Tovo hatte es gar nicht nötig, seinen Vater zu erpressen. Gustavo finanzierte die Jasmin, weil die Situation es von ihm verlangte, weil Väter eines bestimmten Standes so handelten, weil die ganze Stadt zusah. Tovo hatte nichts gegen ihn in der Hand, zumindest nichts Konkretes.
Klar ist, dass Sätze gefallen waren, die hart waren wie Beilschläge. ›Du bist ein Wrack!‹ Denn Marike entsprach mit ihren geschwollenen Gelenken und gekrallten Fingern nicht mehr dem Bild, das Gustavo einst geheiratet hatte. ›Du bist kaputt!‹ Wörter, scharf und gefährlich wie Waffen – man muss nicht Hand anlegen, um einen Menschen zu erdrosseln oder vom Treppenabsatz zu stoßen. ›Reiß dich zusammen!‹ Während Marike mit Gicht, Arthrose und Depressionen kämpfte, prügelte ihr Mann auf sie ein wie auf einen kranken Hund. Sie wimmerte und weinte. ›Lass mich in Frieden mit deinen Wehwehchen!‹ Gabriel hat diese Sätze noch im Ohr, die scharfe Stimme seines Vaters, den Klang der Tür, die hinter ihm ins Schloss fiel.
Die Söhne störten in diesem Ehekrieg, der so einseitig war, dass er einer Belagerung glich. Das war der eigentliche und einzige Grund, warum sie ins Internat kamen. Alles andere, was sie sagten, um es ihnen schmackhaft zu machen, war vorgeschoben: Sie würden in Badalamit akademisch gefordert, sie hätten bessere Möglichkeiten, bessere Lehrer und bessere Tennisplätze als in Nam Van.
Das Wort Wrack in seiner Härte war ein Angriff, dem sie nichts entgegenzusetzen hatte. Gustavo machte Marike die Krankheit zum Vorwurf, ihre Schwäche und Lethargie, er hatte nichts übrig für sie als Verachtung. Gabriel erinnert sich, wie sie einmal nach Hause kam und erzählte, der Arzt hätte ihr gesagt, sie solle Eiweiß meiden, vor allem Fisch, Meeresfrüchte, Schalentiere. Gustavo lachte hämisch und rief: ›In einer Hafenstadt! In einer Stadt, in der sich alles ums Essen dreht! Da kannst du dir gleich den Strick nehmen.‹
Gustavo ging jeden Abend aus und aß seine Fische, seine Meeresfrüchte und Schalentiere. Marike saß zu Hause, rauchte und sah fern. Freitags hatte er einen großen Tisch in einem düsteren, fensterlosen Restaurant, wo er eine illustre Gesellschaft von Männern versammelte, die ihre wechselnden und viel zu jungen Freundinnen mitbrachten. Es waren Geschäftspartner, Politiker, alte Verbündete, nicht alle hatten eine reine Weste. Die Frauen sprachen wenig, meist mit Akzent. Ob er eine Geliebte hatte, weiß Gabriel nicht, aber er hatte zweifelsohne Affären. Wenn er gefragt wurde, warum er seine Frau nicht mitbrachte, sagte er, sie sei leidend. Das war sein Wort dafür. Leidend. Es klang abfällig aus seinem Mund, verächtlich. Irgendwann war das geklärt, niemand fragte mehr nach Marike, die, als sie in Nam Van von Bord gegangen war, Stadtgespräch gewesen war. Diese kluge und wunderschöne Frau, die die Treppe des Majestic hinabgeschwebt war wie ein Filmstar. Jetzt war sie das Gespenst, an das Gustavo gekettet war, sein Makel.
Das Wort Wrack ist das Todesurteil, dem sie sich nur fügen kann. Sie hat keine Wahl. Sie nimmt sich den Strick. Kaum vorstellbar, dass sie ihn selbst besorgt hat. Irgendjemand muss ihn ihr gebracht haben. Vielleicht hat sie einfach unten angerufen: ›Fahren Sie runter zum Hafen. Bringen Sie mir ein Seil, so-und-so lang, nicht zu dick und nicht zu dünn.‹ Niemand hat dafür die Verantwortung übernommen, auch später nicht. Niemand will es gewesen sein. Die Belegschaft wurde nicht systematisch befragt, weder von Tovo noch von der Polizei.
Im Flur neben der Treppe, an der sie sprang, hing eine Drachenmaske, schwarz und feurig rot. Gabriel hatte sich immer davor gefürchtet, er hatte sich nie getraut, allein diese Treppe hinaufzugehen. Tovo, der oben wohnte, war froh, dass ihn sein kleiner Bruder in Ruhe ließ, und ihre Eltern kümmerten sich nicht um die Ängste ihrer Kinder. Es war ihnen egal. Jetzt war die Maske nicht mehr da. In der Tapete war eine Spur, ein etwa drei Fuß langer Streifen von aufgerissenem Papier, das sich am unteren Ende zu einer winzigen Ziehharmonika staute. Sie hatte versucht, sich mit dem Absatz abzubremsen. Auf ihrem Bett lagen Fotoalben, Urlaubsbilder von Tovo und Gabriel, am Strand, auf dem Tennisplatz. Daneben ein Aschenbecher mit einer Zigarette, die bis zum Filter heruntergebrannt war, und das braune Fläschchen. Es gibt Fotos von all dem, es ist alles dokumentiert in einem Polizeibericht, sogar die Zigarette. Gustavo wusste genau, was passiert war, es muss ihm klar gewesen sein, dass er sie hinuntergestoßen hatte, wenn auch nicht mit der eigenen Hand.