Oberleutnant Exner hob den Kopf, als Falck sein Büro am Montagmorgen betrat und salutierte. Er deutete an, die Tür zu schließen und sich zu setzen.

»Na, Genosse, schon Ergebnisse? Oder was führt Sie sonst zu mir?«

Falck zögerte mit der Antwort. Auch weil er glaubte, wieder den Spott in Exners Stimme zu hören. Der betrachtete belustigt seinen Aufzug in Jeans und Nicki. Sie nahmen ihn nicht ernst hier. Machten sich eigentlich alle über ihn lustig?

»Keine Ergebnisse, Genosse Oberleutnant. Aber ein Verdacht«, meldete er.

»Sind Sie denn in der anderen Sache schon vorangekommen?«, fragte Exner, als interessierte ihn gar nicht, was Falck zu sagen hatte.

»Ich habe Kontakt zu einer Gruppe Gruftis aufgenommen. Die machen aber einen eher harmlosen Eindruck. Sie hören zwar westliche Musik und tragen schwarze Kleidung, aber eigentlich sind sie ganz friedlich.«

Exner sah ihn ärgerlich an. »Friedlich, aha. Diese Leute unterwandern unsere Jugendkultur mit westlicher Musik, tragen völlig unangemessene Trauerkleidung, und Sie nennen sie harmlos? Wo kommen wir denn hin, wenn hier jeder macht, was er will? Und was führt Sie zu dem Urteil, dass die harmlos sind? Lassen Sie sich nicht so vorführen, Falck!« Exner klopfte ungehalten mit dem Bleistift auf seinen Schreibtisch. »Da müssen Sie sich mal etwas reinhängen, mehr Elan zeigen.

»Sie meinen die Leute in meinem Haus?«

»Die im Park. Besonders dieser Ralph Stein.«

Falck war verblüfft, wie schnell sich sein Treffen im Alaunpark herumgesprochen hatte. »Ich lasse mich von denen nicht vereinnahmen, Genosse Oberleutnant.«

Exner unterbrach ihn sofort mit einer Handbewegung. »Das können Sie gar nicht einschätzen. Da fehlt Ihnen noch das Rückgrat. Diese Leute verstehen es, ihre westliche Propaganda geschickt zu streuen. Was glauben Sie, wie es ihnen sonst immer wieder gelingen sollte, unbescholtene Bürger für ihre sogenannten Friedensgebete«, er malte dabei Anführungszeichen in die Luft, »zu begeistern? Sie sind ein guter Mann, Genosse Obermeister, aber Sie sind zu weich. Sie müssen sich erst die Härte aneignen, die es braucht, um sich nicht von deren angeblichen Leidensgeschichten beeindrucken zu lassen. Wer gegen unseren Staat agitiert, kriminell wird, unser sozialistisches Kollektiv in Gefahr bringt, der muss damit rechnen, verhaftet und verurteilt zu werden. Es wird ihnen auch klar sein, dass dann ihre Kinder in staatliche Obhut gegeben werden müssen, für die Zeit der Haft und notfalls auch darüber hinaus. Wir dürfen Kinder nicht dem schädlichen Einfluss solcher Leute überlassen.«

Falck hatte keine Miene verzogen. Aber die Worte seines Vorgesetzten hatten ihn tief verletzt. Was maßte Exner sich an zu behaupten, er habe kein Rückgrat? Gleichzeitig war er allerdings auch irritiert über das Detailwissen, das sein Chef hatte. Das war nur möglich, wenn jemand in der Gruppe für

»Ich wollte nur mit dieser Nadine Hauke sprechen, die, genau wie die Pliske, auch von einem Mann überfallen und belästigt wurde.«

»Aha?«, fragte Exner, und die Skepsis in seiner Stimme konnte nicht deutlicher sein. »Und? Was wissen Sie darüber?«

»Er griff sie an, ließ aber von ihr ab, ehe Schlimmeres geschehen konnte.«

»Er greift sie an und lässt dann von ihr ab? Sie wollen jemanden verfolgen, der nichts getan hat? Diese Hauke, lebt sie allein? Ist sie verheiratet?«

Falck schüttelte den Kopf.

»Sehen Sie, diese Pliske auch nicht. Alleinstehende Frauen, Falck, die wollen nur auf sich aufmerksam machen.«

Falck ignorierte Exners Theorie. »Der Täter scheint eine Vorliebe zu haben: Beide Frauen haben auffallend kurze Haare. Genosse Oberleutnant, sicher haben Sie von dem Vorfall gestern Abend erfahren.«

Exner seufzte und nahm einen Bericht von einem Stapel Papiere. »Ihnen lief ein Mann davon, der bei seiner Flucht eine Frau vom Rad stieß und mit dessen Hilfe entkam«, fasste er den Bericht auf das Nötigste zusammen.

»Der Mann kam aus einem Gebüsch, aus dem nur Sekunden zuvor ein weinender Junge von vielleicht zwölf Jahren gerannt kam. Könnte es nicht sein, dass der Mann, der die Frauen angriff, vielleicht eine Neigung zur Pädophilie hat und die Frauen wegen ihrer kurzen Haare und der eher zierlichen Statur versehentlich für Jungen oder junge Männer hielt? Kann es nicht sein, dass er sich an dem Jungen verging?«

»Genosse Wachtmeister, was Sie da sagen … überlegen Sie mal! Und wer soll denn dieser Junge gewesen sein? Wo kam er

»Er wird sich schämen …«

»Genosse, dieser Täter«, unterbrach Exner ihn unwirsch, »existiert nicht, da können Sie noch so viel spekulieren. Es wäre gut, Sie würden sich jetzt Ihrem Ermittlungsauftrag widmen.«

»Verzeihen Sie, Genosse Oberleutnant, aber das meine ich ja. Ich glaube, es sind zwei Männer, vielleicht sind sie sogar ein Paar. Und ich meine, es waren dieselben, die an dem Tag bei Wetzigs Haus gewesen waren.«

»Sie meinen also, ein schwules Paar bringt einen ABV um und terrorisiert nebenbei die Nachbarschaft mit sexuellen Übergriffen? Noch dazu sind sie vermutlich für alle Einbruchsdelikte verantwortlich. Hauptmann Schmidt hat uns schon informiert, dass es keinerlei Hinweise auf die Existenz dieses Mopeds und der Männer gab. Sie scheinen der Einzige gewesen zu sein, der sie gesehen hat!«

»Und gestern habe ich sie ebenfalls gesehen!«

»Sie sahen einen Mann, der vor Ihnen wegrannte, und später sahen Sie einen Typ auf einer Simson. Im Dunkeln, auf hundert Meter Entfernung. Und ich weiß gar nicht, wie viele Simsons in Dresden gemeldet sind. Tausend? Zehntausend? Genosse, wir wollen Fakten und keine Hirngespinste. Verstanden?«

Falck erhob sich und salutierte. »Jawohl!«

Für einen Moment war ihm der Schreck in die Glieder gefahren. Doch Schmidt hatte ihn anscheinend nicht hingehängt. Bisher zumindest nicht.

»Ihre Berichte, übrigens, sind zu ungenau, Falck. Versuchen Sie, die Gespräche, die Sie geführt haben, wortgenau wiederzugeben. Nennen Sie die Namen und geben Sie eine kurze Personenbeschreibung. Viel Erfolg. Abtreten!«