42
Valerie freute sich, meine Kreditkarte wieder durchzuziehen.
»Brauchen Sie einen Platz in der Tiefgarage?«
»Nein, toda.«
Sie reichte mir die Karte zurück. »Welcome back, Mister Vernau. Ich habe ein Fax für Sie. Warten Sie bitte einen Moment, ich muss es holen.«
Damit verschwand sie kurz, und ich ließ mich einlullen vom schläfrigen Spiel eines unsichtbaren Pianisten. Die Lobby war leer bis auf ein paar Touristen, die ihren Reiseführer studierten und sich darüber austauschten. Die blaue Stunde. Gerade wurden die Mädchen an der Bar von zwei jungen Herren abgelöst. Sie sahen müde aus, wahrscheinlich hatten sie sich den ganzen Tag das leere Geschwätz der Geschäftsreisenden angehört, die ihre Erfolge feierten und sich die Misserfolge schön tranken.
Ich schlenderte vorbei an ausladenden Sitzlandschaften aus weißem Leder und meterhohen Blumengestecken. Warum Hotellobbys die Ausmaße von Werften haben müssen, ist mir ein Rätsel. Ich mag die kleineren Häuser lieber. Orte mit Geschichte und Charme, aber die waren in Tel Aviv schwer zu finden.
An der Bar bestellte ich bei der Ablösung einen Martini. Der Keeper, der mit seinen zurückgegelten Haaren aussah, als hätte er zu viele Mafia-Filme gesehen, stellte ihn gerade umständlich vor mir ab, als Valerie mit einem Umschlag auf mich zukam und ihn auf den Tresen legte.
»Danke. Darf ich Sie zu einem Drink einladen?«
Sie lächelte, dieses Mal die professionelle Variante, mit der sie sich aufdringliche Gäste vom Leib hielt. »Das hat die Geschäftsleitung verboten.«
»Wann haben Sie Feierabend?«
»Herr Vernau.« Sie zog die Augenbrauen hoch, was mich fatal an die Sprechstundenhilfe unseres Hausarztes erinnerte, wenn sie mir Waschlappen eine Tetanus-Impfung verpassen musste. »Verspielen Sie nicht meine tiefen Gefühle für Sie.«
»Okay.« Ich gab dem Barkeeper ein Zeichen. »Servieren Sie der Dame nach Dienstschluss einen Drink von mir, egal was.«
Valerie kicherte und übersetzte. Der Mafioso setzte ein Killergrinsen auf, mit dem er tiefstes Verständnis für die Strenge der eisernen Lady signalisierte. Sie kehrte zurück zur Rezeption, und den ganzen langen Weg durch die Lobby wusste sie, dass ich ihren Hüftschwung bewunderte. Ich leerte den Martini in einem Zug. Alkohol verringert die Erkenntnis von Selbstbetrug beträchtlich.
Ich hatte gerade mehr schlecht als recht mein Zimmer erreicht, als das Telefon klingelte. Valerie meldete sich, und für ein paar verrückte Sekunden glaubte ich, sie hätte ihre Meinung geändert.
»Ein Herr möchte Sie gerne sprechen. Er sagt, unter vier Augen. Darf ich ihn hochschicken?«
»Wie ist sein Name?«
»Er meint, Sie kennen sich.«
Uri. Das ging aber schnell.
»Okay.«
Es ging los.
Ich legte auf und checkte die Minibar. Mit einem Bier in der Hand ging ich auf den Flur und wartete. Es dauerte ein paar Minuten, bis ich den Fahrstuhl hörte. In der Zwischenzeit schloss ich Wetten ab, welche Geschichte Uri mir auftischen würde. Die des verratenen Liebhabers, die des erpressten Mörders oder die des liebenden Vaters, der von nichts eine Ahnung hatte.
Der Fahrstuhl hielt. Die Türen glitten auseinander. Ein kräftiger Mann im Anzug trat heraus und sah erst in die falsche Richtung. Dann drehte er sich zu mir um. Er erkannte mich und ich ihn.
Bei unserer letzten Begegnung hatte ich ihm dreihundert Mark in die Hand gedrückt, für die meine Mutter zwei Wochen lang putzen gegangen war, und ihm gesagt, dass er die Straßenseite wechseln sollte, würden wir uns in Berlin jemals über den Weg laufen. Dreißig Jahre schnurrten zusammen. Ich fühlte mich, als ob ich statt aus meinem Hotelzimmer gerade aus Baracke III gekommen wäre und diesem Arsch, der mich damals über den Tisch gezogen hatte, noch einmal mein gesamtes Bargeld aushändigen müsste.
»Schalom«, sagte er und kam auf mich zu.
Mit jedem Schritt kehrte der Abstand zurück. Wir waren erwachsen. Standen mitten im Leben. Alles, was ich heute von ihm wusste, war, dass er sich zum Prügelknaben einer Besorgte-Bürger-Partei gemacht hatte und nach einem Attentat eigentlich schwer verletzt in einem Berliner Krankenhaus liegen sollte. Dafür wirkte er erstaunlich gesund. Vielleicht dachte er auf dem Weg über den Flur zu mir ja auch an die dreihundert Mark und daran, was er damals mit dem Geld gemacht hatte. Wahrscheinlich hatte er es beim nächsten Spiel verloren und die ganze Sache längst vergessen. In seinem Spießerzwirn und der grauen Seidenkrawatte sah er nicht aus, als ob er mich zu einer Partie Omaha einladen wollte.
»Mike?«
Er zog einen Pilotenkoffer hinter sich her.
»Hier?«, fragte er und ging, ohne die Antwort abzuwarten, an mir vorbei ins Zimmer. Sein Rasierwasser hing noch in der Luft, als ich die Tür hinter uns schloss. Er nahm auf dem Sessel vor dem Fenster Platz und schob kurz die Gardine zur Seite.
»Schön.«
Ich setzte mich und ließ ihn nicht aus den Augen. Er zog seinen Koffer zu sich heran, öffnete die Schnallen, griff jedoch nicht hinein. Er hatte immer noch diese flinken Spielerhände, die austeilten und die Karten mischten und den anderen die vermeintlich guten draws zuspielten. Ihn anzusehen und diesen Anblick mit dem geschickten Dealer von damals zu vergleichen war verwirrend. Als ob er Blei unter seinem Anzug trüge, das alles an ihm nach unten gezogen hätte. Aus dem braun gebrannten Spieler von einst war ein blasser Mittvierziger mit Bauchansatz geworden, mittelmäßig gutaussehend, um einiges über das Verfallsdatum eines Schwiegermuttertraums hinaus. Er war dem Jungen von damals noch ähnlich, vielleicht wie sein rasenmähender Onkel.
Ich kannte sein lächelndes, um Vertrauen werbendes Gesicht aus der Zeitung, aber mir war nie aufgefallen, dass seine Schultern so sehr nach vorne sackten.
»Was machst du in Tel Aviv?«
Er lehnte sich zurück und zog die Hosen dabei etwas hoch, damit sie keine Falten bekämen. »Geschäftlich.«
»Seit wann?«
»Das tut nichts zur Sache. Ich habe zufällig gehört, dass du auch in der Stadt bist. Eine schöne Gelegenheit, guten Tag zu sagen.«
»Von wem?«
»Von deiner Freundin Frau Hoffmann. Sie hat mich im Krankenhaus besucht und mir gesagt, wo ich dich finde.«
Hatte sie das? Ich trank. Seine linke Hand zitterte leicht. Er tat vielleicht so, als wäre er ein Staubsaugervertreter auf der Durchreise oder ein Politiker der sogenannten kleinen Leute von der Straße, aber alles an Mike Plog war Berechnung. Das war schon in Jechida so gewesen und hatte sich, wenn man sich die Mühe machte, seinen weiteren Lebenslauf zu betrachten, auch danach nicht geändert. Ich glaubte nicht an Zufälle. Er war hier, weil es ihn genauso nach Israel getrieben hatte wie mich. Nur seine Motive dürften andere sein.
Wenn es hart auf hart kam, war die Bierflasche meine einzige Waffe. Als ich sie absetzte, war sie zur Hälfte leer, und ich deutete damit auf die Minibar.
»Nimm dir eins.«
Mike achtete beim Aufstehen darauf, mir nicht den Rücken zuzudrehen. Das Zimmer war in ein schummriges Halbdunkel getaucht, nur die Lampe neben dem Bett brannte. Es war zu klein, selbst die geringste Bewegung des anderen blieb nicht unbeobachtet. Er holte eine Flasche aus dem Kühlschrank, öffnete sie und trank ein paar tiefe Schlucke.
»L’chaim«, sagte ich. »Auf das Leben.«
»Auf das Leben. Wir beide. In Israel. Nach fast dreißig Jahren. Wer hätte das gedacht.«
Er ging zurück zum Sessel und setzte sich wieder. Auch das mit der Hose bekam er noch mal hin, trotz Bierflasche.
»Und du?«, fragte er. »Was machst du hier?«
»Ich war in Jechida.«
Das Licht war extrem schwach, dennoch glaubte ich, ein Glimmen in seinen Augen zu erkennen.
»Jechida, ja … alte Zeiten.«
Er hob die Flasche. Ich nutzte den Moment, um meine auszutrinken und neben dem Bett abzustellen. Damit war sie griffbereit. Der Nachteil an der Aktion: Ich habe schnell getrunkenen Alkohol noch nie gut vertragen. Erst der Martini, jetzt das Bier. Ich musste einen klaren Kopf behalten, wenn ich herausfinden wollte, was Plog in Israel zu suchen hatte.
Ich sagte: »War Rachel Cohen auch bei dir?«
Mike nickte. »Verrückt, was? Dabei hat Rebecca damals keinen von uns rangelassen. Auf einmal steht dieses Mädel vor mir und will mir weismachen, ich könnte ihr Vater sein.« Er lachte, bevor er die Flasche wieder an den Mund hob.
Nach außen hin strahlte er eine Unverwundbarkeit aus, als hätte er in Drachenblut gebadet. Doch da war nach wie vor das kaum wahrnehmbare Zittern seiner Hand. Irgendwo hat jeder eine verwundbare Stelle. Mike war ein Bluffer. Das hier war ganz sicher nicht der Besuch eines alten Jugendfreundes. Hier saß jemand, der im Begriff war, alles zu verlieren. Der gerade mit ansah, wie ihm sein rechtschaffenes Leben durch die Finger glitt. Er hatte seine Vergangenheit noch einmal aus dem Schrank geholt und übergestreift wie einen viel zu engen Mantel. Sie passte nicht mehr zu ihm. Er wollte jünger wirken, salopp, entspannt, und saß da wie ein Schauspieler, der seine Rolle nicht beherrschte.
»Und?« Amüsiert deutete er in meine Richtung. »Bist du’s? Hast du dich deshalb ins gelobte Land aufgemacht, um deine verlorene Tochter in die Arme zu schließen? Alle Achtung. Hätte ich dir gar nicht zugetraut. Dann ist die Angelegenheit ja wohl erledigt.«
»Nein. Wir suchen immer noch Rachels Vater.«
Seine graublauen Augen, die das jugendliche Strahlen schon lange verloren hatten, blickten erstaunt. »Wir, wer ist das? Lass mich raten. Du und die Kleine. Hat sie dich um den Finger gewickelt? Das kann sie vermutlich ganz gut. Bei mir war sie nicht so freundlich. Hat mir mit einem Gedicht vor der Nase rumgewedelt und geglaubt, das würde mich irgendwie beeindrucken. Habe ich damals Gedichte gelesen? Ganz sicher nicht.«
»Es war Daniel.«
Er straffte die Schultern und hob die Flasche, als wolle er auf diese neue Erkenntnis trinken. »Daniel. Tatsächlich. Damit wäre das also geklärt. Schade, dass er es nicht mehr miterleben kann. Ich habe nie wieder von ihm gehört. Du?«
»Nein.«
»Griechenland … Ein Aussteiger, das war er doch schon immer. Ist um die halbe Welt gereist und nur nach Hause zurück, um sich Geld zu holen. Wir haben uns aus den Augen verloren. Das kommt vor. Ich lasse mir deshalb kein schlechtes Gewissen einreden, von niemandem. Du weißt, dass er verschollen ist und für tot erklärt wurde?«
»Du bist der Letzte von uns, der mit ihm gesprochen hat.«
Mike trank seine Flasche in einem Zug leer und betrachtete das Etikett. Heineken. Man bekommt es überall auf der Welt, an allen Bars, in allen Kneipen. Die Coca-Cola der Biere.
»Nein«, sagte er schließlich. »Das war Rudi. Als es darum ging, bei der Polizei eine Aussage zu machen, bekam er Muffensausen. Er hatte einfach Schiss. Er wollte nicht der Überbringer der schlechten Nachricht sein. Ihm war klar, dass diese Aussage irgendwann auch bei Rebecca landen würde. Ihr eigener Lover, durchgebrannt mit einer anderen … Er hätte dagestanden wie eine Petze. Ich glaube, Rudi war auch in sie verschossen.«
Er lächelte. »Ja, eigentlich bin ich mir sogar sicher. Wir waren doch alle scharf auf sie. Du auch. Sorry, ich will nicht in alten Wunden herumstochern.«
Ich wusste nicht, wie lange ich das noch ertragen würde. Wenn Mike über Rebecca sprach, bekam sein Ton etwas Herablassendes. Als ob das alles damals nicht ernst gewesen wäre und wir uns alle wie Trottel aufgeführt hätten.
»Deine Aussage …«
Er unterbrach mich. »Ich hab das bloß gemacht, weil Rudi nicht als der Böse dastehen wollte. Ein reiner Freundschaftsdienst.«
»Tatsächlich? So viel Scheu und Anstand.«
»Einem alten Kumpel hilft man eben. Also nagele mich jetzt bitte nicht darauf fest. Er war es, der angeblich mit Daniel gesprochen hat. Ich hatte ein Spiel bei den Iren.«
»Angeblich?«
»Er hat geschworen, dass es so war. Ganz ehrlich«, er beugte sich vor und stützte die Arme auf den Knien ab, »da fragt man schon noch mal nach. Daniel und Marianne. Ich war ziemlich von den Socken, als ich das erfahren habe. Das wäre mir doch aufgefallen. Hast du was bemerkt?«
»Nein.«
»Eben. Wenn wir was bemerkt hätten, wäre uns das doch aufgefallen. Diese Kombination auf jeden Fall.«
Ich sagte: »Ich war nicht mehr da. Mich musst du rauslassen.«
»Ja, stimmt. Du bist ja nach Jerusalem. Wir anderen hatten das ganze Drama auszubaden. Nicht dass auch nur einer von denen aus dem Kibbuz mit uns geredet hätte. Trotzdem hingen wir mit drin, weil wir mit Daniel befreundet waren. Alle standen wir auf einmal unter Generalverdacht. Am Anfang wusste ich noch nicht mal, was eigentlich los war. Erst als Rebecca nicht mehr wiederkam und die Gerüchte die Runde machten, da dachte ich, Daniel, der Hund.«
»Mehr nicht?«
Sein Blick huschte zu seiner Tasche. Er konnte sie öffnen und herausziehen, was auch immer er darin mit sich führte. Es gab zwei Möglichkeiten, dieses Gespräch zu beenden: Ich trank mit ihm den Kühlschrank leer, und wir verabschiedeten uns schulterklopfend und Bashana haba’a singend voneinander wie verlorene Freunde, die sich durch Zufall ausgerechnet in Israel wiedergetroffen hatten. Oder er gestand mir irgendwann nach dem zehnten Bier, was mit Daniel passiert war und warum er Merit und Scholl getötet hatte. Um ehrlich zu sein: Ich hatte Angst vor der zweiten Möglichkeit. Niemand möchte gerne mit einem bestialischen Mörder allein in einem Hotelzimmer Bier trinken.
Er verzog den Mund zu einem Kumpelgrinsen. »Schon eine Meisterleistung, dass Daniel bei Rebecca gelandet ist. Aber er war der Typ dafür. Romantiker. Blümchen. Gedichte. Er hätte die geilste Braut des Universums haben können. Und was macht der Depp?« Er lockerte sich die Krawatte, obwohl die Klimaanlage auf Hochtouren lief. »Haut einfach ab. Na ja, keine zwanzig, eine schwangere Freundin und dann die ganze Familie mit dazu … Da kann man schon mal Panik kriegen. Dann lieber Korfu.«
»Er war nicht auf Korfu.«
»Nicht? Aber das hat Rudi behauptet. Und Marianne auch.«
»Reines Hörensagen. Es gibt keinen Beweis dafür. Jetzt erst recht nicht mehr.«
Er stellte die leere Flasche auf der Fensterbank ab. »Du hast unsere Aussage gelesen.«
»Sie ist nun Teil der Ermittlungsakten.«
Zum ersten Mal spürte ich so etwas wie Nervosität. Eine ganz leichte Änderung der Schwingung, als ob über die Oberfläche eines stillen, kalten Bergsees plötzlich ein Zittern läuft. Mikes Hand bewegte sich unruhig auf und ab, strich den Stoff der Hose glatt, entfernte einen imaginären Fussel.
»Du meinst die Ermittlung gegen unbekannt, ja? Gegen das Schwein, das mein Auto manipuliert und Rudi umgebracht hat? Ja?«
Das Zimmer war so klein, dass er an den Kühlschrank herankam, ohne aufzustehen. Er holte zwei Heineken heraus, öffnete sie beide und reichte mir eine Flasche.
»Merit ist tot.«
Er kniff leicht die Augen zusammen. Als ob er sich fragte, mit welchem Einsatz er in die nächste Runde gehen sollte. Ich hatte wieder den Jechida-Flashback. Er hielt mich für einen Anfänger und sich für den mit dem Durchblick. Doch die Regeln von damals galten nicht mehr. Er war nicht mehr der große Checker. Ich sah, wie er das bemerkte.
»Merit?«, fragte er.
Mike trank. Fast die halbe Flasche in einem Zug. Ich fragte mich, wie er sich unter Alkohol verändern würde. Vielleicht wäre er dann ein weinerlicher Waschlappen, der an meiner Brust alles gestehen würde. Im Moment sah es nicht danach aus. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Du meinst Marianne. Meinst du doch, oder?«
»Sie wurde heute erschlagen. Und du bist in Tel Aviv. Erklär’s mir.«
Er lehnte sich zurück und unterdrückte einen Rülpser. Den freien Arm ließ er lässig über die Lehne baumeln und klopfte einen kleinen Akkord auf das Seitenpolster. Die Phase: Mir kann keiner was. Ich bin der Schlauste.
»Da gibt es nichts zu erklären.« Er wies mit seiner Flasche in meine Richtung. »Merit wurde erschlagen, und du bist in Tel Aviv. Überall wo du auftauchst, sterben die Leute. Hast du dir darüber schon mal Gedanken gemacht? Ich würde es an deiner Stelle tun.«
Während er erneut die Flasche hob, ließ er mich nicht aus den Augen. In diesem Moment wusste ich es. Sie würden mich finden, hier, in diesem Zimmer, auf diesem Bett, mit einer Kugel im Kopf und einer Pistole in der Hand. Er war nicht hergekommen, um mit mir zu reden. Er war hergekommen, um mich zu töten.
Es gibt diesen Moment, in dem zwei Menschen genau das Gleiche denken und das auch wissen. Wir mussten es nicht aussprechen. Mein Handy lag außer Reichweite auf der anderen Bettseite.
Ich sagte: »Wäre es nicht viel einfacher für dich, Rudi alles in die Schuhe zu schieben? Er kann sich nicht mehr wehren. Ich schon.«
»Gibt es auch Schnaps hier?«
»Schau nach.«
Er beugte sich zur Seite und hangelte nach der Kühlschranktür. Wahllos griff er in die Seitenleiste und holte zwei kleine Flaschen heraus. Eine warf er mir zu. Der Verschluss knackte, als er seine öffnete und den Inhalt in einem Zug hinunterstürzte. Vielleicht war die Lösung ja ganz einfach: Ich musste ihn nur sturzbetrunken machen und ihn anschließend von Schwartzmann abholen lassen.
»Aber mit Merit, da musst du dir was anderes einfallen lassen.«
Das Glimmen in seinen Augen wurde dunkler.
»Sie hat dich erpresst. Stimmt’s? Mit was? Was war falsch an eurer Aussage damals? Ich sag’s dir: Sie ist nie mit Daniel nach Griechenland gefahren. Er war wirklich bereit, die Sache mit Rebecca durchzuziehen. Abhauen bei Nacht und Nebel. Mit der Fähre nach Zypern. In Nicosia oder Larnaca standesamtlich heiraten, wie sie es heute noch tun, wenn ihnen kein Rabbi seinen Segen gibt. Erzähl es mir. Was ist schiefgelaufen in dieser Nacht?«
Ich tastete nach der leeren Flasche neben dem Bett. Wenn er heute noch genauso viel vertrug wie damals, war er nüchtern wie ein neugeborenes Baby. Mir blieb nur diese eine Chance, um ihn außer Gefecht zu setzen.
»Du hast ihn in der Baracke erwischt, als er heimlich seine Sachen gepackt hat. Wahrscheinlich zusammen mit Rudi. War es so?«
Er maß mich, abschätzend, nicht wissend, ob eine Antwort noch irgendetwas ändern würde an der Tatsache, dass er mich beseitigen musste. Ich denke, in diesem Moment hätte ich ihn noch umstimmen können. Mir musste nur so etwas wie die rettende Lösung einfallen und ein guter Grund, warum ausgerechnet ich sie ihm auf dem Silbertablett servieren sollte. Das Telefon klingelte. Es stand auf dem Nachttisch am Fenster, also eher in Plogs Reichweite. Er beugte sich vor und riss mit einem Ruck den Stecker aus der Dose.
»Ja«, sagte er schließlich. »So war’s.«
»Aber du wolltest ihn nicht gehen lassen. Ich nehme an, es ging um Geld. Hatte er Schulden bei dir? Spielschulden?«
»Ha.« Mike hatte die Kühlschranktür gleich offen gelassen und griff sich den nächsten Schnaps. »Daniel und Spielschulden. Hast du ihn jemals bei uns gesehen?«
»Nein.«
Mike kippte sich das Zeug hinter die Binde und zielte dann, wobei er das linke Auge zusammenkniff, auf den Papierkorb. Er traf.
»Okay, du willst es wissen, und du hast ein Recht darauf. Ja, hast du. Es klingt ziemlich beschissen und glaub mir, ich sehe es heute genauso wie du. Es war nichts. Eine Lappalie. Aber Daniel, unsere Rechtschaffenheit auf zwei Beinen, musste natürlich ein ganz großes Ding daraus machen. Ein Riesengezeter. Er ging auf mich los. Rudi war draußen. Er kam reingestürzt, aber da hatte Daniel mir längst eine verpasst, und ich musste mich irgendwie wehren. Es war eine nette Schlägerei. Rudi ging als Erster zu Boden. Wir waren ja nicht schlecht beisammen damals.«
Er öffnete und schloss die rechte Faust, betrachtete sie nachdenklich.
»Dann hat er mich erwischt. Er hat mir alles abgenommen, was ich bei mir hatte. Das ganze Geld. Er brauchte es für Zypern. Nur ich … ich habe es auch gebraucht.«
»Welches Geld?«
Mike holte tief Luft und zog wieder den Vorhang zur Seite. Der deprimierende Ausblick hatte sich nicht verändert. Mit einer zornigen Handbewegung ließ er ihn wieder los.
»Du erinnerst dich noch an Ian?«
Ein stiernackiger rotgesichtiger Lunatic, der arbeiten konnte wie ein Tier. Allerdings nur mit gleichbleibendem Alkoholpegel. Geriet der aus dem Lot, wechselte man am besten die Straßenseite.
»Ich hatte Schulden bei ihm. Daniel hätte das Geld wiederbekommen, auf Heller und Pfennig. Aber er hat es mir nicht gegeben. Obwohl ich genau«, sein Zeigefinger schoss hoch, »wusste, wo er es gebunkert hat. Einem alten Kumpel nicht aus der Patsche helfen.« Er ließ die Hand resigniert auf die Lehne schlagen.
Wieder der Griff in den Kühlschrank.
»Tausend Schekel. Eine Menge Geld. Du weißt doch, wie Ian ist. Er schlägt dich zum Krüppel, wenn du nicht zahlst. Der Einzige, der sein Geld noch nicht versoffen oder verspielt hatte, war Daniel.«
»Mich hast du auch abgezockt. Bei mir ist es um dreihundert Mark gegangen. Wie viel war es bei Daniel, dass er dafür sterben musste?«
Ein mattes Lächeln. »Hab oft an dich gedacht, Joe. Oft. Immer mal wieder.«
Er griff in die Innentasche seiner Anzugjacke. Sein Gesicht verzog sich überrascht, dann beugte er sich zu der Aktentasche hinunter. Er öffnete sie, und während er darin herumwühlte und so tat, als würde er etwas suchen, stand ich, die Flasche in der Hand, langsam auf. Uns trennten zwei Meter und das Bett. Zur Tür war es für uns beide gleich weit.
»Ich muss es doch irgendwo haben … Ich dachte, ich gebe dir dreihundert Euro zurück. Ist ja jetzt das Gleiche, oder?«
In dem Moment hob ich die Flasche und stürzte auf ihn zu. Sofort zog er die Hand aus der Aktentasche. Metall blitzte auf. Mike sprang hoch, und noch bevor ich einen Treffer landen konnte, traf mich ein Schlag am Kinn und warf mich zurück aufs Bett. Die Welt explodierte. Es war wie bei dem Unfall – man wird weggeschleudert und ist machtlos. Ich hatte mich angestellt wie ein Idiot.
Noch bevor ich mich fragen konnte, warum er zugeschlagen und nicht geschossen hatte, hörte ich ein wütendes Schnauben. Er hatte keine Pistole. Es war ein Messer, ein schweres Gerät, wie man es in einem Gewächshaus einsetzte oder in einem Garten in Jechida, um Zucchini zu ernten. Er hielt den dicken Knauf umklammert, die Klinge war schartig und voller Rostflecken.
»Du Arsch!«, brüllte er. »Was bildest du dir ein? Einfach auf mich loszugehen? Was hab ich dir getan?«
Ich stützte mich auf einen Ellenbogen und prüfte, ob noch alle Zähne dort saßen, wo sie hingehörten. Mein Kiefer war nicht gebrochen, trotzdem sickerte Blut aus den Mundwinkeln und tropfte auf die weiße, gestärkte Bettwäsche. Mühsam hob ich die Hand. »War ein Versuch.«
Ich lag auf dem Handy. Weiß der Teufel, wen ich zuletzt angerufen hatte. Aber wenn es mir gelang, die grüne Taste zu drücken, würde hoffentlich irgendjemand am anderen Ende abheben und mithören.
»Was für eine Scheiße! Schau dir das an! Diese ganze Sauerei!«
Verwundert starrte ich auf die Blutflecken. Machte er sich in seiner Situation etwa noch Gedanken darum, wie man das wieder herausbekam?
»Steh auf. Los. Wird’s bald? Aufstehen!«
In zwei Schritten war er bei mir, riss mir den Kopf an den Haaren zurück und setzte mir das Messer an die Kehle. »Mach, was ich dir sage. Hoch jetzt.«
»Ist ja gut«, röchelte ich. »Mike, gib auf. Vielleicht kriege ich einen Affekt für dich hin. Schau dich doch mal an. Du kommst nicht weit. Man hat dich unten gesehen.«
»Eben nicht. Ich bin durch die Tiefgarage rein.«
Er ließ mich los. Ich versuchte hochzukommen. Dabei gelang es mir, eine Hand unter das Kissen zu schieben und die Anruftaste zu drücken. Schwartzmann, Marie-Luise, Rachel, egal wer – irgendjemand musste rangehen und handeln. Mike kannte Gewalt. Er hatte Merit mit ungeheurer Brutalität erschlagen. Er würde mich mit durchgeschnittener Kehle in diesem Zimmer liegen lassen, wenn es sein musste. Ich brauchte Zeit.
»Mike.« Blut und Speichel tropften aufs Bett.
Er zog mich hoch. Kaum war ich auf den Beinen, hatte ich auch schon wieder das Messer am Hals. Ich hob die Hände.
»Mike. Warte. Warte!«
Abrupt ließ er mich los. Ich taumelte zur Wand und blieb dort schwer atmend und halb zusammengesackt stehen. Er war wachsam wie ein Bluthund, bereit, sofort zuzustechen, sollte ich auch nur eine falsche Bewegung in Richtung Tür machen.
»Was hast du vor?«
»Joe, du hast mich in diese Scheiße reingeritten.«
»Ich?«
»Er wollte reden. Weißt du das denn nicht mehr?« Seine Stimme kippte. Eben noch der eiskalte Killer, jetzt der Feigling, der nach Entschuldigungen suchte. Du hast mich gezwungen. Die böse Welt war’s, die Gesellschaft, mein Nachbar, die Zeitung, Mutti, das Amt … »Er wollte zur Polizei und aussagen.«
»Von wem zum Teufel redest du? Von Rudi?«
»Ich bin dir hinterher in seine Wohnung. Du hast es nicht mitgekriegt.«
»Joe, mach dir keine Sorgen. Ich werde das aus der Welt schaffen. Eine kleine Rangelei, nichts weiter. Können wir uns bitte darauf einigen?«
»Dabei ging es doch nur um den Überfall.«
»Glaubst du? Glaubst du das wirklich? Du warst kaum weg, als ich zu ihm rein bin. Er hat mich angestarrt wie eine Erscheinung. Er sagte: ›Es kommt alles ans Licht. Die Sonne wird es an den Tag bringen.‹ So ein Stuss. ›Nichts kommt raus, wenn wir dichthalten‹, hab ich ihm gesagt.«
Mike ging leicht in die Knie und griff erneut in den Kühlschrank. Er holte die letzten beiden Schnäpse aus dem Flaschenfach und reichte sie mir. »Mach sie auf.«
Es war Johnny Walker. Ich fragte mich, wie lange es dauern würde, bis jemand irgendwo auf dieser Welt meinen Anruf entgegennahm und aus dieser wirren Konversation entnehmen konnte, dass es mir gerade an den Kragen ging.
»Aber Rudolph Scholl wollte nicht dichthalten«, sagte ich so laut und deutlich, wie es mir mit meinem halb ausgerenkten Kiefer möglich war. An meinen Fingern klebte feuchtes Blut. Ich konnte die beiden Verschlüsse nur mit Mühe öffnen. Als ich eine der Flaschen an Mike zurückreichte, starrte er sie voller Ekel an.
»Also hast du ihn zum Schweigen gebracht. Und damit gar nicht erst in die falsche Richtung ermittelt wird, hast du Rachel ins Spiel gebracht. Dein Unfall war ein Fake, stimmt’s? Sie sollte in Verdacht geraten, und du warst fein raus.«
»Wohlsein.« Er prostete mir zu, als ob diese ungeheuerlichen Vorwürfe nichts anderes als das Gewäsch zweier Betrunkener wären.
Ich schüttete den Inhalt in mich hinein. Blend Whisky war nicht mein Ding, aber wenn es half, die Sache aufzuhalten, würde ich sogar Spülwasser trinken. Er setzte an, ich schlug mich nach rechts zur Tür durch. Im selben Moment durchschnitt ein pfeifendes Geräusch die Luft, und ein brennender Schmerz jagte quer über meinen Unterarm.
»So nicht, mein Lieber.«
Mike trat schwer atmend zwei Schritte zurück, exte seine Flasche und warf sie aufs Bett. Mit dem Handrücken wischte er sich den Mund ab. Ich hielt mir den Arm und biss die Zähne zusammen, um nicht laut aufzujaulen. Der Schnitt war nicht tief, doch er schmerzte höllisch. Das Zimmer glich langsam einem Schlachthaus. Ich hatte keine Idee, was er damit bezwecken wollte. Überall waren unsere Fingerabdrücke. Ein leiser, stiller Mord sah anders aus.
»Rudi war ein Romantiker. Hättest du das gedacht? Dieser jüdische Calvinist? Auf einmal steht er Rebeccas Tochter gegenüber, und peng! sind alle Schwüre vergessen.«
Er griff in seine Anzugtasche und holte ein gebrauchtes Pokerspiel hervor, das schon durch viele Runden gegangen sein musste. Er hielt es hoch, spannte den Stapel zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ die Karten fliegen. Sie schossen in alle Himmelsrichtungen, über das Bett, auf den Fußboden, überallhin. Die letzte Karte fiel mir direkt vor die Füße. Pik zehn.
»Okay, Zauberer«, sagte ich. »Was hast du vor?«
»Ich war in einer Kneipe am alten Busbahnhof. Dort, wo die Russen Poker spielen. Ich habe ein paar von ihnen auf mein Zimmer im Grand Zion eingeladen. Ohne Limit. Unter deinem Namen. Sie werden bald hier sein. Sie kommen nicht durch die Tiefgarage, und sie werden, wenn du gefunden wirst, einiges erklären müssen. Ich bin ein unbescholtenes Blatt. Niemand kennt meine Fingerabdrücke.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Es tut mir leid, Joe. Ich hätte es gerne anders gehabt. Um der alten Zeiten willen.«
»Was hast du mit Daniel gemacht?«
»Ich musste mich wehren, Joe. Ich hab ihm mit der Flasche eins übergebraten, und plötzlich war er tot. Rudi wollte, dass ich das melde. Aber ich hatte keine Lust auf zwanzig Jahre Knast wegen Raubmord. Und die hätte ich sicher gekriegt, oder? Ganz bestimmt hätten die mich eingebuchtet. Die konnten uns doch sowieso nie leiden.«
»Eine Schlägerei unter volunteers? Du hättest auf Notwehr gehen können. Totschlag. Keine drei Jahre. Mike!«
Ich wollte mich aufrichten, aber er zielte mit dem Messer, und ich wollte nicht, dass es so schnell vorbei war. Ich hatte immer noch Hoffnung.
»Rudi und ich haben ihn im Pool vergraben. Am nächsten Tag kam Beton drauf und gut war’s. Rudi hätte den Mund gehalten. Er war ja Mittäter, sozusagen. Mitwisser. Wusstest du, dass er Rabbiner werden wollte? Das hätte ihm seine ganze Laufbahn versaut. Na ja, so ernst war es ihm dann wohl doch nicht mit der Religion, was? Hat das mit dem Seminar irgendwann sausen lassen.«
»Vielleicht hatte er ein Gewissen.«
»Und ich nicht? Denkst du, mir ist das leichtgefallen?«
»Warum Merit?«, fragte ich. »Scholl kapiere ich ja noch irgendwie, wenn man sich in dein krankes Hirn hineinversetzt. Aber Merit?«
Er schwankte. Mit dem Messer befahl er mir, ein paar Schritte von der Tür wegzutreten. Als er das Gefühl hatte, die Lage ausreichend unter Kontrolle zu haben, setzte er sich. Ich stand in der Zimmerecke, eingequetscht zwischen Nachttisch und Wand, und blutete vor mich hin.
»Merit hat damals Fotos vom Pool gemacht. Jeden Tag eines, immer von derselben Stelle aus. Sie hatte keine Ahnung, dass sie am nächsten Morgen ein Grab fotografiert hat. Wie auch? Sie war ja so versessen darauf, Rebecca eins auszuwischen. Ich bin am nächsten Morgen zu ihr hin und habe sie gefragt, ob sie für einen kleinen Scherz unter Freunden bereit wäre, sich ein paar schöne Tage zu machen. Ich habe ihr deine dreihundert Mark gegeben, dazu das Geld für ihr Ticket. Zwei von Daniels Schecks durfte sie auch noch einlösen. Das mit dem Boot war ihre Idee. Weiß der Teufel. Frauen haben’s manchmal drauf, wenn sie uns eins auswischen wollen, was? Sie war sofort Feuer und Flamme.«
»Und sie hat kein einziges Mal nach Daniel gefragt?«
»Natürlich. Ich hab ihr gesagt, dass er zurück nach Deutschland ist, der Schisser. Ich brauchte sie gar nicht lange zu überreden, sie war sofort dabei. Es muss ihr eine Riesenfreude gemacht haben, jedem diese Geschichte zu erzählen. So hatte wenigstens eine von uns ihren Spaß …«
Er sah auf die Karten zu seinen Füßen. Pik sechs und sieben. Wenn wir so weitermachten, käme noch ein Straight Flush dabei heraus, bevor er mich nach Russenart abstechen würde. Ich wusste, dass ich kein zweites Mal lebend in die Nähe der Tür käme.
»So lange ging alles gut. Ein kleiner, böser Scherz. Selbst Rebeccas Tragödie nach Daniels Tod war irgendwann vergessen. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes Gras darüber gewachsen. Aber dann …«
Er hob die Pik sieben auf und warf sie aufs Bett.
»Dann ist diese Rachel bei ihr aufgetaucht. Und ein paar Tage später du. Spätestens da wusste sie, dass das Märchen von Marianne und Daniel ausgeträumt war. Sie hat die alten Fotos vom Pool rausgesucht und, voilà, auf einem ist die frische Erde zu erkennen. Nur wenn man genau hinschaut und es mit dem Foto vom Vortag vergleicht. Eigentlich wertlos, irrelevant. Außer man beginnt dort zu buddeln und eine dämliche Kuh erinnert sich daran, dass sie es war, die die Geschichte mit Daniel und Griechenland in die Welt gesetzt hat. Ich dachte erst, sie blufft. Sie wollte hunderttausend Euro von mir. Dann würde sie über Daniels Grab schweigen wie … eben auch wie ein Grab. Scheiße. Warum verraten mich alle? Warum?«
Ich dachte an Marianne Schöbendorf und daran, dass Plog kurz davorstand, ungeschoren davonzukommen. Er erhob sich mit einem Ächzen, als ob er stärkere Schmerzen hätte als ich.
»Los. Versuch’s. Renn um dein Leben.«
»Nein.«
»Jetzt mach schon. Oder soll ich dich abstechen wie ein Schwein?«
Er kam näher, das Messer in der erhobenen Hand. Ich trat nach ihm, er wich zurück. Die Lampe fiel runter, die Birne zerbrach auf dem Boden, es war stockdunkel.
In drei Schritten war ich an der Tür. Ich spürte eine Hand an meiner Kehle, und dann schlug ich mit aller Wucht auf Holz, oder das Holz schlug auf mich. Jedenfalls stürzte ich nach hinten, und etwas Glühendes bohrte sich in meine Seite. Licht drang von draußen herein, der Raum war voll von brüllenden Schatten. Ich hörte Schreie und Rufe. Da waren Hände, die mich unter der Tür hervorziehen wollten, aber ich wollte nur dorthin, wo dieses Licht war. Raus in den Flur, einen endlos langen Flur mit blinkenden Neonröhren, deren zuckender Schein weit hinten zu einem weiß glühenden Nebel wurde, aus dem sich eine Silhouette formte.
Ich wusste, wer sie war und dass ich zu ihr wollte, mit aller Macht, mit aller Kraft, und sie drehte sich zu mir um und hielt mir die Hand entgegen. Lächelte mich an und sagte: »Alles ist gut.«