14 · Dita

Als Benedita acht Jahre alt war, begann Julia, sie zu Agenturen und Castings zu schleppen. Sie wurde in den verschiedensten Posen und Verkleidungen fotografiert, und Julia verließ das Haus erst, wenn sie das Portfolio in den schmalen Flechtkorb gesteckt hatte, der ihr als Handtasche diente. Es gelang ihr, Benedita in kleineren Kampagnen und Katalogen unterzubringen, wo sie für Reiswaffeln, Fahrräder und Sonnencreme warb. Doch das genügte ihr nicht. Sie wollte mehr. Wenn sie zum Vorsprechen nach Laguna fuhren, lernten sie im Zug gemeinsam Text. Eine Weile machte es Benedita Spaß, auch wenn sie die Zeit, die ihr nach der Schule blieb, ebenso gern im Schwimmbad oder auf dem Tennisplatz verbracht hätte. Sie genoss die Aufmerksamkeit ihrer Mutter und war dankbar für ihr Interesse und die ermutigenden Worte. Willig zog sie die Kleider an, die Julia oder die Kostümassistentin ihr reichten, sie ließ sich pudern und lächelte, bis man ihr das Zeichen gab. Sie mochte die Fürsorge, die Anerkennung und das Aufheben, das um ihre langen blonden Haare gemacht wurde. Nicht zuletzt mochte sie Laguna, die glitzernde Metropole, die in den Träumen und Sehnsüchten der Kinder von Nam Van die allergrößte Rolle spielte.

Als Julia sie in einer Produktion von Emperor Gong of Song anmeldete, wo sie in einem überwiegend aus Holzlatten gefertigten Kriegerkostüm als Statistin auftreten sollte, hatte sie genug. Sie musste aus der Seitenbühne förmlich ins Rampenlicht gestoßen werden, wo der auf Kissen gebettete Kinderkaiser bereits wartete. Benedita wollte nicht mehr. Es war nicht die Angst, das übliche Lampenfieber, mit dem sie inzwischen umzugehen gelernt hatte, es war auch nicht das lächerliche, klappernde Kostüm, das ihr die Freude verdarb, es war die plötzliche Erkenntnis, dass all dies, der ganze Aufwand um ihre Person, nichts mit ihr selbst zu tun hatte. Es war Julia, die sich verwirklichen wollte, es war ihr Kindheitstraum gewesen, eines Tages auf der Bühne zu stehen und sich von Menschen, die sie nicht kannte und die ihr nichts bedeuteten, bewundern zu lassen. Benedita war nur das Vehikel, eine Art Ersatzidentität, mit der Julia ihre Fantasien auslebte.

Julia meldete sie immer wieder an, sie überredete und bearbeitete und bestach sie und ließ einfach nicht locker. Sie war nicht bereit, ihren Traum aufzugeben. Benedita, die inzwischen im Schwimmverein war und regelmäßig trainierte, kämpfte um jede Minute ihrer Freizeit. Manchmal war sie so verzweifelt, dass sie Krankheit und Unwohlsein vorschützte. Sie litt unter Kopfschmerzen und Schwindel, oder sie fühlte sich fiebrig, und sie nutzte für dieses Spiel die Fertigkeiten, die sie sich unter Julias Führung angeeignet hatte.

Benedita war zwölf, als sie eines Tages vom Training zurückkehrte und ihrer Mutter eine Einverständniserklärung vorlegte. Der Club empfahl die Teilnahme an einer medizinischen Studie. Julia überflog das Formular und unterschrieb. Sie unterschrieb und begriff nicht, dass diese Studie das Team über mindestens anderthalb Jahre begleiten und ihrer Tochter die perfekte Ausrede bieten würde, um nicht mehr zu den Castings zu gehen. Benedita ließ sich, an Händen und Füßen mit Leuchtdioden ausgestattet, unter Wasser filmen, sie trug über Wochen und Monate einen Brustgurt, der ihren Puls aufnahm, sie maß ihren eigenen Blutzucker und nahm ihre Körpertemperatur, die sie akribisch in einem kleinen, von der Studienleitung bereitgestellten Notizbuch verzeichnete.

Mittwochs fuhr sie mit der Bahn von der Schule direkt nach Baica, wo sich die Klinik befand, in der schon ihre von Gicht und Depressionen gezeichnete Großmutter behandelt worden war. Sie sprang vor dem Tor aus der Bahn, das Rauschen eines Eukalyptushains umfing sie, der Pförtner grüßte mit einem breiten Lächeln. Der Großteil der Anlage bestand aus weißen, locker verteilten Pavillons, die durch helle Kieselwege miteinander verbunden waren. Der Geruch des Desinfektionsmittels durchschoss den Eukalyptusduft, der Gestank von Algen und Julu war nur noch eine ferne Erinnerung. Von keinem Ort des weitläufigen, von sanften Hügeln geprägten Geländes war das Meer zu sehen, es war nicht einmal zu erahnen.

Statt sich von ihrer Mutter auf die Bühne stoßen oder über Stunden von den Reflexschirmen der Fotografen blenden zu lassen, verbrachte Benedita halbe Tage in der Klinik, wo sie sich in die Obhut von Dr. Hoyos-Yi begab und freudig den Protokollen der Studie unterwarf. Sie füllte Fragebögen aus, blies ins Spirometer, stieg für das Belastungs-EKG auf das Laufband und hielt ihren Arm zur Blutabnahme hin. Dr. Hoyos-Yi, die die Studie leitete, war dankbar dafür, dass ihr Klinikalltag von diesem positiven Geist in der wunderbarsten Weise durchbrochen wurde. Sie schenkte dem Mädchen die größte Aufmerksamkeit und behandelte sie mit einer Freundlichkeit und Klarheit, die Benedita aus ihrem eigenen Umfeld nicht kannte. Sie bewunderte ihrerseits diese Ärztin, sie vertraute ihr und öffnete sich ihr. Dr. Hoyos-Yi zeigte ihr die Anlage und das Labor, wo Assistenten das Blut in kleinen Röhrchen rüttelten und die auf Endlospapier gedruckten Graphen analysierten. Sie nahm sich Zeit für dieses junge Mädchen, das so überaus interessiert und offensichtlich mit einer sehr guten Auffassungsgabe gesegnet war. Sie beantwortete dankbar Beneditas Fragen über die Fortschritte und Zwischenergebnisse der Studie, über ihren eigenen Kreislauf, den Sauerstoffgehalt ihres Blutes und die Kraft ihrer Lunge und ihres Herzens, es war, als wollte sie jede Faser dieser erstaunlichen und für das zarte Alter tatsächlich sehr kräftigen Organe verstehen. Und wenn Benedita am Abend nach Hause kam und erschöpft ins Bett fiel, träumte sie, dass sie sich mit Dr. Hoyos-Yi über ihr eigenes pochendes Herz beugte, das sie zuvor selbst entnommen hatte, um es in den Händen zu wiegen wie ein warmes Kaninchen.