie wütend.

»Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis und die Zeit, die Sie mir gewidmet haben. Guten Tag, Lady Tregowan.« Ohne den Inhalt zu überprüfen, ließ Ia die Kassette in ihre Tasche gleiten, stand auf und ging wortlos. Als sie die Mahagonitür hinter sich schloß, hörte sie Daisys gellenden Wutschrei.

Ia öffnete in ihrem Boudoir die Schmuckkassette und betrachtete die glitzernde Pracht. Sie nahm eine Handvoll Perlen- und Goldketten und ein Diamantkollier heraus, hielt den Schmuck unters Licht und erfreute sich an dem Funkeln der Edelsteine. Was, um Himmels willen, sollte sie damit anfangen? Sie trug nie Schmuck. Die logische Schlußfolgerung wäre gewesen, ihn zu verkaufen. Sie ließ den Schmuck aus ihrer Hand gleiten und wurde dabei an glitzernde Wassertropfen erinnert, die zwischen ihren Fingern zerrannen. Sie griff nach einem Diamant- und einem Saphirring und wurde plötzlich an ihren ersten Tag in London erinnert, als sie – kaum älter als ein Kind – voller Bewunderung das Schaufenster eines Juweliers betrachtet und sich geschworen hatte, eines Tages Ringe dieser Art zu besitzen. Ihr Blick fiel auf eine Smaragdbrosche. Ihr Traum hatte sich erfüllt.

Lange saß sie da und starrte die Preziosen an. Merkwürdigerweise hatte sie nicht den Wunsch, sie zu verkaufen, wollte sie aber auch nicht tragen. Warum sollte sie den Schmuck behalten? Jäh wurde ihr bewußt, daß sie ihn am liebsten zurückgeben würde – Alice. Wie, um Himmels willen, kam sie nur auf diese absurde Idee? Warum sollte sie sich um Alice’ Schmuck Gedanken machen, nach allem, was Alice ihr angetan hatte?

Doch trotz ihrer bitteren Enttäuschung waren die Jahre mit Alice eine wundervolle Zeit gewesen. Und Ia war ehrlich genug, sich einzugestehen, daß ein Großteil ihres Erfolgs nur auf ihren Umgang mit Alice zurückzuführen war. Ohne sie hätte sie weder Lesen noch Schreiben gelernt und wäre wohl in irgendeinem billigen Bordell gelandet. Ja, fairerweise mußte sie zugeben, daß sie Alice viel zu verdanken hatte.

Sie legte den Schmuck in die Kassette zurück und verschloß sie. Dann nahm sie das Bild der Lamorna-Bucht von der Wand, öffnete den dahinterliegenden Safe und legte die Schmuckkassette hinein. Sie wollte die Entscheidung, was mit dem Schmuck geschehen sollte, auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.

Darauf goß sie sich ein Glas Madeira ein und seufzte. Sie hatte von Rache geträumt, aber die Erfüllung dieses Traums war eine Enttäuschung gewesen. Sie fühlte sich beschmutzt und wünschte beinahe, sie wäre nicht derart unerbittlich gewesen.

Am Abend des 15. Februar 1906 saß George Tregowan in seinem Arbeitszimmer – in dem Haus, das ihm nicht mehr gehörte – am Schreibtisch. An jenem Tag, als Ia St. Just den Schmuck geholt hatte, hatte seine Frau ihn verlassen. Jetzt war er ganz allein.

Über dem Kaminsims hing ein Porträt von Etty. Er betrachtete das Bild und fragte sich, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ... Er musterte ihr schönes Gesicht, auf dem ihr zauberhaftes Lächeln verewigt war, und fragte sich, ob Alice noch immer ihrer Mutter ähnelte. War sie zu dem Abbild der Frau geworden, die auf dem Gemälde dargestellt war? Er bedauerte jetzt, was geschehen war. Er bedauerte, daß er seine Tochter, die letzte in der Reihe der Tregowans, nie wirklich gekannt und sie in seiner Verbitterung völlig aus seinem Leben verbannt hatte. Er wußte nicht einmal, ob sie noch lebte, ledig oder verheiratet war, Kinder hatte oder nicht.

Er starrte auf die Dokumente auf seinem Schreibtisch und den Brief von Mr. Woodley aus Penzance, in dem er detailliert Alice’ Erbe aufgeführt hatte – das Vermögen, das ihr rechtmäßig morgen, an ihrem dreißigsten Geburtstag, ausgehändigt werden sollte – es gab kein Vermögen mehr, das sie erben konnte.

Aus seinem Schlüsselbund wählte er einen Schlüssel und sperrte damit langsam die linke untere Schublade seines Schreibtisches auf. Er entnahm ihr einen Revolver. Er spannte den Hahn, machte eine salutierende Bewegung, richtete den Blick auf das Porträt seiner Frau, steckte den Lauf in seinen Mund und drückte ab.