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Lev
K at erwacht kurz nach Mitternacht und blinzelt, während sie sich im Bett aufrichtet. Als ihre Augen meine auf der anderen Seite des Raumes treffen, entspannen sich ihre Schultern und sie holt tief Luft.
„Wie lange habe ich geschlafen?“, flüstert sie.
„Ein paar Stunden.“
Ich schließe die braune Papierakte auf dem Tisch vor mir und ihr Blick bewegt sich zu der Bombe, die ich noch nicht platzen lassen kann.
„Was ist das?“
Ich lehne mich mit dem Rücken an den Stuhl, biege den Kopf zur Seite und versuche, einen Teil der Verspannungen, die sich dort angesammelt haben, zu lösen. „Ich bat Alexei, einige Nachforschungen über die auf dem Laufwerk aufgeführten Namen anzustellen. Er gibt sie mir, sobald er etwas Neues hat.“
Kat runzelt die Stirn, blickt Josh an und zieht seine Decke zurecht, bevor sie vom Bett rutscht und sich mir gegenüber hinsetzt. Der sanfte Schein einer Lampe ist das einzige Licht im Hotelzimmer, aber ich kann trotzdem die Spannung in ihren Augen sehen.
„Also, was passiert jetzt?“ Sie schluckt. „Wir können uns nicht ewig in diesem Hotel verstecken.“
„Nein, das können wir nicht“, stimme ich ihr zu. „Ich versuche, die nächsten Schritte zu planen. Und ich weiß, dass es nicht fair ist, dich darum zu bitten, aber du musst mir jetzt vertrauen, Katya.“
Ihre Finger verschränken sich in ihrem Schoß und sie scheint darüber nachzudenken, bevor sie einen eigenen Vorschlag macht. „Oder wir könnten einfach abhauen, Lev. Wir könnten in eine andere Stadt fliehen und nie mehr zurückblicken. Weiter als bis nach Boston. Wir könnten überall hin. Nach Kalifornien. Texas. An einen Ort, wo nichts von all dem existiert.“
Ich beuge mich vor und lege meine Finger um ihre, ziehe sie hoch und auf meinen Schoß. Sie entspannt sich an meiner Brust und legt ihre Beine zwischen meine.
„Weglaufen ist keine Option, Liebling.“ Ich streichle ihren Arm und vergrabe mein Gesicht an ihrem Nacken. „Ich glaube, das weißt du bereits. Der einzige Weg, das in Ordnung zu bringen, ist, sich ihm zu stellen.“
„Sprichst du davon, gegen Vasily Krieg zu führen?“, krächzt sie.
„Das weiß ich noch nicht.“ Mein Halt um sie wird fester. „Aber wenn es darauf hinausläuft–“
„Du hast jetzt eine Familie“, wirft sie scharf ein. „Das sagst du mir doch immer wieder. Deine Aufgabe ist es, uns zu beschützen. Bei uns zu bleiben.“
Als ihre Stimme bricht, drücke ich meine Lippen auf ihre. „Schhh, Baby. Ich weiß.“
Wir sind beide eine Weile still, verloren in unseren eigenen Gedanken, bevor Kat wieder spricht. „Hat Andrei Nina getötet?“
„Ja.“
„Dann bin ich froh, dass er tot ist“, flüstert sie.
„Ich auch.“ Ich schließe meine Augen und atme ihren Duft ein.
Ich mag zwar froh sein, dass die Welt Andrei los ist, aber ich bin mir auch des Shitstorms bewusst, den sein Tod mit sich bringen wird. Und ich denke, es ist an der Zeit, dass Kat das auch versteht. Sie muss jetzt stark sein. Sie muss mir vertrauen, dass ich das tue, was notwendig ist, auch wenn es ihr vielleicht nicht gefällt.
„Ich weiß, dass du Fragen hast. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, sie zu stellen.“
Sie schaut zu mir hoch, neugierig und, ich denke ... erleichtert. „Wirst du ehrlich zu mir sein?“
„Ja.“
Sie streift mit ihren Fingern über meinen Unterarm, eine kleine Geste der Zuneigung, und ich glaube, sie merkt nicht einmal, dass sie es tut. Aber ich schon. Und es bedeutet mir mehr, als sie jemals wissen kann.
„Ist Vasily das Oberhaupt deiner Mafia-Familie?“, fragt sie.
„Nein. Er ist das, was man einen Captain nennen würde, wenn man so will. Er hat Männer unter sich, aber er muss wiederum vor jemandem Rechenschaft ablegen.“
„Er ist also mächtig“, stellt sie fest. „Aber er muss sich vor jemand anderem verantworten. Bedeutet das, dass der Verantwortliche uns auch tot sehen will?“
„Unwahrscheinlich“, sage ich ihr. „Ich bezweifle sogar, dass er weiß, was im Moment passiert. Natürlich könnte Andreis Tod einige Fragen aufwerfen, aber Vasily wird das seinem Chef nicht berichten. Er regelt solche Dinge auf eigene Faust, oft unter dem Radar der offiziellen Vor-Geschäfte. Er müsste ziemlich verzweifelt sein, um das bis ganz nach oben zu melden.“
Kat dreht sich um, um mich zu betrachten. „Wie bist du überhaupt in dieses Leben geraten?“
„Es war keine bewusste Entscheidung“, sage ich. „Meine Mutter wurde getötet, als ich fünfzehn war. Mein Vater war bereits tot. Vasily war der einzige, der von meiner Familie übriggeblieben war. Er nahm mich bei sich auf, und dafür war ich ihm zu Dank verpflichtet. Der Rest ... ist einfach passiert.“
„Aber es muss einen Grund dafür geben, dass du all die Jahre geblieben bist“, drängt sie. „Wenn du ihn nicht mal magst.“
Ich kratze über die Stoppeln an meinem Kinn und schüttle den Kopf. „Wir haben eine komplizierte Beziehung. Ich glaube nicht, dass ich ihm jemals wirklich vertraut habe, aber ich hatte das Gefühl, ihm etwas schuldig zu sein. Und einst habe ich ihn respektiert. Aber jede Art von Loyalität, die ich ihm gegenüber gehabt haben mag, ist jetzt dahin.“
Ich lasse den Teil über meine Mutter absichtlich weg und entscheide mich vorerst dafür, das Kat gegenüber nicht zu erwähnen. Zumindest nicht, bis das hier vorbei ist. Ich will nicht, dass sie an meinen Beweggründen zweifelt.
„Wenn du also sein Neffe bist, zu was macht dich das dann?“, fragt sie. „Wie passt du in die Mafia?“
„Offiziell? Gar nicht.“ Ich zucke mit den Schultern. „Vasily hat nie darum gebeten, mich offiziell aufnehmen zu lassen. Ich glaube, es gefiel ihm, persönlich die Kontrolle über mich zu haben. Ich bin nur durch ihn mit der Mafia verbunden.“
„Und Alexei“, bemerkt sie.
„Er ist mein Cousin. Und ja, er ist auch ein Vor, aber er ist ein guter Mann. Wir können ihm vertrauen.“
„Kann ich dir vertrauen?“
Ihre Frage nimmt mir den Atem.
„Ich bin hier, um dich zu beschützen, Liebling. Bitte zweifle nie daran.“
„Aber das waren nicht immer deine Absichten“, widerspricht sie. „Andrei sagte, du solltest mich töten.“
Mein Kiefer spannt sich an und ihre Augen fühlen sich an, als würden sie tief in meine Seele eindringen, während sie darauf wartet, dass ich ihr das erkläre.
„Ich wurde geschickt, um dich zu töten“, bestätige ich. „Aber das habe ich nicht getan. Denn in dem Moment, als ich dich wiedersah, wusste ich, dass du mir gehörst. Schon bevor ich von Josh erfuhr.“
„Wie soll ich das glauben?“, bringt sie hervor. „Da du es überhaupt in Betracht gezogen–“
„Weil ich mir lieber selbst eine Kugel in den Kopf jagen würde, Katya.“ Ich halte ihren Rücken an mich gedrückt, als sie versucht, sich zurückzuziehen. „Ich stecke da jetzt mit drin. Verstehst du denn nicht? Ich habe alles hinter mir gelassen. Ich habe mein eigenes Blut verraten. Ich habe meinen Cousin getötet. Und ich würde es wieder tun, um das Leben zu schützen, das ich mir mit dir aufbaue.“
Sie verstummt und ich weiß immer noch nicht, ob sie meinen Absichten vertraut, aber trotzdem versucht sie nicht noch einmal, von meinem Schoß zu kommen.
„Was sollen wir machen, bis wir wissen, was wir tun können?“
„Fürs Erste bleiben wir hier“, sage ich. „Morgen werden wir versuchen, den Tag für Josh so normal wie möglich zu gestalten. Wir kaufen noch Kleidung, Essen, was immer wir brauchen. Und wenn ich von Alexei höre, beginnen wir mit der Planung, okay?“
Sie hebt den Kopf, um meinem Blick zu begegnen, und zum ersten Mal an diesem Tag sieht es so aus, als würde ein Teil ihrer Kraft zurückkehren. „Ich setze mein Vertrauen in dich, Lev. Bitte enttäusche uns nicht.“