Als Burt tiefer in den unterirdischen Betontunnel vordrang, schloss sich die Tür, die er passierte, automatisch hinter ihm. Das Geräusch von gleitendem Metall auf Metall hallte unheilvoll durch den Gang, als das Schloss einrastete.
Am Ende des Tunnels traf er auf zwei Männer in schwarzen Anzügen. Sie sahen beinah wie Zwillinge der Männer aus, die ihn in einem Lieferwagen mit dunkel getönten Scheiben hergebracht hatten. Man hatte ihm nur gesagt, dass es zu einem alten Atombunker irgendwo unter Manhattan ging. Zuerst dachte er, die Männer gehörten zum Secret Service der Präsidentin. Mittlerweile jedoch vermutete Burt, dass sie einem anderen Zweig der Regierung angehörten, über den niemand sprach. Die meisten Agenten des Secret Service, die er kennengelernt hatte, waren einigermaßen freundlich. Diese Typen waren ... anders. Ernster.
Einer der Männer näherte sich ihm mit einem langen Hand-Metalldetektor der Art, wie man sie auf Flughäfen benutzte. »Arme hoch und seitlich ausstrecken, Dr. Radcliffe.«
Burt stand da und starrte auf die Wand aus gebürstetem Stahl, während der Agent langsam mit dem Detektor seitlich an seiner Brust hinabfuhr.
Da er keine offensichtliche Tür, keinen Knopf oder sonstigen Weg vorbei an der Wand sah, fragte Burt: »Findet das Treffen in diesem Tunnel statt?«
Ohne etwas zu erwidern, tastete der Agent quälend langsam weiter jeden Quadratzentimeter seines Körpers ab.
Man hatte Burt gesagt, er würde einige Leute in einem vertraulichen Umfeld informieren. Allerdings war ihm nicht klar gewesen, wie sehr man das Wort »vertraulich« auf die Spitze treiben konnte.
Schließlich nickte der Agent, der ihn eine gefühlte Ewigkeit überprüft hatte, mit versteinerter Miene seinem Partner zu. »Er ist sauber.«
Der andere Agent drückte die gespreizten Finger an die Metallwand. Ein grüner Schimmer leuchtete unter seiner Hand hervor. Ein lautes metallisches Klicken folgte.
Als aus der Wand das Geräusch von sanft gleitendem Metall drang, nahm er die Hand weg. Der Agent wandte sich an Burt und erklärte mit fester Stimme: »Diesen Ort gibt es nicht, und dieses Treffen hat nie stattgefunden. Die Leute, die Sie gleich informieren werden, waren nicht hier, und selbst wenn Sie wissen, wer diese Leute sind, wissen Sie es nicht. Haben Sie verstanden?«
»Klar, kein Problem.« Burt lächelte und hielt die Maßnahmen für lächerlich extrem. Wer immer hinter diesen Türen warten mochte, es konnten wohl kaum wichtigere Persönlichkeiten als die Präsidentin der Vereinigten Staaten sein.
Burt rechnete damit, dass die Metallwand zur Seite aufgleiten würde. Überrascht zog er die Augenbrauen hoch, als die 30 Zentimeter dicke Wand stattdessen in den Boden sank, bis die Oberkante bündig abschloss.
Die Agenten bedeuteten ihm, einzutreten. Kaum hatte er die versunkene »Wand« hinter sich gelassen, hob ein unsichtbarer Motor sie wieder an und schloss ihn in einer großen, runden Kammer ein.
Der kuppelförmige Raum schien einen Durchmesser von etwa 15 Metern aufzuweisen und direkt aus dem umgebenden Grundgestein gehauen zu sein. Die Mitte beherrschte ein großer, schwarzer, U-förmiger Tisch, an dem etwa 30 Männer und Frauen in Geschäftsaufmachung saßen.
Am hinteren Ende in der Mitte des U erhob sich ein vornehm wirkender, älterer Mann, als Burt eintrat.
»Willkommen, Dr. Radcliffe.« Der britische Akzent des Mannes hallte lautstark in dem konzertsaalähnlichen Raum wider.
Er deutete auf einen Stuhl, der einsam und verlassen mitten im offenen Raum stand. »Bitte nehmen Sie Platz. Bestimmt fragen Sie sich, warum genau Sie hier sind und was die penible Geheimhaltung soll. Auch wir haben viele Fragen zu dem Thema, das Ihre Regierung als ›Indigo‹ bezeichnet.«
Wie der Mann Ihre Regierung aussprach, ließ Burts Herz einen Schlag aussetzen. Er ließ den Blick über die Gesichter und die Kleidung der entlang des Tischs versammelten Personen wandern. Alle sahen ausländisch aus. Kleidung, Frisuren und erst recht der Akzent des Sprechers. Was ging hier vor sich?
Woher wissen die von Indigo?
Burt hatte die Information, dass er eine Gruppe von Politikern informieren sollte. Er fragte sich, ob er einen schweren Fehler begangen hatte. Wer sind diese Leute?
»Dr. Radcliffe, lassen Sie mich Ihnen etwaige Sorgen nehmen«, sagte der Mann mit dem britischen Akzent. »Ihre Präsidentin weiß, dass Sie hier sind. Sie wäre selbst gekommen, wenn sie nicht bereits umfassend informiert wäre und sich um andere Dinge kümmern müsste.«
Burt wusste nicht recht, was er glauben sollte. Dennoch ging er langsam zu dem gepolsterten Drehstuhl aus Leder in der Mitte der Kammer und fragte: »Was ist das für ein Ort? Dafür bin ich hier? Um Sie alle zu informieren? Vorher wüsste ich wirklich gern ...« Burt deutete mit einer ausladenden Geste über die Umgebung. »Was ist das alles, und wer sind sie alle ...« Plötzlich verstummte er, als er den Mann mit dem britischen Akzent erkannte. »Äh, Sir ... sind Sie nicht der Premierminister von Großbritannien?«
Langsam trat ein Lächeln in die Züge des älteren Mannes, und Burt wusste, dass er recht hatte.
»Dr. Radcliffe, diese Versammlung an sich hat keinen Namen. Wir alle treffen uns in Krisenzeiten, aus politischen und Sicherheitsgründen streng geheim.«
Als Burt den Mund öffnete, um eine Frage zu stellen, hob der Premierminister die Hand. »Bitte, Dr. Radcliffe. Bevor wir beginnen, möchte ich Ihnen eine kurze Geschichte erzählen. Ich hoffe, sie hilft Ihnen, zu verstehen, was wir von Ihnen erwarten. Um es eindeutig festzuhalten: Alles, was in dieser Kammer gesagt wird, bleibt vertraulich.«
Durch die seidige Stimme und den Akzent des Mannes erlebte Burt einen surrealen Moment. Er fühlte sich beinah, als spielte er eine Rolle in einem der alten James-Bond-Streifen.
»Dr. Radcliffe, es ist noch gar nicht so lange her, dass die Nationen der Welt am Rand einer verheerenden Katastrophe gestanden haben. Viele Bürger der Welt haben religiöse Überzeugungen, und das ist schön und gut. Und auch, wenn ich es ungern zugebe, sogar ich glaube an eine höhere Macht. Man könnte argumentieren, dass Religion mehr Schaden als Nutzen angerichtet hat. Aber das ist eine andere Debatte.«
Der Premierminister legte die Hände vor sich auf den Tisch, lehnte sich vorn und fuhr mit unheilvollem Ton fort. »Auch wenn die Öffentlichkeit nie davon erfahren hat, vor nicht allzu langer Zeit haben drei Atommächte die Kontrolle über ihre Arsenale an religiöse Fanatiker im eigenen Land verloren. In allen drei Fällen bestand eine Verbindung zwischen diesen Wahnsinnigen. Alle waren von dem Wunsch motiviert, das Ende der Welt herbeizuführen. Und dabei glaubten sie, Gottes Hand würde eingreifen. Für manche Menschen mag das die Ankunft des Messias bedeuten – oder seine Wiederkunft oder was auch immer Ihre religiöse Überzeugung über die Endzeit vorsieht. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie mit den christlichen Chroniken in der Offenbarung am vertrautesten sind. Wie auch immer, den landesinternen Sicherheitskräften gelang es nur mit Müh und Not, die bevorstehenden Katastrophen zu verhindern und die Lage im jeweiligen Land wieder unter Kontrolle zu bringen.«
Burts erster Gedanke galt dem, was die Präsidentin ihm gezeigt hatte, dieser Bruderschaft der Gerechten. Handelte es sich dabei um dieselben Verrückten, auf die sich der Premierminister bezog? Burts Gedanken überschlugen sich, als er versuchte, sich an etwas über religiöse Unruhen in den Nachrichten zu erinnern. Plötzlich ereilte ihn eine Erkenntnis. »Warten Sie. Ich erinnere mich an gleichzeitige Beerdigungen religiöser Führer vor ungefähr zehn Jahren. Die Sache wurde riesig aufgebauscht, aber ich dachte, sie wären alle an einem Herzinfarkt gestorben oder ...«
»Ja«, fiel ihm der ältere Mann ins Wort. »Über das Wer und Was müssen wir uns nicht weiter unterhalten. Belassen wir es dabei, dass die Sache bereinigt wurde, still und leise, ohne Verdacht zu erregen. Erst nach dem Vorfall ist den Oberhäuptern der Atommächte klar geworden, dass wir alle das gleiche latente Risiko von Sicherheitsverletzungen hatten. Diese Selbstmordkulte tarnen sich mit dem Deckmantel von Religionsgemeinschaften überall auf der Welt, und sie haben Millionen Anhänger oder Sympathisanten. Als zivilisierte Nationen konnten wir nicht hinnehmen, dass sie je die Kontrolle erlangen oder globale Unruhen anzetteln könnten.«
Burt erinnerte sich an den Albino-Mönch. Ihm graute beim Gedanken, dass es Millionen solcher Fanatiker auf der Welt geben könnte.
Der Premierminister deutete auf seine Amtskollegen zu beiden Seiten. »In jedem unserer Länder behindern wir unter den Kultanhängern diejenigen, die am problematischsten werden könnten. Wir sorgen dafür, dass ihnen die Abstimmungsverfahren in unseren jeweiligen Regierungen keine Mitsprache ermöglichen. Außerdem erschweren wir ihnen die Aussichten auf wirtschaftlichen Erfolg.«
Als er kurz verstummte, trat ein zynisches Grinsen in seine Züge. »Man könnte uns wohl mit den Schreckgespenstern in billigen Groschenromanen vergleichen, eine mysteriöse Vereinigung, die auf unehrenhafte Weise Kontrolle ausübt. Aber wir tun es, um den Rest der Menschheit zu schützen.«
Burt nickte langsam.
Merkwürdigerweise störte ihn daran nichts. Er war nicht besonders religiös und wollte Gottes Werk mit Sicherheit nicht in irgendeiner Weise beschleunigen. Burt mochte unerfreuliche Schicksalsschläge erlitten haben, trotzdem wollte er unbedingt weiterleben. »Herr Premierminister, wenn Sie über Indigo Bescheid wissen, warum brauchen Sie mich dann hier? Und warum erzählen Sie mir das alles?«
»Eigentlich ist die Antwort ganz einfach.« Der Premierminister lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und deutete auf die anderen im Raum. »Wir wollten alle, dass Sie verstehen, warum es diese Gruppe gibt. Sie mussten erfahren, dass wir gegen einen beträchtlichen Teil unserer Gesellschaft kämpfen – einen Teil, der unter bestimmten Umständen bereit ist, fast alles zu glauben. Angesichts der Möglichkeit, die Indigo darstellt, erscheint uns allen klar, dass wir es mit einer globalen Katastrophe zu tun hätten, wenn die Wahrheit an die Öffentlichkeit käme. Sogar, wenn unser interstellarer Gast doch nicht zu Besuch käme und alles irgendein Irrtum wäre, allein das Wissen der Öffentlichkeit um die Bedrohung wäre eine Katastrophe epischer Ausmaße. Diese Selbstmordkulte brauchen nur einen Vorwand oder irgendetwas, das sie als Zeichen von oben deuten können, um die Zivilisation zu vernichten, die uns so am Herzen liegt.« Der Premierminister warf einen Blick zu den anderen und erklärte in düsterem Ton: »In jedem unserer Länder sind bereits Aktivitäten im Gang, um die Reaktionen von besorgniserregenden Personenkreisen im Keim zu ersticken. Von Ihnen erwarten wir uns umfassende Aufklärung darüber, was genau auf uns zukommt und welche Vorbereitungen getroffen werden müssen. Unter Umständen hat unsere Gruppe auch Vorschläge dazu, was der Öffentlichkeit preisgegeben werden sollte und was nicht. Aber lassen Sie uns zuerst hören, was Sie zu sagen haben.«
Burt rollte mit dem bequemen, gepolsterten Lederstuhl langsam näher zum Eingang der Kammer, damit er alle Anwesenden gleichzeitig im Blick hatte.
Nach einem kurzen Hüsteln und Räuspern wandte er sich an die Versammelten: »Wie Sie alle bestimmt wissen, gehört ein schwarzes Loch zu den gefährlichsten Objekten im All ...«
* * *
Burt war zutiefst erleichtert, dass er fast zwei volle Tage mit Dave über die Wissenschaft hinter der Lösung und über mögliche Probleme bei der Umsetzung besprochen hatte. Nach den knapp zwei Stunden intensiver Diskussionen mit den 34 Oberhäuptern verschiedener Länder fühlte er sich ausgelaugt. Beinah so, als hätte er vor Gericht das Kreuzverhör eines Staatsanwalts über sich ergehen lassen. Allerdings hatte er es nicht mit einem Gegenüber zu tun, sondern mit 34 , die alle gezielte Fragen stellten und jeden erdenklichen Aspekt ausloteten. Vereinzelt führte die dynamische Debatte zu heftigen Diskussionen unter den führenden Politikern der Welt, und erst, als der britische Premierminister von irgendwo einen Hammer auspackte und damit laut auf den Tisch klopfte, kehrte wieder Ordnung im Saal ein.
Für Burt blieb als einzige konkrete Schlussfolgerung, dass weitere Diskussionen folgen müssten. Dafür würde jedes der Länder einen Vertreter seiner wissenschaftlichen Gemeinschaft mit Anweisungen der Regierung entsenden.
Als sich die Versammelten erhoben und zu einem Tisch mit Essen und Erfrischungen gingen, kam der Premierminister zu Burt und klopfte ihm mit einem mitfühlenden Lächeln auf die Schulter. »Dr. Radcliffe, ich entschuldige mich dafür, was Sie gerade erlebt haben. Mir ist klar, dass es anstrengend sein muss, sich mit uns Politikern herumzuschlagen. Viele von uns wissen kaum, wie man Physik buchstabiert, geschweige denn, wie man vernünftig darüber diskutiert. Die meisten von uns sind recht besonnen, aber wir können auch anders.«
Burt schüttelte den Kopf und lächelte. »Keine Sorge. Ich habe schon Schlimmeres erlebt. In Akademikerkreisen gibt es ein altes Sprichwort: ›Akademische Politik ist deshalb so erbittert, weil der Einsatz so gering ist.‹ Abgesehen davon habe ich solche verbalen Schlachten schon früher geschlagen.«
Der ältere Gentleman nickte, bevor er mit einem Ausdruck des Bedauerns schwer seufzte. »Ja, damit haben Sie wohl recht. Lassen Sie sich nur nicht überraschen, wenn es erst noch hässlicher wird, bevor wir auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Die Leute werden nicht hören wollen, was gesagt werden muss. Aber ich bin sicher, Sie bekommen das hin.« Der Premierminister setzte ein Lächeln auf, das bestimmt beruhigend wirken sollte, dennoch ließ es Burt besorgter werden. »Sie haben sich sehr gut geschlagen, und genau das werde ich Margaret berichten.« Dann warf der Premierminister einen Blick auf einen Tisch mit einem großen, silbernen Teeservice und klopfte Burt erneut auf die Schulter. »Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich brauche jetzt ein Schlückchen Tee, um meine überspannten Nerven zu beruhigen.«
Als sich der grauhaarige Mann abwandte, spürte Burt ein Tippen auf den Rücken. Er drehte sich um und hatte einen kleinen asiatischen Mann vor sich, der ihn eindringlich ansah.
»Oh, hallo.« Burt erkannte den leicht übergewichtigen Mann mittleren Alters auf Anhieb als den, der an einem der Enden des U-förmigen Tischs gesessen hatte. Er hatte selbst in den hitzigsten Phasen der Debatten nie ein Wort von sich gegeben. »Haben Sie eine Frage?«
»Radcliffe, arrangieren Sie für mich ein persönliches Treffen mit Dave Holmes. Dave und ich sind alte Freunde.«
Burt blinzelte verblüfft. »Äh, ich bin eigentlich nicht befugt, für irgendjemanden Treffen mit Dr. Holmes zu arrangieren. Ich fürchte, Sie müssen sich an die Präsidentin wenden oder vielleicht ... Entschuldigung, ich will nicht unhöflich sein, aber wer sind Sie?«
Der Mann legte den Kopf leicht schief und lächelte. »Ein Gespräch mit Ihrer Präsidentin könnte schwierig sein. In meiner Regierung sitzen viele Personen, die Ihrer nicht allzu freundlich gesinnt sind. Wenn Sie mit Dave sprechen, dann sagen Sie ihm, dass Frank mit ihm über den Umrichter reden möchte.«
Burt wich einen Schritt zurück. Zuerst war er nicht sicher, ob ihn der Mann auf den Arm nehmen wollte. Dann klingelte beim Namen Frank plötzlich etwas. »Frank? Der Frank aus Nordkorea – der Frank, der mit Dr. Holmes studiert hat?«
Mit einem unerwarteten Ausbruch von Begeisterung klatschte Frank freudig in die Hände. »Also hat er über mich gesprochen? Er muss erfahren, dass es Fortschritte bei dem Projekt gibt, über das wir damals geredet haben.«
Plötzlich packte er Burt am Oberarm und beugte sich ihm zu. »Ich muss mit ihm sprechen.«
Als sich Burt aus dem Griff des Mannes befreite und einen weiteren Schritt zurücktrat, weiteten sich Franks Augen. Als oberster Führer seines Landes war er vermutlich nicht an Menschen gewöhnt, die seine Gegenwart nicht einschüchterte.
Frank beugte sich abermals näher und flüsterte mit belegter Stimme in geradezu verzweifeltem Ton: »Da ist noch mehr, aber hier kann ich nicht darüber reden.« Nervös spähte der kleine Mann über die Schulter. »Und die Informationen, die ich habe ... Ich kann mir einfach nicht sicher sein. Es erscheint mir verrückt, unausgegoren. Genau deshalb muss ich mit ihm reden. Dave war immer gut darin, Dinge zu entwirren und den Wert in den halbgaren, schlecht ausgeformten Ideen zu finden, die mich manchmal inspirieren.« Ein trauriger Ausdruck trat in die pausbäckigen Züge, als würde sich der Mann an eine längst vergangene Zeit erinnern. »Obwohl er Amerikaner ist, er ist wirklich ...« Frank verstummte und schien die nächsten Worte sorgfältig abzuwägen. »Er ist wirklich klüger als wir alle. Nichts für ungut.«
»Schon gut, das weiß ich, glauben Sie mir.« Burt nickte. »Dave ist mehr als brillant. Ich rede für Sie mit der Präsidentin und sehe zu, was ich tun kann. Aber versprechen kann ich nichts.«
Der oberste Führer des Schurkenstaats seufzte. »Es ist wichtig. Sie können Ihrer Margaret Hager ausrichten, dass ich tue, was ich kann, um meine Generäle in der Spur zu halten. Aber ob Sie’s glauben oder nicht, der Handlungsspielraum in meiner Position ist begrenzt.«
Mit diesen Worten wandte sich Nordkoreas oberster Führer ab und steuerte auf einen mit internationalen Delikatessen überfrachteten Tisch zu.
* * *
Die Information über die Bedrohung war überaus sorgsam unter den anderen Führern der Welt verbreitet worden. Wie durch ein kleines Wunder war noch nichts davon in die Öffentlichkeit gesickert. Dabei hatte Burt immer gehört, in einer Regierung bliebe nichts wirklich vertraulich, weil die Menschen nicht anders konnten, als über ihre »Geheimnisse« zu sprechen. Offensichtlich traf das nicht immer zu.
Er atmete tief ein. Der muffige Geruch im Raum drang ihm in die Nase. Er stand vor einem Podium, als sich die Letzten der fast 150 Wissenschaftler in einem sicheren Auditorium in Fort Meade einfanden. Burt war sich nicht sicher, ob seine Magenverstimmung am fettigen Frühstück im Hotel lag oder daran, dass er gleich seinen Kollegen, den führenden Wissenschaftlern der Welt, Einzelheiten darüber offenbaren würde, wie man der heranrasenden Bedrohung begegnen wollte.
Burt wirkte seit fast drei Jahrzehnten in der akademischen und wissenschaftlichen Gemeinschaft. Er wusste, wie der Hase lief. Neue Konzepte erforderten Peer-Reviews zur Bestätigung, um ernstgenommen zu werden. Über 100 dieser Koryphäen mitzuteilen, dass sie das normale Verfahren bei etwas buchstäblich Erderschütterndem überspringen mussten, war blanker Wahnsinn.
Ein notwendiger Wahnsinn.
Nachdem sich die letzten Wissenschaftler auf ihren Sitzen niedergelassen hatten, beugte sich Burt vor, klopfte aufs Mikrofon und ließ den Blick durch den Raum wandern.
»Hallo zusammen«, begann er. »Wie ich gesehen habe, sind ein paar alte Freunde im Saal, ich freue mich aber auch, all die neuen Gesichter kennenzulernen. Ich wünschte nur, der Anlass wäre nicht so ernst, wie er heute ist.«
Burt versuchte, die Nervosität abzuschütteln, indem er noch einmal tief Luft holte und die steifen Schultern rollte.
»Sie sind alle darüber informiert, was uns bevorsteht. Außerdem hat man Sie zu Verschwiegenheit vereidigt. Was in diesem Raum besprochen wird, bleibt in diesem Raum. Diese Zusammenkunft verfolgt zwei Ziele. Erstens erkläre ich Ihnen unseren Lösungsansatz für die Ausgangslage in den Berichten, die Sie bereits erhalten haben. Zweitens sollten wir über die Auswirkungen der Ereignisse diskutieren und einen Plan darüber erstellen, was noch getan werden muss. Jedes Ihrer jeweiligen Länder braucht Ihre Beratung. Mir fällt die Aufgabe zu, die Diskussion zu koordinieren und die Schlussfolgerungen zusammenzufassen.«
Da Burt in seinem Leben schon viele Reden gehalten hatte, wich seine Nervosität rasch der eisernen Entschlossenheit, das zu tun, was getan werden musste. Wenn Indigo letztlich an die Öffentlichkeit gelangte, würden diese Leute den Bürgern die Lage erklären müssen. Und wenn es ihnen nicht vernünftig gelänge, würde mit größter Wahrscheinlichkeit eine Massenpanik ausbrechen. Es stand zu viel auf dem Spiel, um etwas zu vermasseln.
»Zunächst mal: Was ich Ihnen gleich beschreibe, wurde von Dr. David Holmes entworfen. Falls Sie ihn nicht persönlich kennen, wissen Sie mit Sicherheit, wer er ist. Ich wünschte, er könnte hier sein, aber er ist da draußen.« Burt deutete in Richtung der Außenwelt. »Er beschäftigt sich gerade mit den Bedenken, über die wir gleich sprechen werden. Deshalb bin ich an seiner Stelle hier.«
Einer der Wissenschaftler in der ersten Reihe, ein älterer Mann mit weißem Haar, stand auf und fragte mit lauter Stimme: »Dr. Radcliffe, ich lehne die Idee ab, das Schicksal der Welt auf neue Überzeugungen oder Erkenntnisse zu setzen. So funktioniert es nicht, und das wissen Sie genau.«
Burt schüttelte den Kopf. Er hatte mit Gegenwind gerechnet. »Ihr Einwand wird zur Kenntnis genommen, aber ich behaupte mal, Sie vergessen unsere Geschichte. Fortschritte in der Wissenschaft vollziehen sich oft in Schüben. Es kommt vor, dass lange als Tatsache betrachtete Dinge plötzlich durch widersprüchliche empirische Daten auf den Kopf gestellt werden.
Bis ins späte 19. Jahrhundert hinein hat die Wissenschaft an eine Substanz namens Äther geglaubt, angeblich das Medium für die Ausbreitung von Licht. Und dann eines Tages im Jahr 1905 hat ein Mann namens Albert Einstein mit seiner speziellen Relativitätstheorie alles über den Haufen geworfen, woran die wissenschaftliche Gemeinschaft geglaubt hat.
Noch vor 50 Jahren dachte man verbreitet, die Weltmeere wären durch das frühe Bombardement der Erde mit Kometen und anderen wasserführenden Objekten entstanden. Erst durch den Vorbeiflug des Halley’schen Kometen und die spektroskopische Analyse anderer Kometen haben wir festgestellt, dass diese eisigen Objekte nicht die Grundlage unserer Ozeane gewesen sein können. Ihr Verhältnis von schwerem Wasser auf Deuterium-Basis zu normalem Wasser war doppelt so hoch wie in unseren Meeren.
Stattdessen haben wir erfahren, dass ein großer Teil des oberen Erdmantels aus einem als Ringwoodit bekannten Gestein besteht. Und dass es, wenn man es an die Oberfläche brächte, ein Vielfaches der Wassermenge freisetzen könnte, die wir derzeit in unseren Ozeanen haben. Und ein nicht unerhebliches Detail: Das in unserem Mantel eingeschlossene Wasser hat exakt dieselbe Zusammensetzung wie das Wasser in den Meeren. Heute wissen wir, dass die Erde durch Millionen Jahre vulkanischer Aktivität ihre Ozeane bevölkert hat. Auch das hat unser früheres Verständnis abgelöst.
Immer wieder wurde vermeintliches Wissen praktisch schlagartig von neuen Erkenntnissen abgelöst.
Was Dr. Holmes als möglich nachgewiesen hat, steht meiner Einschätzung nach in keiner Weise Albert Einstein und dessen Theorie der speziellen und der allgemeinen Relativitätstheorie nach. Dr. Holmes hat auf den Kopf gestellt, was wir zu wissen dachten.«
Der nächste Teil war kontrovers, das wusste Burt. Er holte tief Luft und bemühte sich, nicht das Gesicht zu verziehen.
»Was ich gleich beschreiben werde, ist geradezu lächerlich kompliziert. Einige der Dinge, über die wir sprechen werden, stellen alles in Frage, was wir für Fakten gehalten haben. Glauben Sie mir, ich weiß, wie wir gestrickt sind. Ich bin einer von Ihnen. Damit meine ich, dass wir alle durch unseren akademischen Hintergrund von Natur aus Menschen sind, die viele Fragen stellen, die debattieren und die daran glauben, alles in Fachkreisen begutachten zu lassen. So leid es mir tut, diesen Luxus haben wir nicht mehr. Nicht in diesem Fall.«
Ein Raunen ging durch das Publikum. In einer der hinteren Reihen stand eine Frau auf. »Das ist verrückt«, rief sie. »Nichts ist so kompliziert, dass man nicht darüber debattierten kann. Wenn es so vertrackt zu erklären ist, dann behaupte ich, dass es wahrscheinlich nichts ist, worauf wir uns verlassen können.«
Das Gemurmel wurde lauter. Einige Wissenschaftler wetzten unruhig auf ihren Sitzen, andere murrten in Burts Richtung.
Burt schürzte angesichts der offenen Herausforderung die Lippen und lehnte sich näher zum Mikrofon.
»Ich habe nie gesagt, dass ich es nicht erklären kann. Ich habe gemeint, es wird für einige von Ihnen eine Herausforderung, es zu akzeptieren.« Mit einem Anflug von Entrüstung änderte er den Ton und versuchte, zu verhindern, dass darüber eine Endlosdebatte ausbrach. »Sie können meine Worte hinterfragen, so viel Sie wollen. Aber wenn Sie glauben, dass Wissenschaft und die Kommunikation von Konzepten nicht vertrackt ist, geben Sie sich Illusionen hin. Selbst der simpelste Umstand kann unvorstellbar kompliziert sein. Und ich nenne Ihnen gern ein Beispiel:
Ich weiß, Sie sind nicht alle Physiker, aber ich bin mir ziemlich sicher, Sie wissen alle, dass Leistung nicht dasselbe wie Energie ist, richtig?
Die Leistung ist ein Maß für die Menge der in einer bestimmten Zeit verrichteten Arbeit und wird in Watt angegeben. Die Energie hingegen ist die Menge der Arbeit, die über eine bestimmte Zeitspanne hinweg geleistet wird. Sie wird in Wattstunden gemessen.
Man könnte also sagen: ›Ein Watt Leistung für eine Stunde ergibt eine Wattstunde Energie.‹ Einfach, oder?«
Viele Gesichter im Publikum starrten ihn ausdruckslos an, während andere irritiert wirkten.
»Sie alle glotzen mich schweigend an und denken sich: ›Das ist doch Stoff für Nachhilfeunterricht, worauf will er damit hinaus?‹
Ich will Ihnen damit aufzeigen, wie etwas Einfaches vertrackt werden kann, wenn zu viele Menschen über etwas bereits Funktionierendes debattieren, statt einfach nach vorn zu schauen.
Zum Beispiel wird die Energie einer Batterie nicht in Wattstunden ausgedrückt, sondern in Amperestunden. Was natürlich bedeutet, dass man sie mit der Spannung multiplizieren muss, um Wattstunden zu erhalten. Auch noch einfach, könnte man sagen.
Man könnte annehmen, Sie wissen auch, was eine BTU ist – natürlich die British Thermal Unit, die 1.055 Joule entspricht. Warum gerade 1.055 Joule? Tja, weil so viel Leistung nötig war, um die Temperatur eines Pfunds Wasser um ein Grad Fahrenheit zu erhöhen.
Um das zu wissen, muss man offensichtlich tief ins Auswendiglernen vordringen, richtig?
Und was, wenn ich Ihnen sage, dass die Briten früher eine so genannte ›Board of Trade Unit‹ hatten, auch als BTU bekannt? Das war eine Kilowattstunde, was wohlgemerkt nicht dasselbe ist wie BTU in der Bedeutung von British Thermal Unit. Diese andere Form von BTU entsprach nicht 1.055 Joule, sondern 3,6 Megajoule. Schon verwirrt?
Aber warten Sie, es kommt noch mehr.
In Indien wird eine Kilowattstunde schlicht als Einheit bezeichnet. Also entspricht eine Million Einheiten eigentlich einer Gigawattstunde, eine Milliarde Einheiten einer Terawattstunde und so weiter.
Es lässt sich nicht bestreiten, dass wir Wege gefunden haben, zu verkomplizieren, wie wir miteinander kommunizieren oder gemeinsame Konzepte ausdrücken. Tun wir also nicht so, als wären wir in der Hinsicht unschuldig.
Sie alle haben den Auftrag, nicht über die Art der bevorstehenden Bedrohung zu debattieren oder über die Lösung, die derzeit umgesetzt wird, sondern über die Auswirkungen der Lösung und darüber, wie sich jedes Ihrer Länder vorbereiten muss. Jede Ihrer jeweiligen Nationen braucht Ihren Rat. Wenn Sie nicht erklären können, worüber ich gleich sprechen werde, trägt jeder Einzelne die Verantwortung für das unvermeidliche Chaos in Ihren Ländern.«
Burt schwenkte den Zeigefinger über die Menge.
»Und ich kann Ihnen versichern: Wenn Sie nicht in der Lage sind, die Menschen zu überzeugen, dass alles gut wird, dann wird es Chaos geben. Sie werden im Blickpunkt stehen – entweder als Retter Ihrer Nation oder als Sündenbock für interne Konflikte.
Um Ihnen allen zu helfen, werde ich die nächsten Stunden darüber sprechen, was Dr. Holmes entdeckt hat. Ich werde auf die damit verbundene Physik eingehen, und ich werde Sie ersuchen, nicht darüber zu diskutieren, ob es funktionieren kann oder nicht. Lassen Sie sich gesagt sein, dass ich einen Prototyp gesehen habe. Es funktioniert. Ende der Debatte.«
Bevor jemand protestieren konnte, lehnte sich Burt noch näher zum Mikrofon und betonte seine nächste Aussage mit bedrohlichem Tonfall.
»Wenn Sie eine Verständnisfrage haben, dann gern – aber ich werde nicht akzeptieren, dass jemand den Ablauf für die anderen bremst. Dafür haben wir keine Zeit. Unser aller Leben steht auf dem Spiel. Wenn Sie sich nicht zurücknehmen können, werden Sie vom Verfahren ausgeschlossen, und eine Zusammenfassung der Erkenntnisse wird an Ihr Regierungsoberhaupt geschickt. Hab ich mich klar ausgedrückt?«
In der Mitte der dritten Reihe wurde eine Hand gehoben. Burt erteilte dem Mann das Wort.
»Entschuldigung, Dr. Radcliffe«, sagte er. »Ich bin kein Physiker wie viele von Ihnen. Also will ich gar nicht erst so tun, als würde ich verstehen, worüber Sie diskutieren werden. Ich bin Klimatologe und ozeanografischer Forscher. Wenden wir uns nach der Besprechung der Mechanismen der Lösung den konkreten Vorbereitungen zu? Das ist hoffentlich der Bereich, in dem ich vielleicht Gedanken zu einigen Aspekten habe und etwas beisteuern kann.«
Burt stieß den unterbewusst angehaltenen Atem aus und spürte, wie die Spannung aus ihm abfloss. Er schenkte dem Mann ein Lächeln. »Ja, selbstverständlich. Im Anschluss widmen wir uns auf jeden Fall den praktischen Fragen. Ich bleibe so lange hier, wie es nötig ist, um alles zu besprechen. Ich möchte lediglich, dass Sie alle zumindest ansatzweise ein Verständnis der Lösung haben, wenn die Sache publik wird.«
Burt warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Erfreut durchströmte ihn das Gefühl, Beachtliches geschafft zu haben. Insgeheim hatte er wesentlich mehr Zeit für Auseinandersetzungen eingeplant.
»Ich habe mit der Aussage begonnen, dass die Welt der Wissenschaft gelegentlich auf den Kopf gestellt werden kann. Tja, genau das hat Dr. Holmes getan.
Denken Sie dabei an das Konzept der negativen Masse, Abschirmung der Gravitation und Bewegung mit Überlichtgeschwindigkeit. Was früher Science-Fiction war, ist schlagartig zu wissenschaftlichen Fakten geworden. Genauso wie beim Konzept des Äthers oder den Ursprüngen unserer Ozeane. So viel, was wir als Tatsachen betrachtet haben, wurde auf den Kopf gestellt. Es ist eine aufregende, wenn auch erschreckende Zeit, um den Platz der Menschheit im Universum zu erforschen.«
Burt befestigte ein tragbares Mikrofon an seinem Hemd und krempelte die Ärmel hoch. Er griff sich vorne im Hörsaal einen Stift von der Ablage am unteren Rand eines riesigen Whiteboards und skizzierte die Erde sowie ein Netz von Weltraumaufzügen um den Äquator.
»Beginnen wir mit Details darüber, was wir bei Aktivierung des Warp-Rings erleben werden, und gehen wir danach zu den Theorien über, die zu der Lösung geführt haben.«
* * *
Auf dem Sofa im Oval Office studierte Margaret den Sicherheitsbericht, als ein Gerät an der Decke das Gesicht des Verteidigungsministers als schwebendes Hologramm in die Mitte des Raums projizierte. Seine raue Stimme dröhnte aus versteckten Lautsprechern.
»Madam President, wir glauben, dass die Terroristenzellen so gut wie nicht miteinander kommunizieren und stattdessen Signale von einer zentralen Stelle empfangen.«
»Das habe ich schon diesem Bericht entnommen, Walter. Was hat es mit diesen extrem niederfrequenten Signalen und einem terroristischen Kommunikationsnetz auf sich?«
Margaret beobachtete, wie Walters Hologramm eine Seite in seiner Kopie des Berichts umblätterte und sich räusperte. »Unsere USACIL-Spezialisten konnten ein Implantat aus einem der toten Terroristen bergen. Sie haben festgestellt, dass es sich dabei um eine ziemlich hochentwickelte Form eines Breitbandempfängers handelt.« Der Verteidigungsminister griff sich einen anderen Stapel Papier und begann, daraus vorzulesen. »Der Empfänger ist nicht größer als ein Reiskorn und so codiert, dass er die elektrischen Bahnen des Körpers zugleich als Antenne und als Stromquelle nutzt. Der Empfänger ist in der Lage, frequenzgespreizte Signale zu erkennen, und durch die Einbettung am Trommelfell des Trägers ist er ferner in der Lage, die Signale in Schallreize zu konvertieren. Der Empfänger ist so gestaltet, dass er sowohl Rundfunksignale als auch zielgerichtete Signale unterstützt.«
Margaret starrte auf das gespenstische Bild des ehemaligen Generals, das einen guten Meter über dem Boden schwebte. Nachdenklich presste sie die Lippen zusammen. »Mit anderen Worten, wir haben Terroristen mit Implantaten auf dem Trommelfell, die sowohl globalen terroristischen Funkverkehr als auch gezielt an sie gerichtete Botschaften empfangen können?«
»Ja, Ma’am. Scheint so zu sein. Ziemlich fortschrittliche Technologie, wenn Sie mich fragen.«
»Sie wollen hoffentlich nicht andeuten, dass irgendein Staat hinter diesen Arschlöchern steht, oder?«
»Nein, Ma’am, dafür liegen mir noch keinerlei Beweise vor. Aber die CIA könnte in der Angelegenheit anders denken.«
»Na schön, was haben Sie noch über die Terroristen?«
»Bei allen gefassten Verdächtigen wurde irgendwo am Körper ein gemeinsames Erkennungszeichen entdeckt. Eine Tätowierung in Form einer Sanduhr. Über die Bedeutung wissen wir noch nichts. Bei den Verhören war bisher keiner dieser Leute bereit, irgendetwas preiszugeben. Wir lassen das Bild gerade durch unsere Systeme laufen, um herauszufinden, ob wir irgendwelche Anhaltspunkte haben.«
Als Margaret auf die letzte Seite des Berichts blätterte, stieß sie auf eine Computerskizze eines Verdächtigen, den sie auf Anhieb erkannte. »Okay, was ist mit unserem Albino-Freund? Wie lautet seine Geschichte?«
»In der Wohnung eines Terrorverdächtigen konnten wir eine DNA-Probe aus einem handgeschriebenen Brief extrahieren, der aus einer Kleinstadt in Südrumänien stammt. Dank unseren neuesten DNA-Analyserechnern konnten wir die Gesichtsstruktur rekonstruieren. Offensichtlich sind Alter, Frisur und etwaige Narben nicht dargestellt, aber das Bild wurde sofort zur weiteren Analyse durch unsere Geheimdienstleute gekennzeichnet.«
Margaret lehnte sich auf dem Sofa vor und betrachtete das Bild eingehend. Das Hologramm zeigte eine rotierende Kopfaufnahme des Verdächtigen – weiße Haut, feine Augenbrauen, weißes Haar mit einem leicht zurückweichenden Ansatz. Der Anblick jagte ihr einen Schauder über den Rücken. »Er sieht eindeutig wie der Mann aus den abgefangenen Videoübertragungen aus. Wissen wir irgendetwas über ihn? Ist er der Rädelsführer oder nur ein Sprachrohr? Können uns die DNA-Computer Fingerabdrücke liefern?«
»Ich habe dieselben Fragen gestellt. Wir wissen noch nicht, wer der Kerl ist oder welche Rolle er bei den Terroristen spielt. Was die Fingerabdrücke angeht, wurde mir erklärt, dass die DNA nicht die exakten Fingerabdrücke einer Person vorgibt. Das ist also eine Sackgasse.«
Margaret legte den Bericht auf die Sitzfläche des Sofas, rieb sich die Augen und richtete den Blick wieder auf das schwebende Gesicht ihres Verteidigungsministers.
»Sonst noch etwas?«
»Nein, Ma’am. Alle fünf Zweige des Militärs unterstützen mit Teams die örtliche Polizei in jedem einzelnen unserer Territorien. Vorerst haben wir die Terroristen im Inland unter Kontrolle und suchen wie von Ihnen angeordnet mit Sondereinsatztruppen nach der Quelle. Das war’s fürs Erste von dieser Front.«
»Walter, nur dass es klar ist, wir werden weiterhin auf das Militär zurückgreifen müssen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, vor allem an den Küsten.«
»Verstanden.«
»Danke, Walter. Das ist alles.«
Die Videoübertragung wurde beendet, und Margaret sank mit sich überschlagenden Gedanken auf das Sofa zurück.
Die Präsidentin fuhr sich mit den Händen durch das blonde Haar. Dann wandte sie sich an ihren Stabschef, der in der Ecke saß und zugehört hatte.
»Doug, holen Sie mir das Justizministerium ans Telefon. Ich muss einen Weg finden, auf legale Weise die gesamte funkgestützte Kommunikation zu blockieren, die diese Terroristen vielleicht nutzen. Das bedeutet, dass Radiosender und dergleichen kaltgestellt werden könnten. Und ich kann’s nicht gebrauchen, dass mir Bürgerrechtsorganisationen oder der Kongress deswegen die Hölle heiß machen. Wir werden drastische Maßnahmen ergreifen müssen, um die Lage in den Griff zu bekommen.«
Der alte Mann schob die Brille höher auf den Nasenrücken und nickte. »Ich mache ein paar Anrufe und versuche, etwas für heute Nachmittag zu arrangieren.«
Margaret massierte sich die Schläfen und kämpfte gegen die Übelkeit an, die sie ihr Frühstück zu kosten drohte.
Sorgen nagten an ihr, als sie bei sich murmelte: »Wird uns retten oder vernichten, was ich vorhabe?«