Kapitel Fünf

Die Triebwerke der Mondfähre summten und drückten Dave kräftig gegen den Startsitz, als das Schiff von der Mondoberfläche abhob. Sein Blick wanderte durch den Frachtraum und verharrte auf dem nur drei Meter entfernten Mondfahrzeug. Als er bemerkte, dass zwei der horizontalen Schubdüsen daran beschädigt waren und repariert werden mussten, stöhnte er leise. Wenn sie nicht repariert wurden, wäre die gesamte Startmission reine Zeitverschwendung.

Dave öffnete sein Gurtzeug und knallte beim ersten Schritt sofort hart auf das Deck des Frachtraums – die volle Wucht der Kräfte der Vertikalbeschleunigung des Shuttles presste ihn zu Boden. Vor Anstrengung grunzend richtete er sich auf und kroch zu dem stark umgebauten Rover, der neben einer gewaltigen Trommel Graphen parkte, dem Kohlenstoff-Nanoröhren-Band, das er demnächst einsetzen würde.

Jahrelang hatte Graphen als Lieblingssubstanz von Forschern gegolten. Mit einer 200-fach höheren Zugfestigkeit als Stahl und extrem effizienter Leitfähigkeit für Wärme und Strom war es eine entscheidende Komponente für viele grundlegende Fortschritte in der wissenschaftlichen Forschung. Aber Dave war weit über die Forschungsphase hinaus. Für ihn und alle anderen auf den Mondkolonien würde Graphen letztlich ein Schlüsselfaktor zur Rettung ihrer Leben werden.

Dave trug den erforderlichen Raumanzug und kämpfte gegen die allgegenwärtigen Kräfte, als er unter die Vorderkante des Rovers spähte. »Wir haben Schäden an den Heckdüsen, aber ich glaube, ich kann sie reparieren.«

»Mr. Carter«, hallte die körperlose Stimme der Shuttle-Kapitänin laut in seinem Helm wider. Den Decknamen hatte sich Dave bei seiner Ankunft auf dem Mond vor vier Jahren zugelegt. »Sind Sie sicher, dass Sie für solche Reparaturen qualifiziert sind?«

Dave verdrehte die Augen, als er eine der Werkzeugkisten im Frachtraum öffnete, eine Brechstange herausholte und sie in die Öffnung des Ventils keilte. »Zerbrechen Sie sich darüber nicht den hübschen Kopf«, brummte er, als er sich gegen die Stange stemmte und das Ventil zu öffnen versuchte. Das Metall ächzte protestierend.

Während Dave beim Versuch, eines der Schubventile des Rovers zu öffnen, jeden Muskel zum Einsatz brachte, schalt er sich leise für seine Unachtsamkeit. »Ich muss mit dem verdammten Ding wohl zu hart auf einer Felsformation gelandet sein und es heftig verbogen haben.«

In seinem Helm hörte er die Pilotin verächtlich schniefen. Er kannte die Frau, die das Schiff steuerte. Sie war immer ein zickiges, selbstgefälliges Miststück gewesen und blickte auf alle Bergleute von oben herab. Zwar sagte sie nie etwas Unhöfliches, aber ihr herablassender Ton trieb ihn beinah in den Wahnsinn.

Langsam gab das Ventil nach, bis der aufklaffende Schlund letztlich die Öffnung zur Schubdüse zeigte. Dave legte die Brechstange beiseite, spähte hinein und stöhnte. Tief im Inneren hatte sich ein Mondstein verkeilt, den er herausholen musste. Und dafür würde er die gesamte Düseneinheit zerlegen müssen.

Er griff sich einen Schraubenzieher, schob sich unter den Rover und begann mit der Arbeit. Da ihn die Schubkraft immer noch gegen den Boden drückte, kam allein das Heben der Arme Schwerarbeit gleich. Dave wurde zunehmend frustrierter, während er mit dem Schraubenzieher hantierte. Durch die dicken Handschuhe wurden feinmotorische Bewegungen nahezu unmöglich.

»Wissen Sie, der Mist wäre viel einfacher, wenn ich nicht diesen bescheuerten Anzug tragen müsste.«

»Mr. Carter, Ihnen ist doch klar, dass er Ihrem eigenen Schutz dient, oder?«

Dave wollte sich die Stirn abwischen und erkannte sofort, wie dumm die Idee war, als ihm Schweißperlen in die Augen tropften. Er reagierte seine Wut an der Stimme ab, die aus ihrem Cockpit heraus falsche Besorgnis übermittelte. »Ach, lecken Sie mich doch, Sie bessere Reiseleiterin. Wissen Sie, ich sitze nicht bloß rum, schaue hübsch aus und drücke hin und wieder ein Knöpfchen. Manche Leute müssten hier tatsächlich arbeiten.«

»Chief Hostetler hat mich gewarnt, dass Sie leicht mürrisch werden. Also werde ich Ihre Unhöflichkeit ignorieren und meine Arbeit erledigen. Warum tun Sie das nicht einfach auch?« Ein statisches Knistern dröhnte aus dem Lautsprecher in Daves Helm, und die Stimme der Pilotin murmelte: »Typischer Bergarbeiterabschaum. Keine Ahnung, warum ich mit denen überhaupt rede. Ungebildete, vulgäre Rüpel, alle miteinander.«

Daves Laune besserte sich, als ihm klar wurde, dass die Pilotin ihren Transmitter offenbar versehentlich eingeschaltet gelassen hatte.

Zugegeben, nachdem er sich fast vier Jahre lang als einer der Bergleute der Mondkolonie ausgegeben hatte, waren einige Ecken und Kanten entstanden. Aber gerade sie hatten es ihm ermöglicht, sich nahtlos in die Gruppe der übrigen Arbeiter einzufügen. Sich anzupassen, war die einzige Möglichkeit für Dave, seine Pläne voranzutreiben und nicht aufzufliegen. Nur der Betriebsleiter des Bergbauunternehmens wusste, wer er wirklich war: Chief Hostetler, der unter Protest eine ziemlich hohe Position bei der ISF aufgegeben hatte, als Daves Probleme publik wurden.

Dave blinzelte sich den Schweiß aus den Augen und setzte die Arbeit mit dem Wissen fort, dass er wahrscheinlich Stunden dafür brauchen würde.

* * *

Dave schnappte sich eine Metallfeile und bearbeitete damit eines der eben wieder zusammengebauten Schubventile an der Seite des Rovers. Es war seine Idee gewesen, den Rover zu benutzen, um beim Einsatz der Weltraumaufzüge zu helfen, und bisher funktionierte es tadellos.

Die Vertikalschubdüsen des Shuttles hatten ihre Beschleunigung längst eingestellt. Derzeit drehte sich das Raumfahrzeug wie ein Kreisel. So simulierte es künstlich die Schwerkraft auf dem Mond, und Dave konnte sich problemlos im Frachtraum bewegen.

Nachdem er den Rest des Rovers inspiziert und einen tadellosen Zustand festgestellt hatte, begann er damit, akribisch die Brandspuren an den Schubdüsen abzufeilen. Bald spürte er, wie die Fliehkräfte nachließen, als die Pilotin die Rotation des Shuttles verlangsamte.

»Mr. Carter, wir nähern uns der geforderten Höhe von 88.000 Kilometern von der Mondoberfläche. Ich öffne in etwa fünf Minuten die Frachtraumluken.«

»Verstanden«, antwortete Dave. Er richtete sich auf und hakte sein Sicherheitsgurtzeug an einer der Metallösen am Boden des Frachtraums ein.

Als die Schubdüsen des Shuttles die Rotation stoppten und das Schiff ausrichteten, verspürte Dave den vertrauten Anflug von Übelkeit. Sie entstand, weil die durch die Rotation verursachte Schwerkraft wegfiel und er die Schwerelosigkeit des Alls erlebte. Da die Magnetsohlen seines Raumanzugs mittlerweile aktiviert waren, stampfte er wie Frankensteins Monster und hatte Mühe, einen Fuß vor den anderen zu heben, als er sich auf die riesige Trommel mit dem Graphen-Band zubewegte. Die Trommel hatte einen Durchmesser von drei Metern und eine breite von einem Meter. Auf der Erde würde sie locker mehrere Tonnen wiegen. Aber dank der fehlenden Schwerkraft konnte Dave die Trommel mühelos auf ihrer Spindel drehen und den am Ende des Bands befestigten Metallstab ergreifen.

Langsam zog er an der Stange und beobachtete, wie sich das stumpfe, halbtransparente Band dahinter abwickelte. Er zerrte das Ende des Bands auf den Rover zu, führte den Metallstab und etwa einen halben Meter des daran befestigten Bands in einen Schlitz an der Oberseite des Rovers ein und schlug mit der behandschuhten Faust auf einen Knopf neben der Öffnung. Sofort schloss sich die Öffnung und klemmte das Ende des Graphens am Rover fest.

Als er mit den Fingern an dem scheinbar zerbrechlichen Band entlangfuhr, fand er schwer vorstellbar, dass es mühelos mehreren Tonnen Gewicht standhalten konnte, die sich daran auf und ab bewegten, obwohl es dünner als ein Haar war. Schließlich war das der Zweck eines Weltraumaufzugs.

Aus der Sicht der Abbaubetriebe würde das Netzwerk der Weltraumaufzüge dazu dienen, Fracht zur Mondoberfläche und von ihr nach oben zu befördern, damit die Shuttles im Orbit nie landen mussten. Das ergab eine plausible Erklärung, war aber nicht die Wahrheit. Niemand, der die Wahrheit hörte, würde sie je glauben.

Die gelangweilte Stimme der Pilotin verkündete: »Luft wird aus dem Frachtraum abgelassen in drei ... zwei ... eins ...«

Plötzlich dröhnte ein Horn in Daves Helm. Als die Luft aus dem Frachtraum entwich, flatterte das Band. Dave beugte sich über den Rover und überprüfte die Einstellungen. »Hey, Pilotin, haben Sie die Infrarotkennung auf der Oberfläche entdeckt, damit der Rover sie anvisieren kann?«

»Natürlich. Sie sendet auf den vorgesehenen 1.033 Nanometern.«

Dave packte den Rover an einem der Haltegriffe und rollte das schwerelose Fahrzeug auf die noch geschlossene untere Luke des Frachtraums.

Sein Blick heftete sich auf das breite, am Rover befestigte Band aus Graphen und folgte dem transparenten Material zurück zu der riesigen Trommel. Er nickte zufrieden. »Der Rover ist mit der Trommel ausgerichtet. Ich bin hier bereit.« Er ging ein paar Schritte zurück, weg von den Luken. Gelbe Warnleuchten blinkten im Frachtraum.

»Verstanden. Öffnen der unteren Ladeluke in drei ...«

Durch die Stiefelsohlen spürte Dave das Vibrieren der schweren Riegel, die sich öffneten, dann beobachtete er, wie die Frachtraumluken weit aufglitten. Der Rover schwebte über der Öffnung. Seine Programmierung wurde automatisch aktiviert. Mit Hilfe der vertikalen Schubdüsen sank das Fahrzeug langsam unter das Deck und folgte dem auf der Mondoberfläche platzierten Infrarot-Lichtsignal.

Das Band wickelte sich immer schneller ab, während sich der Rover mit Düsenunterstützung auf die Mondoberfläche zubewegte.

Als Dave gerade anfing, sich zu fragen, wo sein Transporter blieb, spürte er eine weitere Vibration im Shuttle und lächelte.

»Mr. Carter, Ihr Transporter hat angedockt.«

Auf dem Weg zur Luftschleuse stellte sich Dave den kontrollierten Abstieg des Rovers vor. Mit steigender Geschwindigkeit würde er das lange Band mitziehen, das die Basis für das Gerüst des Weltraumaufzugs bilden würde. Er wusste, wie viel für alle in den Mondkolonien auf dem Spiel stand. Was er installierte, würde so viel mehr sein als eine Vereinfachung des Transports von Gegenständen zur Mondoberfläche – es würden ihnen allen letztlich das Leben retten.