Wie sich herausstellte, wurde nicht alles wieder gut.
Ganz und gar nicht.
Nicht, wenn es nach Pipers Stiefvater Daniel Bellinger ging, dem berühmten oscargekrönten Filmproduzenten, Philanthropen und Wettkampfsegler.
Piper und Hannah hatten versucht, sich durch den Catering-Eingang ihres Anwesens in Bel-Air einzuschleichen. Sie waren dort eingezogen, nachdem ihre Mutter Daniel geheiratet hatte – Piper war damals vier und Hannah zwei Jahre alt gewesen –, und keine von ihnen konnte sich daran erinnern, je woanders gelebt zu haben. Ab und zu, wenn Piper einen Hauch des Ozeans wahrnahm, sandte ihr Hirn ein Signal und erinnerte sie an die Stadt im pazifischen Nordwesten, in der sie geboren worden war. Aber es gab nichts Konkretes, an das sie sich hätte klammern können, und die Erinnerung verflog, bevor sie sie festhalten konnte.
Anders als der Zorn ihres Stiefvaters, der verflog nicht so schnell.
Er stand ihm in sein berühmtes Gesicht geschrieben, als die Schwestern Seite an Seite auf der Couch in seinem Arbeitszimmer Platz nahmen. Hinter ihm glitzerten Auszeichnungen in Regalen, hingen gerahmte Filmplakate an den Wänden, und das Telefon auf seinem L-förmigen Schreibtisch leuchtete alle zwei Sekunden auf, obwohl er es für die bevorstehende Predigt ausgeschaltet hatte. Ihre Mutter war beim Pilates und damit außen vor, was Piper ziemlich nervös machte. Maureen hatte immer eine beruhigende Wirkung auf ihren Mann – was in diesem Moment sicher geholfen hätte.
«Ähm, Daniel?» Piper strahlte und strich sich eine welke Haarsträhne hinters Ohr. «Das ist alles nicht Hannahs Schuld. Ist es okay, wenn sie ins Bett geht?»
«Sie bleibt.» Er bedachte Hannah mit einem strengen Blick. «Ich habe dir verboten, ihr aus der Patsche zu helfen, und du hast es trotzdem getan.»
Piper warf ihrer Schwester einen erstaunten Blick zu. «Ernsthaft?»
«Was hätte ich denn sonst machen sollen?» Hannah riss ihre Cap vom Kopf und wrang sie zwischen ihren Knien. «Dich im Knast lassen, Pipes?»
«Stimmt», sagte Piper langsam und blickte ihren Stiefvater mit wachsendem Entsetzen an. «Was hätte sie denn sonst machen sollen? Mich im Knast lassen?»
Unruhig fuhr sich Daniel mit den Fingern durchs Haar. «Ich dachte, du hättest deine Lektion bereits gelernt, Piper. Oder besser: die Lektionen, Plural. Du bist schon immer auf jeder gottverdammten Party zwischen hier und dem Valley herumgehüpft, aber das hat mich weder Geld gekostet noch mich wie einen verdammten Idioten aussehen lassen.»
«Autsch.» Piper ließ sich in die Sofakissen zurücksinken. «Du musst nicht gemein werden.»
«Ich muss nicht …» Daniel stieß einen verärgerten Laut aus und kniff sich in den Nasenrücken. «Du bist achtundzwanzig Jahre alt, Piper, und du hast noch nichts aus deinem Leben gemacht. Nichts. Du hattest jede Gelegenheit dazu, hast alles bekommen, was du wolltest, und alles, was du vorzuweisen hast, ist eine … eine virtuelle Existenz. Das bedeutet nichts. »
Wenn das wahr ist, dann bin ich wirklich nichts.
Piper schnappte sich ein Kissen und legte es auf ihren rumorenden Bauch, wobei sie Hannah einen dankbaren Blick zuwarf, als diese ihr Knie tätschelte. «Daniel, es tut mir leid. Ich habe gestern Abend eine schlimme Trennung durchgemacht und hab mich danebenbenommen. Ich werde so etwas nie wieder tun.»
Daniel schien sich ein wenig zu beruhigen. Er ging zu seinem Schreibtisch zurück und lehnte sich an die Kante. «In diesem Business hat mir niemand etwas geschenkt. Ich habe als Laufbursche auf dem Paramount-Gelände angefangen. Ich habe Sandwich-Bestellungen aufgenommen und Kaffee geholt. Ich war der Junge für alles, während ich an der Filmschule meinen Abschluss gemacht habe.» Piper nickte und tat ihr Bestes, um äußerst interessiert zu wirken, obwohl Daniel diese Geschichte bei jeder Dinnerparty und Wohltätigkeitsveranstaltung erzählte. «Ich habe mich bereitgehalten, mit Wissen und Tatendrang, und habe nur auf meine Chance gewartet.» Er schlug sich in die Faust. «Und dann kam sie, und ich habe nie mehr zurückgeblickt.»
«Das war, als du mit Corbin Kidder den Text durchgegangen bist», rezitierte Piper aus dem Gedächtnis.
«Ja.» Ihr Stiefvater legte den Kopf schief und freute sich anscheinend darüber, dass sie aufgepasst hatte. «Unter den Augen des Regisseurs habe ich den Text nicht nur mit Leidenschaft und Eifer vorgetragen, sondern ihn auch verbessert. Ich habe mein eigenes Flair hinzugefügt.»
«Und du wurdest als Assistent des Autors eingestellt.» Hannah seufzte und forderte ihn mit einer Geste auf, die oft wiederholte Geschichte zu Ende zu bringen. «Für Kubrick höchstselbst.»
Daniel atmete durch die Nase aus. «Stimmt genau. Und das bringt mich zu meinem ursprünglichen Punkt zurück.» Er wedelte mit dem Finger. «Piper, du bist zu bequem. Hannah hat immerhin einen Abschluss und einen Job. Auch wenn ich meine Beziehungen spielen lassen musste, um ihr die Stelle als Location-Scout zu verschaffen, ist sie wenigstens fleißig. Und inzwischen ja sogar Produktionsassistentin.» Hannah zog die Schultern hoch, sagte aber nichts. «Du würdest es wahrscheinlich gar nicht merken, wenn das Schicksal an deiner Tür klopfen würde, oder, Piper? Du hast keinen Antrieb, irgendwohin zu gehen. Oder etwas zu tun. Warum solltest du auch, wenn das Leben, das ich dir ermöglicht habe, immer greifbar ist und deinen fehlenden Ehrgeiz mit Komfort und einer Ausrede für Stillstand belohnt?»
Piper starrte den Mann an, den sie als Vater betrachtete, fassungslos darüber, dass er sie in einem so negativen Licht sah. Sie war in Bel-Air aufgewachsen. Sie machte Urlaub, feierte Poolpartys und traf sich mit berühmten Schauspielern. Das war das einzige Leben, das sie kannte. Keiner ihrer Freunde arbeitete. Nur eine Handvoll von ihnen war aufs College gegangen. Was war der Sinn eines Abschlusses? Geld zu verdienen? Davon hatten sie doch schon jede Menge.
Falls Daniel oder ihre Mutter sie jemals ermutigt hatten, etwas anderes zu tun, konnte sie sich an kein solches Gespräch erinnern. War Motivation etwas, das anderen Menschen einfach so in die Wiege gelegt wurde? Und als die Chance kam, ihren Weg zu machen, hatten sie da einfach zugegriffen? Hätte sie die ganze Zeit über nach einem Ziel suchen müssen?
Dummerweise enthielt keines der inspirierenden Zitate, die sie in der Vergangenheit gepostet hatte, die Antwort auf ihre Fragen.
«Ich liebe deine Mutter sehr», fuhr Daniel fort, als hätte er ihre Gedanken gelesen. «Sonst wäre ich nicht so geduldig geblieben. Aber, Piper, diesmal bist du zu weit gegangen.»
Sie starrte ihn an, und ihre Knie begannen zu zittern. Hatte er schon mal in diesem resignierten Tonfall mit ihr gesprochen? Wenn ja, dann konnte sie sich nicht erinnern. «Habe ich das?», flüsterte sie.
Hannah neben ihr bewegte sich – ein Zeichen dafür, dass auch sie den Ernst des Augenblicks erkannt hatte.
Daniel nickte. «Der Eigentümer des Mondrian finanziert meinen nächsten Film.» Diese Nachricht schlug in dem Büro ein wie eine Bombe. «Er ist nicht glücklich über die letzte Nacht, um es milde auszudrücken. Du hast dafür gesorgt, dass sein Hotel als nicht sicher gilt. Du hast es zur Lachnummer gemacht. Und schlimmer noch: Du hättest das verdammte Haus niederbrennen können.» Daniel blickte Piper ernst an, während seine Worte zu ihr durchdrangen. «Er hat gedroht, das Budget zu streichen, Piper. Es geht um eine beträchtliche Summe. Ohne seine Hilfe wird der Film nicht gedreht werden. Zumindest nicht, bis ich einen anderen Geldgeber gefunden habe – und das könnte bei dieser Wirtschaftslage Jahre dauern.»
«Es tut mir leid», hauchte Piper, und das Ausmaß dessen, was sie getan hatte, ließ sie noch tiefer in die Sofakissen sinken. Hatte sie Daniel wirklich einen Geschäftsabschluss vermasselt, nur um einen Rache-Schnappschuss zu posten? War sie tatsächlich so leichtsinnig und dumm?
Hatte Adrian recht gehabt?
«Das wusste ich nicht. Ich … ich hatte keine Ahnung, wem das Hotel gehört.»
«Nein, natürlich nicht. Wen kümmert es schon, wem du mit deinen Taten schadest. Oder? Piper?»
«Okay.» Hannah rückte stirnrunzelnd ein Stück nach vorn. «Du musst nicht so hart zu ihr sein. Sie hat offensichtlich eingesehen, dass sie einen Fehler gemacht hat.»
Daniel blieb unbeeindruckt. «Nun, es ist ein Fehler, für den sie geradestehen muss.»
Piper und Hannah tauschten einen Blick. «Was meinst du mit» – Piper malte mit ihren Fingern Anführungszeichen in die Luft – «‹geradestehen›?»
Ihr Stiefvater ging in aller Ruhe um seinen Schreibtisch herum, öffnete die unterste Schublade und zögerte nur einen Moment, bevor er eine Mappe herausnahm. Er legte sie auf den Schreibtisch und musterte die nervösen Schwestern mit zusammengekniffenen Augen. «Wir reden nicht viel über eure Vergangenheit. Die Zeit, bevor ich eure Mutter geheiratet habe. Ich gebe zu, dass das vor allem daran liegt, dass ich egoistisch bin und nicht daran erinnert werden möchte, dass sie vor mir jemand anderen geliebt hat.»
«Okay», sagte Piper automatisch.
Daniel ignorierte sie. «Wie du weißt, war dein Vater ein Fischer. Er lebte in Westport, Washington, der Stadt, in der deine Mutter geboren wurde. Ein beschaulicher kleiner Ort.»
Piper erschrak bei der Erwähnung ihres leiblichen Vaters. Ein Königskrabbenfischer namens Henry, der als junger Mann in den eisigen Tiefen der Beringsee ertrunken war. Ihr Blick wanderte zum Fenster, zur Welt dahinter, und sie versuchte, sich zu erinnern, was vor dem angenehmen Leben gewesen war, an das sie sich so sehr gewöhnt hatte. Die Landschaft und die Farben der ersten vier Jahre ihres Lebens waren schwer zu erfassen, aber sie konnte sich an die Umrisse des Kopfes ihres Vaters erinnern. Sie konnte sich an sein schallendes Lachen erinnern, an den Geruch von Salzwasser auf seiner Haut.
Sie konnte sich an das antwortende Lachen ihrer Mutter erinnern, das warm und süß war.
Es gelang ihr nicht, diese andere Zeit und diesen anderen Ort zu fassen, dieses Leben, das sich so sehr von ihrem jetzigen unterschied, obwohl sie es oft versucht hatte. Wäre Maureen nicht als trauernde Witwe nach Los Angeles gezogen, mit nichts weiter als ihrer Schönheit und einem guten Händchen fürs Nähen, hätte sie nie einen Job in der Garderobe von Daniels erstem Film bekommen. Er hätte sich nicht in sie verliebt, und ihr luxuriöser Lebensstil wäre nicht mehr als ein Traum gewesen.
«Westport», wiederholte Hannah, als testete sie das Wort auf ihrer Zunge. «Mom hat uns den Namen nie gesagt.»
«Verständlich. Ich kann mir nur vorstellen, wie schmerzhaft alles, was damals passiert ist, für sie war.» Daniel griff erneut nach der Mappe auf dem Schreibtisch. «Aber heute geht es ihr ja gut. Besser als gut.» Ein Augenblick verging. «Die Männer in Westport … Sie fahren während der Königskrabbensaison auf die Beringsee hinaus, um genug Geld für ein ganzes Jahr zu verdienen. Aber das ist nicht berechenbar. Manchmal fangen sie sehr wenig und müssen eine kleine Summe unter einer großen Crew aufteilen. Aus diesem Grund besaß dein Vater auch noch eine kleine Bar.»
Pipers Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. So ausführlich hatte bisher noch niemand mit ihr über ihren leiblichen Vater gesprochen, und die Details waren wie Münzen, die in ein leeres Glas fielen und es langsam füllten. Sie wollte mehr. Sie wollte alles über diesen Mann wissen, von dem sie nur sein herzliches Lachen kannte.
Hannah räusperte sich, ihr Schenkel drückte gegen den ihrer Schwester.
«Warum erzählst du uns das alles jetzt?» Pipers Schwester nagte an ihrer Unterlippe. «Was ist in der Mappe?»
«Die Eigentumsurkunde für die Bar. Euer Vater hat sie euch in seinem Testament vermacht.» Daniel legte die Mappe wieder auf den Schreibtisch und klappte sie auf. «Vor langer Zeit habe ich einen Hausmeister eingestellt, damit das Gebäude nicht verfällt, aber ehrlich gesagt habe ich gar nicht mehr daran gedacht.»
«Oh mein Gott …», sagte Hannah leise, offensichtlich den Ausgang dieses Gesprächs vorausahnend, den Piper noch nicht begriffen hatte. «W-wirst du …» Hannah stockte.
Daniel seufzte und fuhr dann fort: «Mein Investor verlangt, dass du Reue zeigst für das, was du getan hast, Piper. Er ist ein Selfmademan wie ich und will mir wegen meiner verwöhnten reichen Tochter eine Lektion erteilen.» Piper zuckte zusammen, aber Daniel sah es nicht, weil er mit dem Inhalt der Mappe beschäftigt war. «Normalerweise würde ich jedem, der versucht, mich unter Druck zu setzen, den Mittelfinger zeigen. Was ich hier jedoch nicht ignorieren werde, ist mein Gefühl, dass du lernen musst, eine Zeit lang für dich selbst zu sorgen.»
«Was meinst du mit» – wieder die Anführungszeichen – «‹für mich selbst sorgen›»?
«Ich meine, dass du deine Komfortzone verlassen musst. Ich meine, dass du nach Westport gehen wirst.»
Hannahs Mund blieb offen stehen.
Piper fuhr auf. «Warte! Wie bitte? Für wie lange? Was soll ich denn da machen?» Sie richtete ihren panischen Blick auf Hannah. «Weiß Mom davon?»
«Ja», sagte Maureen von der Bürotür aus. «Sie weiß es.»
Piper wimmerte.
«Drei Monate, Pipes. So lange musst du durchhalten. Und ich hoffe, du wirst, ohne zu zögern, gehen, wenn ich durch diese Wiedergutmachung mein Filmbudget retten kann.» Daniel kam um den Schreibtisch herum und ließ die Mappe in Pipers Schoß fallen. Sie starrte ihn an wie ein leidender Hund. «Es gibt eine kleine Wohnung über der Bar. Ich habe schon angerufen, um sicherzugehen, dass sie bewohnbar ist. Für den Anfang richte ich dir ein Konto ein, aber danach …» Oh, er sah viel zu fröhlich aus. «Bist du auf dich allein gestellt.»
Piper zählte in Gedanken die Galas und Fashion-Shows auf, die sie in dieser Zeit verpassen würde, stand auf und warf ihrer Mutter einen flehenden Blick zu. «Mom, du willst wirklich zulassen, dass er mich wegschickt?» Sie war fassungslos. «Was soll ich denn machen? Etwa fischen? Ich weiß nicht einmal, wie man einen Toast macht.»
«Ich bin zuversichtlich, dass du es herausfinden wirst», sagte Maureen sanft, mitfühlend, aber bestimmt. «Das wird gut für dich sein. Du wirst sehen. Vielleicht lernst du sogar etwas über dich selbst.»
«Nein.» Piper schüttelte den Kopf. Hatte ihr die letzte Nacht nicht die Erkenntnis gebracht, dass sie zu nichts anderem taugte, als zu feiern und heiß auszusehen? Sie wusste nicht, wie sie jenseits ihres Zuhauses überleben sollte. Aber damit konnte sie umgehen, solange sie in ihrer vertrauten Umgebung blieb. Denn da draußen würde ihre Unfähigkeit, ihre Nutzlosigkeit so richtig zutage treten. «Ich werde nicht gehen.»
«Dann werde ich deine Anwaltskosten nicht bezahlen», sagte Daniel unwillig.
«Ich zittere», flüsterte Piper und hielt eine flache, zitternde Hand hoch. «Sieh doch.»
Hannah legte einen Arm um ihre Schwester. «Ich gehe mit ihr.»
Daniel verdrehte die Augen. «Was ist mit deinem Job? Ich habe bei Sergei alle Fäden gezogen, um dir eine begehrte Stelle in der Produktionsfirma zu verschaffen.» Bei der Erwähnung von Sergei, Hannahs großem Schwarm, spürte Piper einen Sekundenbruchteil von Unentschlossenheit bei ihrer Schwester. Seit einem Jahr schwärmte die jüngere Bellinger-Tochter für den grüblerischen Hollywood-Neuling, dessen Debütfilm Nobody’s Baby in Cannes die Goldene Palme gewonnen hatte. Die meisten der Balladen, die ständig aus Hannahs Zimmer zu hören waren, waren auf ihre Verliebtheit zurückzuführen.
Die Solidarität ihrer Schwester schnürte Piper die Kehle zu, aber sie würde auf keinen Fall zulassen, dass ihre Sünden auch ihren Lieblingsmenschen nach Westport verbannten. Außerdem hoffte Piper selbst noch, ihrem Schicksal entgehen zu können. «Daniel wird es sich anders überlegen», flüsterte sie Hannah leise zu. «Es wird schon gut gehen.»
«Das werde ich nicht», brummte Daniel und wirkte beleidigt. «Du gehst Ende Juli.»
Piper zählte im Geiste nach. «Das sind nur noch ein paar Wochen!»
«Ich würde dir ja sagen, dass du die Zeit nutzen sollst, um deine Angelegenheiten zu regeln, aber du hast ja keine.»
Maureen gab einen unzufriedenen Laut von sich. «Ich glaube, das reicht, Daniel.» Mit einem tadelnden Gesichtsausdruck trieb sie die verblüfften Schwestern aus dem Zimmer. «Kommt mit. Wir sollten uns etwas Zeit nehmen, um das zu verarbeiten.»
Die drei Bellinger-Frauen gingen gemeinsam die Treppe hinauf in den dritten Stock, wo Hannahs und Pipers Schlafzimmer auf gegenüberliegenden Seiten des mit Teppich ausgelegten Flurs lagen. Maureen und Hannah schoben Piper in ihr Zimmer, setzten sie auf die Bettkante und traten dann einen Schritt zurück, um sie zu begutachten, als wären sie Medizinstudenten, die eine Diagnose stellen sollten.
Leicht vorgebeugt und die Hände auf die Knie gestützt, blickte Hannah ihrer Schwester ins Gesicht. «Wie geht es dir, Piper?»
«Kannst du ihn wirklich nicht dazu bringen, seine Meinung zu ändern, Mom?», krächzte Piper.
Maureen schüttelte den Kopf. «Es tut mir leid, Süße.» Pipers Mutter ließ sich neben ihrer Tochter aufs Bett sinken und nahm ihre schlaffe Hand. Dann schwieg sie eine Weile und schien nach den richtigen Worten zu suchen. «Ich glaube, der Grund, warum ich nicht versucht habe, Daniel davon abzubringen, dich nach Westport zu schicken, ist … Nun ja, ich habe eine Menge Schuldgefühle, weil ich euch so wenig von eurem richtigen Vater erzählt habe. Ich habe lange Zeit sehr gelitten. Verbittert war ich auch. Und ich habe alles in mich hineingefressen und dabei die Erinnerung an ihn vernachlässigt. Das war nicht richtig von mir.» Sie senkte den Blick. «Nach Westport zu fahren, bedeutet, deinen Vater kennenzulernen, Piper. Er ist Westport. Es gibt noch so viel von ihm in dieser Stadt, von dem du nichts weißt. Deshalb konnte ich nicht dortbleiben, als er starb. Alles erinnerte mich an ihn. Und ich war so wütend über die Ungerechtigkeit des Ganzen. Nicht einmal meine Eltern konnten zu mir durchdringen.»
«Wie lange sind sie noch in Westport geblieben, nachdem du weg warst?», fragte Hannah und meinte damit die Großeltern, die sie gelegentlich besuchten, obwohl diese Besuche mit zunehmendem Alter der Schwestern immer seltener wurden. Als Daniel Piper und Hannah offiziell adoptiert hatte, waren ihre Großeltern damit nicht einverstanden gewesen, und der Kontakt zwischen ihnen und Maureen war immer spärlicher geworden, auch wenn sie an Feiertagen und Geburtstagen noch miteinander sprachen.
«Nicht lange. Kurz danach haben sie die Ranch in Utah gekauft. Weit weg vom Wasser.» Maureen blickte auf ihre Hände hinunter. «Westport hatte für uns alle seinen Zauber verloren, glaube ich.»
Piper verstand die Beweggründe ihrer Mutter. Sie konnte die Schuldgefühle nachempfinden. Aber ihr ganzes Leben war für einen Mann, den sie, Piper, nicht kannte, aus den Fugen geraten. Vierundzwanzig Jahre waren ohne ein einziges Wort über Henry Cross vergangen. Da konnte ihre Mutter doch nicht erwarten, dass sie sich jetzt auf die Gelegenheit stürzte, weil sie beschlossen hatte, dass es an der Zeit war, die Schuld loszuwerden.
«Das ist nicht fair», stöhnte Piper und ließ sich rückwärts auf ihr Bett fallen, wobei sie ihre ecrufarbene Millesimo-Bettdecke verknitterte. Hannah streckte sich neben ihr aus und legte einen Arm um Pipers Bauch.
«Es sind doch nur drei Monate», sagte Maureen und stand auf, um das Zimmer zu verlassen. Kurz bevor sie durch die Tür trat, drehte sie sich noch einmal um. «Hier noch ein Rat, Piper: Die Männer in Westport sind nicht so, wie du es gewohnt bist. Sie sind ungeschliffen und direkt. Anpackend auf eine Art, die du von den Männern hier nicht kennst.» Maureens Blick wurde distanziert. «Ihr Job ist gefährlich, und es ist ihnen egal, wie viel Angst man davor hat, sie fahren jedes Mal wieder zur See. Sie werden das Meer immer einer Frau vorziehen. Und sie würden lieber bei dem, was sie lieben, sterben, als zu Hause in Sicherheit zu sein.»
Angesichts der untypischen Ernsthaftigkeit in Maureens Tonfall wagte Piper es kaum, sich zu rühren. «Warum erzählst du mir das?»
Ihre Mutter zuckte mit den zarten Schultern. «Die Gefahr kann für eine Frau aufregend sein. Bis sie es plötzlich nicht mehr ist. Dann ist sie nur noch erschreckend. Behalte das im Hinterkopf, wenn du dich … von jemandem angezogen fühlst.»
Maureen schien noch mehr sagen zu wollen, klopfte stattdessen jedoch zweimal an den Türrahmen und ging. Die beiden Schwestern starrten ihr nach.
Piper griff hinter sich nach einem Kissen und reichte es Hannah. «Erstick mich damit. Bitte. Das ist das Menschlichste, was du tun kannst.»
«Ich komme mit dir nach Westport.»
«Nein. Was ist mit deinem Job? Und Sergei?» Piper atmete tief durch. «Du hast hier wichtige Dinge zu tun, Hanns. Ich werde einen Weg finden, damit zurechtzukommen.» Sie setzte einen übertrieben ernsten Gesichtsausdruck auf. «In Westport gibt es bestimmt auch Sugardaddys, oder?»
«Ich komme auf jeden Fall mit dir.»