13
Um zehn vor zehn klingelte mein Handy. Marie-Luise bestätigte, was ich befürchtet hatte, jedoch kaum glauben konnte: Es gab keine Rachel Cohen. Zumindest nicht in Berlin. Niemand dieses Namens war ein- und deshalb schon gar nicht wieder ausgereist.
»Wie kann das sein?« Ich stand in der Schlange vor der Passkontrolle. »Dann hat sie einen falschen Namen benutzt. Vaasenburg soll die Passagierlisten noch mal durchgehen.
»Vernau. Ruhig, okay? Ganz ruhig. Vaasenburg ist der einzige Freund, den du hinter den feindlichen Linien hast. Ich werde ganz sicher nicht den letzten Rest Vertrauen erschüttern, indem ich Unmögliches von ihm verlange.«
»Dann habe ich mir das alles nur zusammengereimt?« Mein Vordermann drehte sich zu mir um. Ich lächelte ihn entschuldigend an und senkte die Stimme. »Das ist doch lächerlich.«
»Im Moment sieht es bei der Kripo jedenfalls so aus. Ich versuche an die beiden Hooligans heranzukommen. Leicht wird das nicht. Aber vielleicht erinnern die sich ja an was.«
»Am besten an den, der mir das alles eingebrockt hat. Das ist doch nicht auf dem Mist von diesen beiden Hohlköpfen gewachsen. Da steckt sicher mehr dahinter.«
»Du meinst den großen Plan?«
Die Schlange rückte weiter vor. Die üblichen Fragen zu meinem Gepäck und dem Grund meines Aufenthaltes in Israel – geschäftlich, vielleicht noch ein zwei Tage ans Meer – hatte ich bereits beantwortet.
»Spar dir deine Ironie. Ja, es gibt einen Plan. Ob er groß ist, wage ich zu bezweifeln. Aber irgendjemand hat diesen beiden Vollpfosten bei der Aussage unter die Arme gegriffen. Und Rachels Name wird einfach gelöscht, egal wo sie sich bewegt. Entweder macht sie gemeinsame Sache mit Scholls Mördern, oder sie steht selbst auf der Abschussliste.«
Der Herr vor mir wandte sich wieder zu mir um, und ich nickte ihm freundlich zu. Ich durfte nicht auffallen, stattdessen redete ich, umgeben von Bundesgrenzschutz und Sicherheitspersonal, von Mördern und Abschusslisten.
»Es geht um ein Drehbuch«, sagte ich zu dem Herrn. Er war Anfang sechzig und trug einen papierdünnen Trenchcoat und Hut. »Der Montagsfilm im ZDF. Immer ist jedem alles zu kompliziert.«
Mit keiner Regung seines blassen Gesichts ließ er erkennen, ob er mich verstanden hatte. Zum Glück war er als Nächster bei der Passkontrolle an der Reihe und schob seine Papiere unter der Plexiglasscheibe durch, hinter der ein mäßig interessierter Beamter saß.
»Alles okay?«, fragte Marie-Luise. »Bist du schon durch? Ich bürge quasi für dich bei Vaasenburg. Das weißt du, oder?«
»Weiß ich. Und ich danke dir dafür.«
»Nicht dass du dich absetzt oder so.«
»Wie viel Zeit habe ich?«
»Vaasenburg ist derzeit bei Rütters. Wahrscheinlich muss der Oberstaatsanwalt noch sein Okay geben, dass sie dich nicht gleich per internationalem Haftbefehl suchen. Dein größtes Problem ist die Flucht- und Verdunkelungsgefahr. Wann geht dein Rückflug?«
Der blasse Mann bekam seine Papiere. Nun war ich an der Reihe.
»Nächstes Jahr irgendwann.«
»Was?«
»Es sollte doch billig sein? Und das war billig.«
»Bist du verrückt geworden? Vernau!«
»Buch es einfach für mich um.«
Ich schob dem Beamten meinen Reisepass und das Ticket hin und nickte ihm freundlich zu.
»Du stehst unter Mordverdacht und verschwindest für ein Jahr nach Israel? Hast du sie noch alle?«
Ich ließ das Handy sinken und hoffte, dass keiner der Umstehenden verstand, was Marie-Luise da gerade in den Hörer brüllte.
Der Beamte fixierte mich. Lange. Ich sah zurück. Lange. Dann hob ich das Handy wieder ans Ohr.
»Bitte buch den Rückflug um. Für Montag. Ich maile dir alles zu, sobald ich durch die Security bin.«
Ich trat zur Seite, um ein junges Liebespaar vorzulassen, weil der Herr im Trenchcoat wieder die Ohren auf Empfang gestellt hatte.
»Ich vertraue Vaasenburg«, sagte ich, so leise es bei dem Lärm um mich herum ging. »Genauso wie dir. Sie werden mir letzten Endes nichts nachweisen können, aber das wird dauern. Und während sich die Ermittlungen auf mich konzentrieren, ist Rachel vom Radar verschwunden. Ich mache mir ehrlich gesagt weniger Sorgen um mich. Ich glaube nicht, dass Rachel Rudolph Scholl getötet hat. Aber sie weiß, wer es war. Verstehst du?«
Marie-Luise schwieg. Schließlich sagte sie: »Zum Teufel, dann finde sie.«