Ich bin so froh und so dankbar!
Okay, Luca hat mich nicht geküsst. Er hat sich auch nicht verabschiedet. Eigentlich hat er mich nicht einmal mehr richtig angesehen, sondern ist einfach vom Stein gesprungen und in langen Sätzen über den Steinwall davongelaufen.
Egal.
Im Augenblick zählt nur, dass Alix und Billie mit Ona verkracht sind. Sie werden ihr bestimmt nicht auf die Nase binden, was sie beobachtet haben. Und selbst wenn sie es wollten, bin ich immer noch schneller als sie. Ich werde zuerst bei Ona sein und ihr alles erklären.
»Aber die Wahrheit wirst du ihr wohl wieder nicht sagen«, höre ich Joshas Stimme in meinem Ohr.
Ich brauche mich nicht umzuwenden, ich weiß auch so, dass er da ist. Nebeneinander rasen wir durch die Luft, so schnell, dass kein Mensch uns bemerkt.
»Sag mir endlich, wer du bist«, presse ich hervor.
Josha lacht. »Wieso? Du weißt es doch.«
»Nein, keine Ahnung!«
»Dann denk mal ein bisschen nach!«
»Pah!«, schnaube ich. »Ehrlich gesagt, es interessiert mich gar nicht.«
Josha kichert leise in sich hinein. »Und wieso fragst du dann dauernd?«
»Das war bloß der Schreck«, entgegne ich harsch.
»Weil ich so plötzlich neben dir war?«, erwidert er neckisch. »Und weil ich genauso flink bin wie du?«
»Pah!«, mache ich noch einmal und versuche, schneller zu sein als er. Doch es gelingt mir nicht. Josha bleibt an meiner Seite, als ob wir durch ein unsichtbares Seil miteinander verbunden wären.
»Was willst du von mir?«, fauche ich ihn an. »Mich bis an mein Lebensende verfolgen?«
»Schon möglich.«
Josha zwinkert mir zu. Er winkelt die Arme an und hebt sie vor seine Brust. Breit grinsend fängt er an, sich um sich selbst zu drehen. Schneller und immer schneller, bis nur noch ein Kreisel aus bunten Schlieren von ihm übrig ist. Und dann – mit einem leisen Zwiiisch – ist er verschwunden.
Ich mache eine Vollbremsung und lande keuchend in Onas Garten.
Mein Herz rast und in den Ohren höre ich mein Blut pulsieren. Trotzdem ist mir eiskalt. Ich bibbere und klappere am ganzen Körper. So elend habe ich mich noch nie gefühlt und schuld daran ist nur dieser vermaledeite Josha. Ich schließe die Augen und stoße ein dunkles Grollen aus, das prompt mit einem wütenden Fauchen beantwortet wird.
Louie. – Natürlich! Er hockt direkt über mir auf dem Verandadach und blitzt mich aus seinen schmalen grünen Augen misstrauisch an.
»Hau ab, Kater«, knurre ich. »Lass mich in Ruhe! Ich habe keine Lust mehr, nur noch von Wesen umgeben zu sein, die mich nicht ausstehen können.«
Ich starre in Louies schwarzes haariges Gesicht und schlagartig wird mir klar, wer Josha sein könnte. Denn genau genommen gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat Madame Ludmille ihn mir auf den Hals gehetzt, um mich zu kontrollieren, oder – und das ist bei näherer Betrachtung viel wahrscheinlicher – er ist Lucas Wunschgeist!
Ich lehne mich gegen das mit blauvioletten Blüten bewachsene Rankgitter und versuche, meine Gedanken zu ordnen. Je länger ich über die Bedeutung meiner Erkenntnis nachsinne, umso bewusster wird mir, welch ein Glück ich bisher hatte. Denn wäre Josha mir mit Lucas Wunscherfüllung zuvorgekommen, wären er und Ona schon lange ein Paar.
Der Umstand jedoch, dass es mir gelungen ist, Ona zu verunsichern und gleichzeitig Luca für mich einzunehmen, beweist doch, wie unbedacht manche Wünsche sind.
Nein, es führt kein Weg daran vorbei: Ich muss mit meiner Herrin reden. Früher oder später wird sie es sowieso erfahren. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass Alix und Billie auf ewig ihr Lästermaul halten. Und da ist es schon besser, wenn Ona von mir erfährt, dass ich Luca mindestens ebenso gern mag wie sie ihn.
Ona ist ein feiner Kerl, sie wird ihn mir gönnen. Da bin ich ganz sicher. Außerdem kann sie sich schließlich jederzeit einen anderen wünschen.
Ein sanfter Freudenstrahl durchflutet mich und lässt meinen Herzschlag allmählich zur Ruhe kommen. Heya, das Leben ist gar nicht so kompliziert, wenn man die Lösung kennt: Sobald Ona sich Luca aus dem Kopf geschlagen hat und sich womöglich sogar wünscht, dass ich mit ihm glücklich werde, und Luca seinerseits endlich kapiert, dass ich ihm nur deshalb nicht geheuer bin, weil er in mich verknallt ist, dann wird Josha ein ziemlich dummes Gesicht machen. Und darauf freue ich mich schon jetzt.
Ona hockt im Schneidersitz auf ihrem Bett und starrt vor sich hin. Ihr Zimmer ist perfekt aufgeräumt. Nicht eine Münze, Haarspange oder Muschel liegt auf dem Boden herum. Alles scheint an seinem Platz zu sein.
»Hi«, sage ich und setze mich zu ihr auf die Bettkante.
Ona richtet ihre dunklen Augen auf mich.
»Hau ab«, sagt sie. »Verpiss dich!«
»Aber…«, wende ich überrascht ein. »Wieso?«
Das kann unmöglich ihr Wunsch sein!
»Wieso? Wieso?« Ruckartig springt Ona auf und stößt mich dabei fast vom Bett herunter. »Wenn du es genau wissen willst«, faucht sie mich an. »Alix und Billie haben angerufen. Ich weiß jetzt, wer das Mädchen ist, mit dem Luca sich trifft. – DU!«
»Genau darüber wollte ich gerade mit dir reden«, beeile ich mich zu sagen.
»Das ist zu spät, Ginie!«, schreit sie los. »Du hättest es mir gleich erzählen sollen.«
»Aber das ging doch nicht«, verteidige ich mich. »Ich …«
»Ach nein?«, fährt Ona mir dazwischen. »Und warum nicht? Wieso musstest du dich erst bei mir einschmeicheln? Hättest du dir Luca nicht krallen können, ohne dich vorher mit mir anzufreunden?«
»Nein, ich … Es ist alles ganz anders. Ich …«
Doch wieder lässt sie mich nicht ausreden.
»Gib dir keine Mühe. Ich kenne die Antwort«, sagt Ona. »Du bist kein Glücksbringer. Du bist abgrundtief böse. Eine Diebin nämlich und eine Lügnerin. Meine Mutter hat mit deinem Onkel gesprochen. – Er kennt dich überhaupt nicht. Und die alte Frau Lindemann von gegenüber, die hat dich schon eine ganze Weile vor unserem Grundstück herumlungern sehen. Du hast dich hier eingeschlichen. Und was das Schlimmste ist: Ich habe dir vertraut.« Onas Stimme, die eben noch wütend und stark geklungen hat, hört sich auf einmal an, als ob sie in hunderttausend Splitter zerbrochen wäre. »Ich hab dich gemocht, Ginie«, stößt sie unter Tränen hervor. »Ich hab gedacht, du bist meine Freundin. Die beste, die ich je hatte.«
»Aber ich bin doch deine Freundin«, rufe ich. »Ich bin sogar viel mehr als das! Du musst genau hinschauen, dann kommst du von ganz alleine drauf.«
Ona sieht mich an und schüttelt den Kopf.
»Hau ab«, sagt sie. »Ich will dich nie wiedersehen. Ich hasse dich. Ich hasse dich!«
Ein riesiger eiskalter Sog packt mich und reißt mich von den Füßen. Ich weiß sofort, dass jetzt etwas Schreckliches, etwas Unwiderrufliches passieren wird. Verzweifelt strampele ich mit Armen und Beinen und versuche, mich dagegen zu wehren. Um mich herum ist alles dunkel und mit jedem Atemzug scheint es immer noch schwärzer zu werden. Ich habe nicht die geringste Vorstellung, wo ich bin. Ich habe einfach nur Angst.
Madame Ludmille, bitte hilf mir!, brüllt es aus all meinen Poren.
Dabei ist mir klar, dass es keine Hilfe mehr gibt. Ich habe verloren. Verloren, weil ich versagt habe.
Nimm deine Aufgabe ernst und lass dich nicht verführen. Denn sonst wirst du nie wieder nach Hause zurückkehren können! – Das hat meine Direktorin zu mir gesagt, bevor sie mich in das Gurkenglas zwang und zu den Menschen hinunterwarf.
Selber schuld, Ginie. Jetzt hast du ausgespielt. So fühlt es sich also an, wenn ein Flaschengeist sein Leben verliert. Dunkel und grausam.
Ona hat ganz recht: Ich bin eine Diebin und eine Lügnerin. Schlimmer sogar noch. Ich habe mir eingebildet, das Schicksal selbst lenken zu können.
Vielleicht ist es sogar ganz gut, dass ich nicht mehr zurückkann, ich könnte Romeo, Putilla und den anderen ohnehin nicht in die Augen sehen.
Oh, verdammt, soll diese Schwärze mich doch auffressen, aber – »bitte, bitte nicht, bevor ich die wichtigste Aufgabe meines Lebens erledigt habe«.
Kaum habe ich diesen Wunsch ausgesprochen, werde ich an den Haaren gepackt und erneut fortgerissen. Es tut nicht weh, es zeigt mir nur, wie winzig und bedeutungslos ich bin.
Hast du es denn noch immer nicht kapiert, Ginie? Es ist nicht an dir, irgendwelche Wünsche zu äußern. Du hast absolut nichts zu melden.
Noch einmal sehe ich Ona vor mir. Ich blicke in ihr wütendes, verheultes Gesicht. Und ich spüre ihre Enttäuschung so stark, dass es mir fast das Herz zerreißt. Es gibt wirklich und wahrhaftig nichts, was mir jemals so sehr wehgetan hat.
Das Allerschlimmste aber ist, dass ich es nicht wiedergutmachen kann.
Ona hat mich fortgeschickt. Ich habe keine Gebieterin mehr. Und auch keine Heimat. Ich gehöre nirgendwohin und werde nie wieder irgendetwas bewirken können.
»Das musst du mir ein wenig genauer erklären«, sagt Josha und mit einem Schlag ist es wieder hell um mich herum.
Verdattert gucke ich ihn an. »Was machst du denn hier?«
Josha verdreht die Augen. »Du hast es also noch immer nicht gecheckt.«
»Was?«
»Na, zum Beispiel, wer ich bin«, erwidert er stöhnend. »Was mit dir passiert ist. Wo wir hier sind …«
Ja, wo sind wir überhaupt? Ein wenig erschrocken sehe ich mich um.
Es ist seltsam hell an diesem Ort. Milchig-weiß, luftig und dennoch undurchdringlich. Ich spüre keinen festen Boden unter den Füßen und trotzdem werde ich irgendwie gehalten.
»Okay, wo sind wir also?«, frage ich.
»Dazwischen«, ist Joshas Antwort. Er steht jetzt genau vor mir. Sein Gesicht ist ziemlich schmal und viel blasser und durchscheinender als ich es in Erinnerung habe. Außerdem wirkt er älter und irgendwie weiser.
»Wir sind nicht mehr auf der Erde«, sage ich.
»Das war nicht schwer zu erraten«, erwidert er.
»Du bist Lucas Wunschgeist, stimmt’s?«
»Was? Ich?« Josha lacht laut heraus und überschlägt sich in einem doppelten Rückwärtssalto. Im Gegensatz zu ihm kann ich mich überhaupt nicht bewegen, sondern hänge in dieser hellen milchig-weißen Masse fest. »Genau«, höhnt er, »deshalb bin ich auch gerade hier bei dir.«
»Dann hat Madame Ludmille dich geschickt«, sage ich.
Josha nickt. »Das trifft es schon eher.«
Hab ich es doch geahnt!
»Du solltest mich überwachen, und jetzt bist du gekommen, um mich zu bestrafen.«
»Dazu hätte ich in der Tat nicht übel Lust«, meint Josha. »Aber du weißt inzwischen ja selber, wie das mit uns Geisterwesen ist: Wonach es uns gelüstet, interessiert einfach niemanden.«
»Du wirst mich also nicht bestrafen?«, frage ich erstaunt.
Josha schüttelt den Kopf. »Nein.«
»Und du bringst mich auch nicht zu Madame Ludmille?«
»Wäre das meine Aufgabe gewesen, wärst du längst dort«, sagt er. »Ich fürchte allerdings, sie will dich nicht sehen.«
»Okay, und was machen wir dann hier?«, entgegne ich. »Rumhängen?«
»Ganz sicher nicht«, erwidert Josha. »Dafür gibt es viel zu viel zu tun. Und wir sollten besser keine Zeit verlieren.«
»Ich verstehe nicht …«
»Dann sag mir doch einfach, was du jetzt am liebsten tun würdest«, versucht er mir auf die Sprünge zu helfen.
»Äh … aber, ich kann doch sowieso nichts mehr ausrichten«, stammele ich.
»Du vielleicht nicht, aber ich.«
»Heißt das, du würdest alles, was ich vermasselt habe, wieder geraderücken?«
Josha zuckt mit den Schultern und grinst. Und mit einem Mal sieht er wieder genauso jung und unternehmungslustig aus wie auf der Erde. »Nicht unbedingt alles.«
»Aber das Wichtigste…?«, frage ich leise.
»Wenn du mir verrätst, was das ist …«
Und ob ich das tue!
Das größte Problem an der Sache ist Onas Wunsch, mich nie wiedersehen zu wollen. Es könnte so einfach sein, wenn sie mir wieder vertrauen würde. Aber das ist Schnee von gestern. Und dazu gehört leider auch der Wunsch, den ich ihr bisher noch immer nicht erfüllt habe.
»Niemand kann etwas bereits Geschehenes wieder rückgängig machen«, erklärt Josha mir, und selten hat mir etwas derartig eingeleuchtet.
Warum auch immer – jedenfalls bekomme ich gerade die Chance, wenigstens etwas davon wiedergutzumachen.
Die Mittel, über die ich als Flaschengeist verfügen konnte, sind für mich jetzt allerdings nicht mehr nutzbar. Ohne Gebieter keine Zauberei, so simpel ist die Regel. Aber ich will mich nicht beklagen: Eine Chance ist immerhin eine Chance und tausendmal mehr als das, womit ich gerechnet habe.
Natürlich weiß ich noch immer nicht, was hinterher mit mir geschehen wird, aber darüber kann ich mir später Gedanken machen. Jetzt will ich erst einmal alles tun, was in meiner beschränkten Macht steht, um meinen größten Fehler zu korrigieren.
»Könntest du mir einen Tipp geben?«, frage ich Josha, woraufhin er mich kritisch beäugt.
»Bist du sicher, dass du das möchtest?«
Ich seufze und verdrehe die Augen und öffne schließlich den Mund, doch er ist schneller.
»Du solltest dir das wirklich sehr gut überlegen«, sagt Josha mit äußerst ernster Miene.
»Warum?«
»Erstens ist nachdenken immer gut und zweitens darf ich dir darauf leider keine Antwort geben.«
Na toll!
Aber okay. Ich habe es zwar nicht kapiert, aber verstanden. Ich werde meine Klappe halten und ihn nicht noch einmal um Rat fragen.
Ich werde mich hinsetzen und nachdenken. Und dann wird mir zum Teufel noch mal auch etwas einfallen.
Es muss einfach!
Der Strand ist der Ort, an den Madame Ludmille mich geschickt hat. Es ist der Ort, an dem ich Ona und Luca zum ersten Mal traf. Und hierhin hat auch Josha mich zurückgebracht. Ich brauche ihn nicht zu fragen, ich weiß auch so, dass an genau diesem Ort der Schlüssel für die Lösung liegen muss.
Langsam und bedächtig setze ich einen Fuß vor den anderen. Der Sand ist noch feucht vom letzten Hochwasser und ganz glatt und fest. Trotzdem fühle ich mich unsicher. Die Leichtigkeit, mit der ich bisher meine Wege zurücklegen konnte, ist verschwunden. Mein Körper fühlt sich bleischwer an und meine Schritte sind ziemlich wackelig.
Kurz vor der Stelle, an der ich das letzte Mal mit Luca zusammen gewesen bin, bleibe ich stehen und werfe einen Blick in den Himmel. Er ist bedeckt, doch dort, wo die Wolkendecke ein wenig heller leuchtet, lässt sich der Stand der Sonne ausmachen. Ich schätze, dass es ungefähr Mittag ist. Es wird also noch eine Weile dauern, bis Luca – hoffentlich! – hier auftaucht. Ich werde die Zeit nutzen und mir die passenden Worte zurechtlegen. Und so laufe ich weiter und immer weiter neben dem Steinwall entlang den Strand hinunter.
Auf meinem Spaziergang treffe ich Killer und sein Herrchen, der in ein Buch vertieft ist und mich fast über den Haufen rennt.
»Hey, Killer!«, rufe ich.
Der große Zottelhund stutzt. Er hebt den Kopf in meine Richtung und kommt schließlich herübergetrottet. Lachend klopfe ich mir auf die Schenkel, und noch bevor ich mich darüber wundern kann, dass meine Angst verschwunden ist, leckt er mir bereits die Hände. Es kitzelt ganz wunderbar und ich muss noch mehr lachen.
Später begegne ich noch Hilde und Johannes, die einander untergehakt haben und sehr glücklich aussehen, und dem kleinen Jungen mit seiner Mutter, die gerade dabei sind, einen »unterunterirdischen Tunnel« zu bauen.
»Glasturm!«, ruft der Kleine mir zu und lacht schelmisch.
Verwundert blicke ich ihn an. Ob dieser Junge wohl ausgerechnet zu den Menschen gehört, die Dinge wahrnehmen, die sonst kaum einer sieht?
Ich blinzele in die helle Wolkendecke und stelle fest, dass die Sonne inzwischen ein ganzes Stück tiefer gerutscht ist. Wenn ich Luca nicht verpassen will, muss ich jetzt zurückgehen.
Der Gedanke an ihn lässt meinen Puls sofort in die Höhe schnellen. Ich spüre einen dicken Klumpen im Hals, und auf einmal habe ich schreckliche Angst davor, ihm zu begegnen.
Langsam drehe ich mich um. Der kleine Junge und seine Mutter sind verschwunden und auch Hilde, Johannes und der Herr Hellbig sind nicht mehr zu sehen. Der Strand ist wie leer gefegt.
Ein beklemmendes Gefühl macht sich in mir breit. Wer bin ich eigentlich? Ein Mensch oder ein Geist, nichts davon oder beides zugleich? Existiere ich überhaupt noch? Vielleicht kann Josha mir diese Fragen beantworten. Ich will gerade nach ihm rufen, da bemerke ich ihn. – Luca!
Er steht auf meinem Inselstein und hat die Arme weit ausgebreitet, so als ob er jeden Augenblick davonschweben wollte.
»Halt!«, rufe ich und renne los. »Luca, warte! Ich muss mit dir reden!«
Er hört mich nicht, doch als ich endlich vor ihm stehe, nimmt er die Arme herunter und sieht mich an.
»Bitte, Luca, hör mir zu«, flehe ich. »Ich habe einen Fehler gemacht.«
Er nickt, und mir fällt auf, dass seine Augen ohne jeden Glanz sind. Sein Gesichtsausdruck ist ernst. Und traurig.
Wie hübsch du bist, denke ich. Ich wäre immer noch gerne mit dir befreundet. Aber ich weiß, dass das nicht geht.
Denn noch mehr sehne ich mich nach einer Freundschaft mit Ona. Ich wünsche mir so sehr, dass sie mir verzeiht.
Nur weil ich Luca für mich allein wollte, habe ich einfach nicht begriffen, dass er eigentlich schon längst zu Ona gehört, und meine Aufgabe nur darin bestand, die beiden zusammenzubringen.
»Wenn ich bloß wüsste, wo du wohnst«, murmelt Luca.
Ich starre ihn an. Und plötzlich ist mir klar, was ich zu tun habe.