Die Vorbereitungen waren in vollem Gange, Köche und Zimmermädchen machten Sonderschichten, die gesamte Belegschaft war um fünf Uhr angetreten. Blumen wurden geliefert, Wäsche, Eiskisten mit Krebsen, fetten Barschen und Seeaalen wurden hereingetragen, noch nie hatte im Hof ein derartiges Gedränge geherrscht. Trauergäste wurden bereits an der Tür abgefangen und an der Rezeption vorbei direkt zum Aufzug geführt. Das Hotel konnte nicht geschlossen werden, man konnte die gebuchten Gäste nicht einfach auf die Straße setzen.
Die oberen beiden Etagen wurden diskret freigemacht. Janne, Marikes Mutter, wurde erwartet, und auch Jannes Schwester Anna. Sie saßen im selben Flugzeug, Janne in der Touristenklasse und Anna in Business. Sie waren hoffnungslos zerstritten, hatten seit Jahren nur über Anwälte kommuniziert. Zwei Wagen wurden geschickt, um sie abzuholen, damit sie sich auf der Fahrt nicht zu unterhalten brauchten. Gustavo und seine Söhne warteten in der großen Suite im sechzehnten Stock, und als die Schwestern schließlich hereingeführt wurden, eine nach der anderen, sahen sie sich zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder.
Sie musterten sich gegenseitig. Sie nickten. Es reichte für ein Abkommen, eine Art Waffenstillstand. Sie waren Hinterbliebene, Mutter und Tante, sie hatten Marike beide geliebt, und sie würden sich in der Zeit der Trauer nicht bekriegen. In den ersten Tagen wäre angesichts von Gustavos Hass, der zum Zeitpunkt ihrer Ankunft noch schwelend und unsichtbar war, sogar eine dauerhafte Annäherung möglich gewesen, doch der Verlust brachte sie später wieder gegeneinander auf. Es war dieselbe alte Eifersucht, die in der neuen Situation hervorbrach, dasselbe Konkurrenzdenken der Schwestern, das sich einen Weg bahnte wie ein Strom, der in veränderter Landschaft ein neues Flussbett findet. Jede beanspruchte, am meisten betroffen und verwundet zu sein, jede buhlte um die Anerkennung und Aufmerksamkeit der Familie, vielleicht auch der Verstorbenen selbst. Janne, die als Wärterin in einem Frauengefängnis gearbeitet hatte und inzwischen pensioniert war, war die Mutter, die ihr einziges, geliebtes Kind verloren hatte, ihren Engel. Aber es war immer Anna, die wärmere und herzlichere der beiden Schwestern, gewesen, zu der Marike gegangen war, von der sie sich hatte trösten und verwöhnen lassen. Anna, die Tante, kümmerte sich in den Nachkriegsjahren um das heranwachsende Mädchen, sie kleidete Marike ein, als sie die Schule abschloss, führte sie samstags in die besten Restaurants aus, um sie in der Gesellschaft vorzuzeigen, und nahm sie im Winter mit in den Skiurlaub.
Sie versuchten, sich nützlich zu machen, jede auf ihre Weise. Anna bezahlte Gabriel dafür, Dame oder siamesisches Mah-Jongg mit ihr zu spielen, für jedes gewonnene Spiel bekam er einen Pataca, für jedes verlorene einen halben. Manchmal fuhr sie mit ihm durch die Stadt, einfach so mit dem Taxi, mag sein, dass sie damals die Orte ihrer Erinnerung abfuhr. Anna war neunzehn gewesen, als sie im Hafen von Nam Van zum ersten Mal von Bord gegangen war, sie hatte in einer Zeit, die Gabriel märchenhaft und magisch erschien, die Verbindung zwischen Geest und Nam Van hergestellt, die die Familie prägte und bis zu diesem Tag prägt. Sie war Teil einer Unterhaltungstruppe auf dem Passagierdampfer Amboyna gewesen, und als sie nach sechswöchiger Fahrt an der Reling stand und die laue, tropische Morgenluft einatmete, baute sich die Stadt, die sie nur aus Büchern kannte, wie eine fliegende Insel vor ihr auf. Mit klopfendem Herzen beschloss sie, ihr Engagement hinzuwerfen und die Stadt zu erobern. Während die beinahe dreihundert Meter lange Amboyna von Lotsenkähnen in den Hafen begleitet wurde, kehrte Anna in ihre Kabine zurück, stopfte Kleidung, Bücher und Papiere in den kleinen Koffer und verabschiedete sich von ihren Kolleginnen, die noch in den Kojen lagen. Die schwarze Perücke und das goldene Wickelkleid, das sie zu den abendlichen Aufführungen trug, ließ sie zurück.
Janne zeigte in den Tagen vor der Bestattung, wer sie war. Wie eine Furie scheuchte sie die Angestellten durchs Hotel, sie beschimpfte die Zimmermädchen und begann um sechzehn Uhr, die Küche aufzumischen. Dabei war das Hotel damals bestens geführt, es surrte wie eine gut geölte Maschine. Wenn sich von einem Blumenstrauß ein Blütenblatt löste, wurde es innerhalb von zwei Minuten aufgehoben. Wenn sich ein Säger im Foyer verirrte, stürzte sofort jemand herbei, um ihn am Hals zu packen und auf die Straße hinauszuschleudern. Zwei Leute taten nichts anderes, als Aschenbecher zu leeren. Kein einziger Fleck auf weißer Schürze, auf den Chemisetten der Kellner, kein Krümel auf dem Teppichboden blieben unentdeckt.
Es war Tovo, der eingriff, um Jannes Terror zu beenden. Tovo, der Erbe. Tovo, der das Machtwort sprach. Tovo, achtzehn Jahre alt, der noch nicht einmal die Schule abgeschlossen hatte! Während ihr Vater die Wohnung auf den Kopf stellte, immer auf der Suche nach einer Notiz, einem Abschiedsbrief, einer Erklärung für ihren Tod – niemand wagte, das Wort Selbstmord auszusprechen – beschützte Tovo die Angestellten. Er entschuldigte sich für das Verhalten seiner Großmutter und verbannte Janne in ein Zimmer im dreizehnten Stock. Er ließ ihr eine Nähmaschine bringen und feine Stoffe, wie sie nur in Nam Van hergestellt wurden, und sagte: »Du rührst dich nicht. Du bleibst hier drin, bis wir dich zur Bestattung abholen.« Und Janne fügte sich dieser Stimme und dieser Autorität. Sie nähte und kam nicht einmal zum Essen herunter. Es war beeindruckend.
Man wickelte Marike in ein rotes Seidentuch. Der Priester sprach das Totengebet: Der Friede soll einkehren in eure Herzen. Tovo, als ältester Sohn, hob den Leichnam auf und legte ihn auf die Scheithölzer. Erst als die Flammen an der verhüllten Form ihres Körpers züngelten, begriff Gabriel, was passiert war. Erst jetzt wurde ihm klar, wie sich sein Leben verändern würde. Und als ihm bewusst wurde, dass sie alle eines Tages von diesen Flammen verzehrt würden, wurde sein Körper von den Schultern bis hinab zu den Füßen von einer Art Krampf erfasst. Er schüttelte sich, er zitterte und weinte, seine Knie wurden weich. Diese Trauer war ein Sturz, ein Sturz in die Raumtiefe, in die Schwärze, ins Nichts. Sie überkam ihn mit einer Wucht, die er so noch nie erfahren hatte. Sie war vollkommen neu.
Anna legte Gabriel den Arm um die Schulter, führte ihn weg von der Trauergemeinde, weg vom Feuer. Sie setzte ihn auf eine Bank unter einem prachtvollen Baum, betupfte ihn mit einem Parfüm, das sie aus ihrem Satinbeutelchen gezogen hatte, und winkte jemanden heran, der Tee brachte. Gabriel sollte es nie vergessen, er sollte immer mit großer Dankbarkeit daran zurückdenken, und er sollte auch nie vergessen, dass in seiner Schale die gleichen rot-orangenen Blüten trieben, die in größerer Form über ihnen an der Magnolie prangten. Er trank den lauwarmen Tee und betrachtete ihren Vater, seinen leicht gebeugten Rücken, die strähnigen Haare. Gustavos rechte Hand steckte in der Sakkotasche, es war, als würde er etwas suchen. Er wirkte fahrig und abgelenkt, selbst als die Leute kamen, um ihm ihr Beileid auszusprechen, nahm er die Hand nicht aus der Tasche.
Beim Essen nahm Gustavo die goldgeränderte Sonnenbrille nicht ab. Er saß da, murrte Unverständliches und löffelte die Suppe, in der gallertartige Klößchen schwammen. Gabriel aß nicht, er bekam keinen Bissen herunter. Erst später, als die Gäste fort waren, trat er ans Buffet. Er nahm ein Stück Schokoladenkuchen und aß es im Stehen, dann nahm er ein zweites, dann noch eins, er stopfte den Kuchen in sich hinein, als würde es nie wieder etwas zu essen geben.
Gustavo war gegangen, ohne sich von den Trauergästen zu verabschieden, er schien sie genauso vergessen zu haben wie seine Söhne. Gabriel ging in die Rezeption und nahm sich einen Schlüssel, weil er sich nicht in die Wohnung traute, in der sie sich erhängt hatte, und am Abend, als er sich etwas gefangen hatte, fuhr er mit dem Personalaufzug ins Untergeschoss, um zu schwimmen. Der Pool wurde damals schon um neun für die Gäste geschlossen. Er ließ sich auf einem Schwimmbrett treiben und betrachtete das blitzende Spiel des Wassers, das von der goldenen Decke zurückgeworfen wurde. Schließlich kam Tovo. Er sprang, schubste seinen kleinen Bruder vom Brett und drückte seinen Kopf unter Wasser, wie er es immer getan hatte. Gabriel schnappte nach Luft, er war dankbar, dankbar für die Aufmerksamkeit. Er deutete dieses Ringen um Luft, ihren spielerischen Kampf, als Zeichen, dass Normalität einkehren würde, dass es weitergehen würde, irgendwie.
»Du kannst später nach Geest fliegen, in einem Jahr vielleicht«, sagte Tovo am Beckenrand. »Es wird genug Gelegenheiten geben.«
»Wann fahren wir zurück nach Badalamit?«, fragte Gabriel.
»Ich kehre nicht zurück.«
»Aber wir müssen in die Schule.«
»Ich werde den Abschluss nicht machen«, sagte Tovo.
»Du lässt mich allein?«
»Wir sehen uns da oben nie.«
Tovo hatte recht. Sie wohnten nicht im selben Haus, sie aßen nicht einmal im selben Speisesaal. Wann hatten sie im Internat zum letzten Mal miteinander geredet? Wann waren sie sich überhaupt begegnet? Trotzdem empfand Gabriel die Entscheidung seines Bruders als etwas Schmerzliches, er fühlte sich zum zweiten Mal an diesem Tag im Stich gelassen. Die Tatsache, dass Tovo mit ihm im Internat war, dass er zumindest die Möglichkeit hatte, sich in seine Obhut – und damit in die Obhut der Familie – zu begeben, hatte ihm immer Halt gegeben. Tovo sicherte Gabriels Überleben, auch wenn er nie gebraucht wurde, wie ein Rettungsboot. Er war einfach da. Doch es ging ohnehin nur noch um wenige Monate. Tovo stand kurz vor dem Abschluss, nach den Sommerferien, im neuen Schuljahr, würde Gabriel allein sein, so oder so.
»Du schaffst das, auch ohne mich«, sagte Tovo. »Du bist der Stärkere von uns beiden.«
»Und was machst du?«, fragte Gabriel. »Wirst du für Papa arbeiten?«
»Nein, ich werde etwas Eigenes aufbauen. Etwas Neues und Einzigartiges, etwas, das die Welt noch nicht gesehen hat.«