Das schwere Pochen von Burts Magnetstiefeln mit Gummisohlen hallte laut wider, als er durch die menschenleeren Hallen von Mondbasis Crockett stapfte. Die Stille war unheimlich, als liefe er durch eine Gruft. Abgesehen von der Veränderung der Schwerkraft vermittelten Burt vor allem die einsame Stille und die kühle, sterile Luft das deutliche Gefühl, nicht mehr auf der Erde zu sein. Auf der eintägigen Reise zur Basis hatte er sich mit seiner Aufgabe abgefunden. Tatsächlich freute sich Burt darauf, zu tun, was getan werden musste. Auch wenn ihn eine Laune des Schicksals in diese Lage gedrängt hatte, wusste er, dass es zu etwas führen würde, das er sich immer gewünscht hatte.
Er wollte etwas im Leben anderer Menschen bewirken, selbst wenn er dafür das eigene Leben opfern musste.
»Tja, Burt«, meinte er scherzhaft zu sich. »Wie ich Präsidentin Hager kenne, lässt sie wahrscheinlich in jedem Bundesstaat Statuen mit deiner hässlichen Visage aufstellen.«
Burt rief sich die labyrinthartigen Gänge des Nordflügels der Mondbasis ins Gedächtnis, bog in den Kontrollraum und setzte sich an die Administratorstation. Er sah auf die Uhr. Aus irgendeinem Grund musste er dabei an eine Szene in einem Film denken, in der ein Mann eine alte Harley Davidson startete. »Tja, mir bleiben noch acht Stunden, bis ich die Motoren an diesem großen Felsen anwerfen kann. Vielleicht sind hier irgendwo ein paar alte Filme archiviert.«
Da fiel ihm ein, was Margaret über die ausgefallene Satellitenverbindung gesagt hatte.
Burt stand auf. Der Server konnte warten.
Als er in den Raum zurückkehrte, in dem die Satellitenübertragungen eingingen, setzte Burt seine Selbstgespräche fort.
»Wenn ich die Satellitenverbindung wieder hinkriege, kann mir irgendjemanden da unten bestimmt sagen, wo hier der Freizeitraum ist. Die müssen hier ein paar alte Filme haben.«
* * *
Er brauchte ein paar Stunden, um dem Problem auf die Schliche zu kommen. Es lief auf einen ausgebrannten Netzwerkrouter und defekte Kabel hinaus, die den Satelliten mit dem internen Netzwerk verbanden. Burt tauschte sie aus. Er lächelte, als er sah, wie der Datenverkehr über den Satelliten wieder einging.
Als sich sein Computer drahtlos mit dem Netzwerk verband, kehrte Burt mit dem Tablet zur Administratorkonsole zurück.
Er stellte das Tablet in eine Halterung, brachte das Gesicht vor den von ihm installierten Netzhautscanner und legte den Daumen auf den Fingerabdruckleser. Dass sein Daumen erkannt wurde, spürte er sofort durch ein Klicken, aber vom Visier ging ein Summen aus.
»Was zum ...« Schnaubend versuchte Burt es erneut.
Wieder dieses Summen.
Seine Gedanken überschlugen sich. Er konnte sich nicht erklären, was nicht stimmte. Er wusste, dass die Netzhaut eines Menschen ein Leben lang unverändert blieb. Burt versuchte es ein drittes Mal. Wieder wurde ihm der Zugang zur Administratorkonsole verweigert.
Er zog eine Schublade voll Werkzeug auf und warf einen Blick auf die Uhr. »Ich hab keine Zeit für solchen Mist!«
Zum Glück hatte er die Firmware für den Rechner heruntergeladen und konnte versuchen, die von ihm eingerichteten Sicherheitsvorkehrungen rückgängig zu machen. Allerdings war Burt nicht sicher, ob er es rechtzeitig schaffen würde.
Als er begann, den Server zu zerlegen, startete das Tablet automatisch bei Erkennen der Internetverbindung einen Browser.
Burt löste gerade den Chip mit der Firmware für die Plattform, als auf dem Tablet die Übertragung eines Videos mit einem Countdown begann. Er schaltete den Ton ein. Aus dem Tablet drang eine Mitteilung. »Dieser Notfallalarm der Präsidentin der Vereinigten Staaten, Margaret Hager, richtet sich an alle Personen in Empfangsreichweite.«
Burt nickte. Als er nach dem Quellcode der Firmware suchte, hörte er, wie sich die Mitteilung wiederholte, bis der darunter laufende Countdown endete und eine Live-Übertragung begann. Er erkannte den Hintergrund auf Anhieb: die Kommandozentrale in Cheyenne Mountain.
Die Präsidentin nahm an einem Tisch mit dem Präsidentschaftslogo Platz, das Burt am Vortag noch nicht dort gesehen hatte. Sie strahlte dieselbe unerschütterliche Ruhe aus wie alle großen Führungspersönlichkeiten, und Burt lächelte, als ihre Stimme klar und deutlich aus dem Lautsprecher des winzigen Computers drang.
»Guten Morgen, liebe Mitbürger.
Ich spreche erneut zu Ihnen nicht nur als Präsidentin der Vereinigten Staaten, sondern als Bürgerin dieser Welt.
Ich hatte eigentlich keine weitere öffentliche Ansprache geplant, bis ich hätte verkünden können, dass die Bedrohung über uns vorbei ist und wir alle in ein normales Leben zurückkehren können. Allerdings hat mich ein kürzliches Ereignis gezwungen, diesen Plan zu ändern.
Mir ist bewusst, dass meine Stimme weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus übertragen und automatisch in über hundert Sprachen übersetzt wird. Ich stehe in ständigem Kontakt mit allen anderen führenden Politikern der Welt. Erst vor wenigen Augenblicken habe ich mich mit ihnen darüber abgestimmt, was ich Ihnen gleich mitteile.
Es gibt ein altes Sprichwort, das besagt: ›Mögest du in interessanten Zeiten leben.‹
Manch einer könnte sagen, das sei ein Fluch, während es andere als Segen betrachten.
Versichern kann ich Ihnen, dass wir uns nach meiner Mitteilung alle darin einig sein werden, dass wir in der Tat in interessanten Zeiten leben.
Wie ich Ihnen zuletzt berichtet habe, fungiert DefenseNet als Schutzschild gegen das auf uns zukommende Sperrfeuer aus Weltraumtrümmern.
Darüber möchte ich Sie kurz auf den neuesten Stand bringen, damit Sie wissen, was geschehen ist.
Auch wenn man es nicht sieht, arbeiten die besten Wissenschaftler und Ingenieure der Welt rund um die Uhr daran, uns gegen die über uns schwebende Bedrohung zu schützen.
Bisher hat DefenseNet über 13.000 Weltraumobjekte zerstört oder abgelenkt, die zuvor direkt auf Kollisionskurs mit uns waren.
Ja, ich weiß, diese Zahl ist verblüffend, aber jeder einzelne dieser 13.000 Einsätze ist eine Erfolgsgeschichte. 13.000 kleine Siege gegen etwas, das großen Schaden hätte verursachen können.
Aber DefenseNet hat seine Grenzen.
Als die Trümmer ursprünglich entdeckt wurden und ich die Welt informiert habe, dachte die wissenschaftliche Gemeinschaft, die Asteroiden wären durch den Einschlag eines Kometen in ein Trümmerfeld am Rand unseres Sonnensystems in unsere Richtung geschleudert worden.
Mittlerweile wissen wir, dass dem nicht so ist.
Auf uns steuert eine unaufhaltsame Kraft zu, die seit dem Anbeginn der Zeit besteht. Diese Urgewalt würde jeden Schutzschild überwinden, den wir je gegen sie zu errichten hoffen könnten. Diese Bedrohung hat jenen Hagel aus Trümmern vorausgeschickt.
Nun werden Sie sich zurecht fragen: Was ist diese Bedrohung, und was können wir dagegen tun?
Liebe Mitbürger dieser Welt, ein schwarzes Loch ist in unser Sonnensystem eingedrungen. Ein Objekt, dessen Anziehungskraft so stark ist, dass selbst das Licht ihr nicht entkommen kann. Und doch werden wir genau das tun.
Ja, Sie haben richtig gehört. Wir stehen an Scheidepunkt des Wegs der Menschheit.«
Während unverblümt die entsetzlichen Neuigkeiten verkündet wurden, war Burt damit beschäftigt, die Logik der Konsole zu ändern und zu kompilieren. Er geriet ins Schwitzen, weil die Zeit unaufhaltsam verging und er die Konsole immer noch nicht zum Laufen gebracht hatte. Ein Teil seiner Aufmerksamkeit galt jedoch der Botschaft der Präsidentin. Er hörte, wie sich ihre Tonlage veränderte. Plötzlich schwangen in ihrer Stimme Optimismus und Hoffnung mit.
»Unsere Kinder und Kindeskinder werden in den Geschichtsbüchern darauf verweisen können, dass die Menschheit an diesem Tag einen gewaltigen Sprung gemacht hat.
Mir ist bewusst, dass wir alle große Opfer gebracht haben, um überhaupt so weit zu kommen. Viele von Ihnen wurden aus ihren Häusern geholt.
Wer noch zu Hause ist, leidet unter einer umfassenden Rationierung, wie es sie in diesem Land seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat.
Ich möchte jedoch die Gelegenheit nutzen, um insbesondere einen Wissenschaftler zu erwähnen, einen außergewöhnlichen Mann. Ich möchte, dass jeder ihn kennt und schätzen lernt, denn er ist ein Beispiel für alles, was in dieser Welt gut und richtig ist. Ein Beispiel für einen stillen, selbstaufopfernden Menschen, der unermüdlich für uns alle arbeitet.
Dr. Burt Radcliffe hat uns ursprünglich vor dieser neuen Bedrohung gewarnt, mit der wir nun konfrontiert sind. Seither hat er jeden wachen Augenblick dem Unterfangen gewidmet, uns unbeschadet durch diese Krise zu geleiten.
Ronald Reagan hat einmal gesagt, dass die Zukunft nicht den Zaghaften, sondern den Tapferen gehört. Burt Radcliffe verkörpert den Inbegriff von Selbstaufopferung und Tapferkeit.
Im Augenblick stellt sich Dr. Radcliffe einer Aufgabe, die ausschließlich er bewältigen kann – im vollen Bewusstsein, dass er sich opfern muss, damit der Rest von uns überlebt.
Er hat diese Entscheidung ohne Zögern und Bedauern getroffen.
Während ich zu Ihnen spreche, ist Dr. Radcliffe dabei, uns allen den Weg für eine Zukunft zu ebnen, die er nie erleben wird.
Lassen Sie uns alle Burt Radcliffe in unsere Gebete einschließen und ihm alles Gute für seine letzte Reise wünschen.«
Nachdem Burt den Chip der Konsole ausgetauscht hatte, starrte er mit großen Augen auf den Bildschirm und konnte kaum glauben, was er sah. Die Präsidentin schloss die Augen und neigte den Kopf einige Sekunden lang zu einem stummen Gebet, bevor sie mit ernster Miene aufschaute.
»Margaret, Sie sind schon ein Original«, murmelte Burt mit einem Anflug von Ehrfurcht vor dem Computerbildschirm. Die Frau wandte sich wieder an die Öffentlichkeit.
»Ich bin sicher, Sie alle haben das wundersame Lichtband am Himmel gesehen. Vermutlich haben die meisten von Ihnen auch bemerkt, dass es jetzt noch heller leuchtet als zuvor.
DefenseNet hatte bei seiner Errichtung nur einen öffentlichen Zweck: als unser Schutzschild gegen die nahende Bedrohung zu dienen.
Allerdings verbirgt sich hinter der Konstruktion noch ein anderer Zweck. Das helle Band, das wir alle hoch am Himmel sehen können, zeigt an, dass eine neue Fähigkeit in Betrieb genommen wurde. Unsere Wissenschaftler wussten bereits beim ursprünglichen Entwurf von DefenseNet, dass es eine Bedrohung geben könnte, für die der Schutzschild allein nicht reichen würde.
Damals ließ sich noch nicht vorhersagen, wie diese Bedrohung aussehen könnte. Die Wissenschaftler hätten bestimmt nicht damit gerechnet, dass ein kosmisches Grauen wie ein schwarzes Loch direkt auf uns zukommen könnte. Aber sie wussten, dass diese zweite Funktion uns retten kann, wenn alles andere versagt.
Sie fragen sich, was diese mysteriöse Funktion ist?
Eine Möglichkeit, dem Unausweichlichen auszuweichen. Eine Verteidigung gegen einen unbezwingbaren Feind. Ein Wunder für einen Moment, in dem alle Hoffnung verloren zu sein scheint.
Durch die revolutionäre Technologie von DefenseNet haben unsere Wissenschaftler gerade einen Fluchtplan eingeleitet. Eine Möglichkeit für uns, nicht nur den Weltraumtrümmern zu entrinnen, die auf uns zurasen, sondern auch dem schwarzen Loch, das unser gesamtes Sonnensystem bedroht.
Ich weiß, was Sie alle jetzt denken. Dieselben Gedanken sind mir durch den Kopf geschossen, als ich zum ersten Mal von dieser Möglichkeit gehört habe.
Blödsinn!
Was soll das heißen, flüchten?
Wohin flüchten?
Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass wir nicht in Gefahr sind. Aber wie die anderen führenden Politiker der Welt bin ich der festen Überzeugung, dass die Öffentlichkeit über die Geschehnisse informiert werden sollte. Wir finden, dass Sie die Wahrheit kennen sollten. Und vertrauen Sie mit diesem Wissen darauf, dass alles gut wird.«
Burt fühlte die Wärme der von Margaret ausgestrahlten Zuversicht in ihrer über so viele Tausende Kilometer übertragenen Stimme. Er erlebte einen Energieschub, der bestärkte, wie richtig sein Schicksal war. Burt wusste, dass er sein Leben nicht umsonst geben würde. Während er die Administratorkonsole wieder zusammenbaute, wurde ihm zunehmend bewusster, wie einschneidend er die Zukunft der Menschheit verändern würde.
»Wie bereits erwähnt stehen wir an einem schier unglaublichen Wendepunkt, auf den künftige Generationen ehrfürchtig zurückblicken werden.«
Als Burt die Administratorkonsole anschloss, wurde Margarets Stimme zunehmend lauter. Die Eindringlichkeit ihrer Botschaft steigerte sich, und Burt spürte, wie Stolz in ihm aufstieg.
»Dies ist der Moment, in dem die Menschheit endlich begreift, dass wir alle ein Volk sind.
Dies ist der Moment, in dem die Menschheit ihren ersten Schritt in Richtung unserer Zukunft macht.
Dies ist der Moment, in dem die Menschheit gegen die Dunkelheit zurückschlagen und gewinnen wird.
Diese vorübergehende Krise soll uns allen als Zeichen dienen.
Wenn Sie alle dieses helle Lichtband am Himmel sehen, dann soll es als Symbol für unsere Zukunft leuchten. Eine mit Sicherheit strahlende Zukunft. Erweisen wir alle uns ihrer würdig.«
Burt flüsterte: »Erweisen wir alle uns ihrer würdig.«
Er lehnte sich an seinen Stuhl und seufzte erleichtert, als die Administratorkonsole blinkend auf Anweisungen wartete.
Als die Präsidentin mit ihrer Rede fortfuhr und darlegte, was die Öffentlichkeit erleben würde, lächelte Burt und sah auf die Uhr. Es war fast so weit.
Das Aroma von frisch gebrühtem Kaffee riss ihn aus seinen Gedanken. Plötzlich ertönte eine andere Frauenstimme. »Ich hab was von dem guten Zeug mitgebracht.«
Burt wirbelte herum und starrte fassungslos auf jemanden, den er gedacht hatte, nie wiederzusehen. Seine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an, sein Hirn konnte keine Worte bilden.
Lächelnd kam Neeta auf ihn zu. Sie hielt ihm einen dampfenden Becher Kaffee hin und sagte: »Ist an der Zeit, dass wir diesen großen Felsbrocken in Bewegung setzen. Und jeder weiß, wie scheiße du fährst.«