Leseprobe Crow - Die Krähe
A. Zavarelli
D
onovans Bewegungen werden schwacher und langsamer, als seine Blutversorgung unterbrochen ist und ihm langsam die Luft ausgeht. Ich zähle die Sekunden in meinem Kopf und blende alles andere um mich herum aus. Drei … vier … fünf … sechs … sieben … Schließlich, als ich glaube, dass ich ihn keine Sekunde länger festhalten kann, erschlafft er, und Johnny kommt vorbei, um das zu überprüfen. Er beendet den Kampf.
Ich kann mich kaum bewegen, als ich unter ihm herauskrieche, aber das Adrenalin treibt mich an, als ich die Menge um mich herum betrachte. Ich finde seine Crew und schenke ihnen ein arrogantes Grinsen.
Nehmt das, ihr Bastarde
.
Einige von ihnen kommen heran, um ihren gefallenen Freund zu holen, während die Menge das Gebäude verlässt. Ich wische mir das Blut von der Lippe und beobachte sie neugierig, während ich warte. Es muss nur einer von ihnen anbeißen.
Einer von ihnen, der sich für mich interessiert. Es dürfen nicht die Russen sein. Sie haben mehrere Fraktionen und viel zu viele Mitglieder, um sie zu zählen. Der einzige Weg, meinen Pool an Verdächtigen einzugrenzen, ist, direkt an die Quelle zu kommen. Den Club, in dem es passiert ist. Sie alle werfen
Blicke in meine Richtung, aber es ist einzig und allein Lachlan, der seine Augen nicht von mir abwendet.
Ich weiß nicht, ob sein Gesichtsausdruck angepisst oder beeindruckt ist. Natürlich ist er mir gegenüber misstrauisch. Sie kommen jede Woche zu diesen Kämpfen, und er hat mich hier noch nie zuvor gesehen. Er hat keine Ahnung, wer ich bin, aber ich weiß ein paar Dinge über ihn.
Auf der Straße heißt es, dass er neunundzwanzig Jahre alt ist. Geboren und aufgewachsen in Belfast, bis er als Teenager in die Staaten auswanderte. Enkel von Carrick Crow, dem Unterboss von Niall MacKenna. Er leitet das Slainte und macht Gott weiß was sonst noch für das Syndikat. Der Rest ist ein Rätsel, das ich selbst lösen muss.
Mein Blick schweift über ihn und nimmt jedes Detail auf. Er hat einen abgerundeten Kiefer, der mit etwas bedeckt ist, was ich für etwa eine Woche Dreck vom Nicht-Waschen halte. Es ist eine Mischung aus kupferfarbenen Brauntönen – und nur ein paar Nuancen heller als das dunkle, widerspenstige Haar auf seinem Kopf. Seine Augen sind aufmerksam und leicht zusammen gekniffen und das wohl faszinierendste Merkmal an ihm. Sie machen das sonst weiche und fast knabenhafte Gesicht härter.
Sie haben etwas fast Vertrautes an sich, aber ich weiß nicht genau, was. Vielleicht Traurigkeit? Das scheint unmöglich zu sein, aber es ist schwer zu sagen. Zurzeit wandern sie jedenfalls über meinen Körper. Es ist kein sexueller Blick, überhaupt nicht. Genau genommen kann ich seine Gedanken nicht lesen, was für mich ungewöhnlich ist.
Dieser Mann wird von Sekunde zu Sekunde geheimnisvoller. Er steht wie ein Kämpfer da. Das merke ich an seiner Körperhaltung, aber ich habe ihn noch nie hier kämpfen sehen.
Er ist muskelbepackt. Schlank, stark und kräftig. Seine Hände sind schwielig, wie es nur vom Boxen kommen kann. Er räuspert sich, und meine Augen schießen nach oben und
treffen seine. Eine dunkle Energie erwacht zwischen uns knisternd zum Leben, als ich in diese wilden Iris starre.
In ihnen wirbelt eine berauschende und lebendige Palette von Farben, der ich mich nicht entziehen kann. Ich könnte schwören, ein Grau zu sehen, aber im nächsten Moment scheint es sich in ein Blau zu verwandeln und dann wieder zurück. Seine Augen sind gleichzeitig so schlicht, aber auch so schön, wie ich es nicht erwartet habe. Sie sind Fenster zu seinem ansonsten kalten Äußeren.
Gewalt. Lust. Konflikt. Schmerz.
Ich atme ein und versuche, mich davon zu überzeugen, dass mein rasender Herzschlag allein vom Kampf kommt. Der Nervenkitzel vom Wissen, wie nah ich dem Erreichen meines Ziels bin. Denke ich.
Er hat immer noch nichts gesagt. Aber das wird er. Und wenn er seinen Mund öffnet, zweifle ich nicht daran, dass er immer noch einen Akzent haben wird.
Ich ermutige ihn nicht. Stattdessen löse ich meinen Zopf und fahre mit zittrigen Fingern durch meine Haare. Dass ich ihn ignoriere, kommt für ihn wahrscheinlich unerwartet. Ich wette, ein Mann wie er ist es gewohnt, dass sich ihm die Frauen an den Hals werfen. Es gibt einige, die an den Seitenausgängen warten und hoffen, dass er sie bemerkt. Aber sie haben es nicht gewagt, sich ihm zu nähern. Ich bin wohl nicht die Einzige, die von seinem Ruf gehört hat.
Während ich darüber nachdenke, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie Donovan auf mich losgeht. Er knurrt, als er sich auf mich stürzt, das Verlangen nach Zerstörung in seinem Blut.
Ich weiche zurück und bereite mich darauf vor, mich zu verteidigen, aber das ist nicht nötig. Lachlan bewegt sich, wirft seinen Körper gegen Donovans Seite, dreht ihn, zieht ihm den Arm auf den Rücken und hält ihn dort fest. Es bestätigt meinen Verdacht, dass er ein Kämpfer ist. Seiner Geschwindigkeit und
Beweglichkeit nach zu urteilen, ist er ein Naturtalent.
Er lehnt sich nach vorn und flüstert Donovan etwas ins Ohr. Donovan wendet seine mörderischen Augen nicht von mir ab, aber was auch immer Lachlan gesagt hat, holt ihn in die Realität zurück. Er zieht sich widerwillig zurück und murmelt etwas vor sich hin, bevor er weggeht. Es scheint, als wäre es vorbei, aber im Hinterkopf habe ich Angst, dass ich mich später mit ihm befassen werden muss.
Er sieht nicht aus wie ein Typ, der es akzeptiert, von einer Frau besiegt zu werden.
Nach einem Gespräch mit seinen Männern, das außerhalb meiner Hörweite stattfindet, kommt Lachlan mit dem gleichen dunklen Ausdruck auf seinem Gesicht zu mir. Ich gebe es nur ungern zu, aber er ist attraktiv. Er ist auch zurückhaltender, als ich erwartet habe. Ein ruhiges Äußeres, das zu seinem stillen Grübeln passt. Es ist ein völliger Widerspruch zu dem Mörder, der er, wie ich weiß, ist. Er bleibt an dem Betonpfeiler mir gegenüber stehen und hält mit einem neutralen Gesichtsausdruck den Abstand zu mir. „Tut mir leid wegen Donny“, sagt er. „Er ist manchmal etwas schwierig.“
Wie ich vorhergesagt habe, hat er einen Akzent. Ich habe den Charmefaktor allerdings völlig unterschätzt. Es ist selten, dass ich sprachlos bin, aber genau das passiert gerade.
Aber ich kontrolliere meine Gesichtszüge und versuche, unerschütterlich auszusehen. Ich muss mich auf die Russen konzentrieren, erinnere ich mich. „Kein Ding.“
„Ist es nicht allgemein eine ungeschriebene Regel, dass Frauen hier nicht kämpfen?“, fragt er.
„Nun ...“ Ich schenke ihm ein übermütiges Grinsen. „Zum Glück halte ich mich nicht an die Regeln.“ Ich erwarte, dass er reagiert, mir irgendetwas gibt. Ein Lächeln. Ein Zucken. Irgendetwas. Aber ich bekomme nichts.
„Du hast heute Abend einen meiner besten Kämpfer besiegt.“
Ich weiß nicht, ob er es als Kompliment meint oder nicht, aber ich nehme es als solches. „Danke.“
Lachlan bleibt unverändert gleichgültig, und ich weiß wirklich nicht, wie ich ihn dazu bringe, das aufzugeben. Ich muss hier vorsichtig vorgehen. „Ich erinnere mich nicht daran, dass ich dich hier schon einmal gesehen habe, Schmetterling
.“
Die Art und Weise, wie er meinen Kampfnamen betont, klingt wie eine Drohung. Ich hasse es, das anzuerkennen, aber dieser Typ ist einschüchternder, als ich zugeben möchte.
Ich blinzele, während ich mir einen Plan ausdenke. Ich werde die Schwache-kleine-Frau-Karte ausspielen, in der Hoffnung, dass er mir gegenüber weicher wird, wenn ich später wieder auftauche. Ich bezweifele, dass ich ihn irgendwie berühren kann, aber es kann nicht schaden, das zu versuchen.
„Ich kämpfe nur, wenn ich das Geld brauche.“
Lachlan kneift die Augen zusammen, und ich weiß, dass er mir nicht glaubt. Er klopft mit den Fingern gegen seinen Oberschenkel, und für einen Moment frage ich mich fast, ob er nervös ist. Aber dann bemerke ich, wie seine Augen zu einigen Männern auf der anderen Seite des Raumes huschen. Ich drehe mich um, und mein Gesicht verzieht sich angesichts dessen, was ich sehe. Die verdammten Russen. Sie starren mich an, aber einer von ihnen schaut direkt zu Lachlan.
Ich zeige ihnen ein süßes Lächeln und winke ihnen zu. Ich hasse sie. Ich hasse sie alle.
Als ich zu Lachlan zurückblicke, wirkt er angespannt, aber das verschwindet schnell. „Ich muss los“, sagt er. „Bis bald, Schmetterling.“
Ich spanne meinen Kiefer an, um ihn davon abzuhalten, aufzuklappen. Ich hatte gehofft, dass er mich wenigstens auf einen Drink einlädt. Nach meiner Telefonnummer fragt. Sonst etwas. Aber diese direkte Abweisung tut mehr weh, als ich zugeben möchte. Ich wusste, dass ich mit einem seiner
Soldaten hätte flirten sollen, aber er hat den Plan komplett durchkreuzt.
„Ja“, grummle ich. „Bis bald.“