Es dauert eine Weile, bis ich mich von meinem Schreck erholt habe. Doch dann kapiere ich allmählich, dass Ona es gar nicht so gemeint hat. Nie im Leben käme sie darauf, dass ich tatsächlich diejenige bin, die ihre Wünsche erfüllt. Für sie geistern Wesen wie ich allenfalls durch die Bücher in ihrem Regal.
»Ich wette, meine Mutter hat die Klamotten heimlich in den Schrank gelegt«, erklärt sie mir. »Bestimmt wollte sie testen, ob ich es merke.« Sie verdreht die Augen. »Wenn du nicht alles so schön geordnet hättest, wären sie mir garantiert nie aufgefallen.«
Ich zucke seufzend mit den Schultern.
»Du bist mein Talisman«, sagt sie lächelnd. »Mein Glücksbringer. Vielleicht verdiene ich das alles auch nur, weil ich dich bei mir wohnen lasse.« Sie fasst sich an die Stirn und schreit auf: »Meine Güte, was bin ich nur für ein Hornochse! Ich habe völlig vergessen, dir etwas zu essen mitzubringen. Du musst ja schon halb verhungert sein!«
»Kein Problem«, sage ich und überlege fieberhaft, wie ich mich jetzt wieder rausrede. »Äh … Ich faste ab und zu ganz gerne«, behaupte ich schließlich.
»Aber das ist in unserem Alter total ungesund«, wendet Ona ein. »Nein. Nein.« Sie schüttelt energisch den Kopf. »Ich schau noch mal in der Küche nach, ob ich nicht doch noch schnell etwas für dich stibitzen kann.«
»Ach, Quatsch«, erwidere ich. »Ich brauche wirklich nichts.«
Zumindest nichts aus der Menschenküche. Allerdings komme ich inzwischen auch erstaunlich gut ohne Federwolken, Sternenkekse oder Sonnenstrahlauflauf aus.
Doch Ona lässt sich nicht aufhalten. Sie hat bereits ihre Zimmertür geöffnet und lauscht nun in den Flur hinaus. »Kein Geschirrgeklapper mehr«, raunt sie mir zu. »Vielleicht haben wir Glück und Mam ist bereits mit anderen Dingen beschäftigt.«
»Okay, okay«, sage ich. »Aber höchstens einen Apfel. Mehr kriege ich im Augenblick sowieso nicht runter.«
Vor allem könnte ich den weitaus problemloser entsorgen als beispielsweise eine Portion Bratkartoffeln und Rührei mit dazugehörigem Besteck und Geschirr.
»Und was möchtest du trinken?«, fragt Ona, als sie schon halb aus dem Zimmer geschlüpft ist.
»Ein Apfel enthält doch wohl mehr als genug Flüssigkeit«, zische ich ihr zu, heilfroh darüber, dass ich in Speisenkunde so gut aufgepasst habe.
»Du bist wirklich total plemplem«, sagt Ona und zieht die Tür leise hinter sich zu.
»Miiiauuu!«, macht Louie.
Er hockt neben der Terrassentür und stiert mich vorwurfsvoll an.
»Ach, du willst raus«, sage ich und grinse ihn an. »Zu blöd aber auch, dass ich nicht dein persönlicher Wunschgeist bin, was?«
Ich erbarme mich trotzdem und öffne ihm die Tür. Er faucht mich noch einmal böse an und verschwindet dann hastig unter den tief hängenden Zweigen eines rot blühenden Strauchs.
Es dauert nicht lange, bis Ona zurückkehrt, und natürlich hat sie mehr als nur einen Apfel dabei.
»Die Reste vom Mittagessen hat meine Mutter bereits im Kühlschrank verstaut«, meint sie entschuldigend, während sie drei Äpfel, eine Banane, eine Flasche Orangensaft und eine Keksschachtel auf ihrem Schreibtisch platziert.
»Danke«, sage ich. »Und was machen wir jetzt?«
»Na, erst mal wirst du gefälligst etwas essen«, meint Ona.
»Ich würde aber viel lieber zum Strand gehen«, widerspreche ich.
Ona lässt sich in ihren Plüschsessel plumpsen und sieht mich nachdenklich an.
»Die Essenssachen können wir ja mitnehmen«, beeile ich mich vorzuschlagen.
»Darum geht es gar nicht«, sagt sie und schaut auf einmal ziemlich geknickt aus.
»Sondern?«, taste ich mich vor.
Sie sieht mich kurz an und widmet sich dann einem kleinen Loch in ihrer Jeans.
»Ich möchte nicht zum Strand«, sagt sie schließlich.
Aber ich!, brüllt es in mir.
»Warum nicht?«, rufe ich aufgebracht.
Erschrocken blickt sie mich an. »Das ist ja wohl meine Sache.«
Ja klar. Natürlich. Ich würde es nur gerne verstehen. Vielleicht könnte ich sie dann doch noch überreden. Aber leider habe ich mich nicht unter Kontrolle.
»Ich möchte aber gerne!«, platzt es aus mir heraus.
»Das kannst du ja auch«, erwidert Ona.
»Du meinst, ich darf auch alleine … ?«
»Klar. Wieso denn nicht?« Ona schüttelt unwillig den Kopf. »Du bist ein freier Mensch. Du kannst gehen, wohin du willst.«
Ungläubig starre ich sie an. Wie sehr habe ich diesen Moment herbeigesehnt und jetzt kann ich mein Glück kaum fassen.
»Du bist also ganz bestimmt nicht böse, wenn ich jetzt verschwinde?«, frage ich und deute auf die Terrassentür.
»Nö.« Ona grinst. »Aber spätestens heute Abend um sieben bist du wieder hier. Ist das klar?«
Ich halte die Luft an, weil mir sonst auf der Stelle ein Freudenschrei entweichen würde. Immerhin habe ich den Nachmittag zur freien Verfügung. Das ist schließlich mehr als ich erwartet habe, und ich täte gut daran, mir diese Chance nicht zu vermasseln.
Und so mache ich ein paar schnelle Schritte auf die Tür zu. »Bis später!«, höre ich mich zwitschern, dann stehe ich bereits draußen.
»Ginie«, sagt Ona und berührt mich an der Schulter.
Ich wirbele herum. »Was ist denn noch?«, fahre ich sie an.
»Bist du jetzt sauer?«, krächzt sie.
»Quatsch! Wieso?«
»Natürlich bist du’s«, erwidert sie. »Wäre ich an deiner Stelle ja auch. Aber du musst mir glauben, es ist nicht so, dass ich dir nicht vertraue«, sprudelt es auf einmal wie ein Wasserfall aus ihr hervor. »Die ganze Sache ist eher unangenehm. Peinlich, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Nee«, sage ich ungeduldig.
Ona senkt den Kopf und stiert auf ihre Füße. Schließlich holt sie geräuschvoll Luft und richtet den Blick genau in meine Augen.
»Darf ich dich was fragen?«
»Klar doch.« Hauptsache, es geht schnell.
»Und du lachst mich auch ganz bestimmt nicht aus?«
»Nein!«
»Also gut«, druckst sie und ihr Blick gleitet runter auf meinen Hals. »Bist du schon mal verliebt gewesen?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ja … glaub schon.«
»Ich meine, so richtig«, fährt Ona fort. »So, dass du an nichts anderes mehr denken kannst als immer nur an ihn und dass dir alles andere egal ist?«
»Ja«, sage ich, und bemühe mich, mir nicht anmerken zu lassen, dass sie mir gerade aus der Seele spricht. Der Junge mit dem süßen Lächeln soll nämlich mein Geheimnis bleiben. Ihn und das, was ich für ihn empfinde, möchte ich mit niemandem teilen.
»Gut«, sagt Ona und plötzlich lächelt sie mich offen an. »Dann gehe ich mit dir zum Strand. Ich muss dir nämlich was erzählen. Und vielleicht kann ich ihn dir sogar zeigen.«
»Er heißt Luca«, erzählt Ona mir, als sie wenig später von ihrem Fahrrad steigt.
»Wer?«, frage ich, löse meine Beine, die ich der Bequemlichkeit halber im Lotussitz untergeschlagen hatte, und springe vom Gepäckträger.
»Äh …« Irritiert deutet Ona auf meine Füße. »Wieso …?«
»Ich hatte keine Lust, sie herabbaumeln zu lassen«, antworte ich, ehe sie ihre Frage ausgesprochen hat. »Das finde ich schrecklich anstrengend.«
»Hm«, macht Ona. »Also, ich stelle es mir viel anstrengender vor …«
»Wolltest du mir nicht von Luca erzählen?«, unterbreche ich sie, denn ich habe wirklich keine Lust, mich über Sitzpositionen zu unterhalten.
»Ja, schon.« Ona lächelt ein wenig verkrampft und ihre Wangen glühen zartrosa auf. »Du musst mir aber etwas versprechen«, sagt sie eindringlich.
»Alles«, sage ich, ohne auch nur annähernd so rot zu werden wie sie.
»Du darfst mich nicht auslachen.«
»Wegen Luca?« – Wieso sollte ich?
Ona nickt. »Alix und Billie kapieren einfach nicht, wie wichtig mir das ist. Ständig machen sie blöde Andeutungen, kichern rum und so«, sagt sie und nimmt den kleinen Henkelkorb vom Lenker, in dem sie den Orangensaft, die Äpfel, die Banane und die Keksschachtel verstaut hat. »Kannst du dir vielleicht denken.«
Allerdings.
»Und wer ist jetzt dieser Luca?«, erkundige ich mich.
Ona drückt den Henkelkorb an ihre Brust. »Der süßeste Junge der Welt«, haucht sie.
Das kann gar nicht sein. Der süßeste Junge der Welt ist der mit dem Lächeln, der, den ich am Strand gesehen habe und den eigentlich auch Ona … Oh nein! Wie konnte ich nur so himmelschreiend dusselig sein!
»V-vielleicht sollten wir besser wieder umkehren«, stottere ich.
»Warum denn das auf einmal?«, fragt Ona.
Ich zaubere eine jämmerliche Miene in mein Gesicht und presse ein gequältes »Mir ist schlecht« hervor.
Ona mustert mich besorgt. »Du hättest vorhin doch schon etwas essen sollen.«
»Nein, ich habe keinen Hunger«, entgegne ich, nehme ihr den Korb aus der Hand und hänge ihn über den Lenker zurück. »Ich möchte jetzt nach Hause.«
»Ich aber nicht«, erwidert Ona trotzig. »Außerdem siehst du gar nicht so aus, als ob dir schlecht wäre.«
»Das ist immer so bei mir«, versuche ich ihr weiszumachen. »Man sieht es mir nicht an.«
»Ach, Ginie, Mensch. Ich möchte ihn dir doch nur ganz kurz zeigen«, bettelt sie. »Vielleicht hast du eine Idee, wie ich ihn kennenlernen könnte.«
Aber du kennst ihn doch schon, liegt es mir auf der Zunge zu sagen. In buchstäblich letzter Sekunde verwandle ich es in einen lang gezogenen, tiefen Seufzer, dem ich »Aber ich habe doch überhaupt keine Ahnung von Jungs« hinzufüge.
»Ich glaube, das ist egal«, meint Ona und zwinkert mir vielsagend zu. » … Glücksbringerin.«
Ich seufze noch einmal, denn ich weiß, dass es sinnlos ist, mich noch länger gegen ihren Wunsch zu sträuben.
»Den Fresskorb lassen wir aber hier«, mache ich zur Bedingung.
»Spinnst du!«, erwidert Ona. »Der wird garantiert geklaut!«
Umso besser! Dann wäre ich wenigstens dieses Problem schon mal los.
»Entweder oder«, beharre ich und Ona willigt murrend ein. »Aber wenn er weg ist, musst du ihn ersetzen«, fügt sie hinzu. »Er gehört nämlich meiner Mutter.«
»Aye, aye, Mylady«, sage ich und folge ihr zögernd den schmalen ausgetretenen Weg zum Steinwall hinunter. Dahinter liegen der nahezu wolkenlose tiefblaue Himmel, das Meer, der Horizont und der kilometerlange Sandstrand.
»Oh, mein Gott, er ist da«, stößt Ona hervor. »Siehst du, dahinten steht er.«
Mein Blick folgt ihrem ausgestreckten Finger und ich sehe ihn circa zweihundert Meter von uns entfernt auf dem Steinwall herumklettern. Er ist winzig klein und trotzdem erkenne ich ihn sofort. Augenblicklich schnellt mein Puls in die Höhe.
»Bist du sicher?«, frage ich mit bebender Stimme.
»Ginie, ich würde ihn unter Millionen erkennen«, entgegnet Ona fast ein wenig empört. »Ich bin sicher, ich würde ihn sogar entdecken, wenn er auf dem Mond herumspaziert.«
»Du übertreibst«, sage ich nüchtern.
»Und du weißt offenbar doch nicht, wie es sich anfühlt, wenn man so richtig und aus vollem Herzen verliebt ist«, erwidert sie vorwurfsvoll.
»Dann sollten wir jetzt wieder zurückgehen«, sage ich. »Wenn ich dir sowieso nicht helfen kann.«
»Kommt überhaupt nicht infrage«, protestiert sie, hakt sich bei mir unter und zieht mich energisch weiter. »Du musst ihn dir auf jeden Fall anschauen. Und du musst ernst bleiben, darfst keine dummen Sprüche machen und vor allem nicht blöd rumkichern.«
Ja, ja, ja. Die Programmierung Flaschengeist Ginie erfüllt Kennenlernwunsch von Ona läuft bereits auf vollen Touren. Ich habe doch längst kapiert, was sie will!
Nachdem wir den Steinwall bezwungen haben und an den Strand hinuntergeklettert sind, zieht Ona sich ihre Sandalen aus und läuft barfuß weiter.
Ich werfe einen Blick auf meine Glitzerballerinas und beschließe, sie anzubehalten. Vielleicht gefallen sie Luca ja.
Luca, Luca, Luca … denke ich sehnsüchtig. Ich finde, es ist ein sehr hübscher Name, der wunderbar zu diesem Jungen mit dem süßen Lächeln passt.
»Warum ziehst du deine Schuhe nicht aus?«, fragt Ona. »Es fühlt sich echt toll an, durch den warmen weichen Sand zu laufen.«
Ich schüttele den Kopf und fixiere den Jungen auf dem Steinwall, der uns einen flüchtigen Blick zugeworfen hat, nun allerdings so tut, als ob er uns nicht gesehen hätte. »Nö, keine Lust«, sage ich und blicke auf ihre nackten Füße hinab.
Ich bemerke, wie der Sand aufgewirbelt wird und zwischen ihren Zehen hervorquillt. Und ich bemerke natürlich auch, dass sie ihre Fußnägel pinkfarben angemalt hat. Es sieht sehr hübsch aus. Plötzlich verlangsamt sie ihren Schritt und krallt sich an meinem Arm fest. »Wir sind gleich da.«
Ach nee!
»Und jetzt?«, wispere ich, während ich mich aus ihrem Griff befreie.
»Jetzt soll er mich bemerken.«
Alles klar!
Luca dreht sich um, vertritt sich und stürzt fast von den Steinen herunter.
»Oh!«, ruft Ona. »D-das wollte ich nicht!«
Luca läuft knallrot an, paddelt ziemlich übertrieben mit den Armen, fängt sich jedoch sofort wieder. Dann lächelt er, und ich merke, wie sich auch meine Mundwinkel automatisch nach oben biegen.
»Hi«, sagt er. »Aber du kannst doch gar nichts dafür.«
Ona senkt beschämt den Kopf.
»Klar, kann sie das«, sage ich und sofort schnellt Onas Kopf wieder hoch. »Sie hat dich doch gerufen!«
»Was?«, sagt Luca. »Hab ich gar nicht gehört.«
Ona tritt mir ziemlich heftig auf die Zehen, doch ich beachte sie nicht.
»Vielleicht hast du es unbewusst wahrgenommen«, sage ich zu ihm.
Er sieht von mir zu ihr und zuckt mit den Schultern. Dann macht er einen großen Schritt, setzt seinen Fuß auf einen flachen Stein und springt zu uns in den Sand herunter.
»Und woher weißt du, wie ich heiße?«, fragt er.
»Äh …«, fängt Ona an zu stammeln.
»Weiß sie eben«, sage ich. »Woher ist doch egal, oder?«
Luca wendet sich wieder mir zu. »Dich habe ich hier noch nie gesehen.«
»Stell dir vor, und ich weiß trotzdem, wer du bist«, erwidere ich und schenke ihm mein schönstes Lächeln. »Luca.«
Er lächelt zurück, so süß und strahlend, dass ich glatt mit dem Sand verschmelzen könnte.
»Wo hast du denn deine beiden anderen Freundinnen gelassen?«, fragt er Ona.
Erwartungsgemäß lautet ihre Antwort: »Äh …«
»Vermisst du sie etwa?«, entgegne ich.
Wieder zuckt Luca mit den Schultern. »Es interessiert mich bloß.«
»Aha«, sage ich. »Und mich würde interessieren, warum du hier immer alleine herumläufst.«
Wieder saust Onas Kopf in meine Richtung. Ich spüre geradezu körperlich, wie sehr sie sich einen Kommentar verkneifen muss.
»Mein bester Freund ist krank«, antwortet Luca. »Und meine anderen Kumpels haben offenbar Besseres zu tun.«
»Und was?«, frage ich.
»Na ja, wie soll ich das erklären…?«, druckst er. »Sie meiden die Sonne. Hängen lieber hinter verschlossenen Vorhängen rum, wenn du verstehst, was ich meine.«
Nein.
»Ja, klar«, sagt Ona. »Lan-Party und so.«
Jetzt lächelt Luca sie an. »Genau.«
»Aber du machst dir nichts draus?«, erkundigt sie sich.
Moment mal. – Ich glaube, ich kann dem Gespräch nicht mehr ganz folgen, und das fühlt sich alles andere als gut an. »Hier draußen am Meer ist es doch auch viel schöner«, sage ich also hastig dazwischen.
Luca nickt mir kurz zu und sieht dann wieder Ona an. »Sowieso.«
»Was machst du denn eigentlich den ganzen Tag am Strand?«, beeile ich mich zu fragen.
»Na ja … spazieren gehen. Schauen, wer so alles da ist…«, zählt er auf. »Ich glaube, deine beiden Freundinnen habe ich vorhin auch schon gesehen.«
»Alix und Billie?«
»Wenn sie so heißen …«
»Ja, so heißen sie«, sage ich. »Inzwischen bin ich aber Onas beste Freundin.«
»Ona …« Luca bohrt seinen Blick geradezu in meine Herrin hinein. »Das ist aber ein ungewöhnlicher Name!«
»Stimmt«, sage ich. »Und er bedeutet, dass sie mit Glück und Reichtum gesegnet ist.«
Luca grinst. »Ist ja cool.«
Oje! Da ist meine Zunge wohl wieder mal einen Tick zu schnell gewesen! »Na ja, was eben in diesen alten Namensbüchern so steht«, füge ich hastig hinzu. »Mit dem richtigen Leben hat das ja nicht viel zu tun.«
»Sag mal, bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen!«, schnauzt Ona mich an, nachdem Luca sich verabschiedet hat und wir bei ihrem Fahrrad ankommen. »Wie konntest du nur so etwas sagen!«
Ich setze eine Unschuldsmiene auf und flöte: »Was meinst du?«
»Jetzt stell dich mal nicht blöder als du bist«, regt sie sich auf. Vor lauter Wut registriert sie nicht einmal, dass der Henkelkorb noch immer an ihrem Lenker baumelt. »Du bist ja schlimmer als Alix und Billie zusammen!«
»Aber ich habe nicht ein einziges Mal gekichert«, halte ich dagegen.
»Dafür hast du ständig das Gespräch an dich gerissen«, wirft sie mir vor. »Und zum Schluss dann noch dein dämlicher Kommentar zu den Namensbüchern!« Ona verpasst dem Fahrradständer einen wütenden Tritt und stößt ein wildes Schnauben in den Sommerhimmel. »Den hättest du dir ja wohl echt schenken können!«
»Also, ich verstehe dich nicht«, erwidere ich gelassen. »Du wolltest, dass Luca dich bemerkt, und das hat er.«
»Ja, aber du hast mich ja gar nicht richtig mit ihm reden lassen!«
»Ach so«, sage ich. »Ähs stammeln nennst du also reden? Okay, das nächste Mal weiß ich Bescheid. Da werde ich dich dann einfach weiter rumstammeln lassen. Das macht bestimmt einen superguten Eindruck.«
Innerhalb von Sekundenbruchteilen ist Ona käsebleich um die Nase. »Tut mir leid, Ginie«, sagt sie, und ehe ich mich versehe, baumelt sie mir am Hals und schmatzt mir feuchte Küsse ins Gesicht. »Du bist sooo toll. Und ich … ich bin so egoistisch und so dämlich und so …«
»Schon gut«, würge ich sie ab. Denn meinetwegen muss sie sich nun wirklich nicht klein machen. Hauptsache, sie jagt mich nicht zum Teu… O verdammt! Ich hab es schon wieder vergeigt! Himmel, Harfenklang und Wolkenbruch. Was ist nur mit mir los? Das wäre doch die Chance gewesen, endlich freizukommen!
»Ginie, du bist wirklich die beste Freundin, die man sich nur vorstellen kann«, sagt sie und sieht mir so tief in die Augen, dass mir ganz schwindelig wird.
»Ja, ja«, sage ich und befreie mich aus ihrer Umarmung. »Das nächste Mal kriegst du es garantiert auch alleine hin. Luca ist doch ein netter Junge, mit dem man sich bestimmt gut unterhalten kann. Du darfst nur nicht so nervös sein.«
Ich bin es schließlich auch nicht und ich hätte mindestens genauso viel Grund dazu wie sie.
»Du hast recht, Ginie«, jubelt Ona, klatscht in die Hände und fängt an, auf der Stelle herumzuhopsen. Ihre Augen strahlen wie die Kristallleuchter in meiner Schule und sogar die dunklen Punkte in ihrem Gesicht scheinen auf und ab zu tanzen. »Wir müssen uns etwas richtig Cooles einfallen lassen. Wenn ich Luca das nächste Mal treffe, möchte ich mich nämlich nicht bloß mit ihm unterhalten«, eröffnet sie mir.
»Sondern?«, frage ich in äußerst unguter Erwartung.
»Ich wünsche mir, dass er mich küsst«, sagt sie und nun glitzern ihre Augen wie Tautropfen im Sonnenlicht. »Jawohl, Ginie, das wünsche ich mir!«