7 · Gabriel

Weit draußen funkeln Positionslichter, Frachter liegen auf Reede, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur. Der Containerhafen macht gute Geschäfte, es war die richtige Entscheidung, ihn zu bauen, es war die beste Entscheidung seines politischen Lebens. Man wird sich an ihn erinnern, wenn er nicht mehr da ist, denkt Gabriel, man wird vielleicht sogar ein Terminal nach ihm benennen. Die Frachter, die aus dem Osten kommen, sparen einen halben Tag. Die Fahrrinne ist tief genug selbst für die größten Schiffe. Der Hafen ist vollautomatisiert, der Zoll arbeitet effizient und beinahe korruptionsfrei, die Fracht rollt über die gut zwei Meilen lange Drachenbrücke nach Norden. Gabriel sorgt dafür, dass die politischen Kräfte der Stadt die Betreiberfirma walten lassen, das ist jetzt seine Aufgabe. Er war immer überzeugt, dass sie es mit Laguna würden aufnehmen können, er hat sich jahrelang für den Hafen eingesetzt. In seinem Büro stand auf einer Kommode ein Spielzeuglastwagen mit einem Frachtcontainer, Maßstab eins zu fünfzig. Er hat Meinungsartikel verfasst und in der Kantine und auf den Fluren des Rathauses politische Überzeugungsarbeit geleistet. Einige Jahre lang war das sein Leben, es nahm mehr Zeit in Anspruch als das Hotel Majestic.

Es hat der Stadt gutgetan, nicht nur finanziell. Sie ist stolz auf diesen Hafen, die Zeitung druckt jeden Schiffsnamen und jede Flagge ab. Mit dem Containerhafen hat sich Nam Van an ein Weltsystem angeschlossen, das wie ein einziges Objekt funktioniert. Ein Hyperobjekt, eine lebendige, weltumspannende Kreatur. Die Stadt ist Teil der globalen Zirkulation geworden, Menschen und Waren rauschen in ihren Adern, alles fließt. Die in allen Farben leuchtenden Vierzig-Fuß-Container sind ständig in Bewegung und prägen die Stadt, Schiffe legen an und werden vertäut, Züge und Lastwagen rollen, Kräne tanzen ihre stille Revue.

Als der Containerhafen gebaut wurde, verlor die Jasmin ihren angestammten Liegeplatz und wurde an den Kai geschleppt. Das war der Anfang vom Ende. Das Restaurant wurde nie wieder eröffnet. Gabriel, der die Jasmin für Tovo geführt hatte, opferte sie, um Platz für die Terminals zu schaffen. Er hatte sich für die Stadt entschieden, gegen die Jasmin und gegen seinen Bruder. Das Majestic, dessen Restaurant auf zwei Etagen ausgebaut worden war, übernahm einen Großteil der Belegschaft und einen guten Teil der Kundschaft. Es war nichts verloren außer dem Bild dieses leuchtenden, schwer behängten Elefantenschiffs.

Fünf Jahre lang lag die Jasmin vor der Altstadt, wo sie von der alten Zeit, und vielleicht auch von einem jugendlichen Tovo träumte. Niemand wollte sie kaufen. Die Taue setzten Algen an, zwischen Kai und Bordwand sammelten sich Plastikflaschen, Styroporbrocken, Fetzen orangefarbener Fischernetze. Nur das Innere blieb erhalten, der große Saal, die Separees, die Gänge und Küchen. Es war wie ein Museum, in das Gabriel einige Male einstieg, immer nachts, begleitet nur von einer zu diesem Zweck abgestellten Polizistin. Sie gingen mit Taschenlampen an Bord, obwohl die gesamte Elektrik noch funktionierte. Man hätte nur einen einzigen Schalter umlegen müssen, um das ganze Schiff hell aufleuchten zu lassen. Doch niemand sollte auf falsche Gedanken kommen, weder die Jugendlichen, die sich einen Spaß daraus gemacht hätten, in der Nacht durch die Säle zu schleichen, noch die Älteren, die die Hoffnung nicht ganz aufgegeben hatten, dass die Jasmin eines Tages wieder im alten Glanz erstrahlen würde.