5 · Gabriel

Es rauscht, wenn es regnet, und es rauscht, wenn es nicht regnet. Das Wasser strömt von den Hängen, die sich hinter der Stadt hoch und immer höher auftürmen wie herandrängende Wellen, es strömt und spült durch offene Kanäle, es sickert unter Häuser und Wege, es dampft aus den Rissen im Asphalt der alten, aufgeheizten Gassen. Das Pflaster glänzt, Giebel und Mauern quellen auf und schwitzen. Die Stadt scheint zu gluckern, wenn ihre Bewohner an die Zeitungsstände drängen, um zu lesen, dass eine Senatorin abgetreten ist, um dem Spross einer angesehenen Familie Platz zu machen. Das Terminal ist über Wochen ausgebucht, verkündet das feuchte Blatt, die Braunalgenblüte hat ein nie gekanntes Ausmaß angenommen, ein Gürtel von Sargassumtang treibt von Spanish California nach Westen und hat die Küste von Sé bereits erreicht. Die Zeitungsseiten rauschen. Habt ihr gehört? In Qianshan wurde ein Büffelkarren angefahren, der Bulle musste auf der Kreuzung notgeschlachtet werden. Die Bürger platschen aus ihren Häusern, das Essen, das die Kellner in hoch gestapelten Tiffins zu den Kunden tragen, schnappt und zuckt. Habt ihr gehört, was in der Nacht passiert ist? Hafenarbeiter hocken tief geduckt auf Bürgersteigen, die Reichen sitzen an weiß gedeckten Tischen, und alle schlürfen ihre mit Julu versetzte Suppe und lecken sich die Lippen.

Nam Van ist eine Stadt ohne Jahreszeiten, doch es gibt dieses kurze Zeitfenster im Jahr, ein paar Wochen nur, in denen sich kein Windhauch regt. Unruhe breitet sich aus unter den Kindern des Hafenviertels, die es gewohnt sind, vom rhythmischen Klimpern der Takelage in den Schlaf gewiegt zu werden. Sie gehen unausgeschlafen zur Schule, blicken aus den Fenstern auf Masten, Wanten und Leinen und träumen von der hohen See. Segler meiden diese Zeit, um nicht in der Flaute zu verhungern, wie sie sagen, und wer die Stadt trotzdem vom Meer aus zu erreichen sucht, holt weit draußen schon die Segel ein und wirft den Motor an.

Tagsüber ist die Stadt mit sich selbst beschäftigt, sie füllt sich mit hektischem Treiben, in den Gassen lärmt es, Lastwagen rumpeln, Händler verscheuchen mit Stöcken die schmutzigen, schnatternden Säger. Auf dem Corso kreischt ein Krankenwagen. Nachts jedoch spüren die Menschen, die auf sich selbst zurückgeworfen sind, die Stille des Meeres, die bis in ihr innerstes Wesen dringt. Der Hafen wird wieder zu dem Ort, an dem die Stadt ihren Ausgang nahm. Die Sterne, die den Seeleuten seit Jahrhunderten den Weg in die südlichen Meere zeigen, ziehen in voller Pracht über den Himmel. Meteoriten gehen in Schauern nieder, Sternschnuppen streifen durch tiefschwarze Nacht, bis die Mondwiege schmal am Horizont aufsteigt.

Und heute? Nichts, kein Hauch. Die Unruhe ist spürbar. Die Kinder sind nervös, Passanten eilen, Touristen wirken wie getrieben. Kein Tropfen wird fallen an diesem Tag, an dem Benedita ihren einundzwanzigsten Geburtstag feiert. Kein Sturm wird aufkommen, kein Gewitter wird ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Gabriel wird ihr ein Spektakel unter freiem Himmel bieten, ein Feuerwerk besonderer Art, dessen einzige Zeugen sie selbst sein werden.