SIEBTES KAPITEL
Er ist noch einmal ins Wasser gestiegen und hat »das Walross« unter den Steg gezogen. Zwar verirrt sich selten jemand in diese Bucht, doch es kann natürlich sein, dass ein Boot draußen auf dem See vorbeifährt. Wenn dann Mattis massiger Körper auf der Oberfläche treibt, wäre das schwerlich zu übersehen. Wobei man vielleicht annehmen würde, der Eigenbrötler entspanne sich nach einem Saunagang. Doch sicher ist sicher. Es war jedenfalls gar nicht so einfach, den Körper durchs Wasser zu manövrieren. Er hat sich dafür ordentlich ins Zeug legen müssen.
Ein Zittern fährt durch seinen Körper. Er kann nicht sagen, ob es durch den Wind, der jetzt in die Bucht drückt, oder durch Erschöpfung ausgelöst wurde. Mit zwei Schritten ist er in der Sauna und zieht die Tür hinter sich zu. Zwar ist die Hitze durch die soeben noch offen stehende Tür entwichen, doch der Ofen brennt noch. Kurzerhand schiebt er zwei Holzscheite in das glimmende Feuer, geht vor dem Ofen in die Knie und pustet in die Glut. Es dauert nicht lange, und die Flammen züngeln lebhaft um das Holz. Er wirft ein weiteres Scheit dazu. Langsam kehrt die Wärme in die Sauna zurück.
Die Wodkaflasche steht immer noch auf der Saunabank, genau dort, wo Matti sie vorhin abgestellt hat. Sie ist etwa zu einem Drittel gefüllt. Mit zwei Schlucken leert er die Flasche, wischt sich grinsend über den Mund. Matti meinte schließlich noch, es gäbe etwas zu feiern. Um den Drecksack tut es ihm nicht leid. Matti ist selbst schuld, dass er jetzt bei den Fischen liegt. Seinen Geschäftspartner zu erpressen, auf solch eine hirnrissige Idee kann nur ein Möchtegerngauner wie Matti kommen. Äußerst dämlich, die Hand, die einen füttert, beißen zu wollen.
Ein bisschen erstaunt ist er, wie wenig ihn bewegt, dass er mit seinen eigenen Händen das Leben eines Menschen ausgelöscht hat. Im Gegenteil – er verspürt ein Hochgefühl in sich anschwellen. Oder kommt dies durch den Alkohol, der jetzt durch seine Blutbahnen rauscht? Im Grunde ist es egal – wenn er seinen Teil des Geschäfts abgeschlossen hat, kann er sich zur Ruhe setzen. Das ist das Einzige, was für ihn zählt.
Er kann nicht sagen, wie lange er schon gedankenverloren in der Sauna sitzt. Als ihm der Schweiß aus allen Poren rinnt, steht er auf und tritt vor die Tür. Soll er sich noch ein Saunabier genehmigen oder direkt zur Abkühlung in den See springen?, fragt er sich.
Gerade will er auf den Steg treten, da lässt ihn ein Geräusch innehalten. Ein Mobiltelefon klingelt. Suchend schaut er sich um. Sein Blick bleibt an dem Kleiderstapel hängen, der ein paar Meter von der Saunahütte entfernt auf einem Baumstumpf liegt. Er sprintet hinüber, wohl wissend, dass er nicht endlos Zeit hat, bis der Anruf auf die Mailbox umgeleitet wird. Dieses Gespräch sollte er sofort annehmen. Es gibt nur eine Person, die auf diesem Handy anruft. Sie hat ihm das Gerät eigens zukommen lassen. Mit dem Hinweis, es sei von der Polizei nicht zu orten.
»Hallo?« Atemlos presst er das Handy mit einer verschwitzten Hand an sein Ohr.
»Hallo«, antwortet eine weibliche Stimme. »Hast du gute Nachrichten?«
Ihr Finnisch hat einen harten Akzent. Eine Russin? Wie immer kommt sie gleich zur Sache, ohne ihren Namen zu nennen. Ein leiser Schauer läuft ihm den Rücken hinunter. Irgendetwas an ihrer Stimme zieht ihn an. Vielleicht ist es die Härte, die in jedem ihrer Worte mitschwingt. »Ich habe gute Nachrichten, ja«, stößt er hervor. Dann räuspert er sich, während er rüber zum See schaut. »Es ist angekommen.«
»Wann kannst du das Objekt übergeben?«
Nichts in ihrer Tonlage hat sich verändert. Sollte sie sich über die gute Nachricht freuen, dann zeigt sie es zumindest nicht. »Ich … äh, in ein paar Tagen, denke ich.«
Stille.
Er presst das Telefon noch fester ans Ohr. Nicht einmal ihre Atmung kann er hören. Warum sagt sie nichts? Seine Nackenhaare stellen sich auf. In dem Schweigen liegt etwas Bedrohliches.
»Was ist passiert?«
»Wie … was?« Wie kann sie wissen, dass etwas nicht glattgelaufen ist? Wieder schaut er zum Steg hinüber, unter dem Matti verborgen liegt. Das mit »dem Walross« kann sie nicht wissen! »Nichts ist passiert«, sagt er und bemüht sich, Festigkeit in seine Stimme zu legen. »Alles läuft planmäßig.«
»Dann können wir also über die Übergabe sprechen?«
»Ich habe gerade viel um die Ohren.« Plötzlich ist es ihm wichtig, noch ein wenig Zeit zu schinden. »Lass uns später wieder telefonieren. Sobald ich meinen Mittelsmann noch mal gesprochen habe, melde ich mich. Das wird ganz bald sein, das kann ich versprechen.« Sie kann nicht wissen, dass er Matti bereits gesehen hat – zum letzten Mal. Noch hat er den Verbleib der Lieferung nicht geklärt. Bis dahin möchte er sich auf keinen konkreten Übergabetermin einlassen.
»Gut«, sagt sie knapp. Dann brennt wieder das Schweigen in der Telefonleitung. »Doch lass mich dir versichern, dass mein Auftraggeber ein ungeduldiger Mann ist, der Fehler nur sehr schwer verzeiht. Das kannst du mir wirklich glauben.« Sie legt auf.
Weder der Wind noch die Erschöpfung lassen ihn diesmal frösteln. Es ist ihr letzter Satz, der ihm eine Gänsehaut auf den Körper treibt. Zum ersten Mal lag eine tiefe Emotion in ihrer Stimme. »Als hätte sie die Ungeduld ihres Auftraggebers am eigenen Leib erfahren«, flüstert er. »Oh, verdammt!«
Ganz klar: Er muss das Ding finden, das Matti für ihn besorgt hat. Sofort. »Das Walross« hat behauptet, es befinde sich ganz in der Nähe. Also sollte das ein Kinderspiel sein.
Plötzlich beschleicht ihn der verstörende Gedanke, dass dieses Geschäft ein einziger großer Fehler war.