Stryker beobachtete seine sechsjährige Tochter Emma über den Tisch hinweg, während sie bei Uno ihr Pokergesicht übte. »Also, was spielst du aus?«
Sie steckte die Zungenspitze seitlich aus dem Mund, konzentrierte sich auf die Karten in ihrer Hand und legte dann mit einem verschlagenen Grinsen eine »Plus-4 auf den Ablagestapel. »Entschuldige, Daddy. Ich kann dich nicht gewinnen lassen.«
Mit einem dramatischen Stöhnen zog Stryker vier Karten. Isaac, sein Achtjähriger, zeigte auf seine Schwester und fragte: »Welche Farbe?«
»Blau.«
Isaac schnaubte enttäuscht, als er erst eine Karte zog, dann noch eine und noch eine. »Verflixt«, schimpfte er, als er eine weitere Karte nahm.
»Isaac, Ausdrucksweise ....«
»Aber Dad, das ist nicht mal ein schlimmes Wort.« Schließlich hörte Isaac zu ziehen auf und legte eine blaue Zwei auf den Ablagestapel.
»Aber fast, und das mag ich nicht.«
»Uno!«, verkündete Emma und legte eine Farbwahlkarte ab.
Stryker hörte, wie sich die Haustür öffnete. Als er sich umdrehte, sah er Lainie hereinkommen, pünktlich auf die Minute.
»Mami!«, hallte Emmas hohe Stimme durch das Reihenhaus. »Ich gewinne grade bei Uno!« Sie drehte sich ihrem Vater zu und zeigte auf die Farbwahlkarte. »Ich nehme noch mal Blau.«
»Du gewinnst nicht«, warf Isaac ein. »Ich hab noch was im Ärmel.«
Stryker warf eine blaue »Aussetzen«-Karte ab, und Isaac stieß stöhnend hervor: »Dad!«
Mit einem strahlenden Triumphlächeln legte Emma eine weitere »Plus-4«-Karte auf den Ablagestapel und rief: »Gewonnen!«
»Herzlichen Glückwunsch der Gewinnerin und den Verlierern«, sagte Lainie, als sie das Wohnzimmer betrat. »Jetzt geht nach oben und holt eure Übernachtungstaschen. Oma und Opa haben gesagt, dass es gestern Abend geschneit hat. Wenn wir rechtzeitig ankommen, könnt ihr vielleicht noch im Schnee spielen.«
Stryker lächelte, als die Kinder nach oben rannten, aufgeregt über ein Wochenende bei ihren Großeltern.
Lainie ließ sich auf den Stuhl plumpsen, auf dem Isaac gesessen hatte. Sie lächelte. »Wie geht’s dir?«
Er zuckte mit den Schultern und atmete den Fliederduft ihres Duschgels ein. »Alles gut. Was ist mit dir? Hält dich die Buchhaltung auf Trab?«
Sie lachte. »Kannst du laut sagen. Wir haben Anfang April, ich gehe unter in Arbeit.«
Ihr Lachen weckte warme Erinnerungen, die er zu vergessen versuchte.
»Also geht’s dieses Wochenende in die Poconos?«
»Ja, meine Eltern haben eine Hütte gemietet. Dad will mit den Kindern draußen essen. Marshmallows und so.« Mit leicht gerunzelter Stirn fragte sie: »Weißt du was über die Proteste letzte Woche? Ich hab gehört, dass ein Polizist erschossen oder erstochen wurde oder so.«
»Das wurde von den Medien aufgebauscht. War nichts weiter«, behauptete Stryker. Er belog seine Exfrau ungern, aber sie würde es nicht verstehen. Verdammt, sogar er verstand kaum, was passiert war. Er wusste nur, dass ihm irgendetwas Chemisches in den Kaffee gemischt worden war. Sein Test hatte nichts ergeben, also war es wahrscheinlich in der Tasse gelandet, während er auf der Toilette war.
Als es an der Tür klingelte, sprang Stryker vom Stuhl auf.
Vor der Tür stand ein Postkurier, der ihn mit den Worten begrüßte: »Ich habe ein Einschreiben für Lieutenant Jonathan Stryker.«
Kurz starrte Stryker auf den ungekennzeichneten Umschlag, dann unterschrieb er dafür.
Als er zurück ins Wohnzimmer ging, riss er den versiegelten Umschlag auf und holte die maschinengeschriebenen Seiten heraus. »Oh Scheiße.«
»Was ist?«, fragte Lainie.
Er überflog das Schreiben und legte die Stirn in tiefe Falten. »Ich werde reaktiviert.«
Lainie stand mit besorgtem Gesichtsausdruck da. »Was soll das heißen?«
»Na ja, sieht so aus, als müsste ich mich zum Dienst melden, aber das ist merkwürdig. Man weist mich nicht meiner regulären Reserveeinheit zu. Sondern der 504. im Stützpunkt Lewis-McChord.« Stryker spürte, wie ihn ein knisterndes Kribbeln durchzuckte. Was um alles in der Welt konnte vor sich gehen, dass er sich beim Bataillon der Militärpolizei im Bundesstaat Washington melden musste? »Lainie, hier steht, ich soll in zwei Tagen dort sein. Muss irgendeine gröbere Krise sein. Kann ich dich um ’nen Gefallen bitten?«
Mit versteinerter Miene holte sie tief Luft. »Was?«
»Ich weiß nicht, wie lang ich weg sein werde. Würdest du hier bei den Kindern bleiben? Mit Jessica verstehst du dich doch gut, oder?«
Lainies Blick feuerte Dolche auf ihn ab. »Das hast du mich schon mal gefragt, und ich hab’s dir gesagt. Wegen genau solchem Mist haben wir uns getrennt.« Sie schaute die Treppe hinauf, wo die Kinder wegen irgendeines Unsinns miteinander stritten. »Ich muss den Kleinen auf die Sprünge helfen.«
Lainie stupste Stryker zornig mit einem Finger in die Brust und zischte: »Du sagst den Kindern selbst, dass du eine Weile weg sein wirst. Ich mach’s nicht.«
»Ja, mach ich. Aber könntest du ...«
»Ja, ich bringe nach dem Wochenende ein paar Sachen mit.« Mit finsterem Blick sah sie ihn an und zeigte nach oben. »Geh und sag’s ihnen. Und wenn sie fertig geweint haben, werd ich irgendwie die Scherben aufklauben ... schon wieder.«
Verfolgt von Lainies zornigem Blick und mit verkrampftem Magen wandte sich Stryker der Treppe zu und kam sich wie der letzte Dreck vor.
* * *
Dave umklammerte Bellas Hand, als aufgrund von Turbulenzen beim Abstieg durch die Wolken ein heftiger Ruck durch das Shuttle ging. Sein Herz hämmerte wild in der Brust, während die anderen 60 Bergleute im Passagierraum unbeeindruckt wirkten. Ihm direkt gegenüber saßen die vier Männer, die Jeff Hostetler ihm zugeteilt hatte. Dave wusste nicht genau, was der Betriebsleiter ihnen gesagt hatte, aber ihre Aufgabe war denkbar einfach: Sie sollten helfen, Materialnachschub zur Mondbasis zu befördern.
Da Dave wusste, dass die Regierung ihn wahrscheinlich immer noch suchte, war die Rückkehr auf die Erde gefährlich für ihn. Aber er hatte in der Angelegenheit keine Wahl. Wenn sie eine Chance haben sollten, dem drohenden Untergang zu entgehen, brauchte Dave die in einem ISF-eigenen Lagerhaus versteckten Trommeln mit Graphen.
Die Lichter im Passagierraum des Shuttles blinkten, als aus dem Lautsprecher an der Wand drang: »Endanflug auf Cape Canaveral, Landung auf Bahn 33 in zwei Minuten.«
Das Shuttle neigte sich, als es gleitend in Position ging. Dave musterte die Männer, die Jeff für ihn abgestellt hatte. Es handelte sich um muskelbepackte Männer fürs Grobe, Mitglieder des Sicherheitspersonals der Kolonie. Er fragte sich, ob Jeff sie wegen ihrer Kraft zum Schleppen von Fracht oder als Schutz für ihn ausgewählt hatte. So oder so empfand Dave sie als willkommenen Anblick.
Er ging den Plan im Kopf durch und wusste, dass die Zeit drängte. Sie mussten die Nacht nutzen, die Fracht verladen und die Rückkehr zum Mond antreten, bevor jemand mitbekam, was vor sich ging. Dafür hatte er nur zwölf Stunden.
Dave schürzte die Lippen, konzentrierte sich auf die Aufgabe und flüsterte: »Das wird knapp.«
* * *
Als Dave aus dem Passagierfenster der Mondfähre blickte, stand die Sonne im Westen tief über Cape Canaveral. Das Shuttle war gerade gelandet. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie zum Stehen kamen und die Passagiere am Ausstieg eine Schlange bildeten. Als sich die Tür öffnete und Dave auf die Rolltreppe trat, die hinunter zum Asphalt führte, genoss er die warme, salzige Brise von der Küste. Im Gegensatz zu der geruchlosen, stark gefilterten Luft, die in den Mondkolonien zirkulierte, roch die Luft hier nach dem Meer. Der stechende Ozongeruch, der das Shuttle begleitete, erinnerte ihn an das Chlor im öffentlichen Schwimmbad von New York City aus seiner Kindheit. Er flüsterte bei sich: »Mir fehlen diese Gerüche.«
»Ich wünschte, ich könnte mich daran erinnern, so was schon mal gerochen zu haben«, meinte Bella und seufzte.
Dave schlang den Arm um ihre Taille, als sie den Schatten des großen Mondtransporters verließen. Er war seit fast vier Jahren nicht mehr auf der Erde gewesen. Und obwohl er auf dem Mond regelmäßig trainierte, spürte er deutlich sein erhöhtes Gewicht, als sie den halben Kilometer zwischen dem Shuttle und dem Ankunftstor zurücklegten. »Bella, kommst du mit der veränderten Schwerkraft klar?«
Sie nickte und schnippte eine rote Haarsträhne zurück, die ihr ins Gesicht geweht war. »Ich komme mir nicht zu fett vor, falls du das meinst.«
Als Dave protestieren wollte, stupste sie ihn und grinste. »Ich zieh dich bloß auf. Es geht mir gut. Ist zwar ein bisschen seltsam, von 11 Kilo auf dem Mond plötzlich auf 66 hier zu schnellen, aber dafür hast du mich ja oben Gewichtsgürtel tragen lassen, nicht wahr?«
»Na ja, das ist hauptsächlich dafür, dass wir unsere Knochendichte aufrechterhalten und auf dem Mond nicht verkümmern.«
Als sie sich dem Ankunftstor näherten, lief ein Mann auf den Tross der eben von Bord gegangenen Passagiere zu. Der Mann trug ein ISF-Abzeichen, näherte sich Dave und bedeutete ihm, stehen zu bleiben. »Joshua Carter. Kann ich bitte Ihren Ausweis sehen?«
Dave nickte und reichte dem pummeligen, rotgesichtigen Mann seinen gefälschten Reisepass.
Normalerweise befasste sich die ISF nicht mit Einwanderungsangelegenheiten. Aber als die Mondbasis vor fast 20 Jahren errichtet worden war, wurde der Transport zwischen Mond und Erde zu ihrer Zuständigkeit. Als der ISF-Beamte Daves Pass betrachtete, merkte er an: »Mr. Carter, Sie müssen Freunde in hohen Positionen haben. Mir wurde nämlich aufgetragen, Sie zu finden und zusammen mit Ihren Gästen unverzüglich durch den Zoll zu begleiten.« Dave warf einen Blick zu Bella und den anderen Mitgliedern ihrer Gruppe. »Kann ich auch den Rest der Ausweise sehen?«
Bella und die vier ziemlich kräftigen Mitglieder des Sicherheitsteams überreichten dem Mann ihre Pässe, während die anderen Passagiere der Raumfähre an ihnen vorbei zum Ankunftstor gingen.
Der ISF-Beamte fuhr mit einem Handscanner über die Ausweise. Nach wenigen Sekunden blinkte ein grünes Lämpchen am Scanner. Der Beamte nickte. Als er Dave den Pass zurückgeben wollte, hielt er plötzlich inne. Er sah Dave mit fassungsloser Miene in die Augen, und sein Mund klappte auf. »Heilige Scheiße, das sind ja Sie!«
Ein kalter Schauder lief Dave über den Rücken. Unverhofft platzte der Mann heraus: »Ich habe Ihnen immer geglaubt, auch als es geheißen hat ... egal. Sir, es ist mir eine Ehre.«
Bevor Dave etwas erwidern konnte, räusperte sich der Beamte, gab die restlichen Pässe zurück und fragte: »Muss jemand von Ihnen Gepäck von der Ausgabe abholen?«
»Nein.« Dave schüttelte den Kopf. »Wir reisen alle mit leichtem Gepäck, Officer Kirkpatrick.«
Zuerst wirkte der ISF-Beamte überrascht, dann blickte er auf sein Abzeichen mit seinem Namen und lächelte. Er nickte und bedeutete der Gruppe, ihm zu folgen. »Ich führe Sie durch den Diplomatentrakt. Niemand wird Sie sehen, und ich bringe Sie, wohin Sie müssen.«
»Officer Kirkpatrick, es wäre besser, wenn Sie für sich behalten, was Sie wissen. Die ...«
Abrupt drehte sich der Beamte mit entschlossenem Gesichtsausdruck um. »Ich schwöre bei meinen Kindern, dass ich Ihre Anwesenheit hier mit ins Grab nehme. Allein zu wissen, dass es Sie noch gibt, ist beruhigend. Ich habe alles Vertrauen der Welt darin, dass Sie tun werden, was am besten für uns alle ist. Sir, wenn ich das hinzufügen darf: Sie haben trotz allem, was behauptet wird, immer noch viel Unterstützung bei der ISF.«
Dave legte dem Mann die Hand auf die Schulter und drückte sie leicht. »Das weiß ich zu schätzen. Je schneller wir hier etwas erledigen können, desto besser.«
Officer Kirkpatrick nickte knapp, drehte sich um und steuerte entschlossen auf eine abgelegene Tür zu, die ins Ankunftsgebäude führte.
Als Dave mit Bellas Hand in seiner hinter dem Beamten her eilte, senkten sich schwere Schuldgefühle auf ihn. Er wusste, was das Schicksal für Officer Kirkpatrick und alle anderen auf der Erde bereithielt. Sein unterschwellig nagendes, schlechtes Gewissen erinnerte ihn daran, dass er die Welt im Stich ließ.
Leider jedoch gab es nichts, was er tun konnte. Die Erde war dem Untergang geweiht.
* * *
Dave ließ den Blick suchend durch die Dunkelheit der einsamen Strände von Rum Cay wandern, einer abgelegenen Insel der Bahamas, während der Rest der Mannschaft aus dem Motorboot stieg. Die tropische Brise glich einem warmen Atemzug mit dem Duft des Ozeans. Das Rauschen der Brandung am Strand wetteiferte mit dem Krächzen des Möwenschwarms am Himmel. Die Vögel wirkten aufgescheucht, waren offensichtlich nicht daran gewöhnt, dass nächtliche Eindringlinge ihre Nistplätze störten.
Dave schaute zu den verärgerten Tieren auf und murmelte: »Tut mir leid, dass ich euch geweckt hab, aber das lässt sich nicht vermeiden.«
Es war fast Mitternacht. Die Mondsichel über dem Horizont spendete gerade genug Licht, dass Dave in der Ferne ein dunkles Gebäude ausmachen konnte.
Bella hielt sich leicht an seinem Arm fest, und Dave bedeutete den Männern lautlos, ihm zu folgen, als er den einsamen Holzsteg verließ und die sandige Böschung erklomm.
Nach einigen Minuten Aufstieg tauchte in der Nähe der Kuppe des Hügels eine Lagerhalle aus den Schatten auf. Das Gebäude war größer, als Dave es in Erinnerung hatte. Die Länge der vorderen Mauer maß rund 30 Meter. Er sichtete einen Seiteneingang und führte sein Gefolge zu einer Metalltür, die winzig für das viereinhalb Meter hohe Gebäude wirkte. Der steinähnliche Stuck der Fassade diente tagsüber als Tarnung, doch Dave wusste, dass man die Lagerhalle unter der dünnen Schicht wie eine Festung gebaut hatte.
Die Lager der ISF lagen oft an abgeschiedenen Orten, und Dave hatte bei der Beauftragung ihrer Errichtung immer besonderes Augenmerk darauf gelegt, unbefugten Zugang zu verhindern. Die überwiegend aus Stahlbeton bestehenden Gebäude beherbergten Waren im Wert von Abermillionen Dollar. Aber ihn hatte nicht der finanzielle Wert beunruhigt. Das Schicksal der Welt hing von der Verfügbarkeit des Materials in den über die Welt verstreuten ISF-Lagern ab. Wovon die meisten Menschen keine Ahnung hatten. Nun würde ein Großteil dieses Materials ausschließlich für die Rettung des Monds aufgehen.
Dave öffnete ein wetterfestes, am Rahmen der Metalltür befestigtes Kästchen. Zum Vorschein kam ein Tastenfeld, auf dem er eine lange Zahlenfolge eingab. Kaum hatte er die letzte Ziffer getippt, leuchtete ein grünes Lämpchen auf. Gleich darauf folgte das Geräusch eines schweren Schlosses, das entriegelt wurde. Auf gut geölten Scharnieren schwang die Tür nach innen auf. An der Decke erwachten altmodische Leuchtstoffröhren flackernd zum Leben.
Dave schaute über die Schulter und winkte die anderen näher. »Bringen wir es schnell über die Bühne.«
Die Schatten im Lagerhaus lösten sich auf, als die Lichter heller wurden. Lange Reihen kryptisch beschrifteter Holzkisten verteilten sich durch das Gebäude. Es gab Hunderte Kisten mit Aufschriften wie »ISF-BT10000«. Dave wusste, dass sie Batterien mit 10.000 Amperestunden enthielten. Diese industriellen Hochkapazitätsbatterien waren für den Einsatz im Rahmen von DefenseNet konzipiert.
Beim Gedanken an DefenseNet schmunzelte Dave. Das Konzept dahinter war eine List gewesen, die er bei den Regierungsleuten angewandt hatte. Jeder konnte die Notwendigkeit nachvollziehen, einen die Erde bedrohenden Asteroiden zu zerstören oder vom Kurs abzubringen. Obwohl viele der Komponenten, die er zur Bewältigung der bevorstehenden Gefahr brauchte, dieselben waren, hätte er nie die Genehmigung für das erhalten, was er geplant hatte. Die ultimative Lösung überstieg für die meisten Menschen, was sie akzeptieren konnten.
Dave marschierte rasch zum hinteren Ende der Lagerhalle. Die Schritte seiner Begleiter, die sich beeilten, um mit ihm mitzuhalten, nahm er kaum wahr. Am anderen Ende des Lagers erwartete ihn eine Wand aus gebürstetem Stahl. Er nickte, als er den Blick über die weitläufige, blanke Metallwand schwenkte. Dave wusste, was sich dahinter verbarg. Er hatte den Tresor eigens für einige Schlüsselkomponenten bauen lassen, deren Massenproduktion sich als immens schwierig erwiesen hatte.
Dave schaute zum Winkel der Lagerhausdecke hinauf. Sein Blick wanderte über 13 der schalldichten Deckenplatten. Von dieser Position aus schwenkte er den Fokus in gerader Linie die Wand aus gebürstetem Stahl herab zu einer leeren Stelle direkt vor ihm. Als Dave die Hand auf das kalte Metall legte, spürte er ein elektrisierendes Kribbeln. Ein grüner Lichtstrahl schoss aus der Wand. Er kniff die Augen gegen die unangenehme Helligkeit des Scanners zusammen und hielt so lange still, bis er ein Klicken unter der Hand fühlte.
Mit einem erleichterten Seufzen drückte Dave leicht gegen die Metallwand. Langsam setzte sich die halbtonnenschwere Tür in Bewegung. Zum Vorschein kam ein weiterer Raum, der enthielt, wofür sie hergekommen waren.
Vom Boden bis zur Decke stapelten sich riesige Trommeln mit Graphen-Band. Früher wurde Graphen ausschließlich in kleinen Mengen hergestellt. Nur durch pures Glück war Dave schließlich auf ein praktikables Verfahren zur Massenproduktion gestoßen.
Er schaute über die Schulter, vorbei an Bella und den kräftigen Männern. Sein Blick fiel auf die Ansammlung fortschrittlicher Batterien, Generatoren und Motoren, die sich über das Lagergebäude verteilten. Im Gegensatz zum Graphen, dessen Herstellung Jahre dauerte, handelte es sich beim restlichen Inhalt des Lagers um bekannte Technologie, die man ohne große Probleme ersetzen konnte. Aber da es immer noch ausgesprochen schwierig war, vernünftige Mengen Graphen zu produzieren, konnte er es sich nicht leisten, das bisschen zu verlieren, das er in seiner Zeit bei der ISF horten konnte. Er deutete auf die großen Trommeln. »Jungs, seid vorsichtig mit dem Zeug. Behandelt es, als hinge euer Leben davon ab.«
»Euer Leben hängt wirklich davon ab«, fügte Bella unverhofft und nüchtern hinzu.
* * *
Das Kreischen der Möwen in der Morgendämmerung schien von überall auf der Insel zu kommen, als Dave nervös beobachtete, wie Trommel um Trommel des kostbaren Graphens das Lagerhaus verließ. Obwohl das Band stärker als Stahl war, konnte er nicht riskieren, es zu beschädigen, indem er die Trommeln über das unwegsame Gelände der Insel rollen ließ. Deshalb taumelten die Männer unter dem Gewicht jeder Trommel, die sie langsam zum Boot schleppten.
Am östlichen Horizont wurde es allmählich heller. Der Morgen stand kurz bevor, und sie mussten los.
Dave betrat das Gebäude wieder, schob sich an Bella vorbei und ging in den inneren Lagerraum. Mit skeptischem Blick betrachtete er die verbliebenen Graphen-Trommeln, die sich vom Boden bis zur Decke stapelten. »Sieht so aus, als wäre noch etwa die Hälfte davon hier.« Er schaute zu Bella, die an der Tür stand. Ihr zerzaustes rotes Haar umrahmte die grünen Augen. »Ist das genug für unsere Zwecke?«
Nach kurzem Zögern nickte sie. »Es sollte ...«
Plötzlich gingen die Lichter aus und tauchten die Lagerhalle in Dunkelheit.
»Was soll das, verdammt«, fluchte Dave, der dachte, jemand hätte versehentlich das Licht ausgeschaltet. Sofort eilte er zu Bella und ergriff ihre Hand, bevor er sich den Weg zum Ausgang ertastete. Dave konnte kaum die leichten Schattierungen der Dunkelheit erkennen, während er mit der Hand die Holzkisten eines der Gänge entlangfuhr.
»Verflixt. Entweder funktioniert die Solaranlage auf dem Dach nicht, oder die Batterien für die Versorgung der Halle sind ...«
Ohne Vorwarnung schrie Bella auf. Sie riss die Hand aus Daves Griff los, und ihn traf etwas Hartes am Hinterkopf.
Als seine Knie einknickten, spürte er, wie Hände ihn an den Armen packten. Dann verlor er das Bewusstsein.