Keiner hatte ein Wort gesagt, seitdem sie ins Büro zurückgekehrt waren. Schmidt tippte irgendetwas in die Schreibmaschine und blätterte in Rühles Ordner. Er rauchte nicht. Ob das Zufall war oder etwas mit Suderbergs Bemerkung zu tun hatte, war nicht auszumachen.
Schmidt erhob sich. »Ich geh schiffen!«, murmelte er und verließ das Zimmer.
Falck zählte in Gedanken die Sekunden an, er kam nicht einmal bis drei.
»Das war ja peinlich ohne Ende«, stöhnte Bach auf. »Was ist denn bloß in den gefahren? Schon klar, die Frau nervt ziemlich mit ihrem Gehabe und ihrer komischen Sprache. Aber so hab ich Schmidt noch nicht erlebt.«
»Der lebt doch in Scheidung, oder?«, fragte Falck leise, denn er fürchtete, dass Schmidt jederzeit zurückkommen könnte. »Vielleicht liegt es daran?«
»Darüber hat er noch nie gesprochen. Er redet aber auch nie von seinen Kindern, oder so.« Bach zuckte mit den Achseln. »Was guckst du denn so?«, fragte sie.
Falck fühlte sich ertappt. Schnell schüttelte er den Kopf. »Nichts.« Steffi Bach gefiel ihm. Er fand sie nett. Sehr sogar. Und interessant. »Ich vermute ja was anderes!«, schob er hinterher, um abzulenken.
»Was denn?« Bach sah ihn interessiert an.
Falck hob die Schultern. Jetzt, als er es aussprechen sollte, kam ihm der Gedanke albern vor.
»Na los, rück schon raus damit!«, drängelte sie.
»Na, Schmidt ist verknallt. In die Suderberg. Liebe auf den ersten Blick!«
»Was?« Bach war aufgestanden und kam zu seinem Tisch. »Meinst du?« Sie lehnte sich an die Tischkante von Suderbergs Schreibtisch.
Falck war über diese plötzliche Nähe irritiert. Er versuchte es zu ignorieren, sie machte sich darüber offenbar keine Gedanken.
»Kann doch sein, oder? Sie ist jünger als er. Und schlecht sieht sie nicht aus. Und vielleicht steht er ja auf diesen Look?«
»Aha, und warum pflaumt er sie dann pausenlos an?«, hielt Bach dagegen.
»Weil er meint, dass er sie sowieso nicht haben kann. Guck ihn dir doch an, wie er aussieht. Und dann ist er auch noch Ossi. Da hat man doch schon automatisch Minderwertigkeitskomplexe. Männer werden da schnell aggressiv.«
Bach setzte eine spöttische Miene auf. »Wirst du auch aggressiv, wenn du eine Frau nicht haben kannst? Und kriegst Minderwertigkeitskomplexe im Westen?«
»Darum geht’s ja jetzt nicht. Ich glaube, dass er sich selbst nicht genug wertschätzt, als dass er bei ihr landen könnte. Das hat er gleich in der ersten Sekunde für sich ausgemacht. Das ist, wie wenn so ein Bonzenauto an dir vorbeifährt und du weißt, so einen kannst du dir niemals leisten.«
Bach schürzte die Lippen. »Also, wenn ich mal ehrlich bin, fühle ich mich in ihrer Gegenwart auch immer ein bisschen … na, wie immer du es nennen magst, minderwertig. Auch bei meinem ersten Westbesuch, wir waren in Bayreuth, habe ich mich richtig geschämt, für meine Klamotten und meine Frisur!« Sie zupfte sich verlegen an den Haaren herum.
»Also, ich finde, die steht dir!«, sagte Falck spontan.
»Ach ja? Findest du?« Sie lächelte dabei etwas spöttisch und stieß sich vom Tisch ab. Falck war seine Direktheit peinlich und hoffte inständig, dass seine Ohren nicht rot wurden.
»Aber ich weiß, was du meinst«, versuchte er diesen Moment zu überspielen. »Egal, was man anzieht, im Vergleich zu einem Wessi fühlt man sich immer, als würde man Lumpen tragen. Überhaupt: Als ich nach meinem ersten Besuch im Westen nach Hause kam, da kam mir die Stadt besonders grau vor und die Straßen wirkten extrem kaputt. Da habe ich mich das erste Mal gefragt, wie das eigentlich gehen soll, wie wir jemals aufholen sollen?«
Bach hatte sich wieder an ihren Platz gesetzt. »Mein Bruder fürchtet, dass ihm seine Zulassung als Arzt aberkannt wird. Nicht nur ihm, allen. Mein Vater ist Ingenieur für Strömungsmechanik, den Berufszweig gibt’s drüben gar nicht, zumindest nicht das, was er speziell macht. Das berechnen da längst Computer.«
Falck hob amüsiert die Augenbrauen. »Wirklich? Meine Schwester ist auch Ärztin und mein Vater Ingenieur!«, merkte er an. Vermutlich wurde seine Familie von denselben Sorgen umgetrieben. »Na ja, die können ja nicht alle Ärzte und Ingenieure arbeitslos machen.«
Bach winkte ab. »Und die Polizisten erst!«, fügte sie hinzu. »Es wird doch jetzt schon gefragt, wer hat bei der Stasi mitgemacht, wer war IM? Denkst du, die können im Dienst bleiben? Nie im Leben!«
Tatsächlich hatte auch er für die Stasi arbeiten müssen. Das war ganz normal gewesen. Doch stünde das in seinen Akten?
Schmidt kam zurück. Leise schloss er die Tür hinter sich. Er stutzte, als er die betretenen Gesichter der beiden jungen Polizisten sah.
»Was ist denn los? Jemand gestorben?«
»Musste das denn sein vorhin?«, fragte ihn Bach geradeheraus und schaute ihn vorwurfsvoll an.
Schmidt hob die Augenbrauen, winkte ab und schlurfte zu seinem Platz. »Jaja, ich weiß schon. Keine Ahnung, was mit mir los ist, aber sobald ich die Suderberg nur rieche, geht mir der Hut hoch.« Ächzend ließ er sich auf seinen Stuhl fallen. »Letztes Wochenende war ich essen, oben, bei Bad Schandau, in dem Hotel an der Elbe. Da sitzt tatsächlich so einer mit Cowboyhut und Stiefeln, ein Wessi. Der hat sich aufgeführt, als gehörte ihm die Kneipe. Hat sich über das Essen beschwert und herumgedröhnt, dass man uns erst mal das Arbeiten beibringen müsste.« Schmidt schniefte und nahm sich eine Kippe heraus. »Und das Schlimmste war, keiner hat was gesagt. Ich auch nicht.« Er zündete sich die Zigarette an.
»Aber nur, weil der so ein Arsch war, müssen Sie doch die Suderberg nicht so angehen«, wagte Bach anzumerken.
Schmidt winkte wieder ab. »Die denkt doch genauso! Und ich sag euch was. Da drüben haben sich eine Menge Leute gefreut, dass die Mauer weg ist, aber wenn es denen erst mal ans Geld geht, kippt die Stimmung wieder. Da ist nix mehr Deutschland einig Vaterland, da heißt es Ossi und Wessi. Dann fallen die hier in Scharen ein, verkaufen den dummen Ossis jeden Dreck und erklären uns die Welt. Ihr werdet es sehen.« Plötzlich richtete Schmidt sich auf und schlug energisch auf den Tisch. »Aber mal davon abgesehen, was haltet ihr von diesem Rühle? Ganz dicht ist der nicht, oder? Der konsumiert Drogen, auf jeden Fall.«
»Das ist jedenfalls nicht der Mann, den wir suchen. Der kann sich ja noch nicht mal selbst anziehen, wenn Sie mich fragen«, sagte Falck.
»Seh ich auch so«, stimmte ihm Bach zu.
Schmidt verzog den Mund. »Sie haben den doch auf den Plan gebracht.«
Bach hob die Schultern. »Das war eine Idee gewesen.«
»Ja, und nu? Nun habt ihr den Fall an Land gezogen. Wenn ihr mich fragt, für mich gilt der Rühle ganz klar als Verdächtiger. Dem müssen wir auf den Zahn fühlen. Oder habt ihr noch andere Vorschläge?«
»Der andere kam mir bekannt vor, der Burghardt!«, sagte Falck.
»Den lassen wir prüfen. Und diese Sache mit dem Gwisdek, was halten wir davon? Kann doch vorkommen, dass einer unerwartet einen Schlag bekommt und unglücklich zu Boden geht. Da muss mir keiner mit einem Gruselmärchen kommen, Nahkampfausbildung, Auftragskiller. Die sieht doch Gespenster.«
»Sie nimmt die Sache schon sehr ernst!«, meinte Bach vorsichtig.
»Bestimmt gibt es fette Zulagen!« Das Telefon verhinderte weitere Ausführungen Schmidts, er nahm nach dem ersten Klingeln ab. »Dauerdienst!«, meldete er sich.
»Ernsthaft?«, fragte er nach kurzem Zuhören. »Geht klar!« Er legte auf. »Wieder ein Toter! Was ist denn hier nur los? Leipziger Straße, los geht’s!«
»Und die Suderberg?«, fragte Bach.
Schmidt sah sich theatralisch um. »Seht ihr sie hier irgendwo? Ab die Post!«
»Was macht denn die schon hier? Woher weiß sie das überhaupt?«, schimpfte Schmidt vor sich hin, als sie in der Leipziger Straße angekommen waren und sich aus dem Trabant geschält hatten.
»Wer hat die reingelassen?«, blaffte Schmidt den erstbesten Uniformierten an, der am Absperrband die Schaulustigen zurückhalten sollte, und zeigte auf Sybille Suderberg, die im Licht eines Scheinwerfers neben einer mit einer Folie abgedeckten Person auf dem Gehsteig kauerte.
»Sie hatte einen Dienstausweis«, entschuldigte sich der Angesprochene.
»Einen westdeutschen vielleicht, der hat gar keine Relevanz hier! Sie lassen wohl jeden durch, der Ihnen irgendein Papier zeigt?«, fuhr Schmidt den Mann an und schob sich dann an ihm vorbei, um sich unter dem Absperrband durchzubücken.
»Wie kommen Sie dazu, hier allein herumzuturnen?«, blaffte Schmidt die Suderberg ohne Begrüßung an. Die Frau richtete sich auf. Sie trug weiße Gummihandschuhe, deren Fingerkuppen rot gefärbt waren.
»Los, komm«, sagte Falck zu Bach, »ehe er noch auf sie losgeht!«
Doch die Sorge war unbegründet. »Spielen Sie sich mal nicht so auf«, entgegnete die westdeutsche Polizistin. »Ich bin gerade eine Minute da. Und im Prinzip ist das ja ein Fall der hessischen Polizei.«
»Ach, neuerdings gehört Dresden zu Hessen, oder was?«, fragte Schmidt so angriffslustig, dass Falck sich nun doch genötigt fühlte dazwischenzugehen.
»Was ist denn eigentlich passiert?«, fragte er ruhig.
Suderberg deutete auf den abgedeckten Leichnam. »Der Mann wurde beobachtet, wie er aus diesem Etablissement kam, sich den Hals hielt und dann hinfiel. Passanten wollten ihm helfen, liefen aber weg, als sie die extrem stark blutende Halswunde sahen. Es muss ein regelrechter Sturzbach gewesen sein. Innerhalb von Sekunden war er tot.«
Schmidt warf einen Blick zu dem Toten, von dem unter der Folie nur die Konturen zu erkennen waren. »Ich sehe kein Blut!«
Suderberg hob wieder die nachgezeichneten Augenbrauen. »Er ist direkt über einen Siel gestürzt!«
»Einen Siel?«
»Einen Gully!«, half Falck.
»Und er ist tot?«, fragte Schmidt skeptisch. Er bückte sich und hob die Folie an. »O Gott!« Er fuhr entsetzt zurück und ließ die Folie sinken.
»Die Gäste sind noch da, es waren nicht viele, außerdem eine Kellnerin.« Suderberg deutete auf die Kneipe.
»Wer hat Sie denn eigentlich informiert?«, fragte Schmidt. Der Anblick des Toten hatte ihm sichtlich zugesetzt.
»Ich wurde informiert, ich hatte darum gebeten.«
»Ja, und von wem?«
»Von der Zentrale.«
»Und wie sind Sie hierhergekommen? Mit dem Taxi?«
»Ich bin mit meinem eigenen Wagen gekommen.« Sie deutete hinter sich, wo ein großer dunkelgrüner BMW halb auf dem Bordstein parkte und inzwischen mindestens so viel Aufmerksamkeit auf sich zog wie die abgedeckte Leiche.
Schmidt schnaubte auf angesichts des Autos.
»Kann ich auch mal sehen?«, fragte Bach. Suderberg nickte. Die beiden Frauen kauerten jetzt gemeinsam neben dem Toten, und Suderberg zog noch einmal die Folie zurück. Falck, der mit diesem Anblick nicht gerechnet hatte, fuhr zurück. Der Mann lag auf dem Rücken, trug eine Stoffhose, Hemd und eine Strickjacke. Falck schätzte ihn auf etwa fünfzig Jahre, mit nach hinten gegelten Haaren und einem gestutzten Oberlippenbart. Beide Hände waren um die Kehle geklammert, die Augen waren weit aufgerissen. Das Blut war ihm zwischen den Fingern durchgesickert, hatte sein Hemd, seine Jacke besudelt. Sein Hals und das Gesicht waren blutverschmiert.
Die Suderberg zog die Hände des Toten auseinander, bis der Hals zu sehen war. »Sehen Sie«, sagte sie halblaut und deutete auf eine klaffende Einstichstelle am Hals des Toten, »ein Stich, der die Aorta durchtrennt hat. Typisch für den Mann, den wir suchen.«
Falck hatte sich inzwischen überwunden und kauerte nun auch neben dem Toten am Boden. Trotz der frischen Brise stieg Falck der dumpfe Blutgeruch in die Nase.
»Sie glauben, das war ein gezielter Mord? Oder hat er sich willkürlich ein Opfer ausgesucht?«, fragte er.
»Das werden wir sehen, wenn wir die Papiere des Toten prüfen«, sagte Suderberg und richtete sich auf. Falck warf einen fragenden Blick zu Bach, nicht sicher, ob er etwas Falsches gesagt hatte. Die zuckte nur mit den Schultern.
Schmidt schüttelte nachdenklich den Kopf. »Wir halten also mal fest: Sie kommen nach Dresden, um einen Killer zu suchen, der Ihnen drüben durch die Lappen gegangen ist. Und kaum sind Sie hier, bringt der auch gleich jemanden um. Das nenne ich Zufall.«
Falck gefiel ganz und gar nicht, was hier geschah. Ihm gefiel nicht, dass die Hauptkommissarin die Erste am Tatort war und so tat, als hätte sie es mit einem Haufen Polizeianwärtern zu tun, und ihm gefiel auch nicht, wie Schmidt sich benahm. Hier lag ein toter Mensch. Dem gebührte Respekt, und es galt, zu zeigen, dass sie Polizisten waren und wussten, was sie zu tun hatten.
»Lasst uns doch bitte sachlich bleiben«, sagte er leise und erschrak über sich selbst, denn so deutlich hatte er gar nicht werden wollen. »Wenn das ein Mord ist, geht das sowieso an die Mordkommission«, fügte er noch hinzu und hoffte, sein Vorgesetzter würde den Wink verstehen. Das würde bedeuten, dass die Mordkommission sich dann mit der Suderberg abgeben müsste.
Aber Schmidt starrte ihn an und hatte offenbar nicht verstanden.
»Wir können doch schon mal reingehen, Zeugen befragen«, schlug Bach vor. »Wir müssen sowieso warten, bis die Technik kommt.«
»Soll ich mal nach den Papieren des Toten sehen?«, fragte Falck.
»Mach doch«, meinte Schmidt.
Falck musste sich zusammenreißen, dann überwand er sich und tastete die Jacke des Toten ab, fühlte das Portemonnaie in der Jackeninnentasche und nahm es heraus.
»Ein Westdeutscher.« Falck reichte den Ausweis an Schmidt weiter.
»Vielleicht könnten Sie das nächste Mal Gummihandschuhe benutzen!«, bemerkte Suderberg wie nebenbei. Dann aber runzelte sie die schmalen Augenbrauen. »Oder haben Sie keine? Dann lass ich welche schicken.«
»Wir haben auch Gummihandschuhe, nicht wahr, Leutnant?!«, knurrte Schmidt und warf Falck einen bösen Blick zu. »Thomas Kallbusch«, las er dann aus dem Personalausweis vor. »Kommt aus Hamburg.«
»Kallbusch?«, fragte die Suderberg und stellte sich dicht neben Schmidt. Sie hielt die Ecke des Ausweises fest und drehte ihn ins Licht. »Der ist eine Größe aus dem Hamburger Rotlichtmilieu.«
»Und was soll das bedeuten?«, fragte Schmidt, das erste Mal, seitdem er mit Suderberg sprach, ohne zornigen oder zynischen Unterton.
»Die haben hier schon ihre Reviere abgesteckt.« Suderberg strich sich über das straff gebundene Haar, auch ihr abweisender Gesichtsausdruck war auf einmal verschwunden.
»Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!«, sinnierte Schmidt, und einen Moment standen sie in stiller Eintracht beieinander. »Und der Mann, den Sie suchen, murkst die Zuhälter ab und lässt sich dafür bezahlen?«, fragte Schmidt.
»Ganz so einfach ist das nun auch wieder nicht«, meinte Suderberg, und augenblicklich war die Seifenblase der Harmonie zerplatzt.
Schmidt schnaufte und zupfte der Frau den Ausweis aus der Hand. »Kommt, wir gehen rein!«, bestimmte er.
Die wenigen verbliebenen Zeugen in der Kneipe hatten sich an der Theke versammelt. Sechs Männer standen vor und der Wirt hinter dem Tresen, alle über fünfzig Jahre alt. Die Jüngste im Raum war die Kellnerin, die vielleicht vierzig war und sicherlich schon zu viele Nächte in verrauchten Kneipen verbracht hatte. Der Alkohol hatte deutliche Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Die Männer schienen Stammkunden zu sein, so vertraut, wie ihre Gespräche wirkten. Obwohl der Tag noch nicht sehr alt war, wirkten die Männer durchweg stark alkoholisiert. Allesamt trugen sie Jeanshosen und Hemden, an den Haken an der Wand hingen ihre Lederjacken und Anoraks.
»Hab grad ’ne Runde ausgegeben, auf den Schreck«, meinte der Wirt, ein korpulenter großer Mann mit dünnem Haar. »Wollen Sie auch?«
Keiner der Polizisten reagierte darauf.
»Was ist denn das hier für eine Bude?«, fragte Schmidt. Die Innenausstattung der Kneipe war nichtssagend. An der Wand hingen Poster von Dynamo Dresden. Ansonsten nur DDR-typische Stühle und Tische, karierte Tischdecken, die Wände mit billigem Holz vertäfelt, der Fußboden mit weichem PVC belegt, in dem die Tisch- und Stuhlbeine Abdruckspuren hinterlassen hatten. An einigen Stellen war er aufgerissen und mangels besserer Mittel mithilfe unzähliger kleiner Nägel fixiert. Es roch nach Rauch und Bier. Gemütlich war etwas anderes, dieses Etablissement diente nur zum Rauchen und Saufen, stellte Falck fest.
»Eine Kneipe, sonst nix!«, erwiderte der Wirt.
»Der Tote da draußen, war der zum ersten Mal hier?«, fragte Schmidt.
»Thomas? Nee, der kam seit ein paar Tagen, ein feiner Kerl, hat ordentlich was springen lassen«, erwiderte der Wirt, und die anderen nickten zustimmend.
»Hat er etwas erzählt, was er hier macht, wo er herkam?«
»Klar, er war aus Hamburg. Er hat sich anscheinend nach Wohnungen umgesehen.« Der Wirt zapfte auf ein knappes Zeichen ein Bier für einen seiner Kunden und stellte es ihm hin.
»Wollte er hier wohnen?«, fragte Schmidt.
»Was weiß ich, kaufen vielleicht.«
»Können Sie mir erzählen, was vorhin passiert ist? Möglichst detailgenau.«
»Klar, vorhin war die Bude voller. Geht ganz gut in letzter Zeit. Also die Tische waren gut besetzt. Thomas saß hier am Tresen«, der Wirt deutete auf einen freien Platz an der Stirnseite, »da saß er immer. Der Ehrenplatz sozusagen. Dann ging er aufs Klo, das ist dahinten, kommt wieder raus und hustet so komisch. Ich denk noch, der hat sich verschluckt. Und statt sich an den Tresen zu setzen, rennt er raus. Der braucht frische Luft, dachte ich mir. Aber dann kam jemand reingestürzt und schrie, ich soll die SMH rufen. Das war es schon.«
»Sie haben den ja richtig ins Herz geschlossen, oder? Ehrenplatz! Der hat wohl schön Scheinchen flattern lassen?« Schmidt lächelte freundlich, und Falck fragte sich, ob der Wirt den Sarkasmus heraushörte.
»Das hat er wirklich, ja. Hat auch überlegt, ob er in die Kneipe investieren soll. Ausbauen, hübsch machen. Eine Sportbar oder so was, hat er gemeint.«
»Und seit dem Vorfall haben Sie sich nicht von der Stelle bewegt? Sie alle nicht? Und die anderen Kunden sind gegangen. Kannten Sie die?«
»Also, wir hier haben uns nicht bewegt. Gabi hat die anderen Kunden abkassiert, damit die gehen konnten. Ein paar Gesichter kannte ich schon, nur die Namen nicht dazu. Aber die saßen ja alle an ihren Plätzen, die konnten mit der Sache gar nichts zu tun gehabt haben!«
»War jemand Fremdes dabei? Oder vielleicht jemand, der auch erst seit ein paar Tagen auftauchte?«
Der Wirt verzog das Gesicht und sah seine Stammkunden an. Einer nach dem anderen zog die Schultern hoch. »Kann ich nicht sagen.«
»Gab es einen Kunden, der seinem Aussehen nach auch ein Wessi gewesen sein könnte? Fiel Ihnen da jemand auf?«
»Nee«, der Wirt schüttelte den Kopf, sein Blick blieb aber an Suderberg hängen.
»Und ist jemand zusammen mit Thomas Kallbusch auf Toilette gegangen? Oder hat das kurz davor oder kurz danach getan?«
»Kann ich auch nicht sagen, war wirklich gut was los, muss ja zapfen und so.«
Schmidt schürzte einen Moment die Lippen, als dächte er nach.
»Hör mal«, begann er in moderatem Ton, »gerade ist hier in deinem Laden einer abgeschmiert, verstehst du das? Der ging hier aufs Klo, und nun ist er tot. Deine Bude ist gerade so groß, dass zwanzig Mann reinpassen, und so viele werden es nicht gewesen sein. Meinst du nicht, dass du vielleicht etwas mehr nachdenken könntest? Der liegt noch da draußen auf dem Bürgersteig!«
Der Wirt beugte sich vor. »Was willste machen? Wenn mir nichts einfällt?«
Schmidt holte tief Luft.
»Lassen Sie uns die Toiletten ansehen«, unterbrach Suderberg schnell. »Hier geht keiner weg! Ich muss Sie dann alle noch einzeln befragen!«
»Was hat die denn hier zu bestimmen?«, fragte einer der Männer.
Schmidt baute sich auf. »Ich bestimme das!«
Schon im kleinen Flur, der zu den Toiletten führte, stoppte Schmidt und blies Luft aus. Eine Zwischentür mit einer Einfassung aus braunem Glas trennte den hinteren vom vorderen Teil des Flurs. Das Glas war gesplittert, Scherben lagen auf dem Boden, manche steckten noch in der Fassung. Die Stelle, an der das Glas getroffen worden war, war noch eindeutig auszumachen, etwa in Brusthöhe.
»Von wegen Killer. Ich sag Ihnen mal, was passiert ist. Der Kallbusch hatte ordentlich einen gebechert, ist gestolpert und ins Glas gefallen.«
Für einen Moment war es ruhig. Was Schmidt sagte, klang logisch, und für Falck war beinahe schon wieder peinlich, dass sie auf Suderbergs Räuberpistole hereingefallen waren.
»Ich halte den Mann für durchaus in der Lage, diesen Vorfall fingiert zu haben«, sagte Suderberg leise. »Er schlug die Scheibe ein und brachte Kallbusch mit der Scherbe um!«
»Aber welcher Mann?«, fragte Schmidt, sichtlich um Beherrschung bemüht. »Der Wirt sagte, alle saßen an ihren Plätzen.«
»Er kann das gar nicht wissen, er hat ja gar nicht darauf geachtet. Woher sollte er wissen, dass etwas Derartiges geschehen sollte? Hier ist außerdem kein Blut! Keine blutige Scherbe, in seinem Hals steckte sie auch nicht!«
»Dann liegt sie draußen, gehen wir sie suchen!« Schmidt drängte schon wieder nach draußen, was in dem schmalen Flur zu einem umständlichen Gedränge führte.
»Wir prüfen erst die Toiletten«, sagte Suderberg fast flüsternd.
»Weil der Täter sich da drinnen versteckt haben könnte?«, fragte Schmidt fast verzweifelt.
Die Westdeutsche nickte, und Falck verlor eine Wette gegen sich selbst, denn Schmidt gab sich geschlagen.
»Na dann!«
Es gab nur drei Toilettentüren. Männer, Frauen, Privat.
Mit der Spitze ihres behandschuhten Fingers drückte Suderberg vorsichtig die Klinken der Toilettentüren hinunter, sicherte mit der Pistole, bereit zum Schuss. Die beiden öffentlichen Toiletten waren leer. Die private war verschlossen.
»Die Fenster sind gerade so groß, dass ein Mann hinein- und wieder hinausklettern kann«, stellte Suderberg fest.
»Sie sind aber verschlossen, das geht nur von innen«, merkte Schmidt an, der mit ausdrucksloser Miene zugesehen hatte, wie die Frau die Toilettenräume geprüft hatte.
Suderberg ließ sich nicht beirren. »Sie müssen Fingerabdrücke nehmen lassen, nach Haaren suchen, Dreckspuren, nach Blutspritzern.« Während sie sprach, deutete sie Bach an, dass sie den Schlüssel für das Privatklo benötigte.
Bach nickte, verschwand und kam kurz darauf mit dem Schlüssel zurück.
Suderberg nahm den Schlüssel, hob dann aber die Hand zum Mund, deutete auf die verschlossene Tür, zeigte auf ihre Pistole. Bach reagierte sofort und zog ihre Pistole aus dem Holster.
Daraufhin zog auch Falck seine Waffe. Schmidt verzichtete demonstrativ darauf. Suderberg legte noch einmal ihren Zeigefinger auf die Lippen. Dann deutete sie zuerst nach unten, dann nach oben auf die Tür. Falck verstand es so, dass der Mann sich erstens auf dem Boden kauerte oder zweitens möglicherweise von oben angriff, indem er auf dem schmalen Fensterbrett lauerte. Nachdem Suderberg sich vergewissert hatte, dass alle verstanden hatten, steckte sie den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn herum und zuckte dann zur Seite. Nichts geschah.
»Soll ich?«, fragte Schmidt angesichts der noch immer geschlossenen Tür und zeigte auf die Türklinke. Falck sah ihm an, dass es ihn all seine Beherrschung kostete, sich nicht lustig zu machen.
Suderberg nickte, zielte mit der Waffe in beiden Händen auf die Tür, doch als Schmidt sich hinüberbeugte, um die Klinke zu fassen, nahm sie ihn am Jackenärmel und zog ihn beiseite.
»In Deckung bleiben!«, flüsterte sie.
Schmidt warf Falck einen Blick zu, der nur bedeuten konnte, dass er Suderberg für völlig verrückt hielt. Doch er blieb in Deckung. Mit dem Rücken an die Wand gepresst, langte er mit der linken Hand um den Türrahmen herum und fasste die Klinke.
»Auf drei!«, flüsterte er, und Suderberg nickte angespannt. Auch Falck und Bach zielten auf die Tür, wobei Falck nicht wirklich wusste, was er tun sollte. Sollten sie schießen, wenn dort jemand drin war? Und wenn es nur ein verirrter Gast war?
»Drei!«, sagte Schmidt und stieß dann die Tür auf. Die Suderberg zielte hoch und tief, ließ dann die Waffe sinken. Der enge Raum war leer. Es gab nur ein Toilettenbecken mit rotem Plastedeckel, einen Spülkasten in Kopfhöhe, an dem eine Kette hing, und ein kleines Waschbecken. Es gab nicht einmal ein Fenster.
Keiner der drei DDR-Polizisten sagte etwas. Suderberg benötigte offenbar einige Sekunden, sich zu sammeln.
»Gut«, sagte sie dann, »lassen Sie die Spurensicherung arbeiten, wir befragen die Männer weiter.«
»Was hat sie denn gedacht, was da passiert?«, fragte Steffi Bach, als sie einige Zeit später draußen standen und in der Einfahrt zum Nachbarhaus Schutz vor dem kalten Wind suchten. Drinnen gab es für sie beide erst mal nichts mehr zu tun. Schmidt und Suderberg befragten noch immer Zeugen, und die Kriminaltechniker suchten nach Spuren. Inzwischen war die Scherbe gefunden worden, an der sich Kallbusch tödlich verletzt hatte. Sie hatte auf dem Gehweg gelegen, mit Blut und Fingerabdrücken daran, die geprüft werden mussten.
»Dass da einer rausspringt und uns alle umlegt? Hast du das gesehen? Die hätte fast abgedrückt!«
»Darauf habe ich gar nicht geachtet, ihr Verhalten hat mich so angespannt, ich hätte beinahe selbst geschossen«, gab Falck zu. Inzwischen hatte sich die Menschenmenge verlaufen, nur gelegentlich blieben neugierige Passanten stehen. Doch die Scheinwerfer waren mittlerweile abgeschaltet. Neben den Streifenwagen, den Fahrzeugen der Spurensicherung und dem Wagen vom Bestattungsinstitut standen einige gelangweilt dreinblickende Uniformierte, die den Leichenfundort sicherten. Außerdem war es inzwischen richtig kalt geworden.
Bach stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Mensch, wer weiß, was die alles schon erlebt hat drüben. Wird ja nicht alles falsch gewesen sein, was der Schnitzler uns immer erzählt hat. Und jetzt kommt der ganze Mist auch zu uns!«
Falck schürzte die Lippen. »Ich will es immer noch nicht glauben.« Seltsam, dachte er bei sich, bis vor Kurzem war er sich seiner Sache sicher gewesen, jetzt machten sich erste Zweifel breit.
»Das siehst du doch jetzt schon!«
Falck schwieg. Was für eine irre Zeit, dachte er sich. Die SED-Regierung hatte so viel Mühe darauf verwendet, den Westen schlechtzumachen und die Leute in ihrer Republik zu halten, dass er manchem genau deswegen wie das Paradies erschienen war. Sogar er war davon angesteckt worden, obwohl er nie das Bedürfnis verspürt hatte, der DDR den Rücken zu kehren. Aber Produkte aus dem Westen hatten immer ihren Reiz gehabt, Westautos, Walkman, Kaffee, Schokolade, Haarspray oder sogar eine Schachtel tic tac. Und wie aufregend war es gewesen, als er als Viertklässler einmal zehn D-Mark geschenkt bekommen hatte. Drei Jahre lang hatte er sie einfach nur aufgehoben. Dann hatte er sich im Intershop Matchboxautos dafür gekauft, und als ihm Uwe, sein großer Bruder, in einem Anfall von Geschwisterliebe seine zehn Mark dazuschenkte, konnte er sich noch ein kleines Raumfahrzeug von LEGO dazu kaufen. Das war ein Kauf, den er später bereute, denn auf dem kleinen Faltprospekt in der Schachtel waren so viele andere Sachen aufgezeigt, von denen er wusste, dass er sie sich niemals würde kaufen können. Nun hatte sich ihnen diese Welt doch geöffnet, mit allem, was dazugehörte.
»Sag mal, was hast du dir denn von mir erhofft, vor einem Jahr?«, fragte Falck. Er hatte lange darüber nachgedacht, ob es nicht besser wäre, diese Sachen endlich mal anzusprechen.
Steffi Bach winkte ab. »Das war eine spontane Eingebung. Ich habe zufällig deine Meldung mitbekommen. Du weißt schon, der Mann, der versucht hat, diesen Jungen zu missbrauchen. Ich hatte gehofft, du könntest mir helfen. In meiner Abteilung wollte keiner was hören von Kinderschändern.«
»Tut mir leid, aber ich war damals für das Thema einfach noch nicht so weit«, gab Falck zu.
»Ist nicht schlimm, war auch unüberlegt von mir. Ich habe dich damals ziemlich überfallen. Hat mich ja schließlich auch meinen Posten gekostet.«
»Etwas später habe ich übrigens zufällig den Jungen noch einmal gesehen. Er lief weg, vielleicht weil es ihm peinlich war. Aber seine Freunde haben mir Namen und Adresse gegeben.«
»Ach, echt?«
»Ja, ich muss die noch irgendwo haben. Wir könnten der Sache ja nachgehen, vielleicht finden wir einen Zusammenhang zu diesem Rühle.«
»Ja klar«, sagte Bach und verstummte dann aber. Ein Mann kam auf sie zu.
»Sind Sie von der Polizei?«, fragte er und sah dabei Falck an. Er trug einen schwarzen Anzug, darüber aber einen hellgrauen Anorak und hatte einen dicken Schal um den Hals geschlungen.
»Sind wir!«, antwortete Bach gereizt. »Und Sie?«
»Schubert, Städtisches Bestattungsinstitut«, stellte sich der Mann vor. »Wo ist denn jetzt die Leiche, die überführt werden soll?«
»Die liegt noch da. Der Gerichtsmediziner hat sie schon untersucht und fotografiert wurde sie auch. Oder?«, fragend sah sie Falck an.
»Ja, ich war dabei«, bestätigte der.
»Können Sie mir vielleicht genau zeigen, wo der Tote liegt?«, fragte der Mann verlegen.
Bach nickte und ging ein paar Schritte aus dem Durchgang heraus, um dem Mann die Leiche zu zeigen, die keine sechs Meter entfernt war. Doch da lag sie nicht mehr.
»Also, da bin ich jetzt auch überfragt!« Bach stutzte. »Gehst du mal rein und fragst den Chef?«, bat sie Falck. »Können Sie den Scheinwerfer wieder anschalten«, rief sie dann einem Uniformierten zu, während Falck die Kneipe betrat.
»Das ist jetzt kein dummer Scherz, oder?«, fragte Suderberg, als sie zwei Stunden später in ihrem Büro saßen. Inzwischen war es Nacht geworden. »Ich meine, weil ich aus der BRD bin?«
»Was denken Sie denn von uns?«, beschwerte sich Schmidt reflexhaft, doch es fehlte der Nachdruck in seiner Stimme.
»Das ist nun schon das zweite Mal, dass eine Leiche wegkommt.«
»Ja, verdammt, ich weiß das!« Schmidt drückte seine Kippe im Aschenbecher aus.
»Der war doch aber die ganze Zeit bewacht«, überlegte Bach. »Und der war mausetot! So viel ist sicher.«
Schmidt klopfte sich eine neue Zigarette aus der Schachtel. »Überlegt doch mal, vielleicht hat der Gerichtsmediziner ihn mitgenommen?«
Bach schüttelte den Kopf. »Nein, das war nur ein Polizeiarzt der Bereitschaft, der hat den Tod festgestellt. Und dann hat jemand den Bestattungsdienst gerufen, um den Leichnam in die Gerichtsmedizin zu überführen.«
»Aber es waren doch immer Beamte da, die ganze Zeit über, wie soll der denn weggekommen sein?« Schmidt hatte ganz vergessen, seine Kippe anzuzünden. Dies holte er nun nach. »Das ist doch vollkommen bescheuert«, stieß er nach dem ersten Zug aus. »Wir müssen alle prüfen, die vor Ort waren, die Sanitäter, die Bestatter. Es kann doch nicht angehen, dass hier innerhalb von zwei Tagen zwei Tote wegkommen. Das fällt doch auf mich zurück.«
»Vielleicht wurde er doch umgebracht, und der Täter hat die Leiche entfernt?«, wagte Falck anzumerken. Schmidt holte gleich zum großen Protest aus, doch Bach kam ihm zuvor.
»Kann das sein?«, fragte sie Suderberg.
»Aber was hätte er denn davon?«, fragte diese zurück.
»Keine Leiche, kein Mord«, bot Bach als Argument »War vielleicht etwas an dem Toten, das er brauchte? Ist er vielleicht eine Art Trophäe?«
Suderberg schüttelte im Takt der Fragen den Kopf.
»Nun seien Sie mal nicht so destruktiv!«, mahnte Schmidt. »Nehmen wir mal an, er wurde umgebracht, was ich nicht glaube. Könnte Ihr Täter etwas von der Leiche haben?«
»Ich weiß nicht.« Suderberg sah aus, als fröre sie. Falck beugte sich nach dem alten Rippenheizkörper und drehte das Ventil noch ein Stück auf. Es wurde still in dem Raum, nur in der Heizung gurgelte und gluckste es.
Bach wurde das Schweigen irgendwann zu lang. »Angenommen er wurde umgebracht, warum kann sich keiner der Zeugen an irgendeinen Fremden erinnern? An keine Auffälligkeit?«
»Der Mann ist wirklich unauffällig«, erklärte Suderberg. »Vermutlich hat er sich Klamotten von hier zugelegt und einen Oberlippenbart. Der geht hier völlig unter. Und er spricht so gut wie nie.«
Plötzlich sprang Bach auf, ihr Stuhl knallte geräuschvoll gegen die Wand hinter ihr. »Mensch, na klar, der saß noch im Laden! Wir haben ihn vernommen, das war einer der Männer!« Euphorisch sah sie in die Runde, doch Suderberg schüttelte nur müde den Kopf.
»Warum denn nicht?«, fragte nun Schmidt ungehalten.
»Er war nicht dabei!«
»Aber woher wissen Sie das denn? Sie wissen doch nicht, wie er jetzt aussieht, die Fotos, die Sie mitgebracht haben, sind doch zwanzig Jahre alt!«
»Er war nicht dabei! Genügt Ihnen das nicht?« Suderberg sah unendlich müde aus und hatte offensichtlich keine Lust zu diskutieren.
Das sah sogar Schmidt ein. »Na gut«, murrte er und rauchte seine Zigarette zu Ende.
»Sie nehmen an, das geht an die Mordkommission?«, fragte die Suderberg.
Schmidt nickte. »Meiner Meinung nach ist es ein Unfall, aber sollen die sich ruhig damit abgeben.«
»Dann ist ja unsere Zusammenarbeit offensichtlich schon beendet.« Fast schien es, als bedauerte Suderberg das jetzt.
»Sagen Sie mal, warum schicken die Sie alleine hierher, wenn der Kerl so gefährlich ist?«, fragte Schmidt.
»Meinen Sie, weil ich eine Frau bin?«
»Nein, weil Sie alleine sind.«
»Tja, wissen Sie immer, was sich Ihre Vorgesetzten denken?«
»Das Lustige ist«, Schmidt holte schon wieder die nächste Zigarette raus, »bis vor Kurzem konnte man das tatsächlich ziemlich genau wissen. Jetzt aber …« Er sprach nicht weiter. »Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Glück.«