Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen
2.1 Börsenrückblick: Das Anlegerverhalten hinterfragen
Um zu begreifen, wie aus irrationalen Übertreibungen ein dramatischer Kursabsturz entsteht und warum ein Börsenboom in einem Crashszenario endet, zeige ich Hintergründe und Beispiele auf. Es geht um die Erkenntnis: Nach der Blase ist vor der Blase – abgeleitet von einer alten Fußballweisheit. Dass ein Crash zum Börsengeschehen gehört und letztendlich unvermeidbar ist, bestätigt der Rückblick auf ein Jahrzehnt. Der Crash zu Beginn des neuen Jahrtausends war die Folge sich auftürmender Spekulationsblasen im Zuge der Dotcom-Euphorie, begleitet von einer alle Maßstäbe sprengenden Überbewertung vieler Titel. Der jüngste Crash im Herbst 2008 und Frühjahr 2009 wurde ausgelöst durch die sich zum größten Finanzdesaster seit 1929 ausweitende Subprimekrise. Hinzu kamen irrationale Faktoren, allem voran Herdentrieb, Angst und Panik.
Die Vorzeichen: Als 1995 der US-Browser Netscape seinen Börsengang antrat, verdoppelte das Internetunternehmen bereits am ersten Handelstag seinen Wert. Die Gründer waren plötzlich mehrfache Millionäre, obgleich sie in ihrer Firma noch keinen Gewinn erwirtschafteten. Netscape war der Funke, der den Ansturm auf das kalifornische Silicon Valley und die heute mit einigem Unverständnis betrachteten irrationalen Übertreibungen auslöste. Dies war die Geburtsstunde für die sich bildende und immer stärker aufblähende Internetblase. Selbst als sie platzte, nahmen dies viele Börsianer vorerst nicht wahr und gingen lediglich von einer überfälligen Korrektur aus.
DAX-Stationen
1. Januar 1998: |
|
4.224 Punkte |
1. Januar 1999: |
|
5.006 Punkte |
1. Januar 2000: |
|
6.750 Punkte |
Höchststand
7. März 2000: |
|
8.064 Punkte |
1. Januar 2001: |
|
6.433 Punkte |
1. Januar 2002: |
|
5.160 Punkte |
1. Januar 2003: |
|
2.892 Punkte |
Allzeittief
12. März 2003: |
|
2.202 Punkte |
1. Januar 2004: |
|
3.965 Punkte |
1. Januar 2005: |
|
4.291 Punkte |
Jahresende 2005: |
|
5.408 Punkte |
Jahresende 2006: |
|
6.596 Punkte |
Jahresende 2007: |
|
8.067 Punkte |
Jahresende 2008: |
|
4.810 Punkte |
Jahresende 2009: |
|
5.957 Punkte |
Jahresende 2010: |
|
6.914 Punkte |
Heute erscheint die »Goldgräberstimmung« des Internetbooms unwirklich, mag auch Google neue Fantasie schüren.
Fünf Jahre nach dem Gipfelsturm und dem sich anknüpfenden langgezogenen Crash zogen sich viele Anleger im Schatten wirtschaftlicher Unsicherheit und Terrorängste von der Börse zurück. Der damalige Wunsch: »Wie werde ich am Neuen Markt schnell reich?« wurde abgelöst von dem Ziel: »Wie sichere ich mein Anlagekapital vor Verlusten?« Heute ist die Markteinschätzung gespalten: hier die Hoffnung, dort die Angst.
Während der Interneteuphorie der späten 1990er-Jahre und auch noch Anfang 2000 kletterte der Dow-Jones-Index auf 11.900 Punkte, der DAX auf über 8.100 Punkte und der NEMAX 50 auf mehr als 9.600 Zähler. Ab Frühjahr 2000 war dieser Spuk vorbei. Die Spekulationsblase platzte. Die ganze Tragweite wurde anfangs unterschätzt; aber der schöne Traum vom anhaltenden Reichtum in der »New Economy« war vorbei. Die Börsenpresse sprach nun von der größten Geldvernichtung aller Zeiten statt wie zuvor von der wundersamen Geldvermehrung. Vielfach wurde übersehen, dass solche Krisen kein einmaliges Geschehnis sind, sondern sich früher oder später wiederholen.
Erinnert sei an die niederländische Tulpenmanie im 17. Jahrhundert, an die South-Sea-Bubble im 18. Jahrhundert, den Eisenbahn-Boom im 19. Jahrhundert, den überaus heftigen, in eine Weltwirtschaftskrise mündenden Börsencrash von 1929 sowie das Crashszenario 1987. Fast immer waren diese spekulativen Exzesse die Folge von Massenwahn, angeheizt durch Gier und Euphorie und eine danach ausufernde Angst und Panik. Irrationales Verhalten benebelt den Verstand und bewirkt hohe Vermögensverluste bis hin zum finanziellen Ruin. Die Internetblase wurde parallel zur Eisenbahnhysterie von einer technologischen Revolution begleitet.
Gedankensplitter rund um Spekulationsblasen
»Je neuer ein Trend ist und je mehr die Leute darüber reden, desto skeptischer sollten Anleger sein.«
Tobias Levkovich, Chefstratege Citigroup
Ein ungehörter Warnruf
Als die Aktienkurse in Deutschland den Höchststand erreichten, warnte die Finanzzeitschrift »Barron’s« vor der baldigen Zahlungsunfähigkeit etlicher Internetfirmen. Doch die als lästig empfundene Gefahr wurde verdrängt. Die Unternehmen verbrannten weiter das Geld ihrer Aktionäre.
Verzerrte Wahrnehmung
Pleiten im Internetsektor wie Gigabell, Kabel New Media oder Popnet am Neuen Markt kamen im Vergleich zur Anzahl von Insolvenzen in der Software- und IT-Branche seltener vor. Etliche der damals gegründeten Unternehmen waren noch nicht börsenreif. United Internet und Freenet schafften nach längerer Durststrecke den Turnaround. Seit ihren Tiefständen legten sie drei- bis vierstellig zu. Ganz zu schweigen von Googles fantastischem Börsendebüt. Jetzt aber zeigen sich erste Kratzer.
Viele Anleger glaubten in den 1990er-Jahren dass sich die Arbeitswelt in ein Onlineparadies verwandeln werde mit anhaltendem Aufschwung und Chancen auf Wohlstand für alle. Taxifahrer spekulierten mit Aktien, und die Boulevardpresse brachte Börsen-News auf der Titelseite. Heute stapeln selbst institutionelle Anleger ihr Kapital überwiegend in Anleihen. Die irrationelle Übertreibung kehrte sich ins gegenteilige Extrem eines Sicherheitsstrebens um jeden Preis, das den Blick für neue Chancen, für ein mutiges Stock-Picking verschleiert. So zeigt der Wegweiser klar in Richtung physisches Gold. Ein Allzeithoch jagt das nächste.
So haben viele Privatanleger, aber auch Banken und institutionelle Investoren die Rohstoffhausse verschlafen, obwohl sich das hier investierte Kapital seit 2002 trotz zeitweiliger Kurseinbrüche vervielfachte.
Dazu schreibt Max Deml, Finanzanalyst und Chefredakteur des Börsenbriefs ÖKO-Invest 2007: »Der Solaraktien-Index PPVX ist seit 2001 um 1.800 Prozent gestiegen. Wenn sich die Anleger vor zwei Jahren davon hätten abschrecken lassen, dass die Wertsteigerung schon damals bei 900 Prozent lag, hätten sie die weiteren starken Kursgewinne verpasst (Anmerkung: aber auch die darauf folgende heftige Durststrecke).« Hilmar Platz, Vorstand, Analyst und Umwelttechnik-Spezialist bei dem Münchner Finanzberater Kayenburg AG, empfiehlt: »Bei der Auswahl aussichtsreicher Investments sind viele Faktoren wichtig: Welche Märkte werden adressiert? Welches Geschäftsmodell, welche Technologien werden eingesetzt? Wie gut ist das Management? Für den Durchschnittsinvestor ist die Einschätzung dieser Aspekte eine große Herausforderung.«
Vertrauensbildende Maßnahmen in Deutschland
Mit einem Zehn-Punkte-Programm reagierte die Bundesregierung im Februar 2003 auf die dramatischen Kursverluste an den Kapitalmärkten. Der Anlegerschutz sollte gestärkt, verlorenes Vertrauen wieder aufgebaut werden. Dazu dienen die folgenden Gesetze:
Bilanzrechtsreformgesetz
Bilanzkontrollgesetz
Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes
Anlegerschutzverbesserungsgesetz
Und was geschieht heute?
Die sich seit Ausweitung der Finanzkrise verfestigende Risikoaversion, begleitet vom »Scheuklappensyndrom« (verdrängen, was der eigenen Sichtweise widerspricht), tut der Wirtschaft nicht gut, weckt Rezessionsängste und lähmt die Konjunktur durch zunehmende Kreditklemmen und ausbleibende Investitionen.
Zwar ist die Interneteuphorie verflogen. Dennoch verändert das World Wide Web die Geschäftsbeziehungen der Unternehmen und das Verhalten der Verbraucher grundlegend. Ob Auftragseingänge, Lagerbestände oder Lieferkapazitäten – vieles lässt sich heute per Mausklick erledigen. So deuten einige Ökonomen wie der Österreicher Joseph Schumpeter den Boom und Crash der Jahrtausendwende nicht nur als schweren Unfall in der Börsenhistorie, sondern als eine zur Neuausrichtung auffordernde »schöpferische Zerstörung«. Ein hohes Umsatzwachstum ist nicht alles. Der Fokus liegt auf Substanzstärke und Nachhaltigkeit, auf gesunder Bilanzstruktur und einer kontinuierlichen Gewinnentwicklung.
Aufstieg und Fall des Neuen Marktes
Am 10. März 2000, seinem dritten Geburtstag, erklomm der Neue Markt mit 9.631 Punkten sein Allzeithoch. Die Deutsche Börse AG gründete am 10. März 1997 das Segment für junge Wachstumsunternehmen als deutsche Variante zur US-Technologiebörse NASDAQ. Der Handel begann verhalten mit dem Automobilzulieferer Bertrandt, heute im SDAX gelistet, und dem Mobilfunkunternehmen MobilCom. Danach ging es in Riesenschritten aufwärts. Im Laufe seines sechsjährigen Bestehens waren am Neuen Markt 353 Firmen gelistet. Bei ihren Börsengängen nahmen die Gesellschaften insgesamt 23,8 Milliarden Euro ein. Die Internationalität war groß. So kamen aus Österreich zwölf, den USA neun, den Niederlanden neun und Israel acht Unternehmen.
Die Anleger zeichneten meist ungeprüft und unterschieden selten zwischen substanzstarken Unternehmen und kleinen Garagenklitschen, die bei minimalen Umsätzen tiefrote Zahlen schrieben und allein mit Visionen brillierten. Die Zeichnungsmanie war zeitweilig so groß, dass Aktiendepots vom Neugeborenen bis zum Urgroßvater eingerichtet wurden, um die Zuteilungschancen zu erhöhen. Danach ging es rapide abwärts. Ende 2000 stand der NEMAX 50 nur noch bei 2.869 Punkten und hatte bereits in diesem Jahr mehr als 70 Prozent verloren. Bis zu seinem endgültigen Niedergang betrug der Verlust über 97 Prozent.
Parallel zum Markt stürzten auch die Fonds von Investmentstar Ochner ins Bodenlose ab. Nicht minder tief war der Fall des Analysten Henry Blodget, der bei Merrill Lynch ein Jahresgehalt von fünf Millionen Dollar bezog. Während des Börsenbooms verflachte sich die moralische Kompetenz. Heute wird im Zuge millionenschwerer Steuerhinterziehungen, riesiger Bonuszahlungen und Abfindungen die Vorbildwirkung der Unternehmenschefs angemahnt. Damals waren es insbesondere geschönte Bilanzen, erlogene Umsatzerlöse, gefälschte Erträge. So meldete der Chef des Verkehrstechnik-Unternehmens Comroad ständig Großaufträge aus Fernost mit dem Schönheitsfehler, dass 95 Prozent der Umsätze frei erfunden waren. Staatsanwalt Peter Noll attestierte dem Angeklagten mildernde Umstände: »Zu einem Clown gehört auch ein Zirkus, und dieser Zirkus nennt sich Neuer Markt.« 1997 war der NEMAX mit 505 Zählern gestartet. Fünf Jahre später stand er mit 367 Punkten wieder am Anfang. Am 21. März 2003 »beerdigte« die Deutsche Börse AG den NEMAX und ersetzte ihn durch den TecDAX mit nur noch 30 in- und ausländischen Hightechtiteln.
Die deutsche Technologiebörse TecDAX war trotz der beachtlichen Performance von 30 Prozent im Jahr 2007 zum Jahresschluss 2008 mit einem Punktestand von 508 und einem Kursverlust von 48 Prozent nur noch ein Schatten seiner selbst. Der TecDAX, heute während seiner Dominanz von Solarstromunternehmen gern als »Sonnen«-Index bezeichnet, ist immer noch belastet durch die Historie des Neuen Marktes. 2009 aber erholte sich der TecDAX eindrucksvoll und war mit einem Kursgewinn von 61 Prozent und dem Punktestand von 818 der große deutsche Indexsieger. Allerdings ist zu beachten, dass ein Index oder eine Aktie bei einem Kursverlust von 50 Prozent um 100 Prozent steigen muss, um den alten Stand zu erreichen.
Im Einklang mit den Erkenntnissen von Behavioral Finance zeigt auch die volkswirtschaftliche Sichtweise: Börsenblasen sind unvermeidbar
Wer heute Volkswirtschaft studiert, erlebt wirklichkeitsnahere Situationen als zu früheren Zeiten, in denen die Studenten mit dicken Wälzern abstrakter Theorien überschüttet wurden. In studienbegleitenden Experimenten, in denen die Mitspieler echtes Geld verdienen können, erfahren sie, dass sich die Finanzmärkte oftmals nicht rational verhalten, sondern regelmäßig das gleiche Muster ausbilden: Zunächst steigen die Preise weit über den fundamentalen Wert, um irgendwann – nur wann, wie lange und wie heftig ist ungewiss – plötzlich abzustürzen. Offenbar lässt sich dieses Phänomen nicht verhindern. Experimente mit oder ohne Leerverkäufe – vergleichbar mit oder ohne Hegde-Fonds-Beteiligung – zeigen einen ähnlichen Verlauf. Es bilden sich Blasen, die später platzen. Dieses Grundmuster ändert sich nicht, weil der Mensch an gewohnten Verhaltensweisen festhält und der »Rudelinstinkt« sein Handeln prägt. Auf dieses Phänomen gründet sich auch die Technische Analyse bzw. Charttechnik. Die Experimente, über die Bernard Ruffieux in der Fachzeitschrift »Spektrum der Wissenschaft« berichtete, zeigen, dass die Börse irrational ist. Die Marktteilnehmer lernen aus der Geschichte wenig oder nichts. Es gibt mehr Übertreibungen nach oben als nach unten.
Letztlich bestätigen diese Experimente, dass die Tulpenzwiebel-Spekulation in Holland im 17. Jahrhundert, der Schwarze Freitag am Vorabend der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts oder die dem Absturz von über 95 Prozent vorangegangene Kursexplosion am Neuen Markt nicht als Aussetzer zu bewerten sind. Der Mechanismus der Märkte erzeugt zwangsläufig Blasenbildungen, mag der Zeitraum dazwischen auch unterschiedlich lang sein und die Reaktion mehr oder weniger heftig ausfallen.
Wenn also die Märkte bisweilen irrational reagieren und die Kapitalströme nicht immer effektiv steuern, müssen Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, gründlich informieren und Ihre Beweggründe und Ihr Risikobewusstsein richtig einschätzen. Streben Sie eine langfristige Anlage an, die das Platzen der nächsten Blase überdauern soll und als vor 2009 angelegter Altbestand steuerfreie Kursgewinne als Baustein Ihrer Altersvorsorge ermöglicht? Dann ist neben einem günstigen Einstiegskurs eine besonders hohe Qualität der Wertpapiere entscheidend, möglichst untermauert durch eine attraktive Dividende. Bei einer kurzfristigen Anlage sind eine genaue Marktbeobachtung und rasches Handeln entscheidend für den Erfolg. So war es verhängnisvoll, erst zu Beginn der Jahrtausendwende mit seinem gesamten Kapital einzusteigen und in der Talsohle des Crashs alle Papiere in panischer Angst auf den Markt zu werfen. Diversifikation betrifft nicht nur die Auswahl der Anlageformen, sondern bezieht den Zeitpunkt mit ein.
Die Frage, welche Aktien am besten wann gekauft oder verkauft werden, kann die Wissenschaft nicht schlüssig beantworten. Aber sie hilft, vernünftig zu entscheiden, indem sie das Marktgeschehen besser strukturiert und analysiert.
2.2 Das Marktgeschehen genau beobachten
Beispiel: Kurz vor dem Platzen der Spekulationsblase bedurfte es nur eines Börsengurus im Fernsehen oder in den Printmedien, um den Kurs einer Aktie aus der zweiten oder dritten Börsenliga mit nur einer einzigen Kaufempfehlung in luftige Höhen zu katapultieren. So wurde im Februar 2000 in der 3-SAT-Börse die im Neuen Markt gelistete und jetzt im TecDAX notierte Biotechaktie MorphoSys mit der Empfehlung »Starker Kauf und Kursziel 1.000 Euro« versehen. Ende Dezember 1999 kostete die Biotechaktie 25 Euro, zwei Monate später bis zu 430 Euro. In einer Zeitspanne von kaum acht Wochen bezahlten die Anleger 17mal(!) so viel für die Aktie einer Gesellschaft, die keine Gewinne erzielte, sondern tiefrote Zahlen schrieb. Das böse Erwachen kam später. 2002, also zwei Jahre später, rutschte die Biotechaktie auf ihr Allzeittief unter fünf Euro – jetzt eine irrationale Übertreibung nach unten. Aktuell, im Juli 2010, liegt der Kurs des TecDAX-Titels bei 15,50 Euro. Abhängig vom Zeitpunkt des Ein- und Ausstiegs waren mit MorphoSys stattliche Gewinne wie auch hohe Verluste zu erzielen. Was ist aus diesem Beispiel zu lernen? Es ist der Wahnwitz anzuprangern, überhaupt für die Aktie eines Unternehmens so viel Geld zu bezahlen, dessen Geschäftsmodell zwar zukunftsträchtig ist, das aber auf Kooperationen mit Pharmakonzernen und »Meilenstein«-Zahlungen angewiesen ist und noch keine Gewinne erzielt.
Gefährlich ist es, sich auf eine einzige Expertenstimme zu verlassen. Selbst DAX-Werte werden von Analysten oft unterschiedlich beurteilt. Mitunter wird derselbe Titel auf Kaufen, Halten und Verkaufen gestellt. Aussagekräftig ist das prozentuale Verhältnis. Es erleichtert die Orientierung, um sich unter Einbeziehung der Charttechnik und wichtiger Kennziffern wie Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), Buchwert und Cashflow ein eigenes Urteil bilden zu können.
Wer sich einen aktuellen Marktüberblick verschaffen will, sollte das Internet nutzen, z. B. die Plattform http://de.finance.yahoo.com, das Finanzportal www.onvista.de, als Abonnent www.boerse-online.de/premium bzw. den Infodienst seiner Depotbank.
Ich empfehle, das wöchentlich erscheinende Anlegermagazin BÖRSE ONLINE zu abonnieren – schon deshalb, um die aussagekräftige Datenbank zu nutzen und über das aktuelle Börsengeschehen im Bilde zu sein.
2.3 Die Demografie in die Aktienstrategie einbeziehen
Die steigende Lebenserwartung in Verbindung mit Geburtenarmut bedeutet keine reine Freude, sondern wirft große Probleme auf. In 50 Jahren, 2060, wird es in Deutschland fast so viele 80-jährige geben wie unter 20-Jährige. Heute leben in Deutschland rund 82 Millionen Menschen, 2060 werden es nur noch 65 bis 70 Millionen Menschen sein. Wer 2060 geboren wird, dürfte als neugeborener Junge im Schnitt 85 Jahre und als Mädchen 89 Jahre alt werden. Für 2006 bis 2008 wird bei Jungen eine Lebenserwartung von 77,2 und bei Mädchen von 82,4 Jahren erwartet.
Nettorentenniveau vor Steuern
2005: |
|
52,7 % |
2010: |
|
50,0 % |
2020: |
|
46,7 % |
2030: |
|
43,8 % |
Erwartete Senkung des Leistungsniveaus bis 2030 um 15 bis 20 %
Dass es für eine vernünftige Investition, für Vermögensaufbau und Altersvorsorge nie zu früh, aber letztlich auch nicht immer zu spät ist, zeigt ebenfalls die demografische Entwicklung. Sind Sie heute 20 Jahre alt, liegt Ihre durchschnittliche Lebenserwartung bei weiteren 60 Jahren, 30-jährig bei 50, 40-jährig bei 40, 50-jährig bei 30, 60-jährig bei 22, 70-jährig bei 15 und 80-jährig noch bei acht Jahren. Als Frau dürfen Sie etwas dazurechnen, als Mann ein bisschen abziehen.
Durchschnittliche Rentenbezugsdauer
Frauen:
1960: |
|
10,6 Jahre |
1980: |
|
13,8 Jahre |
2006: |
|
19,6 Jahre |
2008: |
|
19,9 Jahre |
2009: |
|
20,1 Jahre |
Männer:
1960: |
|
9,6 Jahre |
1980: |
|
11,0 Jahre |
2006: |
|
14,8 Jahre |
2008: |
|
15,9 Jahre |
2009: |
|
16,2 Jahre |
Deutsche Rentenversicherung
Die Tendenz zum längeren Leben bleibt wegen der Fortschritte in der Medizin und Biotechnologie, verbesserten Wohnbedingungen und mehr Hygiene, höherem Lebensstandard, niedriger Arbeitszeit und Verringerung schwerer körperlicher Belastungen ungebrochen. Schon bald dürfte ein Neugeborener rund 90 Jahre alt werden. Dabei gefährdet die niedrige Geburtenrate mit nur 1,3 Kindern pro Frau das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht. Der Bundesbürger spürt dies auch, verdrängt aber gern die ihn belastenden Folgen oder sucht nach Sündenböcken. Mit Protesten gegen die stufenweise Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre und ein künftig niedrigeres Rentenniveau ist es nicht getan. Geld, das fehlt, kann vom Bundesfinanzminister nicht verteilt werden, zum Leidwesen der Rentner und der Patienten im explodierenden Gesundheitswesen.
Waren vor gut 50 Jahren 20 Prozent der Bevölkerung 60 Jahre und älter, sind es derzeit 25 Prozent und 2030 vermutlich sogar 35 Prozent. 1960 betrug die Rentenbezugsdauer bei Männern etwa zehn Jahre, 1980 elf Jahre. 2002 waren es bei Frauen bereits 19,5 Jahre und bei Männern mehr als 14 Jahre, Tendenz steigend.
Altersaufbau 2010 und 2050 Deutschland
Quelle: Statistisches Bundesamt
Für die soziale Rentenversicherung bedeutet dies: Die Beitragszahler müssen immer länger für eine stetig wachsende Zahl von Ruheständlern aufkommen.
Letztlich hilft kein Wehklagen, sondern nur der eigenverantwortliche Aufbau einer soliden Altersvorsorge schon in jungen Jahren. In der ersten Lebenshälfte ist ein hoher Aktienanteil wegen der langfristig attraktiven Rendite günstig. Dennoch sind Pauschalrezepte unbrauchbar. Jeder Kapitalanleger muss sich über seine individuelle Lage, Beweggründe, Ziele, Persönlichkeitsstruktur klar sein, um Entscheidungen treffen zu können, mit denen er sich identifiziert, die er in schwierigen Zeiten durchhält und psychisch wie auch materiell verkraftet. Das Problem besteht darin, dass man in jungen Jahren oft zwar aktiv an der Börse sein will und sich für Aktien interessiert, aber den Wunsch oft nicht umsetzen kann. Große Anschaffungen, Familien- und Firmengründung, der Erwerb einer eigenen Immobilie (Eigentumswohnung, Hausbau) lassen keinen finanziellen Spielraum für die Aktienanlage offen.
Langfrist-Aktienanlage ist Trumpf
Wer vor 50 Jahren 10.000 US-Dollar in den Dow-Jones-Aktien-Index investierte, erzielte ungefähr 400.000 Dollar Gewinn – genug für ein finanziell sorgenfreies Alter auch bei langer Lebensdauer. Überzeugender kann sich ein langfristiges Aktieninvestment nicht präsentieren, mögen auch kurzfristig hohe Verluste drohen und Traumrenditen selten werden.
Veränderte Einschätzungen aufgrund der Fortschritte von Medizin, Medizintechnik, Biotechnologie und Nanotechnologie
Die Lebenserwartung steigt weiter. Eine Obergrenze ist nicht in Sicht. Derzeit werden schon über zehn Prozent der japanischen Frauen 100 Jahre. Einige Wissenschaftler halten schon bald ein durchschnittliches Lebensalter von 100 Jahren für denkbar. Versuche mit Mäusen und Fadenwürmern beweisen, dass eine solche Einschätzung kein bloßer Wunschtraum ist. Die Zielsetzung heißt, gesund und fit zu altern – mit mehr Lebensqualität, finanziell abgesichert, wirtschaftlich unabhängig und frei. Dies stellt das Gesundheitswesen, die Rentenkassen, die Volkswirtschaft, die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, den Angebots- und Nachfragemarkt vor immer neue Herausforderungen.
Die Profiteure des demografischen Wandels
Pharma- und Biotechsektor
Medizintechnik (wie Zahnprothetik, Hörgeräte und Sehhilfen, künstliche Bandscheiben und Hüftgelenke, Rollstühle, moderne Verabreichungsformen für Arzneimittel etc.)
Roboterindustrie (Dienstleistungen, Hilfen im Lebensalltag)
Sektor Gesundheit, Wohlbefinden, Wellness, Touristik, altersgerechte Freizeitangebote
Gediegene Kleidung, Körperpflege und Ernährung
Private Kliniken, Rehabilitation, Betreutes Wohnen, Altenheim- und Altenpflegeheimbetreiber
Eine auf wohlhabende Senioren abgestimmte Gebrauchs- und Verbrauchsgüterindustrie
Auf ältere Menschen fokussierte Dienstleistungsbranche
Das längere Leben geht nicht unbedingt einher mit mehr Qualität. Im Schnitt leben Männer acht Jahre und Frauen sechs Jahre lang mit deutlicher Behinderung, was bereits an den ständig explodierenden Pflegekosten erkennbar ist. Die Zahl der Pflegebedürftigen dürfte bis zum Jahr 2020 um rund die Hälfte von 1,5 auf drei Millionen und bis 2050 auf knapp fünf Millionen Menschen steigen. Mit zunehmendem Alter häufen sich Gebrechen und vor allem Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen. Ältere Patienten belasten die Kostenrechnung im Gesundheitswesen wesentlich stärker als junge Menschen. Die Märkte müssen auf die alternde Gesellschaft und die sich verschiebenden Bedürfnisse reagieren. Ein erster Schritt ist die stufenweise Heraufsetzung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre, mag darüber auch vielerorts geschimpft werden.
Als Sieger gelten der Pharma- und Medizintechniksektor, private Kliniken, Betreutes Wohnen, Alten- und Pflegeheimbetreiber, Tourismus, Freizeitindustrie, Sportartikel- und Wellnessanbieter.
Die großen international ausgerichteten Konzerne dürften unter der Demografie in den westlichen Industrieländern weniger leiden als die auf den deutschen Binnenmarkt oder »Euroland« fokussierten Mittelständler. Die Globalplayer können die hier zu erwartenden Absatzeinbrüche mit dem Bevölkerungswachstum in den Schwellenländern weitgehend ausgleichen.
Heute leben die Senioren nicht nur länger. Sie sind auch geistig und körperlich länger fit, häufig recht gut situiert, sodass entsprechend konsumiert wird – oft auf gediegenem Qualitätsniveau. Senioren entwickeln andere Freizeitgewohnheiten als junge Leute. Statt Fußball und anderer Mannschaftssportarten sind vielmehr Radfahren, Golf, Schwimmen, Nordic Walking, Rückenschule und Tennisdoppel angesagt. Mode und Körperpflege, schmackhafte, leicht zuzubereitende Nahrungsmittel, eventuell auch Haustierhaltung mit Tierzubehör sind ebenfalls bei den älteren Herrschaften gefragt. Immerhin liegt das Einkommen der Rentner- und Pensionärshaushalte leicht über dem Durchschnitt. Viele Senioren wollen nicht nur sparen und Geld für die Enkel beiseite legen, sondern ihren Lebensabend genießen und ausgeben, was sie sich erarbeitet und erspart haben. Von daher wird eine kapitalgedeckte Altersvorsorge, wozu vor allem Aktien zählen, immer wichtiger.
Die Werbung sollte daher nicht versäumen, in Text und Bild die aktiven, lebensbejahenden, untern ehmungslustigen Senioren gezielt anzusprechen. Ältere Menschen wollen sich in der Produkt- und Dienstleistungsbranche wiedererkennen, ohne darauf gestoßen zu werden, »alt« zu sein.
Wer sind die Verlierer bei den gesellschaftlichen Umbrüchen?
Die Verlierer aufgrund einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung bei höheren Gesundheitsausgaben dürften die Auto-, Zigaretten- und Spielzeugindustrie, der Immobilienmarkt sowie die Möbel- und Elektrogerätehersteller sein. Viele ältere Menschen sind mit den langlebigen Gebrauchsgütern längst eingedeckt. Das gilt auch für die beliebten Fernsehgeräte, die selbst in keinem Altenwohnheimzimmer fehlen.
Dagegen liegen Wohnungsrenovierungen bei wirtschaftlich besser gestellten Senioren im Trend. Es gilt, die eigenen vier Wände beizeiten aufzurüsten und altersgerecht umzugestalten, um bis zum Lebensende im eigenen sozialen Umfeld verbleiben zu können. Sollte es der Autoindustrie mit innovativen Neuerungen gelingen, die körperlich und geistig mobilen 80- und 90-Jährigen als Fahrer bei der Stange zu halten, beispielsweise durch elektronische Eingriffe zur Unfallvermeidung und zum problemlosen Einparken, muss diese Branche nicht zu den Verlierern zählen.
Was haben die demografischen Umwälzungen mit der Börse, mit der richtigen Aktienstrategie zu tun?
Durch Überalterung sowie die Reformen des Gesundheitswesens und der Rentensysteme sind längerfristig sinkende Renditen zu befürchten, wahrscheinlich auch bei Aktienanlagen. Zunächst vollzieht sich der Wandel in der Bevölkerungsstruktur eher schleichend. Aber schon vor 2015 dürfte sich der Effekt beschleunigen, wenn die »Babyboomer« ins Rentenalter kommen. Ältere Menschen beanspruchen einerseits viele Dienstleistungen, andererseits konsumieren sie weniger als Leute mittleren Alters.
Erfahrungsgemäß investieren die meisten Bundesbürger bevorzugt im eigenen Land. Soweit es sich um Aktien handelt, wird der DAX favorisiert. Zahlreiche Finanzexperten raten, nur bis zu 20 Prozent des Portfolios mit DAX-Titeln zu belegen. Wie aus einer Studie des Zentrums für die europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hervorgeht, rechnen rund 250 befragte Finanzexperten damit, dass künftig zu Ungunsten von DAX und EURO STOXX insbesondere die Schwellenländer in Ostasien und Südamerika das Kapital der älter werdenden Europäer anziehen dürften. Ein solcher Trend zeichnet sich schon jetzt ab. So sind beispielsweise BRIC-Aktienfonds (B = Brasilien, R = Russland, I = Indien, C = China) und entsprechende ETFs bei risikobewussten, kompetenten Anlegern zunehmend begehrt.
Das Durchschnittsalter der Menschen 2010
Indien: |
|
25,3 Jahre |
Brasilien: |
|
28,6 Jahre |
China: |
|
34,1 Jahre |
Russland: |
|
38,4 Jahre |
England: |
|
40,2 Jahre |
Japan: |
|
44,2 Jahre |
Italien: |
|
43,3 Jahre |
Deutschland: |
|
43,8 Jahre |
Besonders belastend für den Aktienmarkt wirkt, dass ältere Menschen, die nicht zur Gruppe der Wohlhabenden zählen, im Laufe der Zeit ihr angespartes Kapital verzehren statt es weiter in Wertpapiere zu stecken. Außerdem schichten ältere Menschen zumindest einen Teil ihres Aktienportfolios gern in sichere Anlageformen wie Anleihen mit hoher Bonität um. Wer will schon im Ruhestand bei starker Aktiengewichtung einen massiven Crash erleben und damit seine Altersversorgung mit dem so wichtigen Ziel der finanziellen Freiheit und Unabhängigkeit gefährden?
2.4 Die Erkenntnisse der Börsenpsychologie nutzen
Professor Daniel Kahneman von der Princeton Universität beobachtete jahrelang, wie das tatsächliche Anlegerverhalten von rationalen Verhaltensweisen abweicht. Für seine Forschungen wurde ihm 2002 der Nobelpreis für Wirtschaft verliehen. Anleger lassen sich nicht nur von Angst, Unsicherheit, Gier, Euphorie und persönlichen Vorlieben beeinflussen, sondern folgen häufig dem Herdentrieb und lassen sich vom Bauchgefühl leiten, unabhängig davon, was die Marktdaten zeigen.
Mithilfe der Behavioral Finance – dem Bindeglied zwischen Ökonomie und Psychologie – können Sie die Fallstricke psychologisch bedingter Verhaltensweisen an der Börse erkennen und für Ihre Anlagestrategie nutzen. Schließlich wird der Markt in schwierigen Zeiten stark von verzerrter Wirklichkeitswahrnehmung und Verdrängung geprägt. In ruhigen Zeiten sind dies etwa 30 bis 40 Prozent, in kritischen Phasen bis zu 80 oder 90 Prozent. Berühmte Ökonomen wie Schumpeter oder Keynes erkannten schon in den 1950er-Jahren, dass irrationale Beweggründe und Verhaltensweisen die Entwicklung an den Aktienmärkten beeinflussen.
Franz-Josef Buskamp stellt in seinem im FinanzBuch Verlag erschienenen Buch »Mentale Börsenkompetenz« im Vorwort die Fragen: »Was braucht man, um an der Börse überdurchschnittlich gut abzuschneiden, um auf die Dauer zu den Gewinnern zu zählen? Eine fundierte Strategie und ein individuelles Handelskonzept gehören sicherlich dazu. Aber warum scheitern viele Anleger trotz ausgefeilter Analysen oder einer ausgeklügelten Handelsmethode? Die meisten Anleger stehen sich selbst im Weg. Zwischen den wenigen Anlegern, die überwiegend gewinnen, und der Mehrheit der Akteure, die meistens verliert, existieren gravierende Unterschiede in der Persönlichkeitsstruktur. Diejenigen, die zu den Gewinnern zählen, sind nicht nur gut über sich selbst informiert, sondern können ihre persönlichen Stärken und Schwächen sehr gut einschätzen. Die eigene Psyche hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Erzielung von Börsengewinnen, wenn nicht sogar den bedeutendsten Anteil daran.«
In einem Interview äußert sich der Marktanalyst Buskamp zum Anlegerverhalten und zu den Konsequenzen. Daraus ein Auszug: »Die wenigsten Investment-Entscheidungen werden aus strategischen Gesichtspunkten getroffen. Oftmals entscheiden Anleger aus dem Bauch heraus, worin sie investieren – ohne die Folgen zu bedenken. Die Psyche beeinflusst den größten Teil des Anlageverhaltens. Ängste, Wünsche, Hoffnungen, Sorgen usw. sind nahezu immer die emotionalen Begleiter. Dies kann soweit führen, dass die Emotionen börsenbezogene Investments nahezu 100 Prozent beeinflussen. Nehmen wir als Beispiel die antizyklische Anlage. Dazu ist die Mehrheit der Anleger nicht wirklich fähig. Antizyklisch investieren bedeutet streng genommen, gegen einen bestehenden Trend zu investieren. Damit stelle ich mich gegen die Mehrheit der Anleger und distanziere mich von der aktuellen Entwicklung. Wer darauf achtet, was andere zu eigenen Entscheidungen sagen könnten, der wird an der Börse nichts anderes tun, als sich am Massenverhalten zu orientieren. Eine Masse initiiert keinen neuen Trend. Längerfristige Trends gehen in ihrem Ursprung nur auf wenige Marktakteure zurück.
»Die Wirtschaft ist die einzige Wissenschaft, in der jedes Jahr auf die gleichen Fragen andere Antworten möglich sind.«
Ingrid Lorenzen
»An der Börse ist alles möglich, auch das Gegenteil.«
André Kostolany
Die meisten Anleger nehmen sich keine Zeit. Alle wollen möglichst schnell gewinnen. Steigt eine Aktie nicht gleich nach einer Empfehlung und dann innerhalb weniger Wochen um möglichst 100 Prozent, werden die ersten Anleger bereits nervös. So funktioniert das nicht; denn Ungeduld ist an den Märkten ein schlechter Partner. Aus Ungeduld werden auch Gewinne zu früh mitgenommen. Welche Aktie kann mir ganz schnell den Supergewinn bescheren? Wer so an den Markt herangeht, befindet sich auf dem Weg des Verlierers.«
Joachim Goldberg und Rüdiger von Nitzsch befassen sich in ihrem ebenfalls im FinanzBuch Verlag erschienenen Bestseller »Behavioral Finance – Gewinnen mit Kompetenz« mit den Fallstricken der Börsenpsychologie. Sie stellen mit der Behavioral Finance einen jungen Zweig der Kapitalmarkteinschätzung vor und schlagen eine Brücke zwischen Ökonomie und Psychologie. Die Autoren zeigen auf, dass Kauf- und Verkaufsentscheidungen oft nicht cool, gelassen und überlegt gefällt, sondern durch typisch menschlich irrationale Verhaltensmuster beeinflusst werden. Das unlogische Verhalten hat System und neigt selbst bei erkennbarem Misserfolg dazu, sich zu wiederholen. Emotionale Stimmungen erlangen oft ein Übergewicht und gefährden den Anlageerfolg.
Dabei spielt der geheime Wunsch, in die Zukunft zu blicken, die Geschehnisse von morgen richtig und gewinnbringend zu deuten, eine große Rolle. Um mit einer falschen Prognose nicht ins Hintertreffen zu geraten, stimmen selbst anerkannte Analysten ihre Vorhersagen aufeinander ab. Bei einer Fehleinschätzung fällt der Einzelne nicht in Ungnade und wird nicht zum Zielpunkt harter Kritik. Schließlich handelt es sich nicht um eine abweichende, die allgemeine Harmonie störende Meinung.
Fünf Phasen: emotionaler Überschwang und Herdentrieb an der Börse
Stabilisierung: Die Gefühlslage an der Börse beruhigt sich. Der vorhergehende starke Kurseinbruch kommt zum Stillstand. Die ersten mutigen Anleger steigen wieder ein.
Aufschwung: Die Stimmung kehrt sich ins Positive. Es entwickelt sich verhaltener Optimismus – auch wenn noch überwiegend schlechte Nachrichten den Markt belasten.
Begeisterung: Der Optimismus steigert sich in Zuversicht, dass es mit den Kursen dauerhaft aufwärts geht. Die Käufer werden durch zunehmend erfreuliche Meldungen aus der Wirtschaft in ihrer Meinungsbildung bestätigt.
Euphorie: Spekulation und Gier beherrschen die Börse. Immer mehr Anleger springen auf den schon schnell fahrenden Börsenzug auf aus Angst, die Hausse zu verpassen. Die ersten Negativmeldungen werden ignoriert.
Crash, Panik, Angst: Die Stimmung schlägt panikartig um. Zahllose Anleger werfen ihre Papiere auf den Markt ohne Rücksicht auf die Höhe der Verluste. Negative Nachrichten dominieren. Die Börsenpessimisten überbieten sich in ihren düsteren Prognosen.
Eher noch kann sich ein unbekannter Experte einen Outsider-Tipp leisten. Behält er Recht, erregt er Aufsehen und Wertschätzung, hat er Unrecht, ist dies für ihn als Neuling leichter verzeihbar. Herdentrieb dominiert nicht nur das Verhalten der Privatanleger, sondern auch zahlreicher Profis.
Aus diesem bemerkenswerten Buch von Goldberg/Nitzsch bringe ich einige Zitate, entnommen dem Kapitel I, Prognosen: »Teilnehmer an den Finanzmärkten verhalten sich unterschiedlich. Ihre Motive, Mentalität und Denkungsart, ihre Risikobereitschaft und ihre Handelshorizonte können vollkommen verschieden sein. Obgleich man meinen sollte, die Akteure würden zumindest bei ihren Operationen an den Märkten rational agieren, zeigt die Wirklichkeit ein anderes Bild: Menschen handeln beileibe nicht immer vernünftig. Das Motiv, überhaupt an Märkten teilzunehmen, ist nicht nur die Maximierung von Gewinnen. Es sind oftmals ganz banale Beweggründe wie die Suche nach Spannung und Unterhaltung. Oder der Wunsch nach Kommunikation. Motive beeinflussen und verzerren jedoch die Sichtweise der Menschen. Trotz der Absicht vieler Marktteilnehmer, sich rational verhalten zu wollen, bleiben die Ergebnisse häufig hinter dem zurück, was man als optimal betrachten würde. Sie geben zwar ihr Bestes, machen aber Fehler. Und diese Fehler wiederholen sich.
Die Behavioral Finance befasst sich einerseits mit der Aufnahme, Auswahl und Verarbeitung von Informationen und konsequenterweise mit den daraus resultierenden Entscheidungen. Auf der anderen Seite beschäftigt sie sich mit den Anomalien im menschlichen Verhalten. Diese Abweichungen vom rationalen Handeln sind jedoch nicht auf Einzelfälle wie Masseneuphorien oder Paniken beschränkt, sondern Bestandteil des täglichen Lebens. Diese oft nicht von Vernunft gekennzeichneten Handlungsweisen beeinflussen auch andere Menschen, sodass auch die Interaktion der Marktteilnehmer untersucht werden muss. So zeigt sich: Auch wenn mehrere Akteure an der Meinungsbildung beteiligt sind, können Fehleinschätzungen auftreten. Denn nicht immer wirken das Team oder die Kollegen als Korrektiv. Behavioral Finance soll nicht nur das eigene Entscheidungsverhalten verbessern helfen, sondern zu einem umfassenderen Verständnis des tatsächlichen Verhaltens von Marktteilnehmern beitragen.
Wer über die menschliche Psyche Bescheid weiß, dürfte gegenüber den anderen Akteuren einen deutlichen Vorsprung erlangen, weil er absehen kann, wie das Gros in bestimmten Situationen reagieren wird. Da bestimmte Verhaltensmuster immer wiederkehren, werden sie für Dritte auch prognostizierbar. Und nicht nur das: Wer sich dieser Mechanismen bewusst ist, dem müsste es mit etwas Disziplin gelingen, den eigenen Erfolg deutlich zu steigern. Schon das Orakel zu Delphi lehrte, dass der Schlüssel zur Weisheit nicht in der Vorhersage der Zukunft liegt, oder – in der Sprache des Marktes – der Erfolg eines Engagements nicht allein klugen Prognosen verdankt. Vielmehr gilt für den modernen Marktteilnehmer wie für den Menschen der Antike: ›Erkenne dich selbst‹!«
Der Überschwang von Gefühlen und das Herdentriebverhalten der Anleger sind mitbestimmend für das Auf und Ab an der Börse
Der wohl schlimmste Fehler ist der zu frühe Verkauf aussichtsreicher Aktien und das zu lange Aussitzen und Mitschleppen der Verlierer ohne nennenswertes Erholungspotenzial. Nachteilig ist auch die Scheu vieler Anleger, besonders gut laufende Aktien auch dann noch zu kaufen, wenn der Kurs schon eine Weile bergauf gerichtet ist. Die Abwehrhaltung: »Schon viel zu teuer! Zum Höchstkurs steige ich nicht ein!« hält davon ab, trotz weiter vorhandenen Kurspotenzials einzusteigen.
Dazu einige Beispiele: Die beiden Kursgewinner im TecDAX waren 2009 Dialog Semiconductor (+1.086 %) und Aixtron (+413 %). Bis zum 10. März 2010 kam bei Dialog Semiconductor ein weiteres Plus von 59 % dazu. Am prächtigsten entwickelte sich aber im TecDAX in der kurzen Zeit von nur neun Wochen im Jahr 2010 die Drägerwerk VZ (+76 %). Im MDAX waren 2009 Pro Sieben Sat 1 VZ (+236 %), die Aareal Bank (+127 %) und ElringKlinger (+123 %) die großen Sieger. Pro Sieben Sat 1 (+36 %), die Aareal Bank (+17 %) und ElringKlinger (+13 %) setzten ihren Höhenflug auch im ersten Quartal 2010 eindrucksvoll fort. Eine imposante Rallye legten 2009 auch die Spitzenreiter im SDAX hin: Tipp 24 (+410 %), Teleplan (+344 %) und Cat Oil (+225 %). Bei Cat Oil und Teleplan geht es, wenngleich verhalten, auch jetzt noch aufwärts.
Die Zauberformel der Aktienbörse
Ich kann schlimmstenfalls meinen Einsatz verlieren. Nach oben aber gibt es keine Grenze.
Was sagt die Statistik zu Gewinnmitnahmen? Die mit Kursgewinn verkauften Aktien erzielen in aller Regel auch künftig noch höhere Renditen als die dafür neu ins Depot aufgenommenen Titel; denn die Fortsetzung eines bestehenden Trends ist wahrscheinlicher als eine Trendumkehr. Für die Verliereraktien gilt Gleiches. Sie binden zudem das Kapital und dürften sich kaum erholen, sofern der Kursabschwung fundamental begründet ist und die technische Analyse mit ihren Charts weiterhin Verkaufssignale aussendet.
Ausnahme: Es kommt Fantasie auf, weil ein Turnaround ansteht, das Geschäftsmodell neu und zukunftsträchtig ausgerichtet ist und ein angesehener Analyst eine Kaufempfehlung abgibt.
»Es ist nicht wichtig, wie oft ich richtig oder falsch liege. Es zählt nur, wie viel ich gewinne, wenn ich richtig liege.«
George Soros
Die Psychofalle schnappt zu, wenn der Anleger die Fehlspekulation als persönliche Niederlage empfindet und sich rechtfertigen will. Dann wird der Misserfolg verdrängt, jede Information, die sich nicht mit der eigenen Sichtweise deckt, ignoriert. Auch Selbstüberschätzung verbunden mit dem Glauben, den Markt schlagen zu können, ist hinderlich. Meist wird nach Ausflüchten und Sündenböcken gesucht. Dies steht dem Aufarbeiten eigener Fehler im Wege. Schlecht ist es, nach Verlusten erst dann zu investieren, wenn sich die Märkte längst erholt haben, statt bei den ersten Anzeichen für eine Trendumkehr zumindest schrittweise beherzt einzusteigen.
Ein Auszug aus dem Handelsblatt-Bericht Nr. 17/2008 während einer scharfen Korrektur: »Aktien – Hoffnungen begraben« von Frank Wiebe
»Was tun? Wer schnell agiert oder sein Geld bald verbrauchen will, kann wahrscheinlich auch jetzt noch aussteigen. Wer á la Kostolany seine Aktien kauft und bis zum Eintritt des Rentenalters liegen lässt, muss aber nicht den Weltuntergang fürchten und hektisch umschichten. Falsch wären nur zwei Strategien: jetzt noch aussteigen und zu spät wieder einsteigen. Das passiert leicht. Der ideale Einstiegszeitpunkt kommt oft schon dann, wenn alle noch ihre Wunden lecken und die Nase voll haben von der Börse. Die zweite falsche Strategie: jetzt cool drin bleiben – und nahe den Tiefstkursen die Nerven verlieren und doch noch aussteigen. Die Erfahrung zeigt, dass es schwierig ist, mit häufigem Ein- und Aussteigen das Ergebnis zu verbessern. Oft reichen wenige Tage Verspätung, und schon stimmt die Rechnung nicht mehr – und die Kosten fallen auch noch an.«
2.4.1 Strategietipps – auf Börsenpsychologie gründend
Ein Beispiel zum Nachdenken: Börsenpsychologie und Glücksspiel
»Der Tag, an dem der sonst hartnäckige Optimist zum Pessimisten wird, ist höchstwahrscheinlich der Wendepunkt in der Kurstendenz. Und natürlich auch umgekehrt. Wenn der eingefleischte Pessimist zum Optimisten wird, muss man so schnell wie möglich aus der Börse aussteigen.«
André Kostolany
Warum steigen Casinospieler am Roulettetisch oft zu zeitig aus, wenn sie sich in einer Glücksphase befinden und es doch gerade so gut läuft? Warum hören sie nicht einfach auf, wenn sie eine Pechsträhne durchleiden und es eben alles andere als glatt läuft? Sind solche Probleme auf den Alltag in einem Spielcasino begrenzt? Keineswegs! Namhafte Börsenpsychologen wie der Nobelpreisträger für Wirtschaft, Professor Daniel Kahneman, glauben, dass genau dieses Verhalten die Investoren einige Prozent Rendite pro Jahr kostet.
2.4.2 Kapital kann nichts tun ohne den Verstand, der es leitet
Heute wird von »Pferdeflüsterern« und »Börsen-Zauberern« gesprochen – beides Teile einer Werbekampagne. Sei es für ein einfühlsames Trainingsprogramm bei gestörten Pferden, sei es als Kaufanreiz für ein neues Börsenbuch oder ein Finanzseminar. Börsenzauberer gibt es nicht und ebenso keine »Exklusiv-Geheimnisse«, die nur gegen viel Geld zu erfahren sind. Meist ist dies fauler Zauber. Die folgende Auflistung fasst zusammen, worauf Sie achten sollten, um sich vor irrationalen Verhaltensweisen zu schützen.
2.4.3 Was Menschen mit Affen verbindet und trennt
Warum so viele Anleger nach einem ausgestandenen Crash und einer längst gestarteten Aufholjagd oft weiter passiv an der Seitenlinie des Börsenspielfelds verharren und nicht beherzt in unterbewertete Qualitätstitel zu Tiefstpreisen einsteigen, scheint teilweise genetisch bedingt. Eine im Jahr 2005 veröffentlichte Studie zweier Ökonomen und einer Psychologin von der US-Elite-Universität Yale zeigt solche Zusammenhänge auf.
Bei dem Experiment wurde das Verhalten von Menschen und Kapuzineräffchen bezüglich ihrer Entscheidungsfindung untersucht. Die Forscher wollten erkunden, ob die Einstellung zu Gewinnchancen und Verlustrisiken bei der Geldanlage mehr von den soziologischen Einflüssen Erziehung und Bildung oder der genetischen Ausstattung bestimmt wird. Es ging um das überbewertete Verlustrisiko gegenüber den Gewinnchancen, aber auch um die von dem jungen Zweig der Börsenpsychologie Behavioral Finance aufgedeckte Erkenntnis, nach der sich Menschen vom Bauchgefühl leiten lassen und irrational entscheiden.
Um die Kapuzineräffchen experimentiertauglich zu machen, lernten sie zunächst, kleine Metallscheiben gegen Leckerbissen einzutauschen. Die Tiere konnten wählen, ob sie lieber mit Experimentator A oder B handeln wollten. Im ersten Versuch präsentierte die Person A einen Apfel und lieferte diesen auch. Mensch B zeigte auf einem Tablett zwei Äpfel, händigte aber zu 50 Prozent nur einen aus. Die Affen erkannten, dass B dennoch den besseren Deal anbot und gaben ihm mehrheitlich ihre Metallscheibe. Im zweiten Versuch präsentierte A wieder nur einen Apfel, teilte jedoch zu 50 Prozent zwei Stück aus. B verhielt sich wie zuvor, bot zwei Äpfel an, händigte in jedem zweiten Fall aber nur einen aus. Die meisten Affen entschieden sich für A, ein Anzeichen für die ausgeprägte Verlustabneigung und den Wunsch, mehr zu erhalten als versprochen. Diese Verhaltensweise wurde auch im dritten Versuch bestätigt. Der bevorzugte Händler A zeigte einen Apfel und teilte diesen verlässlich aus. B präsentierte wie gewohnt zwei Äpfel, lieferte aber stets nur einen.
Äffchen zeigen wie Menschen eine ausgeprägte Verlustabneigung – herrührend aus evolutionsbedingtem Ursprung über einen Zeitraum von Jahrmillionen, zurückgehend auf gemeinsame Vorfahren. Experten zufolge gewichten Menschen Verluste zweieinhalbmal so hoch wie Gewinne. Bei den Affen beträgt das Verhältnis 2,7 zu 1.
2.4.4 Studie zum menschlichen Trendverhalten
Das Magazin NEW SCIENTIST brachte 2005 einen Bericht über die Arbeit der französischen Wissenschaftler Quentin Michard und Jean-Philippe Bouchaud. Es geht um das auch für das Börsengeschehen interessante Trendverhalten. Daraus ein Zitat: »Das menschliche Trendverhalten folgt den Gesetzen des Magnetismus. Egal, ob es um eine einfache Modeerscheinung oder eine komplexere Veränderung der öffentlichen Meinung geht – das Muster, mit dem sich soziale Tendenzen entwickeln, ähnelt dem von magnetisierbaren Teilchen in einem Magnetfeld ... Die beiden französischen Physiker Quentin Michard und Jean-Philippe Bouchaud passten die Modellvorstellung aus dem Magnetismus dahingehend an, dass die Teilchen die Menschen repräsentieren und die jeweilige Ausrichtung das individuelle Verhalten bezeichnet. Dieses Modell nutzten sie für eine Vorhersage von Trendverhalten.
Alle drei untersuchten Szenarien (rückläufige Geburtenrate, Handyboom, Konzertapplaus) entsprachen dem physikalischen Wissen. Auch eine allgemeine Meinungsänderung folgt einem mathematisch vorhersagbaren Muster: Die Rate der Menschen, die ihre Ansicht wechseln, steigt stetig an bis zu dem Punkt, an dem die Mehrheit ihre Meinung geändert hat. Dabei spielt eine Rolle, dass jeder nicht nur seine eigene Meinung hat, sondern auch dazu tendiert, andere zu imitieren. ‚Nachahmung als Überlebensstrategie ist tief in der Biologie verwurzelt’, erklärt Jean-Philippe Bouchaud. Besonders häufig würden Menschen andere kopieren, wenn sie glauben, dass diese etwas wissen, was sie selbst nicht wissen.«
Diese Studie lässt sich auf die Börsenpsychologie, insbesondere das Herdentriebverhalten der Aktionäre in Verbindung mit begrenzter Sichtweise übertragen.
2.4.5 Ein-Wert-Strategie: nicht nur schlecht für Ihre Nerven
Börsianer, die ihr Depot breit streuen nach Indizes, Branchen und vom Zeitpunkt her, sind weniger gefährdet, bei einem Kurssturz unter Stress zu leiden, die Nerven zu verlieren, in Hektik und Panik zu geraten. Es ist psychologisch leichter zu verkraften, wenn einer von 15 oder 25 Werten einbricht, als der einzige mit hohem Einsatz georderte Titel. Es kommt zu irrationalen Reaktionen. Die Angst vor finanziellem Ruin ist so groß, dass selbst im Bullenmarkt bei guten fundamentalen Daten und charttechnisch intaktem Aufwärtstrend schon bei geringem Verlust verkauft und eine Erholungschance kaum genutzt wird. Umgekehrt wird schon ein kleiner Gewinn mitgenommen und die richtig große Rallye verpasst. Die Ein-Wert-Strategie verhindert Ausgleichschancen wie sie die Diversifikation bietet. Beispiel: Ein steigender Ölpreis belastet die Airlines- und Autoindustrie, kommt aber den Ölwerten und den regenerativen Energietiteln zugute.
2.5 Gewinne laufen lassen, Verluste begrenzen
Es ist nicht nur schwierig und mit Glück verbunden, den idealen Zeitpunkt für den Aktienkauf zu finden. Noch mehr Kopfzerbrechen bereitet es, zur richtigen Zeit zu veräußern. Der Wunschtraum, zum niedrigsten Kurs ein- und zum Höchstkurs auszusteigen, bleibt meist unerfüllbar. Sie sollten zufrieden sein, wenn Sie nahe dem günstigsten Kurs kaufen und verkaufen. Trösten Sie sich damit, dass selbst den Profis nur selten das perfekte Timing gelingt. Die Forderung, Gewinne laufen zu lassen, gewann bis zum Jahresende 2008 im Hinblick auf Vermögensaufbau und Altersvorsorge an neuer Qualität. Schließlich bleiben nur die Kursgewinne des Altbestands an Einzelaktien, ETFs und Aktienfonds, die vor 2009 angelegt wurden, steuerfrei. Diese Chance galt es vehement zu nutzen. Mit den Kapitalanlagen seit 2009 sieht es völlig anders aus. Alle Kapitalerträge werden nun mit der 25-prozentigen Abgeltungsteuer belastet. Die zum Monster mutierte Finanzkrise löste im Herbst 2008 und Frühjahr 2009 ein neues Crashszenario aus. Jetzt, 2010, erreichen nur vereinzelt gute Aktien wieder ihre Allzeithochs aus früheren Zeiten. Im Gegensatz zum schnellen Rein und Raus ist bei einer Langzeitperspektive ein gekonntes Kauf- und Verkaufstiming weniger entscheidend.
Wie viel Prozent Gewinn, um Verlust auszugleichen?
10 % Verlust: |
|
11 % Gewinn nötig |
20 % Verlust: |
|
25 % Gewinn nötig |
30 % Verlust: |
|
43 % Gewinn nötig |
50 % Verlust: |
|
100 % Gewinn nötig |
70 % Verlust: |
|
233 % Gewinn nötig |
90 % Verlust: |
|
900 % Gewinn nötig |
In der Theorie ist »Gewinne laufen lassen – Verluste begrenzen!« ein einfacher Lehrsatz, in der Börsenpraxis aber wegen psychologischer Barrieren nur schwer umzusetzen. Laut Statistik verkaufen Anleger eine gute Aktie mit weiterem Kurspotenzial mit dreimal höherer Wahrscheinlichkeit als ein schlechtes, verlustbringendes Papier. In Sachen Verlustbegrenzung erweisen sich die psychologischen Faktoren oft genug als Bremsklotz. Viele Börsianer schieben den überfälligen Verkauf mit Selbsttröstung hinaus. Warum dies alles? Insgeheim empfindet so mancher Aktionär den Verkauf unterhalb des Einstandspreises als persönliche Niederlage. Da ihm dies vor sich selbst und wegen seines Gesichtsverlustes gegenüber Angehörigen und Freunden peinlich ist, verdrängt er das Problem. Er macht sich Mut und tröstet sich: »Die Aktie wird sich schon wieder erholen!« Vielleicht verzögert er den Verkauf solange, bis es sich nicht mehr lohnt und abzüglich Ordergebühren nichts übrig bleibt.
Erst wenn es an der Börse so richtig kracht, werfen zittrige Hände aus Angst und Panik sämtliche Aktien viel zu spät und zu extrem niedrigen Kursen aus dem Depot. Ein hoher, dauerhafter Verlust ist vorprogrammiert, wenn die Erholungsphase ungenutzt bleibt und der erneute Einstieg erst während der Börsenhausse erfolgt.
Umgekehrt werden die Glanzlichter im Depot oft viel zu früh veräußert. Etliche Anleger nehmen schon Gewinne mit, wenn die Aktie fünf bis zehn Prozent zugelegt hat. Selbst bei einer großen Order wird die Chance vertan, mit einer Kursrakete richtig viel Geld zu verdienen. Bei einer Einwertstrategie geschieht dies aus psychologischen Gründen besonders häufig.
Die verfrühte Gewinnrealisierung getreu dem Grundsatz: »An Gewinnmitnahmen ist noch niemand verarmt« ist im Bullenmarkt ein verhängnisvoller Strategiefehler. In der Hausse neigen zumindest die Qualitätsaktien dazu, weiter zu steigen. Wäre es umgekehrt, würden die Bären jetzt die Bullen vertreiben.
Bedenken Sie, dass eine Aktie schlimmstenfalls bis zum Nullpunkt sinken kann, aber nicht darunter. Nach oben besteht keine Grenze. Aktien können bei glücklichen Umständen binnen weniger Jahre drei- und vierstellig steigen. Bei einigen anderen Finanzprodukten, beispielsweise den bei Privatanlegern beliebten Discountzertifikaten, begrenzt dagegen der obere Deckel, Cap genannt, als Ausgleich für den gewährten Rabatt den Kursgewinn ab einer bestimmten Höhe. Sollten Sie selbst gewöhnlich gegen den Grundsatz verstoßen: »Gewinne laufen lassen – Verluste begrenzen!« bleibt Ihnen der ganz große Erfolg an der Börse versagt. Daran ist nicht zu rütteln.
Der richtige Umgang mit Gewinnen und Verlusten
Strategie 1: Bei intaktem Aufwärtstrend, in der Hausse bzw. im Bullenmarkt bietet es sich vor allem bei den nicht so volatilen und weniger risikoreichen Aktien an, die Gewinne ausgiebig nach oben laufen zu lassen. Alle Kursgewinne von Aktien, die Sie vor 2009 gekauft haben, bleiben als Altbestand steuerfrei. Beim Umschichten seit 2009 wird die Abgeltungsteuer von 25 Prozent zuzüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer fällig.
Siegerstrategie: Gewinne laufen lassen – Verluste begrenzen. Ideal, aber viel Disziplin und Selbstkontrolle notwendig.
Ein Beispiel: Eine bestimmte Aktie aus Ihrem Altbestand ist um über 100 Prozent gestiegen. Sie wollen einen Gewinn steuerfrei mitnehmen, sei es aus Angst, alles wieder zu verlieren, sei es, dass Sie das Geld dringend benötigen oder günstig in einen anderen Titel einsteigen wollen. Überzeugen die fundamentalen Daten, sollten Sie sich mit einem Teilverkauf begnügen, Trennung von einem Drittel oder der Hälfte. Diese Strategie tut Ihrem Nervenkostüm gut und hat zwei Vorteile: Sie haben Ihren Einsatz verdient, ärgern sich nicht und bleiben im Boot, wenn die Aktie ihre Rallye fortsetzt.
Ob Sie zur Gewinnabsicherung automatische Stoppkurse setzen oder besser dynamisch bzw. spontan verkaufen, wenn Sie mit einer Trendumkehr rechnen, ist von Fall zu Fall zu entscheiden und hängt auch von Ihrer Disziplin und dem Zeitfaktor ab. Äußere Umstände wie längere Abwesenheit spielen eine Rolle. Automatisch gesetzte Stoppkurse zur Gewinnabsicherung sind mitunter nachteilig. Vielleicht werden Sie um die in Kürze fällige attraktive Dividende gebracht. Besonders ärgerlich ist es, wenn der Kurssturz nur wegen eines haltlosen Gerüchtes erfolgt, ein spekulativer Leerverkauf bekannt wird oder enttäuschte Erwartungen übertriebene Reaktionen auslösen. Falls der Marktführer patzt, werden auch die übrigen Titel dieser Branche in »Sippenhaft« abgestraft. Nacheinander ausgelöste Stop-Loss-Orders beschleunigen durch Kettenreaktion den Absturz. Vielleicht müssen Sie weit unterhalb Ihrer Marke verkaufen; denn Stoppkurse garantieren keinen Ausführungspreis. Wie frustrierend, wenn sich der Titel ganz kurz danach erholt! Bei den schwankungsfreudigen Nebenwerten, insbesondere Aktien aus den Bereichen Biotechnologie, Nanotechnologie und regenerative Energien, sind zweistellige Kurssprünge selbst ohne neue Nachrichten öfters zu beobachten.
Bei angespannter Marktlage, fundamental schlechten Nachrichten und charttechnischen Verkaufssignalen sollten Sie Ihre Verluste konsequent begrenzen. Ob dies bei einem Minus von 10 Prozent oder erst ab 15 bis 25 Prozent geschieht, hängt vom Ordervolumen, der Volatilität, der Branche, ebenso von Ihrer Risikoneigung, Disziplin, Nervenstärke und Selbstkontrolle ab. Day-Trader, die sekundenschnell handeln und ihre Position noch am gleichen Tag glatt stellen, tolerieren bei höherem Einsatz nur ein Minus von wenigen Prozentpunkten. Es ist zu überlegen, generell Stoppkurse zu setzen, bei einzelnen Standardaktien, Blue Chips-Indizes und Branchen aber darauf zu verzichten und Verluste spontan nach Ihren mentalen Vorgaben diszipliniert zu begrenzen. Wie meine eigenen Recherchen ergaben, sind Stop-Loss-Orders in der Baisse meist vorteilhaft, in der Hausse wegen der Erholungstendenz (Trendfortführung ist wahrscheinlicher als Trendumkehr; Merkmal des Bullenmarkts sind steigende Kurse) bisweilen ungünstig.
Sollten Sie wegen psychologischer Barrieren Probleme mit der Verlustbegrenzung haben und diese öfters hinauszögern in der trügerischen Hoffnung: »Die Aktien werden sich schon wieder erholen!« ist es besser, konsequent Stop-Loss-Orders einzugeben als die Verlustbegrenzung individuell vorzunehmen. Erfahrungsgemäß sind die meisten Anleger viel vorsichtiger in Sachen Gewinnabsicherung als Verlustbegrenzung. Dies hängt damit zusammen, dass ein realisierter Verlust unterhalb des Einstiegspreises als eigenes Versagen empfunden wird und eine ausgeführte Verkaufsorder nicht umkehrbar ist. Mit Buchverlusten lässt es sich wegen des Prinzips Hoffnung besser leben als mit dem Eingeständnis, eine Fehlentscheidung getroffen zu haben.
Neutralstrategie: Gewinne laufen lassen – Verluste großteils aussitzen. Eine bei Privatanlegern beliebte, teilweise vertretbare Strategie.
Strategie 2: Privatanleger, die großteils ihre Gewinne laufen lassen und vielleicht schon einige Aktien besitzen, die dreistellig zulegen konnten, sind auf dem richtigen Weg. Wer bei fundamental schlechten Unternehmensnachrichten und berechtigter Angst vor dem Platzen einer sich schon auftürmenden Spekulationsblase seine wachsenden Verluste frühzeitig begrenzt, kann sich das Aussitzen im Einzelfall leisten. Dies gilt zum Beispiel für Blue Chips mit Erholungspotenzial. Ebenso ist das Abwarten berechtigt, wenn ein Crash nicht durch eine geplatzte Spekulationsblase oder den drohenden Zusammenbruch des weltweiten Finanzsystems, sondern plötzlich durch exogene Störfaktoren ausgelöst wird. Erinnert sei an brutale Terrorakte, große Naturkatastrophen oder akute Kriegsgefahr. Es stellt sich auch die Frage nach irrationalen Übertreibungen. Generell aber führt kein Weg an der konsequenten Verlustbegrenzung vorbei.
Minimalstrategie: Minigewinne mitnehmen, aber auch Verluste begrenzen. Ziemlich schlecht, aber relativ häufig praktiziert.
Strategie 3: Sicherlich zählen Sie nicht zu jener Anlegergruppe, die schon Minigewinne mitnimmt aus der Angst und Befürchtung: So gewonnen, so zerronnen! Wer dies tut, bringt sich um die Chance, mit aussichtsreichen Titeln richtig viel Geld zu verdienen, wirft er doch seine besten Aktien verfrüht auf den Markt. Es ging und geht nicht nur um den entgangenen Kursgewinn, sondern um die Chance, sich ein Langzeitdepot mit steuerfreien Kapitalerträgen und steigender Dividendenrendite aufzubauen – auch im Hinblick auf die Altersvorsorge.
Dazu vier Beispiele: Am 7. März 2003 kaufte ich mir einige DAX-Bayer-Aktien für 11,95 Euro. Bei einer Gewinnausschüttung von derzeit 1,40 Euro beträgt die Dividendenrendite zwölf Prozent. Zudem hat sich der Aktienkurs fast verfünffacht. Am 26. November 2004 legte ich mir splitbereinigt für neun Euro K+S-Aktien aus dem DAX ins Depot. Heute kostet die Aktie rund 45 Euro, und die Dividendenrendite liegt mit einer Ausschüttung von 2,40 Euro für 2008 bei über 26 Prozent und selbst nach vorübergehender Kürzung der Dividende auf 0,25 Euro für 2009 noch bei knapp drei Prozent. Bei RATIONAL, dem Profiküchenspezialisten aus dem MDAX, griff ich am 8. Mai 2003 zum Preis von 33,80 Euro zu. Der Kurs hat sich vervierfacht. Die Dividendenrendite beträgt selbst bei einer Ausschüttung von nur noch zwei Euro fast sechs Prozent. Bei der von der Stuttgarter Börse übernommenen EUWAX AG stieg ich bereits kurz nach dem Börsengang ein zum Preis von rund 10 Euro. Allein mit der garantierten Dividende von 3,26 Euro pro Jahr macht sich der Einsatz alle drei Jahre bezahlt. Da interessiert es weniger, dass der steuerfreie Kursgewinn bei über 500 Prozent liegt.
Die Formel zur Berechnung der Dividendenrendite:
Dividende multipliziert mit 100 dividiert durch den Einstiegs- oder aktuellen Aktienkurs
Bezüglich Verlustbegrenzung machen die Anhänger der »Minimalstrategie« alles richtig. Somit bleibt bei dieser Strategie 3 die Chance auf einen gewissen Börsenerfolg erhalten. Die ganz großen Erträge sind aber nicht zu erzielen:
Die Überflieger verschwinden frühzeitig. Üppige Kursgewinne gibt es nicht. Somit sinkt die Chance auf ein positives Gesamtergebnis. Durch das frühe Rein und Raus, typisch für den Kurzzeitanleger, summieren sich im Laufe der Zeit die Transaktionskosten. Die Aussicht, bei niedrigem Einstiegskurs und kontinuierlich steigender Ausschüttung eine hohe Dividendenrendite zu erwirtschaften, bleibt ungenutzt.
Strategie 4: Für Anleger, die bislang diese Strategie eingesetzt haben, gibt es zwei Möglichkeiten: Am besten ist es, diese Vorgehensweise ab sofort strikt zu ändern in Richtung Strategie 1, nämlich Gewinne laufen zu lassen und Verluste zu begrenzen. Ansonsten ist es vernünftiger, sich von der Aktienbörse zu verabschieden und auf sichere Anlageformen zurückzugreifen. Bei Strategie 4 sind Misserfolge unausweichlich. Der Name »Verliererstrategie« trifft den Kern. Leider gibt es viele Börsianer, die so handeln.
Verliererstrategie: Minigewinne mitnehmen – Verluste aussitzen. Misserfolg vorprogrammiert.
Die Börsenpsychologie erweist sich wieder einmal als Fallstrick. Einerseits herrscht die Sorge, die prozentual kleinen Gewinne einzubüßen. Andererseits wird der anwachsende Buchverlust verdrängt in der vagen Hoffnung: »Meine Aktien erholen sich irgendwann.« So sitzt manch einer weiter auf seinen verlustreichen Papieren, anstatt das Problem beherzt aufzuarbeiten und aus seinen Fehlern zu lernen.
Freilich ist das brave Aussitzen nicht immer verkehrt. Dies gilt für ein nicht vorhersehbares plötzliches Crashszenario, eine irrational übertriebene Abstrafung einzelner Titel wegen widersprüchlicher Nachrichten und erst recht bei Gerüchten oder einem Kurseinbruch wegen Sippenhaft, weil der Marktführer enttäuscht hat.
Doch das in Strategie 4 gezeigte Verhalten verwehrt die Chance, mit üppigen Kursgewinnen den einen oder anderen hohen Verlust wieder wettzumachen. Mit einer Aktie, die drei- oder gar vierstellig zulegt, lässt sich manche Scharte auswetzen. Als tröstlich empfinde ich, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, diesem Typus wohl kaum angehören. Sonst würden Sie dieses Buch nicht lesen.
2.6 Stoppkurse diszipliniert und marktbezogen einsetzen
In früheren Jahren wurde heftig über den Sinn und die Abwegigkeit von Stop-Loss-Orders gestritten. Heute ist es um das Thema Stoppkurse still geworden. Die Befürworter dominieren den Markt. Dies verwundert nicht. Die vier großen B – Börse, Broker, Banken, Börsenjournalisten – verdienen mit Stoppkursen, ihrer Anpassung auf die aktuellen Kurse, die daraus abzuleitenden Handelsaktivitäten und die damit verbundene Berichterstattung kräftig mit. Es gingen viele Arbeitsplätze verloren, und das Handelsvolumen an den Börsen würde schmelzen, wären Stop-Loss-Orders verpöhnt.
Viele Marktexperten halten Stoppkurse für jeden rational handelnden Börsianer als unverzichtbar. Sie sind es bei Unschlüssigkeit, unzureichender Marktbeobachtung und längerer Abwesenheit. Diese positive Einschätzung hat sich durchgesetzt und wird kaum kritisch hinterfragt. Und wenn, dann eher verhalten, im persönlichen Gespräch. Wäre ich, die Autorin, in leitender Funktion bei der Börse oder in einem Bankhaus tätig, bestände die Gefahr, wegen geschäftsschädigender Nestbeschmutzung meinen Arbeitsplatz zu verlieren. Was den Derivate- und Optionsscheinsektor betrifft, herrscht Einmütigkeit. Zu Recht gibt es wohl keinen einzigen Experten, der bei Hebelprodukten von Stop-Loss-Orders abrät.
Dennoch sei bei einer offenen Diskussion die Frage erlaubt, warum die unbestrittenen Vorzüge von Stop-Loss-Orders stets genannt, die Nachteile dagegen meist verschwiegen werden. Stoppkurse stellen oft, aber nicht immer die beste Möglichkeit dar. Es gilt, stärker zu differenzieren, abhängig von Marktlage, Index, Branche, Risikoneigung, Fachkompetenz, Disziplin und Intensität der Marktbeobachtung. Blue Chips, volatile Nebenwerte und konjunktursensible Branchen sind unterschiedlich zu behandeln und ein aktueller Bullen- oder Bärenmarkt in die Strategie einzubeziehen. Dies führt dazu, dass zwar Stoppkurse eingesetzt werden, aber nicht bei allen Titeln und schon gar nicht mit gleichen Prozentsätzen. Zudem wirkt ein Lob glaubwürdiger, wenn die Kritik nicht ausgeklammert wird..
Pro: Die Abwärtsbewegung vollzieht sich oft schleichend. Zu den häufigsten Anlegerfehlern gehört, sich die erzielten Buchgewinne wieder abknöpfen zu lassen. Statt den Gewinn zu sichern oder den Verlust frühzeitig zu begrenzen, bevor es so richtig weh tut, verlassen sich viele Börsianer auf das Prinzip des Hoffens und Bangens. Sie halten ihrem Wertpapier gern die Treue, vor allem, wenn es bislang ein Glanzlicht war. Aus psychologischen bzw. emotionalen Gründen tolerieren sie bei ihren Lieblingsaktien einen Kursrückgang in dem Glauben: »Meine Aktie wird sich erholen! Dies ist nur eine Korrekturphase, ein Atemholen, um erneut durchzustarten!«
Stop-Loss-Orders sind vergleichbar mit einer Versicherung gegen einen Schadensfall. Sie haben ihren Preis – in diesem Fall die Transaktionskosten.
Ein Beispiel: Wohl niemandem blieb ein abrupter Kursabsturz aller Indizes verborgen, wie derjenige im Oktober 2008 und März 2009. Begleitet von Pleiten etlicher Hedge-Fonds, Hypotheken- und Investmentbanken wurde das ganze Ausmaß der weltweiten Finanzkrise mit Dominoeffekten, Rezessionsängsten, Gewinnwarnungen, Rohstoffpreis- und Währungsturbulenzen, Vertrauensverlust und Kreditklemmen offenkundig. Mit der Insolvenz der amerikanischen Großbank Lehman Brothers, die aus purer Verzweiflung sogar ihre Bilanzen gefälscht hatte, stand das gesamte globale Finanzsystem am Abgrund, vorerst gerettet durch Staat und Notenbanken. Wer hier Stoppkurse enger gesetzt hatte, dessen Aktiendepot wurde komplett ausgeräumt – allerdings nicht zu den gewünschten Preisen. Bei einem Crashszenario stürzen die Kurse schnell unter die Stoppkursmarke ab. Der Stoppkurs garantiert keinen Ausführungspreis, sondern bedeutet den Verkauf an und unterhalb dieser Marke bei der nächsten Kursfeststellung.
Außerhalb vom Crash vollzieht sich die Abwärtsbewegung oft schleichend und weitgehend unbemerkt. Die ersten Verluste sind die geringsten und schmerzen am wenigsten!
Jeder Anleger sollte seine Stoppkurse wie eine Versicherung betrachten, die eben ihren Preis hat, in diesem Fall die Transaktionskosten. Was viele Trader kaum wahrnehmen, ist außerhalb von starker Korrektur und Crash die beständige, schleichende Talfahrt ihrer ehemaligen Glanzlichter. Und irgendwann, wenn sich die anfänglich eher sanfte Abwärtsbewegung in ein regelrechtes Absturzszenario auswächst, mag es zu spät sein, noch zu verkaufen. Das brave, aber riskante Aussitzen, die Treue zur Aktie, wird nur selten belohnt.
Platzieren Sie Stop-Loss-Orders nicht zu eng. Bei den schwankungsfreudigen Aktien aus den Nebenwerte-Indizes sind Kurssprünge um zehn und mehr Prozent an einem Tag nicht selten. Ansonsten bestände das Problem, dass der Titel zu früh aus dem Depot verschwindet, obgleich er noch Kurspotenzial hat. Abhängig von der Volatilität sollten Sie Ihre Stop-Loss-Marken um 15 bis 25 Prozent unterhalb des aktuellen Kurses setzen und charttechnische Unterstützungslinien im Auge behalten.
Stoppkurse dürfen nicht zu eng gesetzt werden, z. B. 15 bis 25 % unter dem aktuellen Kurs und unterhalb einer wichtigen charttechnischen Unterstützungslinie. Nahe einer runden Zahl ist es besser, den Stoppkurs direkt darüber zu setzen. Wird die Zahl getestet, bricht der Kurs oft weiter ein.
Bei einem kräftigen Aufwärtstrend sollten Sie Ihre Stoppkurse nachziehen. Einige Discountbroker berechnen nichts für die regelmäßige Anpassung. Andere Banken bitten pro Stop-Loss-Order monatlich bis zu fünf Euro zur Kasse. Gehören Sie zu den Stoppkursanhängern, sollten Sie auch unter diesem Aspekt Ihre Depotbank auswählen. Keine Bank ist in jedem Teilbereich am günstigsten. Klären Sie die wichtigsten Modalitäten vor Ihrer Entscheidung ab.
Bei plötzlichem Kursabsturz mit einer Flut von Verkaufsaufträgen dauert die Kursfeststellung bei Börseneröffnung oft länger. Ein Stoppkurs ist keine limitierte Verkaufsorder. Der Anleger veräußert seine Aktien ohne Preisgarantie »bestens«.
So praktisch Stoppkurse sein mögen, es kommt vor, dass eine Stop-Loss-Order nicht genau an der gesetzten Marke erfolgt. Brechen die Kurse in den USA am späten Abend wegen Gewinnwarnungen, Insolvenzgerüchten und anderer schlechter Nachrichten drastisch ein, so kann es bei Börseneröffnung in Europa eine Weile dauern, um den ersten Kurs festzulegen und die zahlreichen Orders abzuarbeiten. Der Kursabsturz selbst löst weitere Verkaufsaufträge aus, sodass – gleich einer Kettenreaktion – die Verluste dramatisch wachsen.
Stoppkurse bewähren sich im Bärenmarkt, bei starker Korrektur und im Crash durch Platzen von Spekulationsblasen. Bei einer tendenziell schlechten Börsenstimmung, geprägt von konjunkturellem Abschwung und Gewinnwarnungen, bewahren Stoppkurse jeden unschlüssigen Aktionär vor zu hohen Verlusten. Automatisch gesetzte und nachgezogene Stoppkurse haben sich bestens bewährt in der Phase des tückischen »Salamicrashs«, wie er das Jahr 2000 bis Frühjahr 2003 vorherrschte. Ebenso bestätigt das zweitschlechteste Börsenjahr 2008 in der damals 20-jährigen DAX-Geschichte mit einem Kurseinbruch um 40 Prozent und über 48 Prozent beim TecDAX den Nutzen von Stoppkursen. Sie halfen, Gewinne zu sichern und Verluste zu begrenzen, bevor das Minus den Börsianer vielleicht finanziell in den Ruin trieb.
Im Bärenmarkt, gekennzeichnet durch sinkende Kurse, sowie in stagnierenden Märkten ist die Erholungschance geringer als in einer Hausse. In einer solchen Marktlage sind Stoppkurse meist hilfreich.
Im Bullenmarkt, gekennzeichnet durch steigende Aktienkurse nach Korrektur oder Crash, bleiben bei ausgestoppten Aktien das Aufwärtspotenzial und die Erholungschance ungenutzt.
Die aus dieser Zeit stammenden Untersuchungen unterstreichen den Wert der Stoppkursstrategie. Erinnert sei an die jüngsten Börsenverwerfungen infolge der globalen Finanzkrise mit Kurstiefständen im März 2009. Der DAX sank auf 3.600 Punkte. Noch schlimmer sah es bei den Nebenwerte-Indizes aus. Bei angespannter Marktlage kommt kein Zweifel an der Berechtigung von Stoppkursen auf.
Es ist beruhigend, bei längerer Abwesenheit, sei es eine Reise oder ein Krankenhausaufenthalt, sein Aktiendepot gegen hohe Verluste abgesichert zu wissen. Neben dem Geldbeutel schonen Stop-Loss-Orders die Nerven, vorausgesetzt, der Kapitalrückfluss wird nicht dazu verwendet, erneut einzusteigen, danach wiederum ausgestoppt zu werden usw.
Was spricht für automatische Stop-Loss-Orders?
Rasche Verlustbegrenzung bei starker Korrektur und Crash; denn im Bärenmarkt neigen die Aktienkurse dazu, weiter zu sinken anstatt sich zu erholen. Der bestehende Trend setzt sich fort.
Die ersten Verluste sind die geringsten. Auch reduzierte Gewinnmitnahmen sind zu verkraften.
Der Anleger muss sein Depot nicht börsentäglich beobachten. Bei längerer Abwesenheit ist es beruhigend, sich mit Stoppkursen abzusichern.
Notwendige Entscheidungen werden nicht aus Unentschlossenheit hinausgezögert.
Schlechte Aktien belasten nicht länger das Depot. Mithilfe des Kapitalrückflusses lässt sich das Depot preiswert aufstocken.
Bei veränderter Markteinschätzung bietet sich auch ein Rückkauf des zuvor ausgestoppten Titels an.
Kontra: In der Baisse verschwinden nahezu alle Titel aus dem Depot. Solange die Spekulationsfrist noch galt, befand sich kaum eine Aktie länger als ein Jahr im Depot. Damit wurde die Chance vertan, noch bis Ende 2008 einen steuerfreien Altbestand aufzubauen. Diese die künftige Rendite stark mindernde Kehrseite wird meist verschwiegen. Sehr ärgerlich ist auch, wenn die Aktie kurz vor einer attraktiven Gewinnausschüttung ausgestoppt wird. Zu beachten ist zudem die hohe Volatilität der Nebenwerte. So mancher Titel verliert binnen weniger Tage vielleicht nur deshalb 10 bis 20 Prozent seines Börsenwertes, weil der Marktführer gepatzt hat oder ein böswilliges Gerücht die Runde macht. Oft setzt hernach schnell die Erholung ein. Es ist also zu überlegen, zwar mit Stoppkursen zu arbeiten, aber nicht unreflektiert bei jedem Titel und in jeder Marktsituation.
In der Hausse sind Stoppkurse nicht immer günstig; denn der Trend ist aufwärts gerichtet. Wäre es anders, würden die Bären statt der Bullen den Markt dominieren. Ausgestoppte Aktien, die nicht fundamental oder charttechnisch bedingt abstürzen, sondern das Opfer von Nervosität, Angst, Sippenhaft, haltlosen Gerüchten oder irrationaler Übertreibung sind, erholen sich wieder.
Das Dilemma wird offenkundig, wenn ein Börsenkommentar wie folgt lautet: »Leider wurde trotz unserer positiven Einschätzung der Titel ausgestoppt. Wir nutzen die Kursschwäche zum Rückkauf. – Oder: Glücklicherweise entging die Aktie um Haaresbreite unserem Stoppkurs.«
Was spricht gegen automatische Stop-Loss-Orders?
Der Börsianer gibt seine Entscheidungskompetenz aus der Hand und überträgt sie auf das elektronische Verkaufssystem.
Insbesondere die marktengen Titel aus dem Nebenwertesektor geraten oft kurzfristig unter die Räder. Mal sind es schlechte Nachrichten, mal Insiderverkäufe, Gerüchte oder Abstrafung, weil der Marktführer enttäuschte. Auf Kapitalerhöhungen reagieren Aktionäre oft extrem negativ.
Wer all seine Aktien mit Stop-Loss-Orders versah, besitzt als belastende Hypothek nun einen zu kleinen Altbestand mit steuerfreien Kursgewinnen.
Bei einem größeren Depot summieren sich die Transaktionskosten.
Der Frust ist groß, wenn sich ein ausgestoppter Titel rasch erholt. »Billig erneut einsteigen« ist ein schwacher Trost, zumal der erlittene Verlust psychologisch eine Barriere darstellt.
Wer im Bärenmarkt den Kapitalrückfluss für den Einstieg nutzt, läuft Gefahr, erneut ausgestoppt zu werden. Die Verluste weiten sich aus.
Da Stoppkurse an markanten Tiefpunkten gesetzt werden, stürzen die Aktien in einer Art Kettenreaktion immer tiefer ab. Leerverkäufer nutzen dies rigoros aus. Sie verstärken zunächst den Abwärtstrend, später wegen der bestehenden Kaufverpflichtung die Kurserholung.
Ärgerlich ist es, wenn die Aktie kurz vor der Hauptversammlung ausgestoppt wird und dadurch eine attraktive Gewinnausschüttung entfällt.
Stoppkurse garantieren keinen bestimmten Ausführungskurs. Der Verkaufspreis kann weit unterhalb der gesetzten Marke liegen.
Verheerend wirken sich Stop-Loss-Orders aus wie am 06. Mai 2010, als in den Nachmittagsstunden binnen weniger Minuten der DOW JONES um rund 1.000 Punkte in den Keller rauschte und kurzfristig zu einer Kapitalvernichtung in Billionenhöhe führte.
Prokter & Gamble war binnen fünf Minuten rund 60 Milliarden US-Dollar weniger wert. Die Aktie von Accenture soll sogar von 42 US-Dollar auf einen Cent abgestürzt sein. Weltweit verloren die Indizes fünf bis 15 Prozent – dies alles durch einen Eingabe- oder Computerfehler. Komplette Aktiendepots wurden leergefegt und die Gebühren aufgesattelt. So etwas kommt höchst selten vor; aber es geschieht.
Ein Beispiel: Der Kurs der Photovoltaik-Aktie SolarWorld stieg nach ihrer Aufnahme 2004 in den TecDAX Anfang 2005 splitbereinigt von 4,35 Euro bis auf 49 Euro im Jahr 2007, um im Januar 2008 auf 22 Euro und danach weiter abzustürzen bis auf 10,50 Euro Mitte März 2010. Den stärksten Einbruch gab es im Februar 2010 durch die rigorose Kürzung der Fördersätze um 16 Prozent für Dachanlagen, um elf Prozent für Konversionsflächen (Militärgelände und ehemalige Mülldeponien) und um 15 Prozent für gewerbliche Freilandanlagen. Immer wieder wechselten scharfe Korrekturphasen mit deutlicher Erholungstendenz. Hat jemand bei SolarWorld im Zeitraum von 2005 bis 2010 Stoppkurse gesetzt und preiswert nachgekauft, verschwand der Titel oft aus dem Depot. Der gepriesene günstige Nachkauf mutierte zur Gebührenfalle. Geschieht dies im Laufe der Jahre zehn- bis zwanzigmal, summieren sich die Transaktionskosten selbst bei einem preisgünstigen Discountbroker. Wahrscheinlicher ist freilich, dass sich psychologische Barrieren auftürmten und davon abhielten, künftig noch in SolarWorld zu investieren. Ähnlich volatil wie die Photovoltaikwerte ist die ebenfalls im TecDAX notierte Biotechaktie MorphoSys. Auch hier gibt es binnen Wochenfrist öfters zweistellige Kursbewegungen – und dies sogar nachrichtenlos.
Die Börsenpsychologie und das Steuerrecht beachten. Die Börsenpsychologie beeinflusst das Marktgeschehen: in ruhigem Fahrwasser 30 bis 40 Prozent, in brenzligen Situationen 80 bis über 90 Prozent. Wird ein Kursgewinn realisiert, fällt die 25-prozentige Abgeltungsteuer plus Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer an. Nur beim Altbestand mit Kauf vor 2009 greift das Finanzamt nicht zu.
Wie werden Stoppkurse gesetzt? Der Anleger erteilt seiner Bank die Stop-Loss-Order zum gewünschten Kurs und unterrichtet sie über nachzuziehende Stoppkurse zur Gewinnabsicherung. Bei Blue Chips empfiehlt sich – abhängig auch von der Höhe des Einsatzes und dem Anlagezeitraum – ein Stoppkurs ab 10 bis 20 Prozent unterhalb der aktuellen Notierung, bei Hightechtiteln eher erst ab 20 bis 30 Prozent. Wer als spekulativer Kurzzeitanleger das schnelle Rein und Raus bevorzugt, mit großen Summen arbeitet oder gar als Day-Trader handelt, platziert seine Stoppmarken deutlich niedriger im einstelligen Prozentbereich.
Wo gibt es Hilfen? Wer Anleitungen braucht, um Stoppkurs-Marken vernünftig setzen bzw. bei Bedarf nachziehen zu können, findet im Wochenmagazin BÖRSE ONLINE und in anderen Finanz-Publikationen sachdienliche Hinweise. Auch Börsenbriefe bieten einen solchen Service an.
Was heißt dynamische oder mentale Verlustbegrenzung? Ein nervenstarker, disziplinierter Anleger mit hoher Fachkompetenz und Zeit für intensive Marktbeobachtung zieht die Reißleine zunächst nur im Geist, also »mental«. Er beobachtet sein Depot börsentäglich und entscheidet mithilfe fundamentaler und charttechnischer Daten selbst, ob ein Verkauf ratsam erscheint. Wenn ja, handelt er ohne Zaudern und Zögern rasch und konsequent.
Fazit: Vorausgesetzt, Sie haben Zeit und Lust, die Börse regelmäßig zu beobachten, verfahren Sie als Alternative dynamisch. Sie handeln abhängig von der Marktlage eigenständig, setzen Ihre »mentalen« Verkaufsvorhaben bei Bedarf zügig um. Im Bullenmarkt sind Stoppkurse für kompetente Investoren eher entbehrlich als in einem Bärenmarkt. Entscheidend ist auch die Persönlichkeitsstruktur des Anlegers, insbesondere Risikoneigung, Disziplin und Fähigkeit zur Selbstkontrolle. Wer empfindliche Verluste nicht aushält, sollte Stoppkurse enger setzen als ein nervenstark und souverän handelnder Investor, der auch ohne dieses Instrumentarium gut schläft und keine Magenschmerzen bekommt. Bei längerer Abwesenheit – Urlaub, Geschäftsreisen, Klinikaufenthalt usw. – wirken Stoppkurse beruhigend. Sie sichern das Depot gegen extreme Kurseinbrüche ab. Stoppkurse sind unverzichtbar, wenn jemand seine mentalen Verkaufsabsichten im Ernstfall nicht zügig umsetzt und seine Verluste entgegen guter Vorsätze aussitzt.
2.7 Die passende Depotbank finden
Privatanleger: N24-Infos zu Order und Depot 2010
Orderanzahl/Quartal: |
|
4 |
Online-Aufträge: |
|
80 % |
Telefonorders: |
|
20 % |
Ordervolumen/Schnitt: |
|
3.000 € |
Orders mit Limit: |
|
60 % |
Änderung/Löschung: |
|
20 % |
Depotvolumen/Schnitt: |
|
40.000 € |
Die ideale Direktbank für jeden Anleger gibt es nicht. Orderhöhe, Orderumfang, Gebührenstruktur, Produkte, Beratung, sonstige Leistungen und Verzinsung sind wichtig für die Wahl, und hier sind Ansprüche und Bedarf unterschiedlich.
Vorsicht vor Internet-Kriminalität!
Seit geraumer Zeit nutzen die Computerbetrüger Phishing-Mails (phishing = Passwort fischen), um an geheime Daten wie PIN und TAN zu gelangen. Die Adressaten werden mit täuschend echt aufgemachten Nachrichten in die Irre geleitet und aufgefordert, fehlende persönliche Daten nachzureichen. Die Homepage der Bank ist raffiniert gefälscht.
Es gibt keine Bank, die per E-Mail individuelle Kundendaten abruft.
Bei der alljährlichen Leserumfrage von BÖRSE ONLINE »Onlinebroker der Jahre 2007/08/09/10« lag ING-DiBa in der Gunst der 43.000 Teilnehmer nach dem Schulnotensystem mit 1,71 erneut vorn. Der Frankfurter Onlinebroker ING-DiBa gewann als Seriensieger den begehrten Titel, im März 2010 vor Vitrade (1,78) und der OnVista Bank (1,83). Letztlich liegt im Einkauf der Gewinn. Werden ein geringer oder gar kein Ausgabeaufschlag, eine niedrige Ordergebühr und eine kostenlose Depotführung angeboten, erhöht dies sofort die spätere Rendite.
Der erste Schritt, um an der Börse erfolgreich agieren zu können, ist die Depoteröffnung bei der Haus- oder einer Direktbank. Schnell und preiswert sind das Telefon- und insbesondere das Online-Banking. Bei der Geldanlage selbst stehen – wie eine Umfrage des im SDAX gelisteten Marktforschungsinstituts GfK zeigt – eine qualifizierte Beratung und Risikostreuung oben auf der Wunschliste. Die meisten Privatanleger stufen eine kundenorientierte Beratungsqualität höher ein als etwaige Preisunterschiede bei der Order, den Depotgebühren und der Vermögensberatung. Bei der Depoteröffnung selbst sind gewisse Formalitäten vorgeschrieben, wie die Einstufung der Risikoneigung, die Frage nach den Anlagezielen, dem Anlagezeitraum sowie den Vermögensverhältnissen. Sofern Sie sich an Termingeschäften beteiligen und am Handel mit Derivaten teilnehmen wollen (Optionsscheine, Hebelzertifikate, Futures), müssen Sie die Finanztermingeschäftsfähigkeit nachweisen.
Entscheidende Kriterien für die Wahl der besten Online-Bank – Ergebnisse Online-Broker-Award Frühjahr 2010
1. Orderabwicklung schnell und korrekt: mittlerweile Standard
ING-Diba: 1,36, OnVista Bank: 1,39, Vitrade: 1,43, Cortal Consors: 1,43, Nordnet: 1,43, Comdirect: 1,44; abgeschlagen: Postbank: 2,03, Targobank: 2,05
2. Erreichbarkeit auch an hektischen Börsentagen
ING-Diba: 1,41, Vitrade: 1,44, Comdirect: 1,50, OnVista Bank: 1,50, Nordnet: 1,52; deutlich abgeschlagen: Postbank: 2,13, Targobank: 2,36
3. Kundenorientierung: Kompetenz, Freundlichkeit, Kulanz
ING-Diba: 1,54, Vitrade: 1,57, OnVista Bank: 1,61, Comdirect: 1,67, Cortal Consors: 1,70; weit abgeschlagen: Postbank: 2,32, Targobank: 2,68
4. Internetauftritt, Website, Info-Angebot: Nutzerfreundlichkeit, Tools, Kursversorgung und Ordermaske
Comdirect: 1,70, ING-Diba: 1,71, OnVista Bank: 1,80, Cortal Consors: 1,84, Vitrade: 1,87; abgeschlagen: Postbank: 2,29, Targobank: 2,63
5. Produktangebot und -vielfalt: außerbörslicher Handel, Börsenplätze
OnVista Bank: 1,67, Cortal Consors: 1,70, Comdirect: 1,71, ING-Diba: 1,74, Vitrade: 1,76; abgeschlagen: Postbank: 2,34, Targobank: 2,61
Nordnet: 1,85, Flatex: 2,03, Vitrade: 2,05, ING-Diba: 2,11, OnVista Bank: 2,17, Cortal Consors: 2,35; abgeschlagen: Maxblue: 2,69, Postbank: 2,89
Fazit: Bezüglich der Kosten sowie der Guthabenzinsen wünschen sich auffallend viele Kunden bessere Konditionen. Deutlich liegt hier Nordnet vorn.
Gesamt-Ranking nach dem Schulnotensystem (Award Frühjahr 2010)
ING-Diba: |
|
1,71 |
Vitrade: |
|
1,78 |
OnVista Bank: |
|
1,81 |
Nordnet: |
|
1,83 |
Comdirect: |
|
1,85 |
Cortal Consors: |
|
1,86 |
7. Flatex: |
|
1,91 |
8. DAB Bank: |
|
2,00 |
9. Sparkassen Broker: |
|
2,12 |
10. Maxblue: |
|
2,15 |
11. Postbank: |
|
2,37 |
12. Targobank: |
|
2,52 |
Es empfiehlt sich, Börsengeschäfte über das Internet abzuwickeln, um Kosten zu sparen, um unabhängig von den Öffnungszeiten der Bank zu sein und um jederzeit blitzschnell auf die Marktsituation reagieren zu können. Schutz vor Trojanern ist unerlässlich.
Dazu benötigen Sie einen Computer mit schnellem DSL-Breitband-Internetzugang. Zudem müssen Sie Ihr Konto für das Online-Banking frei schalten lassen. Sie können fortan auch die sonstigen Bankgeschäfte wie Überweisungen schreiben, Kontoauszüge abrufen zu jeder Zeit bequem von zu Hause aus erledigen. Neben dem Onlinehandel sollten Sie auch Telefonbanking beantragen. So sind Sie von etwaigen Internetstörungen unabhängig. Außerdem: Wo Sie sich auch gerade aufhalten. Eine Telefonorder lässt sich überall aufgeben. Heute ermöglichen es alle Banken und Sparkassen ihren Kunden, das Online-Banking zu nutzen und auf eigene Regie preisgünstig Wertpapiergeschäfte zu tätigen. Die Turbo-Breitband-Datenleitung DSL setzt sich auch im privaten Lebensbereich zunehmend durch.
Allerdings gehen viele Bundesbürger mit dem Thema Internetsicherheit noch zu sorglos um, wie eine Studie des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zeigt. Von je 100 Internetnutzern wurden schon einmal Opfer von Trojanern (35 %), gefälschten E-Mails (25 %), Dialern (25 %), Phishing (8 %), gefälschten Webseiten (6 %). Unsichere PCs gefährden die gesamte IT-Infrastruktur. Viren, Würmer und Trojaner können einen Daten-Gau auslösen und sensible Daten ausspionieren mit unabsehbaren Folgen.
Immer mehr große Wertpapierhäuser für Online- und Telefon-Banking buhlen um die Gunst der fachkundigen Privatanleger. Das Angebot umfasst Aktien, Investmentfonds, Staats- und Unternehmensanleihen, Zertifikate und Sparpläne. Jeder dieser Broker hat seine speziellen Stärken und Schwächen.
Die ideale Bank für jeden Privatanleger gibt es nicht. Bevor Sie sich endgültig entscheiden, sollten Sie mehr als nur die Gebührenstruktur exakt miteinander vergleichen. Bei einem Vieltrader sieht die »beste Online-Bank« gewiss anders aus als bei einem Gelegenheitsanleger oder Sparplanfan, einem Kapitalanleger mit oder ohne Beratungsbedarf.
Einige Entscheidungshilfen
Am besten, Sie klicken sich in die Webseiten der führenden Online-Broker ein und prüfen die Angebote.
Tipp: Vergeben Sie jeweils 1 bis 3 Pluspunkte und 1 bis 3 Minuspunkte für die einzelnen Bereiche, die für Sie wichtig sind. Der Punktesieger ist Ihr Favorit!
Stellen Sie sich bei der Auswahl Ihrer Depotbank folgende Fragen:
Wie viele Kauf- und Verkauforders erteilen Sie im Schnitt täglich, monatlich, vierteljährlich bzw. jährlich? Gibt es einen Vielbucherrabatt?
Wie hoch ist Ihr übliches Transaktionsvolumen? Hängen die Gebühren vom Umfang der jeweiligen Order ab, oder wird auf eine Preisstaffelung verzichtet?
Bevorzugen Sie Blue Chips oder Mid Caps und Small Caps, deutsche oder ausländische Titel? Wie sieht das einzelne Angebot aus?
Bestehen Sonderkonditionen für bestimmte Börsenplätze und für weitere Zusatzleistungen wie den außerbörslichen Handel?
Sind Sie ein Zertifikate-Liebhaber? Wie hoch ist der Spread, also die Preisspanne zwischen Kauf- und Verkaufspreis? Wie groß ist die Produktpalette?
Sofern Sie Aktienfonds bevorzugen, sind die Fondsanzahl und der Ausgabeaufschlag interessant. Allgemein sind bis zu fünf Prozent üblich. Gegenwärtig bieten alle führenden Online-Broker hier Rabatte zwischen 50 Prozent und totalem Verzicht auf den Ausgabeaufschlag an.
Wie groß ist die Palette bei Sparplänen und sonstigen Produkten? Bestehen Mindestraten?
Wünschen Sie eine persönliche Finanzplanung? Zu welchen Konditionen wird diese Beratung angeboten?
Wie sehen die Konditionen für limitierte Orders aus? Wird ein Zuschlag bei Teilausführungen berechnet? Wie werden Stop-Loss-Aufträge einschließlich Nachziehen gehandhabt? Wie hoch ist die Verzinsung auf dem Verrechnungskonto? Welche Zeichnungsgebühren werden erhoben? Entstehen Kosten, wenn keine Zuteilung erfolgt? Werden Realtime-Kurse ohne Berechnung angeboten?
Welche Handelszeiten und Konditionen bestehen für eine Telefonorder? Ist Telefon-Banking generell oder zumindest als ebenfalls preiswerte Alternative möglich, wenn Störungen im Netz einen Internethandel beeinträchtigen?
2.8 Die Aktienbesteuerung in die Strategie einbeziehen
Wie dem harten Zugriff des Fiskus legal teilweise entgehen?
Die relativ anlegerfreundliche Besteuerung von Wertpapieren hatte ab dem 1. Januar 2009 ein Ende. Als Langzeitanleger brauchen Sie zwar für Ihre Aktien-Altbestände auch künftig keine Steuern zu zahlen, wenn Sie bis zum Jahresende 2008 hier einstiegen. Für alle Neuinvestments seit Januar 2009 schnappt die Steuerfalle zu. Zwar geht es in Sachen Kapitalertragssteuer jetzt gerechter zu. Doch ist es ein billiger Trost, dass mit dem Zugriff des Fiskus auf Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinne an der Quelle durch Einführung der 25-prozentigen Abgeltungsteuer plus Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer das Kontenabrufverfahren ausgespielt hat. Sorge bereitet eine mögliche Transaktionssteuer.
Die Abgeltungsteuer wird automatisch von Ihren Kapitalerträgen nach Aufbrauchen des Pauschalbetrags von 801 Euro für Ledige und 1.602 Euro für Verheiratete abgebucht. Niemand kann hier mehr etwas vergessen.
Ihre Marschroute als Langzeitanleger lautet nun: Hüten Sie Ihren Altbestand an Qualitätsaktien, Indexfonds (ETF) und Aktienfonds wie einen Schatz. Bei Verkäufen greifen Sie bevorzugt auf Neuinvestments zu, was seit 2009 ein zweites Aktiendepot voraussetzt. Wichtig: Lassen Sie Ihren Altbestand nicht ausstoppen.
Steuerhinterziehung – kein Kavaliersdelikt
Wer seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht nicht nachkommt, also in seiner Steuererklärung unwahre Angaben macht oder Einkünfte nicht einträgt, begeht eine Steuerstraftat. Er »verkürzt« die Steuern, macht sich also der Steuerhinterziehung schuldig.
Je nach Schwere der Tat winkt eine Geldstrafe oder/und eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Die Steuern zuzüglich Schuldzinsen sind an das Finanzamt nachzuzahlen.
Seit 2009 gibt es auch nicht mehr das bei erzielten Kursgewinnen und Dividenden so beliebte Halbeinkünfteverfahren. Mit dem niedrigen Pauschalbetrag sind alle Kosten der Kapitalanlage abgegolten, so auch die HV-Besuche, Fremdkapitalzinsen, Depot- und Beratungsgebühren, Seminarteilnahme und etwaige Fachliteratur.
Als Rettungsanker für wenig betuchte Anleger mit einem individuellen Steuersatz von unter 25 Prozent bleibt als Ausgleich nur die Einkommensteuererklärung bzw. der Antrag auf Nichtveranlagungsbescheinigung. Der Preis für mehr Steuerehrlichkeit und der Verzicht auf das Kontenabrufverfahren sind schmerzhaft hoch und bedeuten einen Rückschritt bezüglich Vermögensaufbau und Altersvorsorge.
Fazit: Kleinverdiener kommen schlechter, Großverdiener besser weg. Dazu der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, SPD: »Vielen Unkenrufen zum Trotz ist der Koalition inhaltlich ein großer Wurf gelungen. Es ist zwar nicht einzusehen, dass Kapitaleinkünfte – die nicht durch Leistung erzielt werden – einheitlich mit 25 Prozent besteuert werden, während diejenigen, die mit Kopf und Händen arbeiten, es mit Grenzsteuersätzen und mit einer durchschnittlichen steuerlichen Belastung zu tun haben, die weit darüber liegt.« Doch sonst sei der Kapitalabfluss in Milliardenhöhe nicht zu stoppen.
»Die Kunst der Besteuerung liegt darin, die Gans so zu rupfen, dass sie unter möglichst wenig Geschrei so viele Federn wie möglich lässt!«
Jean Baptiste Colbert
2.9 Mutig und nervenstark Crashsituationen überstehen
Ruhig bleiben, um Fehler zu vermeiden
Balancieren, um Risiken zu mindern
Mutig sein, um Chancen zu nutzen
Überlegt handeln, um sich vom Herdentrieb abzukoppeln
Aktiencrashs wiederholen sich in gewissen Zeitabständen, und sie sind letztlich unvermeidbar. Auch künftig werden sich Spekulationsblasen bilden, die früher oder später platzen. Aber niemand weiß, wie lange die Erholungsphase bis zum nächsten Crashszenario dauert. Den jüngsten Crash gab es im Herbst 2008 und im Frühjahr 2009 begleitet von brüllen und toben, bangen und hoffen, verkaufen und kaufen, in Hektik verfallen und resignieren oder Chancen wittern und mutig investieren. Bei einem Zusammenbruch der Märkte bietet ein Ausspruch wie von Arthur Schopenhauer kaum Trost: »Kein Geld ist vorteilhafter angewandt als das, um welches wir uns haben prellen lassen. Denn wir haben dafür unmittelbar Klugheit eingehandelt.« Während des weltweiten Finanzbebens wurde das Börsengeschehen allerdings weniger durch Klugheit geprägt, sondern eher von panischen Aktienverkäufen und Panik bestimmt. Gut, wer da die Ruhe bewahrte und vernünftig reagierte. »Kaufen bei Angst, wenn die Kanonen donnern – Verkaufen bei Hoffnung, wenn Gier und Euphorie den Verstand benebeln« hat sich in schwierigen Börsenzeiten als Erfolgsrezept für Mutige bestätigt.
Auch die Wissenschaft kann Blasenbildung und Crash nicht aus der Welt schaffen; denn die Börse ist ein Spiegelbild menschlicher Verhaltensweisen, wozu emotionale und irrationale Handlungen zählen. Als Anleger bin ich diesem Geschehen aber nicht hilflos ausgeliefert. Ich kann mich vom Herdentrieb abkoppeln und selbst bestimmen, was ich tue oder unterlasse. Die Börsengeschichte hilft, das Geschehen zu verstehen, zu verarbeiten und daraus zu lernen.
Ein Blick zurück auf den größten Crash vor 80 Jahren
Welch ein bedrückendes Bild verbindet sich mit der Erinnerung an den großen Börsencrash, der 1929, also vor knapp 80 Jahren, eine Weltwirtschaftskrise auslöste und wegen der zeitlichen Verschiebung gleich einem Dominoeffekt von Amerika nach Europa überschwappte! So kam es zum Schwarzen Freitag, der in den USA noch ein Schwarzer Donnerstag war.
Nachhaltig gelernt haben die wenigsten Börsianer aus diesem Schreckensszenario. Auch 1987 wurde die Welt von einem schweren Crash heimgesucht, und so richtig hart zur Sache ging es zwischen Frühjahr 2000 und März 2003 – eine quälend lange Zeit des vergeblichen Hoffens und des Bangens. Von Herbst 2008 bis Frühjahr 2009 wurden die Märkte weltweit von neuerlichen Börsenturbulenzen heimgesucht. Auch jetzt sieht es so aus, dass die Finanzkrise mit all ihren Verwerfungen noch längst nicht ausgestanden ist. Zwar zeichnet sich eine Erholung im industriellen Bereich ab. Deutschland prescht seit 2010 mit Exportrekorden nach vorn. Andererseits gelangen immer mehr Länder an den Rand des Staatsbankrotts wie Griechenland. Die Steuereinnahmen brechen weg. Viele Kommunen setzen bei den Leistungen für ihre Bürger den Rotstift an. Es ist nicht möglich, ein Crashszenario verlässlich vorherzusagen, auch wenn manche Experten behaupten, dies zu können. Nicht einmal eine ungefähre Oktober-Prognose erscheint gesichert, mag dieser Herbstmonat auch crashempfindlich sein.
Volatilität des S&P-500 2003/04 und 2009
Quelle: FOCUS-MONEY 49/2009, übernommen von Thomson Reuters Datastream, aus: Sander, »Nachhaltig investieren«, FinanzBuch Verlag
Die schweren Börsenunwetter der Vergangenheit zeigen neben speziellen Ursachen gewisse Gemeinsamkeiten, sich wiederholende Verhaltensfehler und deren Folgen auf. Lässt sich durch Wissen, Erfahrung und Lernprozesse künftig ein extremer Kursverlust an den Börsen vermeiden? Die Antwort lautet: Nein! Ist die den Crash aufarbeitende Fachliteratur dennoch für den Anleger nützlich? Ja! Das eigene Verhalten ist zwar anfällig für Wiederholungen, erfreulicherweise aber veränderbar. Sie können es schaffen, weniger als andere Investoren unter einem Crash zu leiden. Dies heißt nicht, sich von der Börse zu verabschieden, sondern sein Depot klug zu streuen und gegebenenfalls abzusichern, nicht zu Höchstkursen ein- und zu Tiefstkursen auszusteigen. Wer sich daran hält, hat viel gewonnen und verliert in schwierigen Phasen nicht die Beherrschung.
Zum Trost ein Zitat aus BULLE & BÄR, Handelsblatt vom 23. Januar 2008, Nr. 16/2008: »Das Gute am bösen Crash«:
»Hätte der DAX seinen im März 2003 begonnenen Kursanstieg im Börsenjahr 2008 unverändert fortgesetzt, wäre der 31. Dezember 2008 als großer Stichtag der Abgeltungsteuer an den meisten Aktienanlegern vorbeigerauscht. Keine noch so plausible Berechnung von Vor- und Nachsteuerrenditen oder noch so glaubhafte Beteuerung, langfristig spiele der Einstiegszeitpunkt keine Rolle, hätte die mehrheitlich noch immer skeptischen deutschen Anleger davon überzeugen können, zu einem DAX von 8.500 oder gar 9.000 Punkten ein Engagement in Aktien zu wagen ... Die erdrutschartigen Verluste geben nun auch den Skeptikern an den Seitenlinien die Gelegenheit, Pläne für einen sehr langfristig orientierten Einstieg in den Aktienmarkt zu schmieden.«
Eine Frage an Sie, liebe Leserinnen und Leser: Haben Sie diesen Appell an die Vernunft genutzt, sich noch zum Jahresende 2008 zu niedrigen Preisen einen steuerfreien Altbestand aufzubauen? Sind Sie, als bis März/April 2009 viele Aktien krass unterbewertet und zu Schnäppchenpreisen zu haben waren, beherzt eingestiegen? Solche Chancen sind selten. Nutzen Sie diese, sobald sich eine solche Möglichkeit erneut ergibt.
Dass sehr viele Börsianer auch in jüngster Zeit auf dem falschen Fuß erwischt wurden, zeigt das Crashszenario 2008/09. Das von Amerika ausgehende Subprimedesaster (Hypotheken auch für Bauherren mit schlechter Bonität) weitete sich – vergleichbar mit neu etikettiertem Gammelfleisch oder Obstkisten mit faulen Äpfeln – zur globalen Finanzkrise aus. Anfangs erfasste sie in den USA, später weltweit Hypotheken- und Investmentbanken, Immobilien- und Hedge-Fonds. Danach ergriff die Finanzkrise die Realwirtschaft und führte zum Kursfall nicht nur der verbrieften und immer wieder neu verpackten komplizierten Kreditderivate. Was nur entfernt mit Immobilien zu tun hatte, wurde gnadenlos abgestraft. Im Fahrwasser rückläufiger Aufträge und Gewinnwarnungen stürzten die Kurse weltweit in die Tiefe – unterbrochen von kurzen Erholungsphasen. Ab Frühsommer 2009 begann dann die starke, selbst für Experten unerwartete Rallye.
Ein Rückblick auf die Situation von 2000 bis 2003
Angetrieben von der New Economy legte der DAX im Winter 1999/2000 binnen vier Monaten über 60 Prozent bis auf rund 8.150 Punkte zu. Einzelne Aktien waren damals doppelt so hoch bewertet wie heute. Die Überbewertung in Verbindung mit Kauf auf Pump war eine der Hauptursachen für die Trendumkehr. Umsatz- und Gewinneinbrüche, eine sich abschwächende Konjunktur und die übertriebene Kursentwicklung nicht nur am Neuen Markt mussten früher oder später eine heftige Abwärtsspirale auslösen.
Hinzu kamen die Terroranschläge vom 11. September 2000, die Argentinienkrise und der Irak-Krieg. Kurz vor dem Kriegsausbruch markierte der DAX im März 2003 mit 2.200 Punkten seinen Tiefpunkt – ein Minus von 73 Prozent in drei Jahren. Danach aber marschierte der Deutsche Leitindex fünf Jahr lang bergauf. Im Sommer 2008 griff der DAX seine alte Bestmarke von über 8.150 Punkten an. Danach folgte die Einmündung in ein erneutes Crashszenario, ausgelöst durch die sich ausweitende Finanzkrise – vergleichbar mit einem bösartigen Tumor. Im März 2009 notierte der DAX nur noch bei 3.600 Punkten. Im Dezember 2009 waren es bereits 5.800 Punkte – also eine Erholung um 60 Prozent. Im August 2010 gab es ein neues Jahreshoch mit rund 6.300 Zählern.
Ein Crash wird meist durch sich auftürmende Spekulationsblasen ausgelöst. Scharfe Kursverluste sind auch wegen schwerwiegender äußerer Störfaktoren denkbar wie ein Kriegsausbruch, schwere Terroranschläge, Wirtschafts- und Finanzkrisen, starker Zinsanstieg, Ölpreisexplosion, Ungleichgewichte im Finanz- und Rohstoffsektor, Epidemien und Naturkatastrophen schlimmen Ausmaßes. All dies führt zu irrationalen Ängsten der Anleger, die eine Kettenreaktion von Stop-Loss-Orders auslösen und das Absturzszenario verstärken. Peter L. Bernstein berichtet in seinem Buch »Against The Gods« (»Wider die Götter«), wie sich die »Muster der Unvernunft, Inkonsequenz und Inkompetenz wiederholen, wenn Menschen Entscheidungen bei Ungewissheit treffen.«
Buchverluste verwandeln sich in empfindliche Verluste, wenn Sie es versäumten, frühzeitig zu verkaufen und sich erst in der Bodenbildungsphase von Ihren Aktien trennen. Hier wäre bei Standardtiteln nach verpasstem schnellem Ausstieg das Aussitzen und günstige Nachkaufen die bessere Alternative. Das Problem ist, dass Unangenehmes gern verdrängt wird – ein Hauptgrund, dass viele Börsianer mit Aktien Schiffbruch erleiden, obwohl sie langfristig ein attraktives Investment sind. Allerdings weiß man erst im Nachhinein, wann der beste Zeitpunkt für den Kauf und Verkauf gekommen ist.
Ein Fallbeispiel: Émile Zola »Das Geld« (1891)
»Das war die unausbleibliche, periodisch wiederkehrende verheerende Seuche, die alle zehn bis fünfzehn Jahre an den so genannten schwarzen Freitagen den Markt rein fegt und den Boden mit Schutt bedeckt. Jahre müssen vergehen, ehe das Vertrauen von neuem erwacht und die großen Bankhäuser wieder aufgebaut werden, bis dann die allmählich angefachte Spielleidenschaft wieder hell auflodert, die Geschichte von vorne anfängt und eine neue Krisis herbeiführt, die in einem neuen Krach alles vernichtet.«
Aus der Börsencrash-Geschichte
Am 7. Februar 1637 kommt es zum ersten überlieferten Crash an einer Börse. In Erwartung weiterer exzessiver Preissteigerungen kaufen viele holländische Spekulanten seltene Tulpenzwiebeln zu extrem überzogenen Preisen. Bei der jährlichen Versteigerung in Alkmaar bleiben aber plötzlich die Käufer aus. Die Spekulationsblase platzt, und die Preise fallen rasch um 95 Prozent.
1700: Nach Scheitern des Projekts kann die Darién-Gesellschaft ihre Anteile nicht mehr einlösen.
Crashsplitter 1929
Im Vorfeld: Anfang Oktober 1929 geben Börsenmakler Kredite für sieben Mrd. Dollar aus. Mehr als 10 % vom Börsenwert an der Wall Street basieren auf Pump.
Am Montag nach Crashbeginn: Stützungskäufe bleiben aus. Es finden sich kaum noch Abnehmer für die überteuerten Aktien. Anleger, die zuvor überbewertete Aktien zu jedem Preis orderten, trennen sich von ihren Papieren zu Tiefstkursen und bleiben im Schnitt drei Jahre der Börse fern.
Nachwehen: Der Dow verliert von 1929 bis 1932 insgesamt 86 %. Er stieg dennoch an 365 Tagen. Zusammengerechnet herrschte ein ganzes Jahr die vergebliche Hoffnung, der Schrecken sei vorbei.
Nicht anders sah es von 2000 bis 2003 aus mit trügerischen kleinen Erholungsphasen. Der DAX büßte 70 % ein, der NEMAX 50 über 97 %.
1720: Mit der Südseeblase Englands und der Mississippi-Blase Frankreichs von 1917 bis 1929 entwickeln sich ernste Krisen, die bis zum Ausbruch der amerikanischen und französischen Revolution noch nicht überwunden waren.
Am 9. Mai 1873 fielen die Aktienkurse wegen des Gründerkrachs an der Wiener Börse ins Bodenlose. Auch in Deutschland und den USA brachen die Aktienkurse ein.
Am 5. Mai 1893 löste eine Wirtschaftskrise in den USA hohe Kursverluste an der New York Stock Exchange aus. Insbesondere die Eisenbahnaktien waren davon betroffen.
»Aus eigenen Erfahrungen weiß ich, dass vorzeitige Gewinnmitnahmen im Nachhinein äußerst schmerzhaft sein können. Aber gar nichts zu tun und die vielzitierte Schlaftablette des André Kostolany zu nehmen, halte ich auch für gefährlich.
So richtig es ist, sich aufgrund eigener Kenntnisse oder mithilfe Sachkundiger eine Meinung zu bilden und danach sein Depot aufzubauen, so falsch kann es sein, aus Schlafmützigkeit oder Sturheit bei dieser Meinung zu bleiben, selbst wenn sich die wirtschaftlichen oder auch gesellschaftspolitischen Voraussetzungen entscheidend geändert haben.«
Friedhelm Busch
Der 24./25. Oktober 1929 gingen in die Geschichte ein als Schwarzer Donnerstag (Auslöser in den USA) bzw. Schwarzer Freitag (der nächste Börsentag in Europa). Dieser bislang heftigste Börsencrash löste eine Weltwirtschaftskrise aus und ließ den Dow Jones innerhalb von drei Jahren um 86 Prozent abstürzen.
Am 19. Oktober 1987 rauschte der Dow Jones erneut in den Keller. Wieder kam es zum weltweiten Crash. Seitdem entstehen im Oktober vermehrt Crashängste.
1998: Die Russlandkrise zog die Aktienmärkte Russlands und Osteuropas in die Tiefe.
2000: Die maßlos überhitzten Kurse insbesondere der Internetaktien führten zum Platzen der Dotcom-Blase und danach zur Pleite vieler Start-up-Firmen. Der Neue Markt wurde 2003 vom TecDAX abgelöst. Rund um den Globus verloren die Aktienindizes erheblich an Wert. Die Jahrtausendwende war die Geburtsstunde für den tückischen, sich über drei Jahre scheibchenweise hinziehenden Salami-Crash.
Der große Unterschied zwischen dem Crash 1929 und 2000 bis 2003
Was geschah überhaupt am 24./25. Oktober 1929? Am Schwarzen Donnerstag kam es zu dem bislang folgenreichsten Börsencrash in der amerikanischen Geschichte. Er dehnte sich wegen hausgemachter Probleme und Fehler zur globalen Wirtschafts- und Finanzkatastrophe aus. Die Nachrichten schwappten in den Abendstunden nach Europa über und führten wegen der zeitlichen Verschiebung mit Beginn der Börseneröffnung am Schwarzen Freitag zum massiven Kursabsturz. Die absoluten Veränderungen des Dow-Jones-Index fielen zunächst noch einigermaßen erträglich aus. Aber der sich fortsetzende prozentuale Niedergang des US-Börsenbarometers bis 1933 mit insgesamt 86 % Verlust war extrem heftig. Zwischen 1929 und 1933 sank die Industrieproduktion in der Welt um die Hälfte, und die Börsenkrise wuchs sich weltweit zu einer Bankenkrise aus.
Im Nachhinein sieht es so aus, als ob eine falsche Geld- und Finanzpolitik, Protektionismus (Abschotten der eigenen Märkte) und der Versailler Vertrag aus einem bei umsichtigem Verhalten der Notenbanken und Politiker beherrschbaren Börsencrash eine globale Katastrophe machten. Und darin liegt der wesentliche Unterschied zum Crashszenario von 2000 bis 2003. Es wurde keine erneute Weltwirtschaftskrise ausgelöst. Die Notenbanken haben ihre Hausaufgaben gemacht und angemessen reagiert. Der Leitzinssatz wurde in schneller Folge gesenkt. Die befürchtete Deflation blieb aus. Die Wirtschaft erholte sich weltweit – gestützt von einem konjunkturellen Aufschwung, der auch die Binnennachfrage in Deutschland erfasste.
Die den weltweiten Crash im Herbst 2008 und Frühjahr 2009 auslösenden Probleme begannen am amerikanischen Immobilienmarkt. Nachdem der Wert der Häuser jahrelang stieg, erhöhten viele Hausbesitzer ihre Hypothekenkredite – darunter auch zahlreiche einkommensschwache Schuldner. So wanderten zwischen 2004 und 2006 jährlich rund 850 Milliarden Dollar vom Geldbeutel in den Konsum. Als die Zinsen stiegen, konnten viele Hausbesitzer ihre Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen. Privatinsolvenzen und Zwangsverkäufe mehrten sich. Die Wohnimmobilienpreise purzelten in den Keller. Die komplizierten verbrieften Kreditderivate trieben Banken und Versicherungen an oder in den Abgrund. Beim Crash 2008/2009 sahen die Notenbanken nicht untätig zu. Die amerikanische Notenbank FED senkte den Leitzinssatz in mehreren Schritten auf nahe null Prozent und flutete in Absprache mit den anderen Notenbanken viele Milliarden Dollar in den Markt, um die Liquidität im Finanzsektor zu erhöhen und den Banken zu helfen, ihre Finanzprobleme zu lösen.
Der von unglaublichen Kursschwankungen begleitete Panikcrash Anfang August 2011 mit zehn Verlusttagen in Folge
Emotionalität pur – wie sonst nur beim Fußball! Das war entschieden zu viel nicht nur für empfindsame Gemüter. Allein am 9./10. August 2011 waren die Kursausschläge so groß wie nie zuvor. Der DAX startete nach neun Verlusttagen zunächst freundlich, stürzte dann blitzschnell um rund 500 Punkte bzw. 7 Prozent auf 5.500 Punkte ab, um sich mit einem klitzekleinen Minus von 0,1 Prozent auf 5.900 Punkte zu verabschieden. Bis eine Stunde vor Handelsende tat sich bei den US-Indizes noch nicht viel, um doch noch eine imposante Rallye zu starten (Dow Jones: +4,0 %, S&P: +4,7 %, Nasdaq: 4,9 %). Der nächste Tag verlief umgekehrt: zuerst extrem freundlich, dann tiefer Absturz. In diesem Wechselbad verlor der DAX binnen zwei Wochen über 1.500 Punkte, ein Minus von 25 Prozent. Extrem erwischte es die Nebenwerte-Indizes MDAX, TecDAX und SDAX. Hier lagen die Buchverluste bei 30 Prozent. Ausgelöst wurde der weltweite Kurssturz durch ungebremste Panik, Herdentrieb und die von Stop-Loss-Orders genährten Computer-Verkaufsprogramme. Die USA büßten ihre Topbonität AAA ein. Die Ratingagentur Standard & Poor’s setzte die Kreditwürdigkeit um eine Stufe auf AA+ herab und bewertet den Ausblick negativ. Aktiencrash und Inflationsgefahr trieben den Goldpreis als eine Art Reservewährung auf ein Allzeithoch von fast 1.800 US-Dollar für eine Feinunze (31 Gramm).
Was tun in dieser schwierigen, von Hektik geprägten Börsenzeit?
Dazu ein Kurzkommentar von Frank Wiebe, Handelsblatt Nr. 17/2008
»Wir hatten vorher insgesamt fünf gute Börsenjahre. Allein in den vergangenen drei Jahren ist der Index DAX um rund 89 Prozent gestiegen ... Es war längst einmal Zeit für ein schwaches Börsenjahr nach dem dramatischen Aufschwung ... Wer á la Kostolany seine Aktien kauft und bis zum Eintritt des Rentenalters liegen lässt (oder darüber hinaus), muss jetzt aber nicht den Weltuntergang fürchten und hektisch umschichten. Falsch wären nur zwei Strategien: jetzt noch aussteigen und dann zu spät wieder einsteigen. Das passiert leicht. Denn der ideale Einstiegszeitpunkt kommt oft schon dann, wenn alle noch ihre Wunden lecken und die Nase voll haben von der Börse. Die zweite falsche Strategie: Jetzt ganz cool drin bleiben – und dann nahe den Tiefstkursen die Nerven verlieren und doch noch aussteigen. Die Erfahrung zeigt übrigens, dass es schwierig ist, mit häufigem Ein- und Aussteigen das Ergebnis zu verbessern. Denn oft reichen wenige Tage Verspätung, und schon stimmt die Rechnung nicht mehr – und Kosten fallen auch noch an.“
Ein Fallbeispiel: Der Schuhputzjunge von der Wall Street
»Eines Morgens erzählt ein Schuhputzjunge an der Wall Street dem legendären John D. Rockefeller, man müsse an der Börse investieren, um reich zu werden. Rockefeller wusste sofort, was zu tun war. Wenn sogar schon auf der Straße Börsenempfehlungen ausgesprochen werden, dann war die Wall Street hoffnungslos überhitzt. Eine Korrektur musste folgen. Rockefeller verkaufte seine Aktien und hielt sein Vermögen in Cash. Auf diese Weise rettete der Ölmagnat sein Vermögen vor dem Börsencrash am berüchtigten Schwarzen Donnerstag bzw. Schwarzen Freitag im Oktober 1929. Etwa 80 Jahre später ist Rockefellers Schlussfolgerung aktueller denn je. Ende der 1990er-Jahre stand der US-Aktienmarkt am Ende des längsten Anstiegs, den die Wall Street je gesehen hatte ... 2001 waren beinahe 60 Prozent der Amerikaner, aber auch sehr viele Europäer in Aktien investiert. Unglücklicherweise investierten sie erst am Ende des gigantischen Bullenmarktes. Als die Börsen – allen voran der Neue Markt in Frankfurt – im März 2000 zu fallen begannen, verloren sie wesentlich mehr als nur ihren ruhigen Schlaf.«
Quelle: »The Future of Investing« SUPERFUND-Broschüre, S. 9
Auf welche Signale im Vorfeld achten?
Wenn Börsenkurse in die abendliche Stammtischdiskussion einfließen, das Gesprächsthema nach dem Tennismatch bilden, Börsentipps in großen Lettern auf der Titelseite der Boulevardpresse erscheinen, Taxifahrer mit ihren Gästen über das Börsengeschehen debattieren, sind Vorsicht, Misstrauen, genaue Marktbeobachtung und Disziplin angebracht. Alles deutet auf Kursüberhitzung, das Platzen von Spekulationsblasen hin. Springen Sie – angesteckt vom gefährlichen Virus Gier – nicht mehr auf den rasant fahrenden Börsenzug auf!
Expertenstimmen zum Crash 2008/2009
»Meine Indikatoren sagen mir, dass höchstwahrscheinlich eine Baisse begonnen hat. Ob die nun von mittlerer oder langer Dauer sein wird, ist derzeit noch nicht klar. Am besten werden in diesem Jahr Rohstoffe abschneiden. Allerdings nicht alle. So sind beispielsweise Industriemetalle wie Kupfer, aber auch Erdöl sehr konjunkturabhängig und dürften in einer Rezession eher schwach tendieren. Mein Favorit ist unverändert Gold. Gut gefallen mir auch Agrarrohstoffe wie Baumwolle, Getreide, Sojabohnen, und Zucker. Gegessen wird immer.«
John J. Murphy
Es drohen Verluste als Folge überhitzter Kurse, begleitet von zahlreichen Börsengängen, Firmenzusammenschlüssen, freundlichen und feindlichen Übernahmen. Als Langzeitanleger können Sie mit Augenmaß umschichten, Ihre Spitzenaktien halten, die spekulativen Werte rechtzeitig abstoßen.
Während 2004 noch etliche Experten ein Zurückkommen des Ölpreises auf ungefähr 30 US-Dollar pro Barrel (159 Liter) für wahrscheinlich erachteten, verkündeten einige der längerfristigen Einschätzungen einen Anstieg bis auf 200 US-Dollar, nachdem der Preis von 150 Dollar im Frühjahr 2008 bereits überschritten wurde. Steigende Rohstoffpreise heizen die Inflation an und lähmen schließlich die Konjunktur. Zum Jahresschluss 2008 notierte der Ölpreis nur noch bei knapp 40 US-Dollar je Barrel – ein Jahr später schon wieder bei 80 US-Dollar. So liegt die Ungewissheit für einen Crash nie im Ob, sondern nur im Wann. Schließlich machen die Anleger stets die gleichen Fehler. Ihr Verhalten wird von emotionalem Überschwang, irrationalen Übertreibungen und dem Herdentrieb geprägt. Beim Aufschwung sind es Gier und Euphorie, beim Abschwung Angst und Panik. Beides lähmt den Verstand.
Ein Widerspruch? Mutig bei Bodenbildung kaufen – aber nicht in ein fallendes Messer greifen!
Expertenstimmen zum Crash 2008/2009
»Es gibt jetzt reichlich preiswerte Aktien. Da kann man viele Schnäppchen machen.«
Hendrik Leber
»Auch wenn das Schlimmste bereits hinter uns liegen dürfte, wird die Unsicherheit anhalten.«
Peter E. Huber
»Die Krise ist noch nicht vorbei. Wir müssen uns auf Schlimmeres gefasst machen.«
Marc Faber
Der Börsenjournalist Friedhelm Busch warnt in seinem Buch mit dem gleichnamigen Titel: »Greife nie in ein fallendes Messer!« Umgekehrt heißt es: »Bei Angst kaufen – bei Hoffnung verkaufen – die Bodenbildung nutzen!« Tut sich da nicht ein Widerspruch auf? Bei oberflächlicher Betrachtung: Ja! Bei gründlichem Hinterfragen: Nein! Friedhelm Busch warnt vor dem zu frühen Kauf, zum Aufstocken des Aktiendepots, solange der Crash nicht bewältigt ist. Das Messer steckt noch nicht im Boden. Es befindet sich in der Luft und verletzt im Fallen denjenigen, der danach greift. Das Problem ist, dass niemand genau weiß, ob die Bodenbildung abgeschlossen ist oder es weiter abwärts geht. Auch die technische Analyse kann nur Signale, aber keine schlüssigen Beweise für die Zukunft liefern.
Letztlich erkennt der Anleger erst im Nachhinein, wann das Messer nicht mehr fällt, sondern im Boden steckt, wann die Spekulationsblase geplatzt und der bestmögliche Kaufzeitpunkt gekommen ist. So empfiehlt es sich, geduldig den Markt zu beobachten und Schritt für Schritt zuzukaufen, vielleicht in zwei oder drei Tranchen, um auch den Cost-Average-Effekt (Kauf zum günstigen Durchschnittskurs) zu nutzen. Wer so agiert, hat gute Chancen, in der Nähe der Tiefstkurse zuzugreifen. Das Risiko, dass dies etwas zu früh oder zu spät geschieht, ist hinnehmbar. Die großen Verluste entstehen, indem man kurz vor dem Platzen der Spekulationsblase überteuerte Aktien kauft und nahe der Tiefststände verkauft. Danach wird nur noch in Sicherheitsprodukte investiert und die Aktienanlage hinausgezögert, bis die Einstandspreise erreicht werden und die Angst neuer Hoffnung weicht.
Alan Greenspan: »Blasen lassen sich nicht verhindern!«
Alan Greenspan, der ehemalige Chef der US-Notenbank Fed, hat stets argumentiert, dass eine Zentralbank besser nach dem Platzen einer Blase aufwische, als zu versuchen, eine sich bildende Blase aufzustechen:
»Jede Blase kann gesprengt werden. Aber der Wohlstand wird unvermeidlich das Opfer sein. Solange wir nicht dynamische Märkte aufgeben und eine Art von Planwirtschaft einführen, fürchte ich, dass sich Blasen letztlich nicht verhindern lassen.«
Quelle: Handelsblatt 56/2010
Fazit: Seit dem Aufstieg und Zusammenbruch der Vereinigten Ostindischen Compagnie (VOC) im 17. Jahrhundert haben die Historiker über 40 Finanz- und Börsenkrisen registriert. All diesen Kursstürzen ging eine Phase voraus, in der Anleger alle Börsenregeln außer Kraft setzten und dem Massentrieb folgten: Je teurer die Aktien wurden, desto mehr wurden sie gekauft. Nach dem Absturz dominierte die umgekehrte Variante: Je billiger die Aktien zu haben waren, desto mehr verschmähten die Investoren sie.
2.10 Übernahmefantasien im Vorfeld nutzen
Firmenzusammenschlüsse und –übernahmen stellen eine Art Königsweg dar, um wichtige strategische Vorhaben zu verwirklichen. Hauptziele sind mehr Wachstum, höhere Rentabilität, größerer Unternehmenswert, Zugriff auf neue Märkte, Kompetenzgewinn, gemeinsame Forschung, Entwicklung neuer Produktlinien. Eine IDC-Studie (International Data Corporation) berichtete im Februar 2008 über 229 Firmenübernahmen von 2007 allein aus dem Softwaresektor, für die rund 54 Milliarden US-Dollar veranschlagt wurden. Das Kaufinteresse erfasst auch mittelständische Unternehmen und ist nicht auf die Weltkonzerne beschränkt. Im Fadenkreuz stehen gut geführte Unternehmen, um strategisch bei Konstruktion und Entwicklung, Vertrieb, Zahlungsverkehr, Umweltschutz usw. Einfluss zu gewinnen, sich mit dem Opfer der Begierde einen Mitbewerber vom Hals zu schaffen und Synergieeffekte zu nutzen.
Für Privatanleger gilt es, die Chancen für das Bieter- und das Zielunternehmen abzuschätzen und gegebenenfalls eine Zwangsabfindung (»Squeeze-Out«) zu riskieren. Üblich ist, dass bei einem Übernahmeangebot der Aktienkurs des Bieterunternehmens sinkt, der Kurs bei der Zielfirma dagegen nach oben strebt. Oft liegt die kurstreibende Kaufofferte in einem deutlich zweistelligen Prozentbereich.
Vielleicht erinnern Sie sich noch an die zunächst hoch gelobte Fusion von Daimler-Benz mit Chrysler zur »Welt-AG« – in Zeiten, als der Kurs noch mehr als doppelt so hoch war wie jetzt. Sie denken an den Kauf der US-Investmentbank Bankers Trust durch die Deutsche Bank und die heiße Übernahmeschlacht des britischen Telekommunikationsriesen Vodafone, die mit der Einverleibung von Mannesmann aus dem DAX endete. Ihnen fallen der Zugriff des Finanzdienstleisters Allianz auf die Dresdener Bank, die Übernahmen des US-Medienriesen Tim Warner durch die Internetgesellschaft AOL sowie der Biotechfirmen Immunex durch Amgen, Aviron durch Medimmune und Idec durch Biogen ein. Sie denken an den Deal der Lufthansa, die sich den in finanziellen Nöten befindlichen Mitbewerber Swiss Air einverleibte, die freundliche Übernahme von Rebok durch Adidas sowie der HypoVereinsbank seitens der italienischen Großbank UniCredit.
Was ist von solchen mit großem Getöse durchgeführten Fusionen, freundlichen und feindlichen Übernahmen übrig geblieben? Nicht selten der spätere Rückzug und hinterlassene Milliarden-Gräber, wie das Beispiel DaimlerChysler zeigt. Die spektakuläre vom Oktober 1999 bis Februar 2000 andauernde Übernahmeschlacht zwischen Vodafone und Mannesmann endete mit der umstrittenen Abfindung des damaligen CEO Klaus Esser in Höhe von über 15 Millionen Euro.
Bei Akquisitionen kann es gewaltig brodeln. Übernahmen und Fusionen – Mergers & Acquisitions, M&A genannt – sorgen für Spannung, Unruhe und Kursfantasien. Meist reagiert die Börse bei der Bieterfirma mit Kursabschlägen, beim Zielunternehmen mit üppigen Aufschlägen. So berappte die italienische UniCredit 22,3 Milliarden Dollar für den Erwerb des zuvor zweitgrößten deutschen Kreditinstitutes HypoVereinsbank. Danach griff der Pharmakonzern Merck nach Schering, Linde nach dem englischen Gasehersteller BOC und E.ON nach dem im EURO STOXX 50 gelisteten spanischen Stromerzeuger Endesa. Die Stahlfusion von Mittal Steel und Arcelor schlug mit 35 Milliarden Euro zu Buche. Übernahmefantasien heizen das Börsenklima an. Nach einem Schlagabtausch zwischen Merck und Bayer entschied die größere Finanzkraft des DAX-Chemieriesen das Bietergefecht um den traditionsreichen Berliner Pharmahersteller Schering. 16,7 Milliarden Euro blätterten die Leverkusener für den Zukauf hin.
Statt Wertvernichtung höherer Firmenwert durch Synergieeffekte
Laut einer KPMG-Studie mehrt sich die Zahl erfolgreicher Übernahmen und Fusionen. Firmen mit klarer Strategie haben bessere Chancen, auch bei schwieriger Marktlage positiv abzuschneiden. Bleiben dennoch die erwarteten Synergieeffekte aus und die Einverleibung verläuft nicht wie gewünscht, liegt dies meist am »Kampf der Kulturen«. Vor allem bei der Übernahme ausländischer Unternehmen harmonieren unterschiedliche Mentalitäten, Führungsstil, Leitrichtlinien und Betriebsklima nicht miteinander. Sinkt die Motivation der Mitarbeiter und macht sich Unzufriedenheit breit, entpuppt sich die Akquisition leicht als Flop statt Top.
Volumen europäischer Private-Equity-Transaktionen
Quelle: Online-Information, Urheber unbekannt
Einer neuen Studie zufolge führte von 100 US-Übernahmen die knappe Hälfte der kritisch beurteilten Deals nach einem Jahr zu einer um zehn Prozent besseren Aktienkursentwicklung als im Branchenvergleich. Von den positiv eingestuften Übernahmen schafften dies laut Handelsblatt und M&A nur 34 Prozent.
Die Verwerfungen an den globalen Finanzmärkten haben 2008/2009 die weltweiten Übernahmeaktivitäten beeinträchtigt. Die Banken stellten kaum mehr Kredite für die Finanzierung der Transaktionen bereit. So fiel in den Vereinigten Staaten 2008 das Volumen der durchgeführten Zusammenschlüsse gegenüber 2007 um 29 Prozent und im November 2008 im Vergleich zum Vorjahresmonat sogar um 86 Prozent – welch gewaltiger Rückgang!
Von feindlichen Übernahmen sind vor allem niedrig bewertete Unternehmen mit interessantem Geschäftsmodell und Alleinstellungsmerkmalen bedroht, die über keinen Großaktionär und somit einen hohen Streubesitz (Free Float) verfügen. Nicht selten hapert es bei den Mittelständlern an einer erfolgreichen Abwehrstrategie, zu der vielleicht auch Anzeigenschaltungen in der Wirtschaftspresse mit Appellen an die Aktionäre gehören. Eventuell hofft das bedrohte Unternehmen auf einen »weißen Ritter«. Dies kann ein befreundetes Unternehmen sein, das die Kaufofferte überbietet.
Die freien Aktionäre erwarten einen Aufschlag im zweistelligen Bereich auf den Börsenkurs. Ansonsten erscheint der Erfolg fraglich.
Freundliche Übernahmen sind üblich, wenn die Zielfirma vom Geschäftsmodell her gut zum Bieterunternehmen passt. Generell gilt: Kleine Häppchen sind bekömmlicher als dcke Brocken! In den Boomzeiten des Neuen Marktes haben sich viele Firmen an großen Übernahmen verhoben – finanziell wie organisatorisch.
Motive für Übernahmen
Mehr Marktmacht durch Größe
Erweiterung der Absatzmärkte
Zugang zu neuen Märkten durch die EU-Erweiterung
Synergiepotenziale durch Kostensenkung
Befreiung von hartnäckigen Mitbewerbern
Squeeze-Out
Das Übernahmegesetz von 2002 erleichtert es dem Aufkäufer bei einer feindlichen Übernahme, Minderheitsaktionäre, die sich bislang allen Abfindungsangeboten widersetzten, aus dem Unternehmen zu drängen.
Sofern der Bieter 95 % der Anteile kontrolliert, kann er sich im Squeeze-out- Verfahren (»herausquetschen«) von den unliebsamen Aktionären trennen. Die Zwangsabfindung muss dem tatsächlichen Wert entsprechen.
Delisting
Um den Rückzug von der Börse mit einer halbjährigen Frist beantragen zu können, bedarf es eines HV-Beschlusses von 75 % der vertretenen Stimmen.
Die seit 2002 geltende Fristenlösung erleichtert es den Großaktionären, das Delisting durchzusetzen.
Wie soll der Privatanleger auf eine Übernahme reagieren?
Nur ein Gerücht? Positive Meldungen sind ein Treibsatz für steigende Aktienkurse, solange man sie nährt. Platzt das Gerücht, stürzt der Kurs in die Tiefe.
Ein Aufkäufer am Werk? Erstes Anzeichen, dass an den Übernahmefantasien etwas dran ist, sind steigende Aktienkurse trotz Fehlens aktueller Nachrichten bzw. einer fundamentalen Neubewertung. Vermutlich scheint ein Aufkäufer aktiv zu sein.
Welche Aktien im Depot? Meist steigt der Kurs der Zielaktie, während das Bieterpapier eher sinkt. Die Aktionäre befürchten, dass ein zu hoher Preis bezahlt wird, angeheizt durch einen Bieterwettstreit. Vorausgesetzt, die führenden Analysten beurteilen den Zusammenschluss einhellig positiv und der Übernahmepreis gilt als fair, kann auch der Kurs der Bieter-AG steigen.
Übernahmeofferte annehmen? Wird ein festes Übernahmeangebot gemacht, sollten Sie bei attraktivem Kursaufschlag, zum Beispiel ab 20 oder 30 Prozent, zustimmen. Schließlich dürfte der Titel bald vom Kurszettel verschwinden. Bei einer zu niedrigen Offerte im Nahbereich des aktuellen Kurses warten Sie eventuell ein Nachbesserungsangebot beziehungsweise eine spätere Zwangsabfindung ab, »Squeeze-out« genannt. Das neue Übernahmegesetz sorgt für faire Bewertung. Es geht darum, die Minderheitsaktionäre rasch los zu werden. Jede weitere Hauptversammlung kostet Zeit und Geld.
Passende Unternehmenskulturen? Etwa die Hälfte aller Firmenzusammenschlüsse scheitert an Integrationsproblemen. Abweichende Sprachen, Mentalitäten, Hierarchien und Einstellungen schmälern die erwarteten Synergieeffekte. Als warnendes Beispiel gilt Daimler: Lange Zeit eine Großbaustelle statt »Welt-AG«! Erinnert sei an die Probleme der ALLIANZ und aktuell der Commerzbank mit der Dresdener Bank.
Eine Art Glücksspiel? Übernahmen gestalten sich häufig zu einem Lotteriespiel. Das Aussitzen nach einem Abfindungsangebot lohnt sich für den Privatanleger öfters, aber nicht immer.
Was also tun bei Übernahmeofferten und Squeeze Out?
Droht Ihre Firma übernommen zu werden, so sollten Sie bei einer großzügigen, von namhaften Experten aus Anlegersicht positiv beurteilten Offerte das Angebot annehmen. Schließlich kann ein Unternehmen seit der zum 1. Januar 2002 erfolgten geänderten Zulassungsordnung nach einer Frist von sechs Monaten den Rückzug von der Börse beantragen. Laut Übernahmegesetz müssen dieses Delisting nur 75 Prozent der vertretenen Stimmen auf der Hauptversammlung befürworten. Dies erscheint für einen Großaktionär lösbar. Das Übernahmegesetz erlaubt es, Altaktionäre »rauszuquetschen«, sofern der Großaktionär über 95 Prozent aller Aktien besitzt.
2.11 Richtige Schlüsse aus Rückkaufprogrammen ziehen
Aktionäre lieben Rückkaufprogramme, sei es, dass die Aktien eingezogen werden und damit der einzelne Anteilschein an Wert gewinnt, sei es, dass das Unternehmen die an der Börse erworbenen eigenen Aktien als Akquisitionswährung einsetzt. Steigende Kurse sind die Regel. 2007/2008 haben auffallend viele DAX-Unternehmen Aktienrückkaufprogramme von bis zu zehn Prozent beschlossen, beispielsweise Adidas, der Chemieriese BASF, BMW, die Deutsche Bank, die Deutsche Börse AG und Munich Re, um nur einige zu nennen. Auch in der zweiten und dritten Liga werden Rückkaufprogramme gestartet, so bei dem Photovoltaikunternehmen SolarWorld im TecDAX. Die alle Wirtschaftszweige in den Würgegriff genommene Finanzkrise hat den Trend gestoppt, obgleich der Rückkauf auf gedrücktem Kursniveau sinnvoller erscheint als im Bullenmarkt. Viele Konzerne in aller Welt sichern in schwierigen Zeiten ihre Liquidität und liebäugeln mit Übernahmen zu Schnäppchenpreisen.
Ein Fallbeispiel: Aktienrückkauf 2007/2008 bei der Munich Re, vormals Münchener Rück: Originalauszug aus der Website
1. Am 4. Mai 2007 hat der Vorstand der Münchener Rück beschlossen, bis zu 22 Mio. Aktien der Münchener Rück zu einem insgesamt aufzuwendenden Kaufpreis (ohne Nebenkosten) von maximal zwei Mrd. Euro bis zum 17. April 2008 über die Börse zu erwerben. Bis Ende Januar 2008 wurden ca. 14,7 Mio. Aktien zu einem durchschnittlichen Kurs von 132,03 Euro gekauft. Dies entspricht einem Erwerbspreis von knapp 2 Mrd. Euro. 366.666 Aktien wurden unter dem Einsatz von Derivaten (Put-Optionen) erworben.
2. Am 29. Januar 2008 hat der Vorstand der Münchener Rück beschlossen, von der Ermächtigung der Hauptversammlung vom 26. April 2007 weiter Gebrauch zu machen und im Zeitraum vom 30. Januar 2008 bis spätestens zum 25. Oktober 2008 bis zu 4 Mio. Aktien der Münchener Rück zu einem insgesamt aufzuwendenden Kaufpreis (ohne Nebenkosten) von maximal 250 Mio. Euro über die Börse zu erwerben.
Der Rückkauf dient dem Zweck, die Aktien nach dem Erwerb zur Optimierung der Kapitalstruktur der Gesellschaft einzuziehen.«
Es stellt sich die Frage: Was macht Aktienrückkäufe so attraktiv?
Es entsteht zusätzliche Nachfrage. Die Gesamtzahl der Aktien sinkt, sofern das Unternehmen sie nach dem Rückkauf einzieht. Bei gleichbleibendem Ergebnis steigt der Gewinn je Aktie. Gemessen am KGV wird die Aktie preiswerter. Dies verbessert die Kurschancen. Eine solche Nachricht wirkt als Treibsatz für die Kursentwicklung. Häufig werden Aktien aber auch für geplante Akquisitionen oder Optionsprogramme zurückgekauft. Laut Untersuchungen der US-Investmentbank Morgen Stanley laufen die Aktien von Firmen, die Anteilscheine zurückkaufen, im ersten Jahr nach Ankündigung im Schnitt um 13 Prozent besser als der Gesamtmarkt. »Bei der Auswahl von Aktien sind Rückkäufe also ein gutes Kriterium«, urteilt der Analyst Ben Funnell von Morgan Stanley.
Worauf beim Aktien-Rückkauf-Programm achten?
Der Aktionär profitiert nicht, wenn die eingesammelten Aktien in die umstrittenen Optionsprogramme fließen.
Ein Treibsatz für die Kursentwicklung ist nur zu erwarten, wenn die eingezogenen Aktien vernichtet werden. Bei gleichbleibendem Ergebnis steigt der Gewinn je Aktie, das KGV sinkt.
Ein Rückkauf mit dem Ziel, die Aktien als Akquisitionswährung einzusetzen, weckt Visionen und kann vernünftig sein.
Während für Dividenden nach Ausschöpfung des Pauschbetrags die 25-prozentige Abgeltungsteuer zugreift, bleiben Aktienkursgewinne beim Altbestand steuerfrei.
Dividenden werden an einem bestimmten Stichtag gezahlt, während der Aktienrückkauf über einen längeren Zeitraum nach Bedarf eingesetzt wird und den Kurs zusätzlich absichert. Manche Analysten betrachten den Aktienrückkauf als besten Weg, die Aktionäre am Erfolg zu beteiligen, sofern die Anteilscheine danach eingezogen werden.
Hermann Köster von der Fondsgesellschaft Invesco meint: »Aktienrückkäufe bewahren ein Unternehmen davor, in überflüssige Repräsentationsbauten zu investieren oder Firmen viel zu teuer zu übernehmen.«
Mitunter werden auch eigene Aktien eingesammelt, um sie als Akquisitionswährung zu verwenden. Ein Aktientausch bietet sich an, wenn ein Unternehmen durch eine Übernahme weiterwachsen, neue Märkte erschließen, lästige Mitbewerber abschütteln und Synergieeffekte erzielen will. Ein solches Vorhaben kann, muss sich aber nicht lohnen. Nicht jede Übernahme verläuft erfolgreich, denn Marktmacht und Größe sind nicht das Maß aller Dinge, und die unterschiedlichen Unternehmenskulturen harmonieren nicht immer miteinander.
Trotz eindeutiger Vorteile fehlt es nicht an kritischen Stimmen
Als Hauptvorwurf nennen Analysten, es sei eine vorrangige Aufgabe der Unternehmensspitze, neue Wachstumsfelder zu erschließen. Habe der Vorstand keine bessere Idee als eigene Anteilscheine zurückzukaufen, sei dies eher ein Armutszeugnis. Warum nicht in neue chancenreiche Geschäftsfelder investieren? Etliche Experten beurteilen eine verlässlich steigende Dividende als die bessere und von den Anlegern auch geschätzte Alternative. Beim Rückkauf bestände zudem die Gefahr, mit einem Teil der Aktien die Optionsprogramme leitender Mitarbeiter zu bedienen. So kämen die Aktien wieder auf den Markt, statt sie einzuziehen.
Ein Kommentar von Ulrich Hocker, DSW: Aktienrückkauf ausdehnen
»Aktienrückkaufprogramme sind in Mode. Kaum eine der im DAX notierten Gesellschaften verzichtet darauf, eigene Anteilscheine zurückzukaufen oder zumindest auf der Hauptversammlung einen entsprechenden Vorratsbeschluss zu fassen. Nun lässt sich trefflich darüber streiten, ob es nicht bessere Möglichkeiten gibt, das im Unternehmen gehortete Geld zu verwenden.
Aus Aktionärs- und Unternehmenssicht wäre eine gewinnträchtige Investition die sinnvollere Alternative. Ist jedoch eine solche Möglichkeit nicht gegeben, sollte das Kapital an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Entweder über die steuerpflichtige Dividende oder mittels eines Aktienrückkaufprogramms. Klar ist: Nach dem Rückzug der Deutschland AG kann es fatal sein, Geld unnötig im Unternehmen zu bunkern, statt es an die Aktionäre auszuzahlen ... Vor den Rückkauf hat der Gesetzgeber sinnvollerweise einen Hauptversammlungsbeschluss gesetzt.« (Eine erfreuliche praktische Neuerung: Der Beschluss gilt seit 2010 nicht mehr nur 18 Monate, sondern ab sofort fünf Jahre.)
Wie sollten Privatanleger auf Aktienrückkaufprogramme reagieren?
Sie, liebe Leserinnen und Leser, sollten AGs bevorzugen, die sich beim Rückkauf verpflichten, die eingezogenen Papiere zu vernichten. Gute Zahlen, eine steigende Dividende, eine positive Prognose und ein Rückkaufprogramm mit klarer Zielsetzung sind der Treibsatz für höhere Kurse. Das Management sollte erst an ein Rückkaufprogramm denken, wenn die Bilanzstruktur gesund ist und kräftige Gewinne eingefahren werden. Angesichts des Konjunktureinbruchs im Zuge der noch längst nicht überwundenen Finanz- und Weltwirtschaftskrise gibt es für zahlreiche Unternehmen augenblicklich andere Sorgen und Herausforderungen, als tatsächlich ein Aktienrückkaufprogramm zu starten und damit den Kurs zu beflügeln.
2.12 Sich über den Insiderhandel informieren
Das Handelsblatt informiert seine Leser alle zwei Wochen über die wesentlichen erlaubten Insidergeschäfte aus den Indizes DAX, TecDAX, MDAX und SDAX. Im Internet sind bei den Finanzdienstleistern und online-Providern solche Informationen täglich abrufbar – ergänzt durch die Transaktionen kleinerer Unternehmen außerhalb der Indizes. Sie fragen sich vielleicht: »Was nützt es mir zu wissen, ob und wann der Vorstand und Aufsichtsrat Aktien vom eigenen Unternehmen kaufen oder verkaufen?« Ein Blick auf den aktuellen Insiderhandel ist ein verlässliches Barometer für die Einschätzung der Firma durch das eigene Management. Niemand kennt den Betrieb und die Wachstums- und Ertragschancen so gut wie die Firmenspitze. Bei positiver Einschätzung wird kaum ein Unternehmenslenker größere Positionen der eigenen Anteilscheine veräußern, sondern Schwächephasen an der Börse für den Zukauf nutzen. Umgekehrt verkauft das Management eher im großen Stil, wenn es schlecht um die AG steht. Jedoch dürfen solche Aktivitäten nie im direkten Zusammenhang mit einer kurz darauf folgenden ad-hoc-Meldung stehen.
Wer sein Insiderwissen unfair zum eigenen Vorteil ausnutzt, muss mit harten Geld- oder sogar Haftstrafen rechnen; denn Insidergeschäfte ab 5.000 Euro sind bei der BaFin meldungspflichtig.
Das Forschungsinstitut für Asset Management (Fifam) berechnet in Zusammenarbeit mit Commerzbank Private Banking fortlaufend für das Handelsblatt das Insiderbarometer. Die Aktienorders des Managements gelten vor allem dann als aussagekräftiger Indikator für die weitere Marktentwicklung, wenn wiederholt gekauft oder verkauft wird. Schließlich lassen Vorstand und Aufsichtsrat bei ihren Orders ihren Wissensvorsprung zur weiteren Firmenentwicklung einfließen. Während in Phasen von scharfer Korrektur und Crash zahlreiche Bankberater und andere Experten zum Ausstieg blasen, handelt die Unternehmensspitze oft antizyklisch. Kaufen, wenn andere verkaufen und die Kurse niedrig sind!
Das Insider-Börsenbarometer, seit 2002 aufgezeichnet, registrierte mit 135 Punkten Anfang Juni 2010 den höchsten Stand. Den acht größten Kaufaufträgen von 18 Millionen Euro aus der DAX-Familie standen kleine Verkäufe von nur 54.000 Euro gegenüber. Unterhalb von 100 Punkten sendet das jeden zweiten Montag im Handelsblatt veröffentlichte Insider-Barometer Verkaufssignale, ab 110 Punkte Kaufsignale. Vorstände und Aufsichtsräte, die ihr Unternehmen am besten kennen, kaufen oft eigene Aktien ein, während Analysten und Vermögensverwalter eher den Ausstieg empfehlen. Bevor Sie sich zum Kauf oder Verkauf entscheiden, werfen Sie einen Blick auf die Insideraktivitäten. Es darf nicht das einzige Kriterium sein, ist aber ein wichtiger Anhaltspunkt.
2.13 Ethisch-sozial-ökologische Standards beachten
Der Corporate-Governance-Kodex beeinflusst die Performance
Beim Corporate Governance Kodex geht es um die ethischen Standards einer verantwortungsvollen Unternehmensführung. Eine Firma, die im Interesse ihres Wachstums und ihrer Anteilseigner diese Rahmenbedingungen umsetzt, erzielt gewöhnlich eine bessere Performance. Gerade in Zeiten, in denen sich einige Unternehmensvorstände allem Anschein nach ihrer Vorbildwirkung zu wenig bewusst sind, hinterfragen kritische Aktionäre die sozial-ethisch-ökologischen Standards und reagieren empfindlicher auf unredliches Gebaren, Raffgier und Machtmissbrauch.
Vielleicht fragen Sie sich aber dennoch: »Was hat der Deutsche Corporate Governance Kodex mit der Kursentwicklung von Aktien und deshalb auch mit meiner Strategie zu tun?« Ein Unternehmen, das diesen Kodex mit den Standards einer guten und verantwortungsvollen Unternehmensführung verinnerlicht und im Alltag vorlebt, erzielt meist eine bessere Rendite, als wenn es die am 21. Mai 2003 festgelegten Rahmenbedingungen weitgehend vernachlässigt. Der Deutsche Corporate Governance Kodex will die Richtlinien und Vorschriften für die Unternehmensleitung und -überwachung transparenter machen, um so das Vertrauen in das Management der börsennotierten Gesellschaften zu stärken. Vorrangig geht es darum, folgende häufig beanstandete Kritikpunkte zu überwinden:
die mangelhafte Ausrichtung auf Aktionärsinteressen;
die duale Unternehmensverfassung mit Vorstand und Aufsichtsrat;
die fehlende Transparenz deutscher Unternehmensführung;
die geringe Unabhängigkeit deutscher Aufsichtsräte;
die eingeschränkte Unabhängigkeit der Abschlussprüfer.
Der deutsche Verhaltenskodex schafft mehr Transparenz, erhöht den Anlegerschutz und will Unternehmensskandale wie eine geschönte Bilanzierung und Umsatzbetrug verhindern. In Deutschland wacht eine Regierungskommission darüber, dass die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden. Mittlerweile bildet die Qualität der Unternehmensführung für Anleger ein wichtiges Kriterium – auch erkennbar an entsprechenden Fragestellungen auf der jährlichen Hauptversammlung. Dies ist verständlich. Schließlich sehen viele Experten eine direkte Verbindung zwischen der Qualität des Managements und der Aktienkursentwicklung. Eine Analyse der Deutschen Bank bestätigt den Zusammenhang zwischen den Standards der Unternehmensführung und der erzielten Performance. Vom Vertrauensverlust zur Kehrtwende in Richtung: »Mit gutem Gewissen anlegen!«
Firmen mit schwachem Corporate Governance Kodex erzielen im Schnitt weniger Gewinn als Unternehmen, die diese Standards vorbildlich erfüllen.
Die Rangliste der Institutional Shareholder Services (ISS) bewertet die Einhaltung der Grundsätze ordentlicher Unternehmensführung und berücksichtigt 55 Kriterien. Dazu gehören die Zusammensetzung und Unabhängigkeit der Aufsichtsräte, die differenzierte Offenlegung der Managergehälter, etwaige Aktienoptionspläne, die Bilanzprüfungsverfahren und Abwehrmaßnahmen gegen Übernahmen.
Ein Blick auf das wichtige »Corporate Social Responsibility«
»Die Anforderungen an den Aufsichtsrat sind stark gestiegen. In Zukunft werden Aktionäre und Öffentlichkeit noch stärker beobachten, ob die Aufsichtsräte den Anforderungen entsprechen. Ich gehe davon aus, dass die Effizienz des Aufsichtsrats künftig ein zentrales Thema auf den Hauptversammlungen sein wird.«
Gerhard Cromme
Bisweilen tut sich bei einigen Konzernen eine Kluft auf, sobald es um Anstand und Moral geht. In der jüngeren Vergangenheit gerieten vor allem der VW-Konzern (»Lustreisen der Betriebsräte«), Daimler (»Hochzeit im Himmel – Scheidung auf Erden«; Bereicherung durch überhöhte Aktienoptionsprogramme), Siemens (Korruptionsskandal), Porsche (hochriskante Spekulationsgeschäfte) und Lehman Brothers (Bilanzbetrug) in die Kritik. In einer Zeit, in der von Mitarbeitern oft erhebliche Opfer verlangt werden und zahlreiche Arbeitnehmer um ihren Arbeitsplatz fürchten, stößt es übel auf, dass selbst solche Firmenvorstände riesige fixe und variable Bezüge einschieben, die Kapital in Millionen- bis Milliardenhöhe verbrennen wie der frühere DaimlerChrysler-Vorstandsvorsitzende Jürgen Schrempp.
Neue Studien beweisen: Unternehmen, die sich gegenüber ihren Mitarbeitern, Kunden und der Gesellschaft sozial verantwortlich fühlen und deren Firmenkultur von gegenseitiger Wertschätzung getragen wird, sind oft besonders erfolgreich. Dies gilt vor allem für eigentümergeführte Mittelständler, die sich ihrer Familie und künftigen Generationen verpflichtet und mit ihrem regionalen Umfeld verbunden fühlen. Das Erfolgsgeheimnis des GEX (Index für inhabergeführte Unternehmen) mit der besten Performance bis zum Jahr 2007 beruht nicht zuletzt darauf, dass die Unternehmenslenker der Familienfirmen längerfristig planen, nachhaltig wirtschaften und Substanzkraft aufbauen. Wegen des starken Erfolgszwangs ist das Fremdmanagement dagegen eher auf schnelle Erfolge, Macht, Prestige und Größe ausgerichtet. Fremdmanager sitzen gewissermaßen auf einem Feuerstuhl. Sie werden vom Aufsichtsrat häufiger gefeuert als die Trainer der ersten und zweiten Fußballbundesliga (rühmliche Ausnahme: Werder Bremen als Musterbeispiel für Kontinuität). Dieser Druck färbt auf das Verhalten und die Zielsetzungen ab.
Performance-Vergleich 2003 bis 2007*
GEX (Prime-Standard-Index Familienfirmen): |
|
366 % |
SDAX: |
|
340 % |
MDAX: |
|
331 % |
DAX: |
|
257 % |
TecDAX: |
|
254 % |
Durchschnittsperformance pro Jahr*
GEX (Prime-Standard-Index Familienfirmen): |
|
29,4 % |
SDAX: |
|
27,8 % |
MDAX: |
|
26,4 % |
TecDAX**: |
|
21,2 % |
DAX: |
|
20,0 % |
*Die Berechnung erstreckt sich auf die Zeitspanne vom 01.01.2003 bis zum 31.12.2007.
**Der TecDAX erzielte 2004 ein Minus von 4,8 %
Quelle: Beate Sander, »Börsenerfolg Familienfirmen«
Überzeugt ein Unternehmen mit hohem Umweltstandard, beeinflusst dies auch die Kursentwicklung ihrer Aktie. Trotz dieser Erkenntnis kümmern sich zahllose Unternehmen nur halbherzig um ihre Nachhaltigkeits-Aktivitäten. Unschön, wenn Firmen im Geschäftsbericht über ihre Mitarbeiter, die das größte Wertschöpfungspotenzial und damit den Schlüssel zum Unternehmenserfolg darstellen, nur in nackten Zahlen über »Humankapital«, dem Unwort des Jahres 2004, berichten.
In einem bislang bundesweit einzigartigen Nachhaltigkeitsranking wurden 2005 die 30 DAX-Unternehmen auf ökologische, soziale und ethische Leistungen abgeklopft. Insgesamt 200 Kriterien standen im Fokus. Die unabhängige Research-Agentur SCORIS kürte als Sieger HENKEL mit 82 von 100 Punkten. Der Konzern landete bei gesellschaftlichem Engagement, Kundenbeziehungen und Umweltschutz auf dem ersten Rang. Es verwundert nicht, dass HENKEL ein familiengeführtes Unternehmen ist, allerdings nicht im GEX vertreten, weil die Börsennotierung über zehn Jahre zurückreicht. Im Familienindex HAFixD der Börse München ist das etablierte DAX-Unternehmen HENKEL selbstverständlich gelistet. Erfreulicherweise verzichtet die Börse München auf die Zehn-Jahres-Sperrklausel ebenso wie der GEX-Nachfolger »DAXplus Family Index« der Deutschen Börse AG, aufgelegt im Januar 2010.
Die Studie, die über Branchengrenzen hinweg die führenden Unternehmen miteinander vergleicht, zeigt, dass engagierter Umweltschutz und der von Wertschätzung geprägte Umgang mit Mitarbeitern gut ankommen. Nachhaltiges Wirtschaften prägt die Unternehmens- und Informationspolitik, Leitrichtlinien, Firmenkultur, Vorbildwirkung, Managementsysteme und Aktivitäten im gesellschaftlichen Umfeld. Es geht darum, wie glaubwürdig und redlich die Geschäfte geführt werden.
Wer befürchtet, ethisch-ökologische Geldanlagen werfen weniger Rendite ab, irrt. Viele Anleger wollen ihr Geld mit gutem Gewissen in ethisch einwandfreie Unternehmen investieren. Dennoch gibt es Risiken: Abhängig davon, wie stark regenerative Energien künftig noch staatlich gefördert werden und wie sich die Anbieter von Solarstrom- und Windkraftanlagen sowie Biomasse und Geothermie (Erdwärme) auf dem heimischen und internationalen Markt behaupten, sind diese Aktien extrem schwankungsfreudig.
Zitate aus dem Essay-Wettbewerb vom Handelsblatt und dem Initiativkreis Ruhr 2009/2010: »Ethische Grundlagen des Unternehmertums«
»Unternehmen brauchen die Akzeptanz der Gesellschaft. – Die Frage ist nicht, ob wir Macht haben. Die Frage ist, ob wir mit dieser Macht verantwortungsvoll umgehen!«
Stefan Heß, Universität Eichstätt, einer der drei Preisträger, stellt sein Essay über Alfred Herrhausen, den von der RAF am 30. November 1989 ermordeten Chef der Deutschen Bank, der heute (2010) 80 Jahre alt geworden wäre, unter das Leitwort: »Der Einzelne trägt die Pflicht, einer unethischen Geschäftspraxis entgegenzustehen.« Alfred Herrhausen war ein Bankmanager mit gesellschaftspolitischer Mission, keineswegs ein Vertreter vom seelenlosen »Betonkopfkapitalismus«.
2.14 Mit billigem Einkauf und teurem Verkauf Gewinne realisieren
Ein Fallbeispiel: SCHALTBAU
Wie wichtig dieser kaufmännische Grundsatz ist, sei an einem Beispiel, ausgehend vom 11./12. April 2005, veranschaulicht. Auf der INVEST 2005 in Stuttgart lagen etliche Printausgaben von Börsenmagazinen und Börsenbriefen aus. In seltener Übereinstimmung wurden nach dem geglückten Turnaround für die Nebenwertaktie SCHALTBLAU Kaufempfehlungen abgegeben. FOCUS MONEY verkündete auf der Titelseite für den Verkehrstechnik-Spezialisten ein Gewinnplus von 200 Prozent bei einem geradezu lächerlich niedrigen KGV von Fünf. Am Freitag, 8. April 2005, lag der Kurs vor Börsenbeginn noch bei 22 Euro, um am Montag, 11. April 2005, bis auf den damaligen Höchststand von gut 35 Euro hochzuschnellen. Allem Anschein nach doch etwas übertrieben und Anlass zu Gewinnmitnahmen! Am Abend stürzte das Papier um rund 15 Prozent vom Hoch auf deutlich unter 30 Euro ab. Gut, wer schnell reagiert und bereits bei 22 Euro gekauft hatte. Noch besser: Wer die sich einige Monate hinziehende starke Kurskorrektur abwartete, konnte im Oktober 2005 sogar zu Kursen unter 15 Euro einsteigen und die sich anschließende Erholungsphase voll auskosten. Dumm, wer sich von seiner Gier und dem Herdentrieb mitreißen ließ und 2005 selbst bei 35 Euro noch auf den fahrenden Börsenzug aufsprang. Wie so oft wäre es besser gewesen, seine Gier zu zügeln.
Und wie sieht es jetzt, Ende Juli 2010, aus? Die Schaltbau-Aktie, zeitweilig nur noch bei 29 Euro notierend, hat sich erholt und kostet über 49 Euro. Langzeitanleger erzielten fast immer einen, wenngleich unterschiedlichen Kursgewinn. Das schnelle Rein und Raus führte öfters zu Verlusten. Das KGV mit nur 7,5 für 2011 weist auf eine niedrige Bewertung hin. Was dagegen Sorge macht, ist die geringe Eigenkapitalquote von nur zwölf Prozent.
Quelle für Kennzahlen: BÖRSE ONLINE Datenbank
Wie den besten Kauf- und Verkaufszeitpunkt erwischen?
Den richtigen Kauftermin zu erwischen, ist nicht einfach. Dies setzt die Fähigkeit zu raschem Handeln, zu geduldigem Abwarten und kontrolliertem Verhalten fernab vom Herdentrieb voraus. Den günstigsten Verkaufszeitpunkt zu finden, ist noch schwieriger. Deshalb kommt es höchst selten vor, dass es einem Anleger tatsächlich gelingt, zum Tiefstpunkt einzusteigen und zum Höchstkurs zu verkaufen. Wer damit prahlt, dies öfters zu können, macht sich unglaubwürdig. Mit Disziplin, Selbstkontrolle, Konsequenz und Marktbeobachtung ist es zumindest möglich, in der Phase der Bodenbildung nahe der Tiefkurse zu kaufen.
Im billigen Einkauf und im teuren Verkauf liegt der Gewinn
Bei Angst diszipliniert kaufen
Eventuell in zwei oder drei Tranchen kaufen, um einen günstigeren Durchschnittspreis zu erzielen und den Cost-Average-Effekt zu nutzen; pro Order jedoch wegen der Gebühren möglichst nicht unter 1.000 Euro einsetzen
Auf breite Streuung achten, um das Risiko zu senken
Sich nicht auf eine einzige Branche stützen, selbst wenn sie boomt
Vor der Orderaufgabe Fundamentaldaten und Charttechnik auswerten
Sich nicht mit dem »Heimatliebedepot DAX« begnügen, in- und ausländische Titel, Blue Chips, Mid und Small Caps sowie ETFs berücksichtigen
Mit überlegtem Stock-Picking die Renditechancen erhöhen
Im Bio- und Nanotechnologiebereich die lange Forschungs- und Entwicklungsphase mit einbeziehen
Keine Aktienorder auf Kredit, mag die Versuchung bisweilen auch groß sein
Bei Hoffnung kontrolliert verkaufen
Gewinne laufen lassen – Verluste beizeiten begrenzen
Bei exorbitantem Kursanstieg am besten nur die Hälfte verkaufen
Aktien aus dem Neudepot ab 2009 zuerst verkaufen; den steuerfreien Altbestand im ersten Depot möglichst schonen
Daran denken, dass die Gegenwart in den Kursen eingepreist ist. Prognosen sind wichtig; die Zukunft wird gespielt.
Vor dem zu erwartenden Aufstieg in den DAX, MDAX, TecDAX oder SDAX kaufen, vor dem vermeintlichen Abstieg verkaufen
Hoch/Tief-Mutstrategie eventuell mit Teilverkäufen finanzieren
Bevorzugt die Kurse von Aktien beobachten, die unverdient und übertrieben abgestraft wurden z. B. als Folge von Sippenhaft (der Marktführer hat gepatzt). Den Kapitalbedarf mit Teilverkäufen von solchen Werten finanzieren, die wegen Übernahmeverhandlungen oder aus anderen Gründen nahe am Höchststand notieren.
Teilverkäufe widersprechen nicht der Trendfolgestrategie. Geht es weiter nach oben, bleiben Sie im Boot und ärgern sich nicht so sehr. Stürzt der Kurs danach ab, können Sie mit dieser Position nicht mehr in Verlust geraten.
FISHERS ZWISCHENRUF
»Einer der weisesten Kommentare, der je über die Märkte gemacht wurde, ist: Sie sollten ängstlich sein, wenn die Leute gierig sind, und gierig sein, wenn Leute ängstlich sind!«
Quelle: Ken Fisher, Handelsblatt 58/2008
Es gibt Marktentwicklungen, die signalisieren, jetzt besser auszusteigen bzw. einen Teilverkauf zu tätigen, als weiter abzuwarten, bis eine sich bildende Spekulationsblase zusammenfällt. Misstrauen ist angezeigt bei allzu euphorisch verbreiteten Nachrichten und übertrieben optimistischer Grundstimmung. Beides wirkt eher als Kontraindikator. Schließlich haben sich alle überzeugten »Bullen« schon eingedeckt, sodass in der Folgezeit eher Gewinnmitnahmen anstehen. Große Vorsicht ist geboten, wenn die Boulevardpresse auf der Titelseite in großen Lettern Börsennachrichten bringt. Spätestens dann dürfte der Markt überhitzt sein und eine größere Korrektur anstehen. Intensive Marktbeobachtung, Cleverness, Geschick, Geduld, vielleicht auch blitzschnelles Handeln sind geboten, wenn der Anleger bei einer attraktiven Neuemission keine Zuteilung bekommt.
Cash bereit halten und schrittweise kaufen, wenn andere Börsianer skeptisch sind und ihre Papiere voller Angst auf den Markt werfen.
Verkaufen, wenn der Optimismus um sich greift, die Boulevardpresse das Thema Börse aufgreift, an Stammtischen über Aktienkurse diskutiert und über »Garantieprodukte« gelästert wird.
Beispiel LANXESS: Das Spezialchemie-Unternehmen LANXESS, vom Chemieriesen Bayer aus dem DAX abgespaltet, kam im Frühjahr 2005 zu 15,75 Euro auf den Markt. Wenige Tage später war der Chemietitel für 13,90 Euro zu haben. Ab dann ging es zunächst gemächlich nach oben, und es war höchste Zeit zuzugreifen. Im Oktober 2005 notierte der Titel schon bei 25 Euro. Infolge Finanzkrise und Börsencrash ging es 2009 dann so richtig nach unten. Die MDAX-Aktie notierte im Frühjahr zeitweilig unter elf Euro. Danach setzt eine massive Trendumkehr ein. Aktuell, Ende Juli 2010, erfreut LANXESS mit 39 Euro nahe dem Altzeithoch.
Beispiel HOMAG: Der Holzverarbeitungsmaschinenbauer HOMAG GROUP ging im Juli 2007 noch zu einem günstigen Zeitraum an die Börse, kurz bevor die Kapitalmärkte weltweit durch die Subprime- und Finanzkrise erschüttert wurden. Die bereits im Herbst 2007 in den SDAX aufgestiegene Maschinenbauaktie war bei einem Emissionspreis von 31 Euro stark überzeichnet. Sie kostete zum Jahresende 2007, als eine massive Nebenwerteflucht einsetzte und neben Finanz- und Immobilientiteln auch die Maschinenbauer in Sippenhaft genommen wurden, nur noch rund 20 Euro. Der richtige Absturz erfolgte beim Börsencrash im Frühjahr 2009. Die HOMAG-Aktie war für sechs Euro zu haben; doch kaum jemand griff damals zu. Jetzt, Ende Juli 2010, kostet die Aktie mehr als doppelt so viel, nämlich 14 Euro, und sie wird wieder gern gekauft.
Im billigen Einkauf und teuren Verkauf liegt der Gewinn
Bei einer angekündigten Kapitalerhöhung vor allem unter Ausschluss der Bezugsrechte für Altaktionäre sinkt der Aktienkurs oft stark – bei guten fundamentalen Daten vielleicht ein Kaufsignal für den mutigen Anleger. Dies hat sich bei Geduld reichlich ausgezahlt z. B. bei Leoni, Fuchs Petrolub, Gildemeister, SGL Carbon und mit Abstrichen auch bei Loewe.
Besteht Übernahmefantasie, steigt der Kurs des Zielunternehmens oft im zweistelligen Prozentbereich. Was tun? Bereits im Vorfeld kaufen bzw. weiter halten.
Aktiensplits sind willkommen, obwohl der Gesamtwert gleich bleibt und die Aktie nur optisch billiger wird. Die erste Ankündigung von Gratisaktien ist als Kaufsignal zu werten.
Die Reduzierung der Aktienanzahl durch den Reversesplit ist eher als Verkaufssignal zu deuten. Der Kapitalschnitt wird sichtbar am Zusammenlegen der Aktien im Umtauschverhältnis z. B. Zehn zu Eins.
Aktienrückkaufprogramme werden gern gesehen. Zieht das Unternehmen die Aktien ein, steigt die Rendite je Aktie, und das KGV sinkt.
Was zeichnet erfolgreiche Kauf- und Verkaufsstrategien aus?
Vielversprechend ist die Strategie, in zwei oder drei Tranchen zu kaufen und wieder zu verkaufen. Dies empfiehlt auch Fondsmanager Heiko Thieme, der allerdings wegen seiner allzu optimistischen Börseneinschätzung noch kurz vor dem großen Crash von 2000 bis Frühjahr 2003 in Verruf geraten ist. Wer eine Aktie unbedingt haben will, befriedigt mit dem ersten Kauf seine Ungeduld und mögliche Gier und ist mit im Boot. Wurde der Titel zu früh erworben, so lässt sich dies beim Nachkauf teilweise begradigen.
Ist der Titel trotz fundamental positiver Beurteilung wegen angespannter Märkte, charttechnischer Verkaufssignale oder wegen Sippenhaft und Gerüchten danach billiger zu haben, bietet sich ein Zukauf mit gleich hohem Einsatz an. Das Risiko ist nicht so groß, wenn der Buchwert über oder nahe dem Kurs liegt. Sie nutzen zudem den Cost-Average-Effekt, der nicht nur für Sparpläne gilt.
Entwickeln sich einige Ihrer Aktien zu Überfliegern und Sie haben zudem das Glück, dass bei Ihrem spätestens bis Ende 2008 erworbenen Altbestand noch die Steuerfreiheit (FIFO-System: first in – first out) gilt, bietet sich bei einem Kursgewinn im dreistelligen Bereich hier und da eine Gewinnmitnahme an. Lassen Sie sich nicht von wenig fundierten, marktschreierischen Aussagen irritieren wie: »Hätten Sie Microsoft, SolarWorld, Amazon, K+S, Salzgitter, Rational, SGL Carbon, Hochtief, Lukoil und Gazeprom frühzeitig gekauft und nicht vor 2007 verkauft, wären Sie heute steinreich.«
Das stimmt zwar bei den genannten Titeln und auch bei einigen anderen. Es ist aber nicht zu übersehen, dass etliche Aktien nach ihrem Höhenflug unglaublich tief abgestürzt sind. Dies gilt vor allem für die meisten Papiere vom früheren Neuen Markt. Manche der durch fantasievolle Visionen hoch gepuschten Wachstumswerte fristen heute ein armseliges, vergessenes Dasein als Penny-Stocks. Andere sind wegen Insolvenz ganz vom Kurszettel verschwunden. Über einigen Unternehmen kreist der Pleitegeier.
Freilich, der eine oder andere dieser »gefallenen Engel« hat seine Hausaufgaben gemacht, das operative Geschäft gestärkt, die Kosten gesenkt, sich neu ausgerichtet und die Rückkehr in die Gewinnzone geschafft. Da gibt es nach mageren Jahren Kurspotenzial nach oben.
Ein eher seltenes Beispiel: Für das zum Online-Reisebüro umgewandelte US-Unternehmen PRICELINE, nach einem Reverseplit im Verhältnis Sechs zu Eins ins tiefste Kellerkoch gefallen, ist die erhoffte Kurserholung Realität geworden. Der Kurs hat sich von 2006 bei 12,40 Euro bis September 2010 auf 220 Euro vervielfacht.
Es spricht einiges dafür, bei anhaltendem Aufwärtstrend nur einen Teil des hohen Kursgewinnes zu realisieren. So sind Sie auch bei weiterem Kursanstieg im Boot, und Ihr Ärger hält sich in Grenzen, wenn Sie sich von einem Spitzenreiter zu früh getrennt haben. Stürzt Ihre Top-Aktie jedoch später ab – wie zeitweilig vor allem bei den Titeln für regenerative Energie zu beobachten – und Sie verpassen den besten Verkaufszeitpunkt, haben Sie zumindest Ihren Einsatz erwirtschaftet und können mit diesem Titel insgesamt nicht mehr in die Verlustzone abdriften. Trösten Sie sich damit, dass man immer erst hinterher weiß, was am besten gewesen wäre, nie aber im Voraus. Wäre das Börsengeschehen weniger kompliziert, würden alle Investoren zur gleichen Zeit kaufen oder verkaufen. Die Konsequenz? Es gäbe gar keine Börse, weil kein Käufer einen Verkäufer fände und umgekehrt.
Indexänderungen, Kapitalerhöhungen, Aktiensplit und Aktienzusammenlegung in die Strategie mit einbeziehen
Sobald sich im Vorfeld der regulären Indexanpassungen die Aufstiegsaspiranten für den DAX (jährlich), MDAX (halbjährlich), TecDAX (halbjährlich) sowie SDAX (vierteljährlich) abzeichnen, empfiehlt es sich, bei fairer Bewertung beherzt zuzugreifen. Meist steigt der Kurs, nachdem zahlreiche Fondsmanager den Titel in ihr Portfolio aufnehmen. Sei es, dass sie den Index abbilden, sei es, dass die Marktkapitalisierung und der Umsatz steigen und damit auch die Beachtung in den Medien zunimmt. Ist umgekehrt ein Abstieg wahrscheinlich, ist es ratsam, sich frühzeitig von dem Verlierer-Titel zu trennen.
Dazu ein paar Beispiele: Continental war kurz vor dem Aufstieg in den DAX (jetzt MDAX) noch für knapp 20 Euro, SolarWorld vor der Aufnahme in den TecDAX splitbereinigt für vier Euro, Wacker Chemie vor dem MDAX-Aufstieg 2007 zeitweilig für rund 85 Euro und Demag Cranes für knapp 25 Euro zu haben. Welch traurigen Anblick bieten dagegen der frühere TecDAX-Absteiger FJH, die beiden SDAX-Absteiger MPC Capital und Fluxx.com (jetzt: JAXX), alle drei im Niemandsland des Prime Standards verschwunden. Die Liberalisierung im Glückspielmarkt weckt bei JAXX neue Kursfantasien.
Kapitalerhöhungen unter Ausschluss des Bezugsrechts werden nicht gern gesehen und drücken wegen des Verwässerungseffekts den Aktienkurs oft stärker ins Minus. Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechten für Altaktionäre sind dagegen bei einem kräftigen Kursabschlag gefragt. So hat es sich gelohnt, die Kapitalerhöhungen bei den drei MDAX-Titeln SGL Carbon im Februar 2004 zu acht Euro, Gildemeister im Juni 2004 zu 4,15 Euro und Klöckner & Co. im September 2009 zu zwölf Euro sowie bei der SDAX-Aktie SKW Stahl Metallurgie im September 2009 zu 11,50 Euro mitzumachen. Die Kapitalerhöhung im Juli 2009 bei dem führenden Bergbautitel Rio Tinto aus dem STOXX 50 zu 16 Euro hat sich für mutige Investoren besonders rasch ausgezahlt. Die Aktie kostet heute, im Juli 2010, rund 41 Euro.
Steht ein Aktiensplit an, greifen die Anleger die Botschaft freudig auf. Der Kurs steigt meist schon im Vorfeld, obgleich sich der Wert selbst, der prozentuale Anteil am Grundkapital, dadurch nicht ändert. Hier bietet sich der Vergleich mit einer Torte an. Einerlei, in wie viele Stücke Sie diese aufschneiden, die Menge bleibt gleich, solange Sie diese nicht aufessen. Der Aktienkurs wirkt nur optisch billiger. Aber nicht jeder Aktionär durchschaut das Verfahren. Er denkt an ein Geschenk und freut sich, dass ihm »gratis« junge Aktien ins Depot gebucht werden. Immerhin wird eine Aktie im Allgemeinen nur dann gestückelt, wenn sie zuvor ansehnlich gestiegen ist, es dem Unternehmen gut geht, das Management nachhaltig wirtschaftet und weitere Kurssteigerungen erwartet.
So hat LEONI aus dem MDAX im Verhältnis Eins zu Drei gestückelt. ElringKlinger aus dem MDAX nahm 2004, 2005 und 2008 einen Split vor. Beim TecDAX-Titel SolarWorld gab es seit 2005 dreimal einen Aktiensplit. Bei K+S stand ein Split von Vier zu Eins und beim DAX-Titel BASF von Zwei zu Eins an. Anfang 2008 stückelte PORSCHE seine Aktien im Verhältnis Zehn zu Eins, nachdem es zuvor Deutschlands einzige Aktie war, die mehr als tausend Euro kostete. Jetzt, Ende Juli 2010, schwankt der Kurs zwischen 33 und 40 Euro.
Der Reversesplit, die Zusammenlegung von Aktien – ein unerfreuliches Ereignis
Kreist der Pleitegeier über einer Firma, erübrigt sich jede Stückelung. Der Kurs halbiert oder drittelt sich ganz von allein. Doch jetzt ist damit ein Wertverlust verbunden. Ein Kapitalschnitt ist im Regelfall negativ und als Verkaufssignal zu deuten. Die Aktienanzahl reduziert sich z. B. im Verhältnis von Fünf oder gar Zehn zu Eins wie bei Intershop, Börsenmaster Schnigge oder Nordex geschehen. Einzig allein die Windkraftaktie Nordex hat sich wieder hochgerappelt und ist 2007 in den TecDAX aufgestiegen. Und wie bereits erwähnt, hat sich auch die US-Aktie Priceline nach längerer Wartezeit im Anschluss an den Reversesplit wieder kräftig erholt.
2.15 Nicht alles auf eine Karte setzen
Mein Börsenspruch lautet: Breit gestreut – nie bereut! Eine Diversifikation nach Indizes, Branchen, Ländern und vom Zeitpunkt her ist ebenso wichtig wie der Orderumfang. Ein zu kleiner Einsatz macht durch die Gebühren jeden mäßigen Gewinn zunichte. Wenige Werte mit hohem Einsatz treiben das Risiko nach oben. Deutsche Privatanleger setzen im Schnitt 3.000 bis 5.000 Euro pro Order ein. Bei spekulativen Aktien dürften in einem mittelgroßen Depot 1.000 Euro bzw. zwei Prozent Anteil pro Wert reichen.
Zwei Extreme sind es, die den Erfolg an der Börse gefährden. Auf der einen Seite gibt es die kleine Gruppe von Investoren, die sich jeweils auf einen einzigen Titel konzentriert, eine große Order für fünf-, sechs-, mitunter sogar siebenstellige Euro-Beträge abschließt und in Day-Trader-Manier schon prozentual kleine Gewinne realisiert. Mit Glück sind binnen kurzer Zeit üppige Gewinne möglich, ebenso aber die Gefahr eines horrenden Verlustes, insbesondere im Bärenmarkt, in Konsolidierungs- und Korrekturphasen. Eine solche Strategie erinnert an das russische Roulette. Allgemein gilt: unbedingt Hände weg von einer nervenaufreibenden Ein-Wert- oder Wenig-Werte-Strategie! Fehlende Streuung wird meist bestraft, zumal die Nerven in kritischen Phasen nicht mitspielen.
Wovon hängt das Transaktionsvolumen ab?
Vom Anlageziel und Anlagezeitraum, von der Risikoneigung und dem frei verfügbaren Kapital.
Von der Art der Aktie: in konjunkturunabhängige Blue Chips höhere Beträge investieren als in spekulative Nebenwerte.
Vom gegenwärtigen Markttrend: in der Talsohle (bei Angst) vermehrt kaufen, auf einem vermeintlichen Hochpunkt (Euphorie) eher verkaufen.
Vom Branchenanteil: Ist ein aussichtsreicher Sektor unterproportional im Depot vertreten, ist ein Zukauf angesagt. Bei Übergewichtung einer Sparte sollte zur Risikominimierung der Depotanteil prozentual eher abgebaut werden.
Andererseits wird, um bestmögliche Kauf- und Verkaufspreise zu erzielen, in mehreren Tranchen gekauft und verkauft. Vielleicht landen zu viele Titel im Depot, um eine optimale Diversifikation zu erreichen und das Risiko zu minimieren. Eine solche Strategie ist vernünftig, solange der Überblick gewahrt bleibt und die einzelne Order groß genug ist, um nach Abzug der Gebühren beim Kauf und Verkauf eine ansehnliche Rendite zu erzielen.
Drei Fallbeispiele aus der Börsenpraxis sollen dieses Problem verdeutlichen
Ein Anleger ordert im Mai 2008 aus dem TecDAX 20 Aktien Carl-Zeiss Meditec zum Preis von rund 10 Euro. Hinzu kommen Transaktionskosten von knapp 20 Euro. Verkauft er, fallen Ordergebühren in gleicher Höhe an, geschätzt auf ebenfalls 20 Euro. Alles in allem betragen die Gebühren für den Kauf und Verkauf also 40 Euro. Je nachdem, ob bei der Hausbank oder einem Discount-Broker mit oder ohne Beratung, online oder telefonisch geordert wird, können die Transaktionskosten niedriger, aber auch um einiges höher sein. Die Carl-Zeiss Meditec-Aktie muss um etwa 3,00 Euro steigen, damit der Aktionär den Medizintechnikwert unter Abzug der Abgeltungsteuer verlustfrei veräußern kann. Der recht ansehnliche Kursgewinn von 30 Prozent verpufft wegen des zu niedrigen Ordervolumens. Erst ein Kursgewinn von 50 Prozent, d. h. die Aktie wird zu 15 Euro verkauft, bringt nach Abzug der Kosten und der Steuer einen Ertrag von rund 40 Euro, bei einem Einsatz von insgesamt 240 Euro nicht schlecht, aber auch nicht überwältigend. Statt des üppigen Kursgewinns von 50 Prozent verbleibt zunächst nur eine Rendite von rund 30 Prozent, auf die bei jedem Neubestand noch eine 25-prozentige Abgeltungsteuer (plus Solidarzuschlag und Kirchensteuer) anfällt. Im Verhältnis zum geringen Einsatz mag dies zufrieden stellen. Dennoch ist das generelle Risiko zu hoch; denn nicht jede Aktie steigt überhaupt um 50 Prozent. Womit soll man dann seine Verluste ausgleichen? Gerade in den Sparten Medizintechnik, Biotech und Nanotechnologie geht eine solche Spekulation nicht immer auf.
Anlegerverhalten: im Schnitt 3.000 bis 5.000 Euro pro Order
Bei Blue Chips sollte erst ab 1.000 € aufwärts pro Wert investiert werden (4 bis 10 % Anteil vom Gesamtdepotwert), möglicherweise in zwei oder drei Tranchen. Ist die Vermögensdecke sechs oder siebenstellig, kann ruhig eine Null angehängt werden.
Bei hohen Transaktionssummen lohnen sich Gewinnmitnahmen schon unter 10 %. Bei extrem niedrigem Einsatz sind Gewinnmitnahmen unter 50 % kaum lukrativ.
»Für den Börsianer ist Geld wie Meerwasser für den Durstigen. Je mehr er trinkt, umso durstiger wird er.«
Arthur Schopenhauer
Wer etwa glaubt, dieses Beispiel wäre allzu praxisfern konstruiert, braucht bei www.yahoo.de unter der Rubrik »finance« zwecks Information nur die eine oder andere WKN/ISIN aus dem Nebenwertebereich anzuklicken. Er wird erstaunt sein, wie oft an den einzelnen Regional-Börsenplätzen neben sehr großen Transaktionen auch Miniorders aufgegeben werden. Gar nicht so selten geht es den Anlegern, insbesondere Ruheständlern, lediglich darum, sich als willkommene Abwechslung für den Besuch der Hauptversammlung mit Infos, Kommunikation sowie Speis und Trank zu legitimieren.
Bis zu den 2010 vollzogenen Änderungen im Aktienrecht waren es außerdem die Berufskläger, auch räuberische Aktionäre genannt, die von fast jedem Titel nur ein oder zwei Aktien kauften. Sie wollten sich mit Anfechtungsklagen und Widersprüchen über den angestrebten Vergleich aus bloßem Eigennutz die eigenen Taschen füllen. Wer als Anfechtungskläger jetzt nicht über einen anteiligen Betrag von mindestens 1.000 Euro am Grundkapital verfügt, kann HV-Beschlüsse nicht mehr blockieren. Dadurch kehrt endlich wieder mehr Ruhe bei den Hauptversammlungen ein.
Im zweiten Beispiel ordert der Anleger zu gleichen Bedingungen 200 statt nur 20 Carl-Zeiss Meditec-Aktien aus dem TecDAX zu 10 Euro. Verkauft er bei einem Kursgewinn von 20 Prozent, nämlich zu 12 Euro, so erzielt er ein Plus von 400 Euro. Zieht er die zuvor genannten Gebühren ab, verbleiben ihm noch rund 360 Euro Gewinn – als Altbestand steuerfrei, ansonsten steuerpflichtig, was den Ertrag weiter schmälert. Mit der 25-prozentigen Abgeltungsteuer ist es nicht getan. Hinzu kommen Solidaritätszuschlag und eventuell Kirchensteuer. Richtig interessant wird die Sache, wenn der Kurs um 50 Prozent, also auf 15 Euro steigt. Verkauft er alle Papiere, erzielt er einen Kursgewinn von 1.000 Euro. Nach Abzug der Transaktionskosten beträgt die Rendite rund 960 Euro.
Im dritten Beispiel gehen wir davon aus, dass der Anleger 5.000 Euro für seine Carl-Zeis Meditec-Transaktion einsetzt. Bei einem üppigen Kursgewinn z. B. von 50 Prozent und darüber ist zu überlegen, nur einen Teil der Aktien, nämlich 250 bis 300 Stück, zu verkaufen. Damit ist der Einsatz großteils bezahlt. Mit dem Restbestand profitiert der Anleger bei weiterem Aufwärtstrend.
Stürzt die Aktie ab, hat er einen Großteil des Gewinns realisiert und kann mit diesem Titel insgesamt kaum mehr in die Verlustzone geraten.
2.16 Kauf- und Verkaufsempfehlungen richtig deuten
Die Sprachvielfalt der Analysten wirkt verwirrend. Warum mehr als 30 Begriffe verwenden, wenn drei bis sechs Zuordnungen ausreichen müssten, um die drei Einstufungen »kaufen – halten – verkaufen« voneinander abzugrenzen und eine eindeutige Empfehlung zu formulieren? Sicherlich geschieht dies vor allem, um noch stärker differenzieren zu können ähnlich wie bei Schulnoten mit den Zusätzen z. B. 3+, 3, 3-, 3–4, 4+, 4, 4- usw.
Unabhängig von dieser Begriffsvielfalt gibt es zwei große Fehler, die Sie als Privatanleger im Umgang mit den Analystenempfehlungen vermeiden müssen: Ihre Entscheidungsfindung stützt sich auf eine einzige Beurteilung. Und fast noch schlimmer: Sie verdrängen gegenteilige Informationen aus Ihrem Bewusstsein und nehmen nur wahr, was Ihrer Sichtweise, Ihrem Wunschdenken entspricht. Experten nennen dies: »dominante Sichtweise« bzw. »Scheuklappensyndrom«.
Bemerkenswert erscheint, dass – einerlei, ob Hausse oder Baisse – die Kaufempfehlungen überwiegen. Gewisse Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber Auftraggebern und Großkunden dürften mit im Spiel sein. Was den Nebenwertesektor angeht, werden nur besonders attraktive Papiere von Analysten beobachtet. Selbst im SDAX gibt es Titel, die kaum analysiert werden. Meine eigene Recherche über die bei Yahoo Finanzen abgebildeten Analystenempfehlungen im Prime Standard zeigt, dass für die meisten großen Titel alle Einstufungen vergeben werden, jedoch mit unterschiedlichem Anteil. Das erleichtert die Entscheidung. Welche Konsequenz sollten Sie daraus ziehen? Nutzen Sie mehrere Informationsquellen. Bilden Sie sich ein eigenes Urteil.
Haben Analystenempfehlungen überhaupt einen Wert, wenn sie sich oft widersprechen? Durchaus! Wird ein Titel wie Fuchs Petrolub oder Bilfinger Berger aus dem MDAX einhellig zum Kauf empfohlen, ist dies ebenso aussagekräftig wie eine Negativbewertung mit zahlreichen Verkaufseinstufungen. So sah es schon im Mai 2008 bei der IKB Deutsche Industriebank mit einer einzigen Kaufeinstufung und neun Verkaufstipps aus. Der Titel ist längst aus dem SDAX verbannt worden und führt heute das traurige Dasein als Penny-Stock.
Wo finden Sie solche Analysteneinschätzungen? Es gibt etliche Möglichkeiten. Wählen Sie z. B. die Webseite »Yahoo – Finanzen«. Geben Sie ganz oben links die WKN bzw. ISIN der betreffenden Aktie ein. Klicken Sie danach unten auf »Kursdaten anzeigen« und danach rechts oben auf »Zusatzinformationen« bzw. Chart«. Nun erscheinen in der linken Spalte die entsprechenden Leitwörter.
Die erste Beispielreihe meiner Auflistung vom Mai 2008 (April 2010 in Klammern) zeigt ein eher gemischtes Bild. Die zweite Auflistungsreihe signalisiert im Mai 2008 klare Kaufempfehlungen. Auffallend sind die im April 2010 weitaus besseren Einschätzungen von Infineon und ElringKlinger, während MAN und SGL Carbon etwas in der Gunst der Analysten verloren haben.
2.17 Über alle Transaktionen genau Buch führen
Es ist praktisch, je einen Leitz-Ordner für das Neudepot (steuerpflichtig, seit 2009) und das Altdepot (steuerfrei, vor 2009) mit zwei alphabetischen Verzeichnissen anzulegen und hier alle Kauf- und Verkaufsmitteilungen Ihrer Depotbank abzulegen.
Je größer Ihr Depot, umso wichtiger ist eine ordentliche Verwaltung. Sie schafft Klarheit und liefert Argumentationshilfen bei Differenzen mit dem Finanzamt. Denken Sie daran, dass stets das FIFO-System gilt. Die zuerst gekauften Aktien gelten auch immer als zuerst verkauft. Deshalb brauchen Sie ein zweites Depot für alle Neukäufe seit 2009. Zusätzlich führen Sie Ihr Depot am besten fortlaufend elektronisch wie in Kapitel 2.7 mit Muster beschrieben. Möglicherweise nimmt Ihnen Ihr Discountbroker diese Arbeit großteils ab, sofern Sie online ordern.
Fazit: Chaos im Depot behindert, Ordnung fördert eine erfolgreiche Aktienstrategie. Zur Veranschaulichung dient die Verkaufsorder, ergänzt mit eigenen Eintragungen bezüglich Gewinn- oder Verlustzuweisung sowie der steuerrechtlichen Aspekte.
2.18 Die Struktur der WKN und ISIN erkennen
Die praktische Regelung, dass der Kern der zwölfstelligen ISIN der alten, weiter gültigen sechsstelligen WKN entspricht, gilt wohl nur in Deutschland.
Früher oder später ist möglicherweise Abschied zu nehmen von der bei den Anlegern beliebten sechsstelligen Wertpapierkennnummer. Sie wurde im April 2003 offiziell durch die zwölfstellige ISIN ersetzt, wird aber von Banken, Brokern, Internetportalen, Börsenmagazinen usw. weiterhin akzeptiert. Die alte WKN ist kürzer und lässt sich besser einprägen.
Die Abkürzung ISIN heißt: International Securities Identification Number. Vorsorglich empfiehlt es sich, eine ältere Printausgabe mit den wichtigsten Aktienkursen aufzubewahren, um bei Bedarf auf die alte WKN zurückgreifen zu können. Dies gilt nur für die ausländischen Titel. Für deutsche Aktien besteht dieses Problem nicht. Hier bleibt der sechsstellige Kern unverändert, der sich an DE (für Deutschland) und 000 (drei Nullen für etwaige künftige Erweiterungen) anschließt. Bei der letzten Stelle handelt es sich um eine Prüfziffer.
Sie dürfen hier nie ein großes O, sondern müssen immer eine Null eingeben. Akute WKN-Verwechslungsgefahren bestehen bei dem Buchstaben G und der Ziffer 6 sowie dem großen D und der Null. Auch J, L und I auseinander zu halten, kann schwierig sein. Bei der großen Auswahl von Buchstaben und Ziffern hätte sich dieses Problem vermeiden lassen. Jetzt hilft nur eine vernünftige Schriftgröße. Als Sicherheitskontrolle gilt zudem der Aktienname – unverzichtbar bei jeder telefonischen Order.
Beispiel: Adidas aus dem DAX (WKN/ISIN)
2.19 Jede Order richtig vorbereiten
Zur Vorbereitung und für Telefonbanking einsetzbar
2.20 Wissen, was die Börsenkürzel bedeuten
Die folgende Tabelle mit den erläuternden Angaben sorgt für mehr Klarheit in dem Gestrüpp von Kurszusätzen und Kurshinweisen.
2.21 Day-Trading – nichts für undisziplinierte Anleger
Howard Abell: »Day-Trading – Schnelle Gewinne an schnellen Märkten« (Vorwortauszug)
»Der Schlüssel zum erfolgreichen Trading liegt immer darin, seine eigenen persönlichen Charakterzüge weiter zu entwickeln und zu erfüllen: Geduld, Urteilskraft, Mut, Intellekt und Selbstsicherheit.
Fügen Sie zu dieser Kombination noch Disziplin, Konzentration, Optimismus und das Vertrauen hinzu, dass Sie optimal darauf vorbereitet sind, im Gewittersturm der psychologischen Kriegsführung Ihre Schlachten zu schlagen.
Negative Gedanken und schwächelnde Emotionen sind die wirklichen Feinde beim Trading.«
1990: Sekundenschnell handeln – kaufen – verkaufen – kaufen – verkaufen – kaufen – verkaufen. Abends vor Börsenschluss alles glatt stellen, mit dem richtigen Gespür und dem glücklichen Händchen binnen kürzester Zeit reich sein, die Champagnerkorken knallen lassen, den Erfolg euphorisch feiern und genießen!
So schön konnte Day-Trading sein – zumindest im Börsenboom mit den volatilen Kursraketen am Neuen Markt sowie in der Fantasie und im Werbespot. 1999 schossen in den Großstädten Day-Tradinghäuser und –plattformen wie Pilze aus dem Boden. Doch die schlechte Performance während des Börsencrashs bei den schwankungsfreudigen Wachstumswerten verhagelte die Stimmung. Wer positiv eingestellt war und auf eine frühere Trendwende hoffte, verlor. Wer dagegen als kompetenter, nervenstarker und disziplinierter Day-Trader den Markt richtig einschätzte und von Frühjahr 2000 bis März 2003 überwiegend auf fallende Kurse setzte, konnte ordentlich Geld verdienen.
Rechnen Sie nicht mit hohen Gewinnen. Auch Verluste sind möglich.
Day-Trading verlangt ein hohes Wissen über Wertpapiermärkte, Strategien und Handelstechniken. Informieren Sie sich täglich über das Marktgeschehen, und lesen Sie die Meldungen der Unternehmen.
Sie stehen als privater Trader im Wettbewerb mit den Profis aus den großen Handelshäusern. Ohne hochwertige Computer-Hard- und -Software stehen Sie auf verlorenem Posten.
Arbeiten Sie sich gründlich in Ihr Handelssystem ein. Sie müssen Ihre Software exakt kennen, um nicht an Pannen zu scheitern.
Streuen Sie Ihr Risiko. Definieren Sie für jede Position einen maximalen Verlust. Setzen Sie Stoppkurse, und orientieren Sie sich an Ihrem zuvor formulierten Gewinnziel.
Entwickeln Sie eine zu Ihnen passende Tradingstrategie. Dennoch bleiben Sie flexibel und halten bei Misserfolg nicht stur an Ihrer bisherigen Meinung fest.
Analysieren Sie Ihre Trades, und versuchen Sie unbedingt, aus Fehlern zu lernen.
Day-Trading verursacht Kosten. Vergleichen Sie die Gebühren, und kalkulieren Sie pro Tag nicht zu viele Trades ein – anfangs ungefähr zehn Trades.
Day-Trading auf Derivate und Short Selling eignet sich nur für Könner. Hier sind strenge Verlustbegrenzungen und eine extrem hohe Disziplin erforderlich. Bei Futures können Sie mehr als nur Ihren Einsatz einbüßen.
Wählen Sie schwankungsfreudige, liquide, umsatzstarke Handelsinstrumente aus. Stellen Sie zur Verlustbegrenzung vor Börsenschluss Ihre Position glatt.
Finger weg, wenn Sie nicht diszipliniert und sekundenschnell handeln können und sich von Emotionen bzw. dem Bauchgefühl leiten lassen.
Setzen Sie nur nicht benötigte finanzielle Mittel ein. Lassen Sie sich niemals zu einem Trading auf Kredit verleiten!
Setzen Sie nicht allein auf Day-Trading. Führen Sie daneben ein Langzeitdepot mit geringeren Risiken. Wie wäre es als Ausgleich mit substanzstarken Dividenden-Spitzenreitern oder einer Marktabdeckung mit Indexfonds (ETF)?
Generell ist festzuhalten: Untersuchungen in den USA (Johnson-Studie von der NASA mit 4.339 Trades) ergaben, dass knapp zwei Drittel aller Day-Trader scheiterten und im schlimmsten Fall ihren gesamten Einsatz verloren.
Ab 2000: Der Börsenboom mit der Neigung zahlreicher Anleger zu spekulativen Investments wich nach dem Platzen der Spekulationsblase im März 2000 einem umso stärker ausgeprägten Sicherheitsstreben – ja einer regelrechten Risikoabneigung. Damit ging auch das Interesse der meisten Privatanleger am Abenteuer Day-Trading zurück.
Heute überfluten nicht mehr ständig neue Publikationen über Day-Trading den Markt. Dennoch hat diese Anlagestrategie ihre Anhänger, insbesondere disziplinierte Könner mit exzellenter Marktkenntnis und bestens ausgestatteter Computerhard- und spezieller Börsensoftware. Die anfangs zu beobachtende ungebremste Gier und Euphorie werden zunehmend von vernünftigen Verhaltensweisen abgelöst.
»Ich lebe meine Passion. An Tagen mit wenig Nachrichten und geringer Volatilität trade ich kaum. Aber es gibt auch turbulentere Zeiten mit mehr als 150 Trades am Tag.«
Giovanni Cicivelli
Erfreulicherweise stürzen sich kaum noch Einsteiger in diese riskante, viel Fachkompetenz, blitzschnelles Entscheiden und Disziplin verlangende Anlageform. Mit veralteter Software kommt der Day-Trader ebenso rasch in Verzug wie mit zögerlichem Verhalten und einer unglücklichen Aktienauswahl. Zu bevorzugen sind volatile, umsatzstarke und liquide Aktien, die oft binnen Stunden Kurssprünge vollziehen.
Day-Trading hat seinen Ursprung in den Handelsabteilungen großer Banken und Investmenthäuser. Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel definiert die Rechtslage beim Day-Trading in einer Wohlverhaltensrichtlinie. Wer als Broker ein solches Geschäft anbietet, muss vor der Annahme des ersten Auftrags einen vom Kunden auszufüllenden Vordruck auswerten. Beim Day-Trading gelten besondere Kriterien. Die unbedingte Einhaltung der Trading-Strategie und eine hohe nervliche Belastbarkeit sind entscheidend. Fundamentaldaten, Dividendenrendite, KGV, Cashflow und Buchwert sind eher nebensächlich. Steuerliche Aspekte stehen hinten. Was interessiert, ist die Volatilität einer Aktie. Es gilt, Gespür zu entwickeln und bei einer sich kurzfristig anbahnenden Kursentwicklung rasch zu agieren.
Die Anforderungen an das Handelssystem sind extrem hoch. Deshalb mietet mancher überzeugte Day-Trader einen komplett ausgerüsteten Arbeitsplatz mit allem technischen Know-how und macht diese arbeitsintensive Anlageform bei Erfolg zu seinem Zweit- oder gar Hauptberuf.
2.22 Sich vor Anlagebetrug schützen
Anleger erleiden durch windige Geschäfte jährlich Verluste von schätzungsweise 20 bis 40 Milliarden Euro pro Jahr bei hoher Dunkelziffer. Versprochene Traumrenditen enden oft als Totalverlust. Der erste Kontakt läuft häufig über so genannte Cold Calls. Schneeballsysteme sind ein El Dorado für Betrug. Vor zwei Jahren, 2008, schockte der Milliarden Dollar schwere Betrug der Wall-Street-Ikone Bernard Madoff. Zu den Tausenden von Geschädigten zählen Banken, Fonds, Stiftungen und Prominente rund um den Globus.
Das Beispiel Phoenix: Der Fall des Frankfurter Unternehmens Phoenix Kapitaldienst GmbH entwickelte sich zu einer der größten Anlagebetrügereien in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nach dem Schneeballsystem hat das Unternehmen seit 1992 Kundengelder auf Gemeinschaftskonten eingesammelt, um damit an den internationalen Terminmärkten auf Aktienindizes, Öl, Kaffee und andere Rohstoffe zu spekulieren. Auf einem raffiniert gefälschten Sammelkonto von Phoenix beim weltweit größten Hedge-Fonds Man Group in London sind bis zu 800 Millionen Euro auf Nimmerwiedersehen verschwunden.
Der Fall Phoenix zeigt eindringlich, dass Deutschland ein El Dorado für Finanzjongleure darstellt, die Privatanlegern das Geld aus der Tasche ziehen. Wer heute noch eine Bank überfällt, scheint nicht begriffen zu haben, dass es viel einfacher und weniger risikoreich geht, sich auf kriminelle Weise Fremdmittel anzueignen. Schneeballsystem-Betrüger treten nicht als die im Verborgenen arbeitenden Leisetreter auf, die blitzschnell das Weite suchen, sobald der Schwindel aufkommt. Viele dieser mit raffinierten Fälschungen hantierenden Betrüger propagieren so lange offensiv und aggressiv ihre Produkte, bis mangels nachfolgender Anlegergruppen ihr Finanzsystem zusammenbricht und riesige Geldsummen verschwinden. Die Finanzinstrumente werden in allen möglichen Verpackungen angeboten, als steuerbegünstigte Formen der Altersvorsorge, Beteiligungen in Zukunftsmärkte, Termingeschäfte und Aktien, deren Börsengang angeblich kurz bevorsteht.
Anfangs funktioniert ein solches Schneeballsystem. Selbst bei begründetem Verdacht ist der Betrugsnachweis schwer zu erbringen.
Die hohen Lockvogel-Renditen für die ersten Anlegerrunden werden vom frischen Kapitalzufluss der neuen Anlegergruppen bezahlt. Die Strategie funktioniert anfangs und scheint die von den Kritikern angeprangerten dubiosen Geschäftspraktiken zu widerlegen. So warnten Verbraucherschützer bereits seit Ende der 90er-Jahre vor Phoenix; doch gingen bis 2002 Anlegergelder bei der obskuren Firma ein. Der Betrug flog erst auf, als klar wurde, dass die sorgfältig registrierten Termingeschäfte gar nicht stattfanden und das Kapital gutgläubiger Investoren in dunkle Kanäle floss. Man mag darüber streiten, ob das Geld weg ist, ob es vernichtet wurde oder ob es jemand anders hat. Für viele Anleger bleibt nur der Totalverlust ihrer Kapitalanlage.
Verdacht auf Anlagebetrug auf dem Grauen Kapitalmarkt
1. Ruft Sie jemand ungebeten an? Am besten sofort auflegen statt einen Gesprächstermin zu vereinbaren!
2. Werden Ihnen Traumrenditen versprochen? Je höher die Chancen, umso größer sind auch die Risiken!
3. Handelt es sich um ein »Exklusivgeschäft« mit limitierter, niedriger Kundenzahl? Größte Vorsicht ist angezeigt!
4. Setzt Sie der Anbieter unter Zeitdruck? Grund genug, misstrauisch zu sein!
5. Wird auf eine Vermögensanalyse verzichtet? Dies zeugt nicht von Seriosität!
6. Weicht der Finanzberater aus, wenn er sein Produkt genau erklären und Referenzen nennen soll? Ein schlechtes Zeugnis in Sachen Fachkompetenz!
7. Wird versucht, Sie zu einem Testgeschäft zu ködern? Eine gefährliche, die Gier anheizende Verkaufsmasche!
8. Liegt der Firmensitz in einem exotischen Land? Zu weit weg für spätere Recherchen!
9. Sollen Sie ins Ausland überweisen? Wie leicht verlieren sich in »Briefkastenfirmen« die Spuren!
10. Weist das unübersichtliche und schwer verständliche Vertragswerk leere Seiten aus, in die nachträglich kopiert werden kann? Weg in den Papierkorb!
Dubiose Verkaufsmaschen erleben in unsicheren Börsenzeiten ihr Comeback. Die Gewinne macht der Verkäufer.
Der »Graue Kapitalmarkt« fasst alle Anlageformen zusammen, die nicht von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin kontrolliert werden. Anders als Banken und Versicherungen müssen solche Anbieter keine Finanzaufsicht befürchten.
Die breit gefächerte Produktpalette reicht von geschlossenen Immobilienfonds und Schiffsbeteiligungen bis zum offenkundigen Betrug. Pikant ist jedoch, dass der Phoenix-Betrugsfall im beaufsichtigten Kapitalmarkt stattfand. Mit Charisma und überzeugender Rhetorik ausgestattet, gehen die Finanzbetrüger immer raffinierter vor, um unerfahrene, gutgläubige Anleger um ihr Erspartes zu prellen.
Die obskuren Angebote sind bunt gemischt. Dazu gehören: Private Placement (vorbörslicher Aktienhandel), dubiose Super-Hedge-Fonds, Termingeschäfte, stille Beteiligungen, so genannte Bankgarantien, Nigeria-Connection, Diamantenhandel usw. Möglicherweise reizen eine vertrauliche Geldtransaktion aus Nigeria, der Biomasse- und Offshore-Windkraftfonds in China, der Nanotechnologiepark in Osteuropa, die Venture-Capital-Beteiligung im Medizintechniksektor, die Vorabbeteiligung an einem künftigen Börsenstar oder das Termingeschäft mit Rohstoffen. Begehrlichkeiten weckt vielleicht die Investition in eine Biotechnologie-AG, deren kurz vor der Zulassung stehendes Präparat jeden Krebs heilen (leider ein Wunschtraum) und einen vierstelligen Kursanstieg auslösen wird.
Solange die Börse boomt und mit den richtigen Aktien Geld zu verdienen ist, bleibt das Betätigungsfeld für Finanzbetrüger eher bescheiden. Dies ändert sich, sobald schwere Börsenturbulenzen die Anleger aus dem Aktienmarkt treiben! Aus Frust über Kursverluste und Bilanzskandale sind einerseits sichere Geldanlagen wie Sparbuch, Bundesschatzbriefe und Garantiezertifikate gefragt. Andererseits geraten Privatinvestoren auf der Suche nach einer höheren Rendite leicht in die Fänge dubioser Finanzdienstleister wie auch in die weit aufgerissenen Mäuler von »Kredithaien«. Anlagebetrug hat in Krisenzeiten Hochkonjunktur.
Die Trennlinie zwischen dem seriösen Kapitalmarkt und dem weitgehend unkontrollierten Grauen Markt ist unscharf, weil die Banken ähnliche Finanzprodukte anbieten. Die betrügerischen Geschäftsmodelle reichen von Immobilienbeteiligungen über Währungsspekulationen und geschlossene Spezialfonds bis hin zu Termingeschäften. Da ist das »Cold Calling«, der verbotene unaufgeforderte Telefonanruf mit dem Angebot »hochinteressanter Anlagemöglichkeiten« ein viel deutlicheres Warnsignal. Heißt das Versprechen: »enorme Renditechancen – nur noch ganz kurze Zeit im Angebot«, sollten alle Warnlampen rot aufleuchten.
Mit besonderer Finesse bearbeiten die dubiosen Finanzjongleure besser verdienende Freiberufler und Akademiker, eine Klientel, die selbst glaubt, nie in die Fänge solcher Abzocker zu geraten. Mit exzellentem Auftreten, gepflegten Umgangsformen und Begehrlichkeiten weckenden Statussymbolen wie teure Uhren und große Limousinen werden die künftigen Opfer zunächst hofiert. Die auf die wohlhabende Klientel angesetzten Finanzhaie pflegen Eitelkeiten, sparen nicht mit Komplimenten, tun alles, damit sich die Kundschaft wohl fühlt und darauf verzichtet, das dubiose Angebot genau zu prüfen. Beißt das Opfer an, wird Druck aufgebaut: »Eine einmalige Chance. Wir können diese günstigen Konditionen bei der großen Nachfrage nur noch für diese Woche garantieren!«
Verstärkt sich der Verdacht, gibt es nur eine vernünftige Reaktion: den Kontakt sofort abbrechen und keinen neuen Gesprächstermin vereinbaren. Liegt bereits ein Vermögensschaden vor, empfiehlt es sich, Rat bei einem auf das Kapitalmarktrecht spezialisierten Juristen zu suchen und bei Gericht zu klagen.
Der Psychologieprofessor Hermann Liebel erstellte für das Bundeskriminalamt eine Studie zum Thema Anlagebetrug. Er erklärt, dass nur die Wenigsten aus Schaden klug würden. Die Geprellten würden ihren Misserfolg lieber verdrängen und verschweigen. Sie glauben, nicht nochmals hereinfallen zu können. Doch die Realität sieht anders aus. Professor Liebel meint: »Der Anleger ist das einzige Lebewesen, dem man das Fell mehrfach über die Ohren ziehen kann.« In jedem zweiten Fall führe ein heißer Tipp aus dem eigenen Freundes- und Bekanntenkreis zur Kontaktaufnahme mit einem unseriösen Geschäftemacher. In jedem dritten Falle diene ein verbotener ungebetener Telefonanruf als Einstiegspforte. Der Präsident des Deutschen Anlegerschutzbundes (DASB) warnt nachdrücklich: »Legen Sie den Hörer auf; das ist der sicherste Schutz!«
Raffinierte Finanzhaie bauen Misstrauen ab, indem sie sich anfangs mit einem bescheidenen Anlagevolumen begnügen und die versprochene Rendite unverzüglich auszahlen. Dieser Köder heizt die Geldgier richtig an und bereitet den Boden für den angepeilten Großabschluss. Geschieht dies, dürfte der gutgläubige Anleger vergebens auf weitere Kapitalerträge warten. Jetzt ist der Totalverlust vorprogrammiert.
2.23 Mit Börsenmänteln spekulieren
Hier bietet sich ein manchmal sehr chancenreiches, aber auch besonders riskantes Spielfeld an mit Nervenkitzel für die Liebhaber des raschen »Rein und Raus«.
Was bedeuten »leere Börsenmäntel«, und weshalb spekuliert damit der eine oder andere Anleger? Dahinter stehen betrieblich nicht mehr aktive bzw. insolvente Unternehmen, deren Börsennotiz trotz minimaler Umsätze weiter besteht. Umgekehrt gibt es Börsenaspiranten, die mit dem Kauf einer leeren AG-Hülle den aufwändigen Börsengang umschiffen wollen. Von einem solchen Geschäft profitieren Altaktionäre und Neueinsteiger mit gutem Timing. Sobald der Börsenmantel mit neuem Inhalt, also dem operativen Geschäftsmodell der Nachfolgefirma gefüllt wird, steigt der Kurse oft sprunghaft an. Die Geschäftsaktivitäten der Nachfolgegesellschaft müssen nichts mit dem ursprünglichen Unternehmen zu tun haben. Ob Brauerei, Bergbau- oder Maschinenbaugesellschaft: Nicht selten handelt es sich um ehemals traditionsreiche Industriebetriebe, die durch strukturelle Veränderungen, Nachfolgeprobleme oder Managementversagen zugrunde gingen.
Dafür einige Beispiele: So produziert die schon vor 240 Jahren, nämlich 1766 gegründete Württembergische Cottun-Manufactur heute keine Textilien mehr, sondern bot dem Beteiligungskonzern WCM Unterschlupf. Zunächst im MDAX, danach im SDAX notiert, jetzt im Niemandsland verschwunden und ein Penny-Stock mit einem Wert von gerade noch zwölf Cent am 07. April 2010. Wann man bei WCM auch einstieg – der Totalverlust war beim Aussitzen vorprogrammiert.
Den Börsenmantel der früheren BK Grundbesitz & Beteiligungs-AG zierte die vom Kurszettel verschwundene Reinecke & Pohl Sun Energy AG, allerdings wieder auffindbar unter dem neuen Namen Colexon Energy, aktueller Kurs im Juli 2010 bei 2,50 Euro, ein Kursverlust im ersten Halbjahr 2010 von rund 40 Prozent. (Reinecke & Pohl kostete 2007 fünfmal so viel!) Ein weiteres Beispiel liefert die Net.IPO AG, die während des Booms am Neuen Markt den Börsenmantel des früheren Brauhauses Amberg übernahm. Unter neuem Namen erreichte die Aktie einen Kurs bis zu 130 Euro. Nach dem Platzen der New Economy-Spekulationsblase sackte das Papier von Net.IPO allerdings rasch auf sein früheres tristes Penny-Stock-Niveau ab. Unter der alten WKN 525000 erscheint heute die Heidelberger Beteiligungsholding AG mit einem Kurs von einem Euro am 01. April 2010.
Lohnende Spekulationsobjekte mit leeren Börsenhüllen sind rar: Für Langzeitanleger kein empfehlenswertes Investment – eher für Zocker interessant.
Wie riskant ein Geschäft mit umbenannten Börsenmänteln verlaufen kann, zeigen die von Börsenguru-Bäckermeister Markus Frick im Herbst 2007 empfohlenen drei Rohstoffwerte Russoll, Star Energy und Stargold Mines. Alle drei marktengen Werte stiegen im Zuge der Markus-Frick-Propaganda zunächst massiv im Kurs an, um danach um rund 95 Prozent abzustürzen. Russoll, aus einem fast wertlosen Börsenmantel ohne operatives Geschäft hervorgegangen, gab es erst seit April 2007. Dennoch wurde das kleine Unternehmen mit geringem Börsenwert, das »seine Anlagen zu 100 Prozent in Sibirien habe«, als ein amerikanischer Öl- und Gaskonzern vorgestellt und der Eindruck erweckt, die Aktie mache auf jeder Investorenkonferenz von sich reden. Es würden fortlaufend Gespräche mit Analysten geführt, die dieses Unternehmen bestens kennen. Was blieb übrig von diesen drei Börsenmantel-Spekulationen? Quasi ein Totalverlust für gutgläubige Privatanleger. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Doch den geprellten Anlegern wird dies wenig helfen – Schadensersatzansprüche hin oder her!
So stellt sich die Frage: Wozu dient überhaupt ein Börsenmantel?
Kurzinformation: Viele mittelständische Unternehmen leiden unter zu wenig Eigenkapital. Für Wachstum und Ertrag sind günstige finanzielle Rahmenbedingungen unerlässlich. Die Kreditvergabe seitens der Banken wird nicht erst seit der Subprime- und Finanzkrise, sondern auch schon zuvor durch die Eigenkapitalrichtlinien für Banken (Basel II) deutlich erschwert. Viele Mittelständler, die ihr Geschäftsmodell erweitern und sich in ihrer Marktnische behaupten wollen, suchen nach alternativen Finanzierungsformen. Die Wachstumsfinanzierung über einen Börsengang ist nur bei intaktem Börsenklima interessant. Bei angespannter Marktlage wie 2009 haben Mittelständler keine Chance, sich mithilfe eines erfolgreichen Börsengangs Eigenkapital zu verschaffen. Der Zugriff auf einen Börsenmantel erspart das langwierige, komplizierte und kostspielige Procedere des traditionellen IPO-Prozesses. So fehlt es nicht an Wertpapierhandelsbanken und anderen Finanzdienstleistern, die sich auf das Geschäft mit Börsenmänteln spezialisiert haben, so beispielsweise die börsennotierte Carthago AG, deren Kursentwicklung aber auch nicht gerade Freude auslöst.
Fazit: Wer mit Börsenmänteln das schnelle Geld verdienen will, muss nervenstark sein, diszipliniert vorgehen und rasch ein- und aussteigen können: Siehe Colexon Energy, vormals Reinecke & Pohl, noch früher BK Grundbesitz & Beteiligungs-AG, oder die dubiosen Empfehlungen von Börsenguru-Bäckermeister Markus Frick.