44 · Dita

Benedita frühstückt in der Wohnung, sie nimmt, was man ihr bringt. Um halb zehn, wenn der Wellnessbereich geputzt ist und die Gäste in der Stadt unterwegs sind, fährt sie hinunter. Sie zieht eine halbe Stunde lang ihre Bahnen, und der Körper, der in einem rot-weißen Einteiler steckt, ist wie ein einziger Gedanke. Züge, Atmung, Beinschlag, alles ist perfekt synchronisiert, die Wenden gelingen, ohne dass sie darüber nachdenken müsste. Sie hat sich selten so wohlgefühlt in ihrer Haut, das Wasser, das sie umgibt und einhüllt, ist ihre Welt, sechzehn mal fünfundzwanzig Meter. Nicht einmal in Laguna gibt es ein Hotelschwimmbad von dieser Größe. Sie schwimmt, und Geest ist weit entfernt hinter einem goldenen Horizont, der Duft der Röstereien, der über der Stadt liegt, Tobias, die Wohnung, die Uni, das Fahrrad, das sie so liebt – all das wird fortgespült vom milden, beinahe körperwarmen Chlorwasser, durch das sie gleitet.

Wenn sie genug hat und anschlägt, stemmt sie sich hoch, springt mit einem Satz auf die Kante und schüttelt ihre geschmeidigen Muskeln aus. Das Herz schlägt kraftvoll, nach ein paar Atemzügen beruhigt sich ihr Puls. Sie fährt im Bademantel nach oben und macht sich, noch bevor sie sich anzieht, über die Obstschale her, die täglich aufgefüllt wird.

Sie hat Gabriel von Anteo erzählt, von seiner Sorge, dass die nördlichen Viertel der Stadt vergessen und benachteiligt werden, und er hat sich zu ihrer Überraschung einsichtig gezeigt. »Du hast recht«, hat er gesagt, »wir sind uns darüber im Klaren, und wir versuchen, diesen blinden Flecken, den der Rat seit Jahren und Jahrzehnten hat, auszufüllen.«

»Und?«

»Es könnte schneller gehen.«

»Ihr müsst es besser kommunizieren, das wäre ein Anfang.«

»Du könntest uns helfen. Verschieb deine Rückreise. Mach was in dieser Stadt.«

»Ich habe Vorlesungen. Prüfungen.«

»Du hast einen Freund.«

»Er ist nicht mein Freund, nicht so richtig.«

»Sag ihm, dass er kommen soll.«

Was sollte Tobias in Nam Van? Was würde er hier anstellen, was würde er mit sich anfangen? Würde er seine Pullover mitbringen in diese feuchte, tropische Stadt? Würde er es übers Herz bringen, mit seinen Stiefeln die Säger zur Seite zu schieben? Würde er sie vielleicht sogar füttern, wie er in Geest die Möwen füttert?

Wenn sie am Wochenende aufstehen, zieht sie sein Fischerhemd über – nicht, weil nichts anderes greifbar wäre, sondern weil sie weiß, dass er es sexy findet. Sie macht nur den einen Knopf knapp über dem Bauchnabel zu. Er liebt es, wie der schwere Stoff auf ihre Brüste fällt, er liebt es, wie der schlanke Nacken aus dem losen Kragen ragt. Er reibt sich die Augen und betrachtet diese Frau, die so fremd und doch so vertraut ist. Er steigt in die Jeans und zieht den Pullover auf die nackte Haut. Dann geht er hinunter zur Bäckerei.

Sie frühstücken gemächlich, und wenn sie fertig sind, nimmt er das weiche Innere, das er aus seinem Brötchen gezupft hat, und formt es mit dem Finger zu winzigen Kugeln, die er draußen auf die Fensterbank legt. Sie nehmen ihre Kaffeebecher, lehnen sich zurück und sehen zu, wie die Vögel um das Futter kämpfen, wie sie schreiend mit den Flügeln schlagen, dass die Federn fliegen.

»Er ist nicht mein Freund«, wiederholt sie.

»Na und?«, sagt Gabriel.

»Er ist ein Geester. Er hat seine Jobs, und er hat seine Freunde, mit denen er in die Berge fährt. Was soll er hier? Anstreichen?«

Gabriel, das wusste sie, hatte Julia zu keinem Zeitpunkt als seine Freundin bezeichnet. Er hatte sich nie zu ihr bekannt, obwohl sie auf dem Schiff und auch nach seiner Rückkehr immer wieder miteinander geschlafen hatten. Julia selbst war dieser ungeklärte Zustand gerade recht gewesen, sie konnte in dem Spannungsfeld zwischen den Brüdern tun und lassen, was sie wollte. Das Unverbindliche ihrer Beziehung hatte Gabriel nicht daran gehindert, sie in Nam Van zu installieren, sie auf Empfängen herumzuzeigen und im Hotel wenn nicht einzuquartieren – es war Tovo gewesen, der sie ins Majestic gebracht, der ihr an der Rezeption den Schlüssel in die Hand gedrückt hatte –, so doch zumindest zu dulden. Gabriel, der um ihre Flugangst wusste, hatte ihr nicht ein einziges Mal die Frage gestellt, wann sie nach Spanish California zurückkehren würde. Aber er hatte sie auch nicht eingeladen, zu ihm zu ziehen, es war ihm nicht einmal in den Sinn gekommen. Es war kein Platz in seinem Bett, der Futon, den er gekauft hatte, war nicht breiter als sein eigenes, beträchtliches Kreuz. Die riesigen Füße ragten über den Rand, das Bettlaken, unter dem er schlief, rutschte in der Nacht auf den Boden.