Margaret Hager saß auf einem Stuhl mit harter Rückenlehne in der Mitte des Oval Office und beobachtete erwartungsvoll Greg Hildebrand, der sich auf einem der Sofas ihr gegenüber niederließ. »Also gut, Greg, raus damit. Was sagen die klügsten Köpfe des Landes zu einer Lösung für das Indigo-Problem?«
Unbehagen blitzte in Gregs Zügen auf, als er einen Zettel aus dem Jackett zog und sich räusperte. »Madam President, ich habe zwei Dutzend unserer Spitzenforscher versammelt. Wir haben die letzten fünf Tage fast ununterbrochen an Plänen für eine in der begrenzten Zeit machbare Lösung gearbeitet. So sind wir zu einigen Szenarien gekommen, aber ... keines davon ist ideal.«
Margaret gab ihm einen ungeduldigen Wink. »Sie müssen die Antwort nicht schönfärben. Spucken Sie einfach aus, was Sie haben.«
»Nun, die erste Lösung dreht sich um unsere Flotte von Raumfähren. Wir haben 30 in Betrieb, jede mit einem Frachtraum, der groß genug ist, um 40 Personen für etwa sechs Monate unterzubringen. Der Grundgedanke ist, dass wir die etwa 1.000 Menschen rechtzeitig aus der Gefahrenzone transportieren könnten ...«
»Und was dann?«, fragte Margaret skeptisch dazwischen.
»Na ja, da hapert es eben. Es kommt darauf an, was nach dem Vorbeiziehen des schwarzen Lochs noch übrig ist. Aber angesichts der Wahrscheinlichkeit einer totalen Auslöschung fürchte ich, dass die Menschen in den Raumfähren nirgendwo hinkönnten.«
»Das ist absolut lächerlich!« Margaret schnaubte angewidert. »Diese 1.000 Leute hätten das zweifelhafte Vergnügen, alle anderen sterben zu sehen, bevor sie selbst langsam verhungern. Ich hoffe, Sie haben auch was Besseres auf Lager.«
»Wir haben noch eine andere Möglichkeit.« Greg nickte. »Allerdings nur marginal besser.« Er holte tief Luft und blickte auf den Zettel, den er krampfhaft umklammerte. »Einige der Wissenschaftler spekulieren, dass es möglich sein könnte, eine große Reihe raketenähnlicher Triebwerke auf der Oberfläche des Monds zu zünden und ihn so aus der Erdumlaufbahn zu brechen. Mit den bereits vorhandenen Agrarlabors der Mondbasis könnten sich mit den derzeitigen Einrichtungen über 1.000 Menschen dort selbst versorgen.«
Margaret schürzte die Lippen. »Okay, und welche Risiken bestehen? Außerdem haben Sie gesagt, es könnte möglich sein. Ist es jetzt möglich oder nicht? Lässt es sich bewerkstelligen, ja oder nein?«
»Na ja, es wurde viel darüber hin und her diskutiert, ob wir überhaupt ausreichend starke Triebwerke haben, die es schaffen können. Die Wissenschaftler beziffern die Chance, dass es tatsächlich möglich wäre, auf zehn Prozent. Wenn wir die notwendigen Triebwerke hätten. Haben wir aber nicht, und es ist ungewiss, ob wir rechtzeitig genug davon bauen könnten. Allerdings bleibt selbst dann, wenn wir alles zusammenbringen, ein Nachteil. Wenn das schwarze Loch die Sonne zerstört oder es bei der Kollision zu einer explosiven Reaktion kommt, gibt es praktisch nichts, was wir dagegen unternehmen können.«
Kopfschüttelnd lehnte sich Margaret zurück und runzelte die Stirn. »Das war’s? Das sind meine Entscheidungsmöglichkeiten?«
»Die einzige andere Option wollte ich eigentlich gar nicht erwähnen. Aber es gibt über das Land verteilt genug unterirdische Tunnel, um Millionen Menschen unter der Erde unterzubringen. Das würde sie wahrscheinlich vor dem Hagel an Einschlägen retten, mit dem wir rechnen müssen. Aber am Ende würden wir entweder von dem schwarzen Loch verschluckt oder aus der Umlaufbahn geschleudert und erfrieren.«
»Das ist ein lächerlicher Vorschlag«, winkte Margaret genervt ab. »Mit anderen Worten sagen Sie mir, dass es tatsächlich keine Alternative dazu gibt, Dr. Holmes aufzuspüren, unser junges Genie. Und inständig zu hoffen, dass Dr. Patel richtig liegt und er irgendeinen Plan hatte.«
Verächtlich entgegnete Greg: »Es ist unmöglich, dass Holmes eine Antwort auf das Indigo-Problem haben könnte ...«
»Verdammt noch mal, Greg!«, herrschte die Präsidentin ihren wissenschaftlichen Berater an. »Es ist fast so, als wollten sie nicht, dass es eine Lösung gibt.« Sie beugte sich auf dem Stuhl vor und richtete den Zeigefinger auf ihn. »Mir ist Ihr persönlicher Mist egal. Ich will, dass Sie darüber hinwegkommen und dabei helfen, diesen Dr. Holmes zu finden. Haben Sie verstanden?«
Mit verkniffenem Gesichtsausdruck nickte Greg. »Verstanden.«
»Wegtreten.« Margaret winkte ihn weg und bemühte sich, ihre Übelkeit unter Kontrolle zu halten.
Als Hildebrand das Oval Office verließ, wandte sich Margaret dem alten Mann zu, der schweigend in der Ecke saß und beobachtete. »Doug, organisieren Sie mir sofort eine Statusbesprechung für Indigo. Außerdem will ich die Profile aller Beteiligten. Ich brauche psychologische Gutachten und Hintergrunddaten. Ich muss wissen, was für Menschen diese Wissenschaftler sind, mit denen ich es zu tun habe.«
Der rüstige, über 70-jährige Mann erhob sich schwungvoll vom Stuhl, nickte und sagte mit lauter, rauer Stimme: »Ich kümmere mich darum.«
Zielstrebig verließ Doug den Raum, während Margaret den Blick zur Decke richtete und still um ein Wunder betete.
* * *
»Madam President, wir haben bereits die Nationalgarde im Einsatz. Wie schon gesagt, ich würde nicht im Namen meines Staats darum bitten, wenn ich es nicht für notwendig hielte. Die Proteste zehren an unseren Ressourcen, und ich fürchte, es könnte echte Panik ausbrechen, wenn sie außer Kontrolle geraten.«
Die Freisprecheinrichtung im Oval Office verstummte, und Margaret wog den Tonfall des New Yorker Gouverneurs ab.
Der Mann war zutiefst besorgt.
Sie sah über den Schreibtisch hinweg ihren Stabschef an. Er starrte mit unergründlicher Miene zurück.
Die Präsidentin lehnte sich auf dem Ledersessel zurück und schloss die Augen. »Hören Sie, Bill, ich rede mit dem Innenminister über zusätzliche Unterstützung für Sie. Ich lasse jemanden Ihr Büro über die nächsten Schritte informieren, aber wir müssen um jeden Preis den Frieden aufrechterhalten.«
»Ich habe von Protesten in North Carolina gehört, die stark nach dem klingen, was wir gerade erleben. Ist irgendetwas los, über das ich Bescheid wissen sollte?«
»Gar nichts ist los, aber wir helfen Ihnen. Lassen Sie mich das Gespräch jetzt beenden und die Dinge anleiern. Gibt es sonst noch etwas?«
»Nein, Ma’am, und vielen Dank.«
Die Verbindung wurde getrennt. Margaret sah mit verkniffener Miene den runzligen Mann an, der ihr gegenübersaß.
»Doug, es gerät außer Kontrolle.«
»Ja«, erwiderte Doug beinah flüsternd. »Und wahrscheinlich wird es sich weiter ausbreiten. Soll ich Gespräche mit den anderen Gouverneuren arrangieren?«
»Ja, und zwar bald. Wir bewahren vorerst Stillschweigen, aber ich will mich mit allen gleichzeitig treffen und offenlegen, womit wir es zu tun haben. Es werden drastische Maßnahmen nötig sein.«
»Ich finde einen sicheren Ort für die Bekanntgabe«, sagte er. »Soll ich sonst noch etwas für Sie arrangieren?«
»Holen Sie mir Walt ans Telefon. Wir werden Hilfe dabei brauchen, die Sache einzudämmen, verstehen Sie?«
Der grauhaarige Mann stand auf, nickte und ging ohne ein weiteres Wort.
Margaret runzelte die Stirn und murmelte: »Indigo muss durchgesickert sein.«