»War jemand da für dich!«, empfing ihn Christian am offenen Fenster, als Falck wenig später zurückkam.
»Und wer?«, fragte Falck.
»Hat sich nicht vorgestellt«, sagte Christian unfreundlich, »nur nach dir gefragt.«
Falck blieb ruhig. Christian war extrem sauer. Er war ganz klar verliebt in Claudia. Und bestimmt hatte er irgendetwas mitbekommen.
»Und sonst? Schönen Tag gehabt?«, fragte Christian gehässig.
»Na ja, ging so.«
»Wegen deiner Simse was erreicht?«
»Nichts. Wie sah denn der aus, der nach mir gefragt hat?«
»Keine Ahnung. Groß, schlank, dunkle Haare.«
»Keine Ahnung, wer das gewesen sein soll.« Falck wusste es wirklich nicht. »Na, ich geh dann mal rein, hab noch zu tun.« Er winkte lässig und wollte ins Haus.
»Warst du bei Claudia vorhin?«, fragte Christian nun doch weiter, ohne seinen Unmut verbergen zu können.
»Kann sein«, wich Falck aus.
»Und? Habt ihr’s getrieben?«, fragte Christian und bleckte seine Oberlippe wie ein wütender Hund.
»Das geht dich nichts an.« Jetzt war Falck doch sauer. Er ließ ihn stehen und schloss die Haustür auf.
Doch so leicht wurde er Christian nicht los, der jetzt in der geöffneten Wohnungstür stand.
»Das macht sie übrigens mit jedem!«, rief er ihm zu, während Falck noch den Briefkasten öffnete. Er war leer. Nur mit dir nicht, erwiderte Falck in Gedanken und ging wortlos die Treppe hinauf. Unten warf Christian seine Wohnungstür wütend zu.
Falck schüttelte halb belustigt und halb verärgert den Kopf. Und er stellte fest, dass sich seine Laune gebessert hatte. Was immer Claudia sonst tat, das ging ihn nichts an. Und an Ulrike wollte er sowieso nicht denken. Für diesen Moment beschloss er, das Leben einfach zu nehmen, wie es war. Der Abend war viel zu schön, um ihn in der langweiligen muffigen Bude zu verbringen. Er könnte spazieren gehen, um darüber nachzudenken, wie er am besten an die beiden Typen im Abbruchhaus herankam. Er drehte noch auf der Treppe um und verließ das Haus.
Auf der Rothenburger holte er sich ein Eis und schlenderte weiter Richtung Straße der Befreiung und Goldener Reiter. Die Straße hatte man vor einigen Jahren aufwändig renoviert, neue Wohnungen gebaut, die heiß begehrt und sofort vergeben waren, und diverse Läden eingerichtet. Jetzt war es allerdings schon achtzehn Uhr und die Geschäfte hatten geschlossen. Ein paar Passanten und diverse Jugendliche in kleineren Gruppen waren noch unterwegs.
Auf dem Platz der Einheit ging er an dem hoch aufragenden sowjetischen Ehrendenkmal vorbei. Da bemerkte er einen Mann mit einem kleinkalibrigen Gewehr. Falck wusste, dass man gelegentlich einen Jäger in die Innenstadt auf Taubenjagd schickte, um der Überzahl der Vögel Herr zu werden. Bei einer Ruine blieb der Mann stehen und spähte mit einem Feldstecher das kaputte Dach aus.
Falck hatte sein Eis aufgegessen und folgte dem Mann, aus purer Neugier.
»Schon Erfolg gehabt?«, fragte er, als er ihn eingeholt hatte.
»Hab gerade erst angefangen«, erwiderte der Mann.
»Na dann, Weidmannsheil!«
»Weidmannsdank!«, erwiderte der Jäger.
Falck wollte weitergehen, da fiel ihm eine Gruppe von etwa zwölf-, dreizehnjährigen Jungen auf, die sich an der nächsten Kreuzung postiert hatten und den Jäger neugierig beobachteten.
Falck stutzte. Den einen kannte er.
»Sag mal …«, sprach er ihn an. Doch weiter kam er nicht, denn der Junge hatte sich umgedreht und war wie der Blitz davongerannt. Falck wollte seinem ersten Impuls folgend hinterherrennen, dann hatte er eine bessere Idee. Er nahm seinen Dienstausweis heraus und wandte sich an die anderen, die erstaunt ihrem Freund hinterhersahen.
»Passt auf, Jungs. Ich bin Polizist. Und ich will von euch wissen, wie euer Freund heißt, der gerade abgehauen ist. Und wo er wohnt. Und wehe, ihr lügt mich an!«