Bill Jacobs, Ministerialdirektor für ostasiatische und pazifische Angelegenheiten, hockte sich neben Daves Sitz und warnte: »Wir landen bald, und ich möchte mich vergewissern, dass Sie die Protokolle für den Umgang mit den Vertretern anderer Nationalstaaten kennen. Sie werden am Flughafen von chinesischen Offiziellen begrüßt, die Ihnen zu Ehren wahrscheinlich ein Willkommensessen veranstalten. Die Stimmung dürfte mit ziemlicher Sicherheit herzlich bleiben. Ich schlage vor, nur darüber zu sprechen, was die Präsidentin bereits öffentlich bekanntgegeben hat.
Morgen jedoch treffen Sie mit nordkoreanischen Regierungsbeamten zusammen, und ich kann gar nicht genug betonen, dass Sie keinerlei Einzelheiten darüber preisgeben dürfen, woran Sie arbeiten. Nordkorea gilt nicht umsonst als Schurkenstaat. Nicht einmal ich kann abschätzen, wie sich diese Leute verhalten werden.«
Dave schüttelte den Kopf und lächelte höflich, während der Mann weiter darüber leierte, was er tun und lassen sollte. Als sich das Flugzeug leicht neigte und der Mann eine Pause einlegte, ergriff Dave in ruhigem, aber bestimmtem Ton das Wort. »Hören Sie, Bill, ich möchte etwas klarstellen. Ich weiß, Sie versuchen nur, Ihre Arbeit zu tun. Trotzdem lasse ich mich von Ihnen nicht belehren, worüber ich rede und worüber nicht. Ich bin durchaus in der Lage, das selbst zu beurteilen. Und mit Sicherheit lasse ich mir nichts von jemandem vorschreiben, der gar nicht wirklich weiß, worum es geht.«
Bills Mund klappte auf. Dave drückte die Fingerspitzen zusammen, forderte den Mann mit der Geste auf, den Mund zu schließen. »Das ist mein voller Ernst. Wenn wir fertig sind, lobe ich meinetwegen in höchsten Tönen, wie hilfreich Sie waren. Aber kommen Sie mir in die Quere, haben wir ein Problem. Ich halte mich an Sie, um kulturelle Fettnäpfchen gegenüber den chinesischen Offiziellen zu vermeiden, aber damit hat es sich auch schon. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Mit besorgter Miene wollte Bill protestieren. »Aber ...«
»Habe ich mich klar ausgedrückt?«, fiel Dave ihm ins Wort und wiederholte die Frage lauter.
Niedergeschlagen ließ der Ministerialdirektor die Schultern hängen. »Ja. Ich werde tun, was ich kann, damit das Treffen so einfach wie möglich verläuft.«
Mit verständnisvollem Gesichtsausdruck klopfte Dave dem Mann auf die Schulter. »Ich bin sicher, dass werden Sie. Aber noch etwas muss klar sein: Sobald ich mich mit dem obersten Führer treffe, haben Sie Sendepause. Eigentlich will ich Sie dabei gar nicht im Raum haben. Ich kenne den Mann, und er kann ... launisch sein.«
Die Lichter in der Maschine blinkten, als sich der Pilot über die Lautsprecheranlage meldete. »Wir haben gerade Landeerlaubnis vom Tower am Flughafen Shanghai Pudong erhalten. Das Wetter ist klar, und wir sollten in etwa zwölf Minuten auf Landebahn 17L aufsetzen. Bitte legen Sie die Sitzgurte an.«
Mit einem knappen Nicken stand Bill auf. »Verstanden. Ich setze mich jetzt hin.«
Als er in den hinteren Teil der großen Maschine verschwand, bemerkte Dave, dass Bella aus der Toilette zurückkam. Er zwinkerte ihr zu. »Perfektes Timing, meine Liebe. Sieht so aus, als würden wir bald erfahren, was Frank im Ärmel hat.«
Bella nahm auf dem weichen Ledersitz direkt gegenüber Dave Platz und schnallte sich an. »Ich verstehe immer noch nicht, wie er etwas erschaffen haben kann, das dem so sehr ähnelt, was wir gesehen haben.«
Dave stützte den Ellbogen auf die Armlehne, den Kopf auf die Hand und tippte sich mit dem Finger an die Wange. »Glaub mir, dasselbe frage ich mich seit drei Tagen.« Er sah Bella an und erklärte: »Frank ist ein schräger Vogel. Brillant. Oder besser gesagt, hat er manchmal Ideen, die schlichtweg genial sind. Andere Male könnte man ihn für den Inbegriff des verrückten Wissenschaftlers halten. Wäre er ein Höhlenmensch in der Steinzeit, er hätte eine Fernbedienung für einen Fernseher erfunden und wäre überzeugt davon, dass sie revolutionär ist, hätte aber keine Ahnung, was er damit anfangen soll. Was ihn zu seinen Ideen inspiriert und wie er es schafft, sie umzusetzen, da bin ich genauso überfragt wie du. Ungeachtet dessen kann man manche davon einfach nicht ignorieren. Das ist eine davon.«
Bella warf einen Blick aus dem Fenster, als das Flugzeug zum Landeanflug sank. »Es ist so dunkel da unten. Ich hätte gedacht, dass wir inzwischen die Lichter der Stadt sehen müssten.«
»Fast ganz Shanghai liegt kaum über dem Meeresspiegel. Wahrscheinlich hat man das gesamte Gebiet evakuiert. Außerdem würde ich wetten, man hat den Strom größtenteils abgeschaltet, ausgenommen das Renaissance Hotel, wo wir alle übernachten, und den Verwaltungssitz von Shanghai.« Dave ließ den Blick durch das spärlich besetzte Verkehrsflugzeug wandern. Er fand es surreal, dass sich fast 100 schwer bewaffnete Männer bei ihm in der Maschine befanden. Alle als seine Eskorte und Leibwächter. Viele beherrschten fließend Mandarin und Shanghainesisch.
»Wird Frank im selben Hotel wohnen?«, fragte Bella.
»Das weiß ich echt nicht.« Dave starrte in die Dunkelheit der Nacht und zuckte mit den Schultern, als er den schwachen Schein des nur teilweise mit Strom versorgten DefenseNet-Rings sah. »Wir treffen uns erst morgen Vormittag mit ihm im Regierungsgebäude. Man will es wohl ruhig angehen und uns nach dem Abendessen erst mal schlafen gehen lassen. Ich glaube, denen ist nicht wirklich klar, wie wenig Zeit wir haben.«
Als er hörte, wie die Räder des Jets ausfuhren, protestierte sein flauer Magen. Er hatte noch nie solche Dunkelheit unter sich gesehen und konnte nicht abschätzen, ob sie sich noch in 300 Metern Höhe oder schon anderthalb Meter über dem Boden befanden.
Die einzigen sichtbaren Lichter blinkten an den Flügelspitzen der Maschine. Plötzlich nahm Dave die Reflexion der Landelichter des Flugzeugs auf dem Meer wahr.
Aus Angst vor einem Absturz ins Wasser beschleunigte sich Daves Herzschlag jäh. Er umklammerte die Armlehnen. Mit angehaltenem Atem beobachtete er die flackernden Lichter. Sie zeigten, wie das Wasser näher und näher kam. Als er schon überzeugt davon war, dass die Maschine ins Meer tauchen würde, spürte Dave einen Ruck, als die Hinterräder festen Boden berührten.
Er stieß den Atem aus und sackte gegen die Rückenlehne. Bella lächelte und wirkte völlig entspannt.
Sie brauchte ihm nicht zu sagen, was ihr durch den Kopf ging. Dave wusste durchaus, dass sich sowohl die Präsidentin der USA als auch die übrigen führenden Politiker der Welt von ihm die Rettung vor der sicheren Vernichtung erhofften. Also würden sie ihn wohl kaum auf einen Flug schicken, bei dem die Gefahr eines Absturzes bestand.
Als das Flugzeug zu einem nahen Flugsteig rollte, machten sich einige der Agenten in Zivil zum Aussteigen bereit. Dave hoffte inständig, dass Frank durch irgendein Wunder einen Schlüssel zur Lösung ihrer Probleme haben würde.
* * *
Trotz mindestens zehn in dem großen Konferenzraum verteilten Luftentfeuchtern nahm Dave den muffigen Geruch eines Gebäudes wahr, dessen Stromversorgung längere Zeit abgeschaltet gewesen war.
Der Raum war leicht 30 Meter lang und neun Meter breit. Beherrscht wurde er von einem gewaltigen Tisch mit genügend Stühlen für 80 Personen.
Dave fasste hinter sich und tätschelte Bellas Bein. Er runzelte die Stirn, als er an die unheimliche Fahrt vom Hotel durch die leeren Straßen der Innenstadt zum Gebäude der Hauptverwaltung von Shanghai zurückdachte. »Ist schon irgendwie bizarr. Da sind wir in einer der größten Metropolen der Welt, und sie gleicht einer Geisterstadt. Wir waren wohl beide so beschäftigt, dass wir keine Möglichkeit hatten, die Auswirkungen der Evakuierungen aus erster Hand zu bemerken.« Die Schuldgefühle über die Vertreibung so vieler Millionen Menschen wuchsen, als die Leere des Regierungsgebäudes verdeutlichte, wie sich sein Ratschlag auf die Menschen niedergeschlagen hatte.
Bella saß neben ihm an dem ansonsten leeren Konferenztisch. Sie streckte die Hand aus und massierte ihm den Nacken. »Du tust das für die Sicherheit aller. Man wird dir ewig dankbar sein.«
Mit einem leichten Kopfschütteln seufzte Dave. »Ich bin nicht auf Dankbarkeit aus. Ich hoffe nur, man gibt mir nicht die Schuld am Ende des Lebens, wie wir es gekannt haben.«
Eine Tür am Ende des Konferenzraums schwang auf, und die Stimme von jemandem, der laut auf Koreanisch rief, hallte herein.
Dave stand auf, als ein kleiner, pummeliger Mann eintrat. Der Neuankömmling bewegte sich rückwärts, während er eine gehetzt wirkende Gruppe von Asiaten anbrüllte, die eine große Holzkiste auf Rädern in den Raum schoben.
Kaum hatten die Männer damit den Tisch erreicht, zerlegten sie die Kiste schnell. Zum Vorschein kam ein von Tausenden Styroporkügelchen umhüllter Gegenstand.
Der kleine Mann näherte sich dem Objekt und wischte die Kügelchen weg, während sich die Arbeiter unter tiefen Verbeugungen aus dem Konferenzraum entfernten. Erst, als sich die Türen schlossen, drehte sich der pummelige Mann um. Unwillkürlich lächelte Dave beim Anblick des obersten Führers von Nordkorea.
Frank grinste von Ohr zu Ohr. Mit forschen Schritten steuerte er auf Dave zu. »Mein Freund, es ist so viele Jahre her!« Die beiden schüttelten sich schwungvoll die Hände. Als Dave sich umdrehte, um Bella vorzustellen, starrte Frank sie verblüfft an.
»Frank, das ist Bella, meine Frau.« Die Bezeichnung fühlte sich merkwürdig an, weil sie nie formell geheiratet hatten, trotzdem wäre nichts der Wahrheit näher gekommen. Er konnte sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen.
Bella wahrte Abstand, was für sie normal war. Frank jedoch wirkte aus irgendeinem Grund fassungslos. Vielleicht hatte er noch nie jemanden mit roten Haaren gesehen. Dave zuckte mit den Schultern und wechselte rasch das Thema. »Frank, ich habe alles studiert, was du mir geschickt hast, und ich habe einen Haufen Fragen. Aber zeigst du mir zuerst, was du mitgebracht hast? Sieht genau wie in deinen Entwürfen aus.«
Frank löste den Blick von Bella und nickte aufgeregt. »Ja, ja. Ich zeige es dir. Es ist eine sehr gute Konstruktion.«
Als sie das hintere Ende des langen Tischs erreichten, deutete Frank auf die große Metallkugel und sagte: »Lass mich dir präsentieren, was ich hier habe.«
Dave betrachtete das Objekt eingehend, während Frank rasch einige der Merkmale beschrieb.
Der Gegenstand war einen knappen Meter breit. Der Holzboden der Kiste und ein Styroporring um ihn herum hinderten ihn am Rollen. Das Objekt ähnelte geradezu unheimlich der Kugel, die sie unlängst in Area 51 gesehen hatten, nur größer.
Frank zeigte auf das Bedienfeld seitlich daran und drückte einen Knopf. Die Kugel schnappte auf und enthüllte ihr Innenleben. »Wie du siehst, kann man den Motor mit dem Bedienfeld öffnen und schließen.« Er streckte die Hand ins Innere der Kugel und zeigte auf die fein gewickelten Flachkabel entlang des Innenumfangs. »Die Innenseite ist mit zwei Schichten eines supraleitenden Bands ausgekleidet. Eines leitet die Leistung des Motors nach oben, das andere hält das elektrische Feld unter Kontrolle.«
»Supraleitendes Band? Bei Raumtemperatur? Woraus besteht es?«
Frank lächelte und warf sich ein wenig in die Brust. »Eine Verbesserung gegenüber allem, was jemals jemand gemacht hat. Es ist eine optimierte Version von Stanen, aber ohne die magnetischen Effekte, die jede Hochstrom-Supraleitfähigkeit zunichtemachen. Diese Bänder sollten in der Lage sein, mehr Leistung zu übertragen, als wir je mit all unseren Kraftwerken zusammen erzeugen könnten.«
Dave starrte Frank ungläubig an. Er hatte eine Menge Fragen darüber, wie so etwas erschaffen wurde. Wenn stimmte, was Frank behauptete, wäre es ein unvergleichlicher Fortschritt in der Materialwissenschaft.
Als sich Dave vorbeugte und in die Kugel spähte, ereilte ihn eine Erkenntnis: Wenn genug Energie durch die innere Schleife des Bands flösse, würde mit ziemlicher Sicherheit eine Gravitationsblase wie die entstehen, mit der er bei der ISF experimentiert hatte.
»Frank, das ist faszinierend. Ich habe Experimente gemacht, die ähnlich aussehen, aber nicht gleich. Ich würde Folgendes sagen: Hat man innerhalb der Schleifen eine ausreichend starke Energiequelle, kann die erste Schicht als Stabilisator wirken, die zweite als Möglichkeit zum Ableiten der Energie aus der ersten Schleife.«
»Genau!«, Frank lächelte und zeigte zur Oberseite des Motors, aus der ein Dutzend fingerdicker Kabel ragte. »Dies sind die Abflusskabel des Motors. Obwohl jedes Kabel fast unbegrenzt Energie übertragen kann, habe ich sie aufgeteilt. Bei Bedarf kann die Energie also über ein Dutzend weniger effiziente Übertragungsleitungen geschickt werden.«
Frank deutete mit dem Kopf auf die Metallauskleidung der Innenseite der Kugel. »Du wirst feststellen, dass ich die Innenseite des Motors mit einem magnetischen Mantel ausgekleidet habe. So wird verhindert, dass die Magnetwirkung aus dem Motorraum nach außen dringt.«
Bella hatte offensichtlich die ganze Zeit aufmerksam zugehört. Sie fragte: »Aber würden diese Spulen nicht auch den Effekt einer magnetischen Flasche im Inneren des Motors erzeugen?«
Frank glotzte Bella verdutzt an. Einen Moment lang schien sich der übergewichtige Asiate in eine Statue verwandelt zu haben. Dann drehte er sich lächelnd Dave zu und zeigte auf Bella. »Sie ist sehr klug!«
Dave bemühte sich, nicht über Franks Ungläubigkeit zu lachen, und er nickte. »Sie hat recht. So, wie du das konstruiert hast, mit der Energiequelle im Inneren, müsste der Effekt einer magnetischen Flasche mit zunehmender Energie immer stärker werden, oder? Wenn das funktioniert, hättest du da drin buchstäblich Fusion durch magnetischen Einschluss, nicht wahr?«
»Ja!« Franks Wangen waberten, als er heftig nickte. »Ich habe es bereits getestet. Wir haben eine nahezu perfekte Umwandlung von Masse in Energie erreicht, sobald der Fusionsprozess begonnen hatte. Zugegeben, wir mussten schummeln und Energie einspeisen, um die Fusion zu initiieren und es zu testen, aber es hat funktioniert.«
Dave lehnte sich zurück und ließ Franks Worte einwirken. Wenn das stimmte, hatte Frank vielleicht gelöst, was Atomforscher ein Jahrhundert lang geplagt hatte. Frank präsentierte nicht nur die Möglichkeit von Supraleitern bei Raumtemperatur, er wäre auch der Erste, der eine effiziente Fusionsreaktion demonstrieren würde. Verdammt, wenn das alles stimmte, dann ... Er wandte sich an Bella und fragte: »Wenn wir eine perfekte Umwandlung von einem Gramm Material hätten, wie viel Energie würde das ergeben?«
Ohne zu zögern, antwortete sie: »Ungefähr 89,876 Billionen Joule.«
Frank zog die Augenbrauen hoch und nickte. »Das klingt ungefähr richtig.«
»Das ist mehr als die Energie, die bei der Explosion in Hiroshima im Zweiten Weltkrieg freigesetzt wurde«, stellte Dave erstaunt fest. »Und das aus dem Gewicht einer Büroklammer. Aber wie reguliert man die Freisetzung der Energie?«
Frank zeigte auf das Bedienfeld an der Seite der Kugel und erklärte: »Die Regler habe ich so einfach wie möglich gehalten. Mit einem digitalen Rheostat kann ich den Leistungsfluss schrittweise relativ zur Menge der in der Zündkammer verbleibenden Energie einstellen. Im Moment habe ich es so geregelt, dass man bei einer Einstellung von zehn Prozent auch zehn Prozent Leistungsfluss erhält, bis die Energie erschöpft ist. Wie Einstein gesagt hat, Masse und Energie sind austauschbar. Man kann da rein eine schier unvorstellbare Menge Energie packen. Es ist Motor und Batterie in einem.« Frank wedelte mit dem Finger vor Dave. »Aber stell den Magnetregler bloß nicht auf 100 Prozent ein, sonst strömt der gesamte im magnetischen Einschluss vorhandene Energievorrat auf einmal raus.«
»Für wie lange hast du den Leistungsfluss kalibriert, wenn man die niedrigste Einstellung wählt?«, fragte Dave.
»Oh, das ist ganz einfach anpassbar. Im Moment ist die niedrigste Rheostat-Einstellung auf eine Stunde gesetzt, aber die Dauer ist justierbar. Man könnte sie wohl auch so anpassen, dass der Motor über einen sehr langen Zeitraum, vielleicht sogar über ein Jahrzehnt Energie abgibt.«
Dave runzelte die Stirn, als er überlegte, wie viel Energie für eine neunmonatige Reise nötig wäre. Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass er Zugang zu allen Atomwaffen der Welt bekäme, würde die Energie nicht reichen, das wusste er.
»Dave.« Bella tippte ihm auf den Arm. Sie beugte sich dicht zu ihm und flüsterte: »Dieser magnetische Einschlussbehälter könnte nützlich sein für ...«
»Oh!« Das Bild der Kugel in Area 51 blitzte in Daves Kopf auf, und in dem Moment wurde ihm klar, was er vielleicht tun könnte.
Aufgeregt stand er auf, zog Frank in eine innige Umarmung und flüsterte: »Du hast uns vielleicht gerade alle gerettet.«
Frank blinzelte heftig, als Dave ihn losließ. Er wischte sich über die Augen.
»Frank, lass uns darüber reden, wie wir diesen Motor nutzen werden.«
### Drei Tage später – Area 51 ###
Der trockene unterirdische Tunnel roch leicht nach Alter wie Papier aus einem 100 Jahre alten Buch. Als sich die Agenten um ihn versammelten, legte Dave den Kopf bis zur Schulter schief, bis es im Hals laut knackte und sich eine Verspannung lockerte. Er konzentrierte sich auf jedes Gesicht. Sie befanden sich kurz vor der Treppe, die zu der verkohlten Kugel führte. »Sie sind alle über die Bedeutung dieser Mission informiert«, begann er. »Lassen Sie mich dennoch wiederholen, welche Aufgabe jeder hat.« Er zeigte auf die vier kräftigen Männer, die von Kopf bis Fuß in Anzügen aus feinmaschigem Metallgewebe steckten. »Reden wir zuerst über Sicherheit. Dank dem UNLV College of Engineering tragen wir alle Faraday-Anzüge. Ich weiß, es fühlt sich an, als würde man durch Metallmull linsen. Aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, was passieren wird, wenn wir versuchen, das Objekt zu bewegen. Vermuten kann ich nur, dass es instabil ist und in alle möglichen Richtungen Funken versprühen wird. Falls uns eine Energieentladung trifft, sollten die Anzüge die Elektrizität um uns herum in den Boden ableiten. Denken Sie nicht mal im Traum daran, den Anzug abzulegen, bevor wir kilometerweit weg sind. Verstanden?«
Die Männer, allesamt Einsatzagenten der CIA, nickten bestätigend. Dave legte die Hand auf den sorgfältig verpackten Motor, den sie aus Shanghai mitgebracht hatten. »Auf mein Kommando heben zwei von Ihnen diese Kiste vorne an, zwei hinten. Ich gehe die Treppe hinunter voraus und leuchte Ihnen den Weg. Sobald wir unten sind, öffnen Sie die Kiste schnell, aber vorsichtig und platzieren den Inhalt dort auf dem Boden, wo ich es Ihnen sage. Hören Sie mir einfach gut zu und tun Sie genau, was ich verlange, nicht mehr und nicht weniger. Dann geht alles glatt.
Sobald ich sage, dass wir da unten fertig sind, sammeln Sie das Verpackungsmaterial ein und rennen so schnell wie möglich nach oben, ohne sich dabei umzubringen. Wenn wir diese Ebene hier erreichen, gehen wir nicht zu den Fahrstühlen, sondern rennen und ziehen uns schleunigst in die ausgewiesene Sicherheitszone zurück. Haben das alle verstanden?«
Die Männer nickten, und Dave schaute zurück zu Chris und Bella. »Wie viel Zeit bleibt uns bis zum nächsten Ausbruch?«
Chris sah auf die Armbanduhr und antwortete mit seinem ausgeprägten Südstaatenakzent: »Ungefähr vier Minuten, Dr. Radcliffe.«
Dave nickte und sah Bella an, die konzentriert die Fernanzeigeausrüstung einrichtete. »Bella, wirst du den Monitor von oben sehen können?«
Sie reichte Dave eine Videokamera. »Ja, hab ich schon getestet. Ich hab eine Videokamera aufgestellt, die den Bildschirm dieses Näherungssensors für elektrische Felder beobachtet, und ich hab einen Signalverstärker in der Nähe der Aufzüge und einen weiteren oben angebracht. Wenn du die Kamera unten aufstellen kannst, überträgt sie mit einer Frequenz, die der Repeater empfängt. Wir werden vom Evakuierungsort aus beides sehen können.«
Dave wandte sich sowohl an Bella als auch an Chris: »Sobald wir nach unten gehen, geht ihr beide nach oben. Wenn wir raufkommen, werden wir rennen, als wär der Leibhaftige höchstpersönlich hinter uns her.«
Bella nickte. Chris hob die Hand und schnippte mit den Fingern. »Dr. Radcliffe, noch 30 Sekunden.«
»Alle die Lichter einschalten«, befahl Dave. Er ging zum Kopf der Treppe und schaltete auch seine Lampe ein.
Chris’ Stimme ertönte laut und deutlich, als er die verbleibende Zeit herunterzählte: »Drei ... zwei ... eins ... Energiestoß! Ist vorbei, los, los, los!«
Dave rannte die Treppe hinunter. Es gab viel zu tun, bevor das mysteriöse Objekt erneut verrücktspielte, und er wollte nicht mehr in der Nähe sein, wenn die Zeit ablief.
Innerhalb von zwei Minuten erreichte Dave die dunkle Höhle mit der verkohlten Kugel. Die Agenten begannen, Franks Motor auszupacken. Er wusste, dass beim Zerlegen der Kiste Splitter herumfliegen würden. Dagegen konnte er nichts unternehmen, nur hoffen, dass es keine Rolle spielen würde.
Dave starrte die defekte Kugel an und dachte über die Schleifen aus exotischem Material in Franks Motor nach. Auf der Rückreise aus China hatte er eine Theorie darüber formuliert, wie dieses Unterfangen funktionieren würde. Sicher konnte er sich jedoch nicht sein.
Er konnte nur vermuten, dass der Motor, sobald er zündete, genug Energie liefern würde, um die Gravitationsblase fast sofort entstehen zu lassen. Dave hoffte verzweifelt, dass die Vorrichtung so funktionieren würde, wie er es sich vorstellte. Wenn die magnetische Flasche den Energieschub nicht einfinge, würde er wahrscheinlich verbrannt, bevor er überhaupt mitbekäme, dass etwas schiefgegangen war.
Außerhalb des Motors gab es eine Steuerung, um den Energiefluss zu erhöhen oder zu verringern. Betätigte man den Regler, verformte Franks Motor den äußeren Ring so, dass der Abstand zwischen ihm und dem inneren Ring kleiner wurde. Daves vermutete, dass der äußere Ring anfangen würde, Energie vom inneren Ring abzuzweigen, wenn sie sich einander näherten.
Schließlich entfernten die Agenten den Deckel und alle vier Seiten der Kiste. Dave stand neben der verkohlten Kugel und gab ihnen ein Zeichen. »Lassen Sie den Motor auf dem Sockel und schieben Sie einfach alles näher ran.«
Während sie damit beschäftigt waren, platzierte Dave die Videokamera in einem mit Gummi ausgekleideten Metallgeflecht und hoffte stumm, das Geflecht würde nicht nötig sein.
Die Männer brachten den Motor neben der verkohlten Kugel in Position, und Dave tippte rasch auf das Bedienfeld. Die neue Kugel schnappte auf und enthüllte ihr Innenleben.
»Also gut, meine Herren, jetzt wird es heikel. Heben Sie vorsichtig, und ich meine sehr vorsichtig die verkohlte, kleinere Metallkugel in die glänzende, neuere Kugel.«
Dave ging ihnen aus dem Weg und spannte den Körper an, als die vier Männer in die Hocke sanken und die Hände ausstreckten. Er hatte keine Ahnung, was passieren würde, aber aus den Berichten ging klar hervor, dass Menschen in der Vergangenheit das Objekt berührt und erforscht hatten. Immerhin hatte man es ja auch irgendwie in diesen Raum transportiert. Er fragte sich nur, ob es seit seiner Ankunft zusätzlich beschädigt worden war.
Mit angehaltenem Atem beobachtete Dave, wie sich die Hände der Agenten gleichzeitig der alten Kugel näherten. Erleichtert seufzte er, als sie das Objekt berührten und nichts Katastrophales geschah.
Langsam hoben sie die verkohlte Kugel an und Zentimeter für Zentimeter näher zu Franks Motor.
Als die Männer die Kugel in den Motor senkten, warnte Dave: »Vorsicht, das ist ein bisschen zu nah ...«
Gleißendes Licht flammte im Raum auf, blendete Dave und ließ ihn rückwärtstaumeln. Gleichzeitig hallte eine chaotische Mischung aus Schreien, elektrischem Knistern und metallischem Klirren wider.
Daves Herz donnerte in der Brust, als er um Fassung kämpfte und heftig blinzelnd die Lichtpunkte loszuwerden versuchte, die seine Sicht beeinträchtigten. »Geht es allen gut?«
Sofort ertönten bejahend mehrere Stimmen, aber Dave heftete die Aufmerksamkeit auf ein Stöhnen, das von einem der von Metall umhüllten Männer ausging. Der Agent hatte die rechte Hand in die linke Armbeuge geklemmt. »Was ist pass...«
Ein eiskalter Schauder durchzuckte Dave, als er die ersten Anzeichen von Blut entdeckte, die über das Metallgewebe liefen. Er deutete auf den Agenten. »Zeigen Sie her!«
Der Mann keuchte zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, als er die Hand hervorzog, von der die beiden Finger rechts abgetrennt worden waren. Bei dem Anblick zog sich Dave alles zusammen. Er schaute zu Franks Motor, der sich um die geschwärzte Kugel herum geschlossen hatte.
Seine Gedanken überschlugen sich, als er einem der unverletzten Männer auf die Schulter tippte und mit dem Kopf auf den blutenden Agenten deutete. »Schaffen Sie ihn zu einem Arzt! Alle anderen ab in die Evakuierungszone. Ich komme gleich nach.«
Die Männer eilten aus der unterirdischen Kammer. Dave ging auf Franks Motor zu und murmelte: »Das verdammte Ding muss bei dem Funken automatisch zugeschnappt sein.« Schuldgefühle überkamen Dave, als er den Boden absuchte und begriff, dass die Finger des Mannes wahrscheinlich in Franks Motor gelandet waren.
Rasch überprüfte Dave den eigenen Anzug, der unversehrt zu sein schien. Dann näherte er sich dem Bedienfeld am Motor und drückte die Taste zum Öffnen und Schließen.
Nichts geschah.
»Verdammt, was ist denn jetzt los?«
Auch das wiederholte Drücken der Taste brachte nichts. Innerlich fluchte Dave, doch er wusste, dass er nichts tun konnte. Es erschien logisch, dass sich der Motor nicht öffnen ließ, wenn die Magnetverschlüsse eingerastet waren.
Dave vergewisserte sich, dass der Energieregler auf null stand, holte die Videokamera heraus und stellte sie mit ihrem Stativ auf. Schnell sammelte er das Verpackungsmaterial ein und entfernte sich aus der Kammer.
Mit dem Wissen, dass er wahrscheinlich zu viel Zeit darin verbracht hatte, raste er nach oben. Er spürte, wie ihm Galle in die Kehle stieg, als er unterwegs eine Spur von Blutstropfen sah.
* * *
Unter schweren Schuldgefühlen beobachtete Dave, wie ein Sanitäter die Hand des Agenten nähte und anschließend eine Kältepackung um die Fingerstümpfe des Verletzten anbrachte.
»Dr. Holmes.« Der Agent schaute in seine Richtung und bedachte ihn mit einem Lächeln. »Bitte machen Sie sich keine Vorwürfe, der Arzt sagt, es kommt alles wieder ins Lot.«
Bella flüsterte ergänzend: »Der Arzt sagt, die Nervenleitfähigkeit ist noch gegeben. Agent Michaels kann künstliche Ersatzfinger bekommen.«
Ein Anflug von Übelkeit überkam Dave. Er seufzte und wünschte, er hätte die Verletzung irgendwie verhindern können. »Soweit ich weiß, ist damit zum ersten Mal jemand unter meiner direkten Aufsicht verletzt worden.« Er drehte sich Bella zu und runzelte die Stirn. »Ist dir klar, dass bei zwei der anderen Agenten die Fingerspitzen der Anzüge abgehackt wurden? Sie haben die Hände gerade noch rechtzeitig zurückgezogen.«
Bella rieb Daves Rücken. »Es hätte auch viel schlimmer kommen können.«
Dave atmete zittrig ein und kauerte sich neben die Videoübertragung, während die anderen Agenten geduldig auf Entwarnung warteten. Sie befanden sich 15 Kilometer vom Artefakt der Area 51 entfernt, versteckt hinter einer Felserhebung. Alle standen auf Gummimatten, nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Berichte über gewaltige elektrische Entladungen stimmten. Oder falls etwas schrecklich schiefginge. Stumm betete Dave, während die Zeit verstrich.
Bella deutete mit dem Kinn auf das Bild des Monitors der elektrischen Feldstärke. »Ist es nicht seltsam, dass früher ein elektromagnetisches Summen von der Kugel ausgegangen ist, ich aber jetzt gar nichts mehr höre? Ist völlig ruhig da unten.«
»Also, ich werte das mal als gutes Zeichen«, meinte Dave. »Wenn alles so läuft, wie es sollte, dann sollten wir nicht spüren können, was davon ausgeht.«
Chris zog seine Gummimatte näher und verkündete: »Noch eine Minute, bevor das Feuerwerk losgeht.«
Dave dachte daran zurück, wie sich die Magnetversiegelung beim Aufflammen der Energie geschlossen hatte. Er konnte nur vermuten, was während des Energieausbruchs passieren würde. Wenn alles perfekt funktionierte, würde der Energiestoß in der Kugel eingedämmt und die magnetische Versiegelung zusätzlich verstärken. Sie würde die in Franks Motor enthaltene Energie einkesseln und ein Reservoir unbekannter Menge bereitstellen.
Aber würde es auch funktionieren?
Als ihn Visionen davon überkamen, wie die Kugel die gesamte in ihr enthaltene Energie auf einmal ausspie, befürchtete er plötzlich, sie könnten immer noch zu nah am Geschehen sein. Andererseits gab es vielleicht im Fall einer Explosion des Dings nirgendwo auf der Erde einen sicheren Ort. Dave schüttelte den Kopf und zeigte zum Nachthimmel. »Ich hoffe bei Gott, dass wir nichts sehen.«
Bella griff nach Daves Hand. So standen sie da, während sie die Videoübertragung beobachteten.
Mit der Phantomempfindung eines elektrischen Kribbelns überall auf der Haut beobachtete Dave nervös den Monitor. Er wusste, dass ihm sein Verstand bloß Streiche spielte. Seine Atmung wurde flacher, als sich der große Moment näherte.
Er schloss die Augen und entsandte ein stummes Gebet zu irgendeiner höheren Macht, die vielleicht zuhörte. Gott, bitte lass nicht zu, dass wir alle draufgehen.
Mit angehaltenem Atem spannte Dave den Körper an, als Bella die letzten fünf Sekunden herunterzählte. »Fünf ... vier ... drei ... zwei ... eins ...«
Dave schaute auf den Monitor, Richtung Area 51 und zurück auf den Monitor. Nichts.
Bella drückte Daves Hand, und Chris rief: »Scheint zu funktionieren!«
Dave runzelte die Stirn über das Fehlen jeglicher Anzeichen von Energiestößen. Die Feldüberwachung zeigte keinerlei Messwerte an.
Er heftete den Blick auf die Bildübertragung von Franks Motor und dämpfte den eigenen vorsichtigen Optimismus. »Also, die Videoübertragung im Raum ist jedenfalls intakt. Warten wir noch mal 45 Minuten ab und sehen, was dann passiert. Ich will nichts und niemanden mehr aufs Spiel setzen.«
Nach wie vor besorgt wischte sich Dave den Schweiß aus dem Gesicht. Er hatte keine Ahnung, was sich in der geheimnisvollen Kugel befand. Und selbst, wenn alles funktionierte, wäre es eine weithergeholte Hoffnung, dass die seltsame Kreation irgendwelche Energie erzeugte, geschweige denn genug, um auszugleichen, was sie tatsächlich brauchten. »Ich kann nur hoffen, dass es wirklich klappt.«