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ev wischt mich danach sanft sauber, kleidet mich in eines seiner T-Shirts und ich liege auf dem Bett in seiner Armbeuge.
Er hatte recht. Ich musste wirklich gefickt werden. Ich fühle mich besser. Ich fühle mich leichter.
Ich blicke auf die Verbindungstür zwischen unseren Zimmern, die Lev wieder geöffnet hat. Wenn ich genau lausche, kann ich sogar Joshs Atem hören.
„Warum ist Maxim nicht auch hiergeblieben?“, frage ich. Der ältere Mann sagte, er würde sich morgen wieder mit uns treffen und verschwand, bevor wir im Hotel ankamen.
„Er hielt sich lange Zeit versteckt. Er will mir vertrauen und dir und Josh helfen, aber Vasily würde ihn töten, wenn er wüsste, dass er am Leben ist. Ich würde dasselbe tun, wenn ich an seiner Stelle wäre.“
Ich nicke. Ergibt Sinn. „Der Mann an der Tankstelle sagte etwas, das ich nicht wirklich verstanden habe.“
„Was?“
„Er sagte, sein Befehl laute, mich und ‚das Kind’ mitzunehmen. Er sagte, er wolle uns nicht verletzen.“
„Vasily weiß es, Kat. Er weiß, wer du bist.“
„Was bedeutet, dass er weder Josh noch mich töten will? Auch wenn er meine Mom getötet hat?“
„Er ist ein kranker Bastard. Ich glaube nicht, dass er dich aus lauter Güte am Leben lassen würde, und solange Gleb nicht weiß, dass es dich gibt, ist es nicht vorhersehbar. Aber wenn Gleb es erfährt ...“
„Aber das könnte zu einem ganz anderen Szenario führen und möglicherweise zu einem nicht Guten.“
„Ich denke, er würde dich und Josh beschützen wollen. Aber das ist nur mein Bauchgefühl.“
„Was, wenn er es nicht glaubt?“
„Wenn er dich gesehen hat, wird er zumindest bereit sein zuzuhören. Du siehst genauso aus wie sie. Er kann einen Vaterschaftstest machen, wenn er will. Und so oder so, er hat keinen Grund dazu, dich oder Josh zu verletzen.“
„Ich habe gesehen, was auf dem USB-Stick ist.“
„Und ich frage mich, was er davon halten wird, wenn er es sieht.“
„Was, wenn er akzeptiert, dass ich seine Tochter bin und dass er uns beschützen sollte, aber dann will, dass wir ein Teil dieses Lebens sind? Wenn er möchte, dass Josh ein Teil davon ist?“
„Du machst dich wahnsinnig, wenn du diese Gedankenspiele spielst. Wir müssen abwarten und dann sehen.“
„Und was ist mit dir? Wird er dich vor Vasily beschützen?“
„Mach dir keine Sorgen um mich. Ich kann auf mich selbst aufpassen.“
Er streicht mir eine Strähne feuchtes schwarzes Haar aus dem Gesicht. „Ich will mein Haar zurück. Ich will weiterhin so aussehen wie sie. Es ist das Einzige von ihr, das ich habe.“
„Bald. Ich verspreche es.“
„Glaubst du, dass es wahr ist? Dass Vasily sie selbst getötet hat?“
„Ich weiß es nicht, Kat. Aber Maxim hat keinen Grund zu lügen.“
„Er versuchte, ihr zu helfen. Zumindest hatte sie am Ende einen Freund.“ Ich schaue zu ihm hoch und merke, wie egoistisch ich bin. Auch er hat seine Mutter verloren, und zwar durch denselben Mörder. „Erzähl mir von deiner Mutter.“
Er atmet tief ein und seine Augen gehen kurz zu dem kleinen Schmuckkästchen, das ich auf den Tisch stellte, als ich nach Joshs Pyjama suchte.
„Sie war freundlich und sanft. Sie wollte nie etwas von meinem Onkel. Und wenn ich jetzt zurückdenke, sehe ich die Dinge anders. Ich sehe, wie sie versuchte, mich vor ihm zu schützen. Ich sehe, wie sie in seiner Gegenwart war, nervös und unruhig. Ich glaube, sie hatte immer Angst vor ihrem eigenen Bruder. Vielleicht wusste sie die ganze Zeit, wozu er fähig war, selbst, wenn es um seine eigene Familie ging.“
Sein Gesichtsausdruck verändert sich und wird dunkler.
„Ich muss etwas erledigen. Bleib hier.“
Ich ergreife seinen Arm. „Geh nicht weg, Lev. Bitte, nur heute Nacht. Ich möchte, dass du bleibst.“
Er beugt sich zu mir, legt mir die Hand an die Wange und küsst mich auf die Stirn. „Ich gehe nirgendwo hin, Katya.“ Er steht auf. Ich sehe ihm zu, wie er durch den Raum geht, wie die Muskeln auf seinem nackten Rücken arbeiten und bemerke, wie mein Bauch flattert.
„Was machst du?“, frage ich, als er sein Handy aus der Hosentasche zieht.
„William von Brandt hatte einen Kontakt beim FBI.“ Er setzt sich auf die Sofakante, drückt ein paar Knöpfe und hält das Telefon vor sich.
„Ljoschenka.“ Ich erkenne Alexeis Stimme.
„Alexei“, sagt er. „Entschuldige die späte Störung.“
Ich bin überrascht, dass er nicht zu Russisch wechselt.
„Es ist alles in Ordnung. Ich hätte dich morgen sowieso angerufen.“
„Dann hast du die Informationen? William von Brandts
Kontakt beim FBI, hast du seinen Namen gefunden?“
„Natürlich. Es hat ein wenig Arbeit gekostet, aber ich habe die Herausforderung genossen. Aber Lev, ich mache mir Sorgen ...“
„Schick mir alles. Alles.“
„Was willst du damit machen?“
„Ich glaube, das weißt du.“
Alexei holt tief Luft. „Weißt du, was das aus dir machen wird?“
„Ja, ich weiß.“
„Es wird nicht nur Vasily hinter dir her sein.“
„Ich bin bereit, dieses Risiko einzugehen.“
„Was?“, frage ich und jedes Haar an meinem Körper steht mir zu Berge.
„Ich muss es tun, Alexei. Entweder er oder ich, und selbst wenn es nicht so wäre, schulde ich ihm zumindest etwas für den Mord an meiner Mutter.“
„Ich rate dir davon ab.“
„Ich werde dich da raushalten. Du und deine Familie werden nicht damit in Verbindung gebracht werden.“
In Alexeis Schweigen kann ich seine Missbilligung fast hören. „In ein paar Minuten hast du es.“
„Vielen Dank, Cousin.“
Er unterbricht die Verbindung, geht dann zum Bett und setzt sich auf die Bettkante, während er eine andere Nummer wählt. Als ich den Mund öffne, um etwas zu sagen, legt er einen Finger an die Lippen, und ich höre eine Frau in der Leitung.
„Philadelphia Police Department.“
„Haben Sie Stift und Papier?“
„Was?“
„Eine Frau verschwand vor ein paar Nächten im Club Delirium
und wird seitdem vermisst. Sie werden ihre Leiche in einem Haus finden, das Andrei Stanislov gehört. Er hat gerade einen neuen Garten angelegt.“ Nachdem er eine Adresse
heruntergerasselt hat, unterbricht er den Anruf, atmet tief ein und wieder aus und legt schließlich das Telefon auf den Nachttisch.
„Was hast du gerade getan?“
Er dreht sich zu mir um und legt seine große Hand auf mein Knie. „Ich beschäftige Vasily nur für ein oder zwei Tage. Ich brauche Zeit. Schlaf du ein wenig. Ich muss noch ein paar Anrufe machen.“
„Welche Anrufe? Warum hat Alexei gesagt, dass sie alle hinter dir her sein würden? Heißt das, nicht nur Vasily?“
Er steht auf und geht zum Seesack. Er durchsucht ihn, um den Ordner mit den Informationen über meine Mutter sowie einen Ausdruck dessen, was sich auf dem Stick befand, herauszunehmen.
„Was musst du tun, Lev?“
Ein Klingeln signalisiert eine E-Mail auf seinem Handy. Er nimmt es, tippt etwas ein, legt es dann wieder ab und sieht mich an.
„Ich werde Beweise an William von Brandts Kontaktmann beim FBI übergeben.“