ACHTES KAPITEL
Je weiter sie Helsinki gen Norden den Rücken kehren, umso spärlicher wird der Verkehr. Und das am frühen Abend – rund um München gäbe es um diese Zeit kein Vorankommen. Manchmal sind sie sogar für Minuten allein auf der Fahrbahn unterwegs, bis ein anderes Fahrzeug im Rückspiegel auftaucht und den Volvo schließlich gemächlich überholt.
Einzig der Wald entwickelt sich am Rande der Autobahn dichter. Birkenhaine, immer wieder hohe Kiefern. Die imposanten Felsen links und rechts der Fahrbahn, um Helsinki herum allgegenwärtig, sind zugunsten des grünen Waldes verschwunden. Immer wieder blitzen Wasserflächen zwischen den Bäumen auf, manchmal fährt der Volvo direkt an einem glitzernden Seeufer entlang.
Sarah schaut auf das Display in der Mittelkonsole. In vierzig Minuten erreichen sie die Stadt Lahti. Es hat Ilvi keine zehn Sekunden und zwei Klicks gekostet, dann war nicht nur Sarahs Handy, sondern gleich auch Ilvis Telefon mit der Elektronik des Wagens verbunden. Zwei weitere Einstellungen, und finnischer Death Metal ertönte aus den Lautsprechern. Ilvis Lieblingsmusik, wie sie freudestrahlend erklärte. Aus Rücksicht auf Sarah hat sie die Lautstärke nach einer ersten bombastischen Ouvertüre so weit heruntergedreht, dass man im Wagen immerhin sein eigenes Wort verstehen kann.
»Und du hast vor dem Typen wirklich keine Angst gehabt?«, fragt Sarah und wirft ihrer Beifahrerin einen Blick zu, in dem sich Verwunderung und Bewunderung die Waage halten. »Ich hätte mir in die Hose gemacht.«
Ilvis Lachen wirkt viel zu laut für ihren zarten Körper. »Ich hatte doch keine Angst vor dem Kleinen!«
»Klein? Für mich sah der Kerl aus wie ein Hüne! Und er wirkte ziemlich sauer, als du ihm eine geknallt hast.«
»Er ist gerade einmal neunzehn Jahre alt. Das meine ich mit klein. Ein Baby. Körpergröße sagt doch gar nichts über einen Menschen aus.« Ilvi tippt zum schnellen Rhythmus der Musik mit einem Zeigefinger auf ihr Knie. »Der Junge war sechs Jahre jünger als ich, was sollte der Grünschnabel mir tun?«
Sarah kann sich da so einiges vorstellen. »Und du hast ihm eine gescheuert, weil …?« Sie schaut prüfend in den Rückspiegel. Bis auf einen Truck, den sie eben überholt haben, ist kein weiteres Fahrzeug zu sehen.
»Er hat sich völlig danebenbenommen«, erklärt Ilvi.
»Hat er dich …?« Sarah überlegt, wie sie es am besten formulieren soll. »Wenn er dir an die Wäsche wollte … da hätte er noch mehr als eine bloße Ohrfeige …«
»Er hat meinen Freund beleidigt. Da ist mir die Hand ausgerutscht.« Grazil spreizt Ilvi ihre rechte Hand und besieht sie sich interessiert.
»Er hat deinen Freund beleidigt?« Hat noch jemand in dem Pick-up gesessen? Sarah zieht die Augenbrauen zusammen.
»Ja, der Typ hat richtig böse über Janne hergezogen. Hat gesagt, Janne habe keine gute Stimme und würde klingen wie eine Blechdose auf Koks.« Ilvi reckt den Mittelfinger ihrer rechten Hand in die Höhe. »Keine Ahnung, der Kleine. Aber dann soll er einfach den Mund halten und nicht schlecht über Janne reden. Das vertrage ich gar nicht.«
»Die beiden kennen sich? Dein Freund und dieser Typ, der dich auf der Autobahn mitgenommen hat?« Sarah kann sich aus der Sache keinen Reim machen.
Ilvi lacht auf und breitet ihre Arme aus. »Du bist witzig. Er hat Janne genauso gehört, wie du es jetzt tust.« Sie deutet auf einen der vibrierenden Lautsprecher. »Das ist seine Band. Janne ist der Sänger von Devil’s Death. Du hörst ihn schon die ganze Zeit über.« In Ilvis Stimme klingt ein milder Vorwurf an, als erkläre sich das doch eigentlich von selbst.
»Oh.« In Sarahs Kopf überschlagen sich die Gedanken. Ihr Blick streift Ilvis Tattoo, das den Tod auf einem Pferd zeigt. Eine Stimme wie eine Blechdose auf Koks? Plötzlich ergibt das Bild Sinn. »Das … das ist dein Freund, der da singt? Ach so. Death Metal. Ja. Großartig.«
»Wir haben uns auf einem Konzert kennengelernt. Vor drei Wochen war das, in einem Pub in Mäntsälä. Die Band ist da aufgetreten. Weißt du, der Funke ist sofort übergesprungen. Zwischen Janne und mir, meine ich. Er ist auf die Bühne gekommen, da war mir sofort klar, dass ich ihn kennenlernen muss. Mir ist so etwas immer schnell klar. Ob ein Typ zu mir passt, das weiß ich innerhalb von Nanosekunden.« Sie wartet Sarahs Nicken ab. »Es waren nicht viele Leute bei dem Konzert, aber das heißt nichts. Janne hat echt Talent. Er ist dabei, groß rauszukommen. Und bis das passiert, tourt er halt durch Kneipen und Bars. Ich bin auf dem Weg zu ihm. Er wohnt bei seiner Ex in Lahti.«
»Er wohnt …? Ich … kapiere.« Sarah nickt, um den Kopf nicht heftig schütteln zu müssen. Doch dann holt sie tief Luft, da sie die in ihr brodelnde Frage nicht ungesagt sein lassen kann. »Habe ich dich richtig verstanden, dass dein Freund bei seiner Ex-Freundin wohnt? Und du bist auf dem Weg zu … den beiden … ihm?«
»Ja, genau. Bis er etwas Eigenes findet, wohnt er weiterhin bei Annikki. Sie ist voll okay, ich mag sie gerne. Lahti liegt genau auf dem Weg nach Sysmä, wo du hinmöchtest. Für dich ist es also kein Umweg, mich dort rauszulassen.«
In der sich anschließenden Gesprächspause trommelt Ilvi begeistert zum Klang der Musik ihres Freundes auf das Armaturenbrett, während Sarah ihre Gedanken ordnet. Sie stellt sich vor, wie es wäre, mit Udo zusammenzuleben, während diese Ramona ebenfalls bei ihnen im Haus wäre und ihre Schlagerschnulzen zum Besten geben würde. Köpfe würden rollen! »Darf ich dich etwas fragen?«, wendet sie sich schließlich an Ilvi. »Da ist eine Sache, die ich nicht verstehe. Jedes Mal, wenn ich auf Finnisch mit jemandem rede, wechselt die Person gleich ins Englische. Warum ist das so? Ich meine, du hast das auch gemacht. Auf dem Parkplatz. Und jetzt sitzen wir beide hier im Wagen, und was tun wir? Wir unterhalten uns die ganze Zeit über auf Englisch. Warum?« Zur Untermauerung ihrer Frage wiederholt sie das letzte Wort auf Finnisch. »Miksi?«
»Weil dein Englisch besser als dein Finnisch ist«, sagt Ilvi geradeheraus, begleitet von einem Schulterzucken. »Nur Finnen sprechen richtig Finnisch, das ist nun einmal so. Es hört sich gequält an, wenn du es versuchst. Und wir möchten nicht, dass du dich quälst. Es ist für uns eine Frage der Höflichkeit, es dir einfach und angenehm zu machen. Englisch zu sprechen ist leichter für dich, oder? Meine Generation spricht Englisch fast so gut wie Finnisch. Da wäre es doch schwachsinnig, wenn du in einem kaum verständlichen Finnisch herumhaspeln müsstest.«
Kaum verständlich? Geschockt tastet Sarah auf dem Rücksitz nach ihrer Handtasche. Während sie im Rückspiegel ihre Lippen nachzieht, überschlagen sich ihre Gedanken. Torben hat sie während des Unterrichts immer nur gelobt! Sie sei ein Naturtalent, hat er einmal gesagt. Wie passt das mit Ilvis Aussage zusammen, sie haspele kaum verständlich herum? Seit vier Jahren nimmt sie einmal in der Woche Finnisch-Stunden. Der Termin ist eines der Highlights ihrer Woche. Und das liegt nicht daran, dass Torben aussieht wie ein junger George Clooney. Mit verkniffenem Gesicht bugsiert Sarah die Handtasche wieder in den Fond. Sündhaft teure Privatstunden bei einem Lehrer, der amtierender Mister Oberbayern ist, und Ilvi attestiert ihr lediglich ein grundlegendes Sprachniveau? Sarah presst ihre rot leuchtenden Lippen aufeinander.
Ilvi scheint von Sarahs Verwirrung nichts mitzubekommen. »Die älteren Finnen sprechen fast alle gut Deutsch. Das wurde jahrzehntelang in den Schulen unterrichtet. Die historische Nähe zu Deutschland, weißt du. Der Krieg und so«, erklärt sie. »Eigentlich brauchst du also kein Finnisch, wenn du unser Land besuchst.« Sie hebt eine Hand, als wollte sie einem Einwand Sarahs zuvorkommen. »Wobei wir uns natürlich geehrt fühlen, wenn jemand die Strapazen auf sich nimmt, um unsere Sprache zu lernen. Also wenn er es versucht. Versteh mich bitte nicht falsch. Wir denken rein pragmatisch, wenn wir dir auf Englisch antworten. Vielleicht liegt es daran, dass wir es selbst gewohnt sind, nirgendwo sonst auf der Welt mit unserer Sprache weiterzukommen. Fünf Millionen Finnisch sprechende Finnen sind eine überschaubare Anzahl.«
»Es ist halt schade, weil ich dachte, endlich könnte ich mal das Gelernte anwenden.« Sarah bemüht sich, die Enttäuschung aus ihrer Stimme herauszufiltern.
»Ist dein Sprachlehrer denn ein Muttersprachler? Ist er Finne?«
»Torben Vogl?« Sarah blinzelt. »Torben kommt gebürtig aus Gaimersheim«, sagt sie mit heiserer Stimme.
Ilvi nickt getragen, als wäre damit alles gesagt. Sie trommelt zu einer besonders schrillen Liedpassage frenetisch mit den Händen auf ihren Knien herum, dann dehnt und reckt sie sich im Sitz, nicht unähnlich einer Katze. »Was verschlägt dich eigentlich hierher, Sarah?«
Sarah zuckt zusammen, versucht, ihre Überraschung mit einem Husten zu überspielen. »Was ich in Finnland mache? Ich … also, Urlaub natürlich. In der Nähe von Sysmä habe ich ein Ferienhaus gemietet.« Um mich vor der Welt zu verstecken, fügt sie in Gedanken hinzu.
»Ah, ein mökki hast du gemietet. Ein Sommerhäuschen. Da oben liegt der Päijänne, das ist unser zweitgrößter See. Da hast du dir eine schöne Ecke ausgesucht. Ideal zum Fischen.« Etwas in Ilvis Stimme verrät, dass sie weitere Informationen aus Sarahs Mund erwartet.
Sarah ist selbst verwundert, dass sie weiterspricht. Vielleicht tut sie es, weil Ilvi sie an ihre Tochter Franziska erinnert, die in London Musik studiert – zumindest vorgibt, dies zu tun. Vielleicht imponiert ihr auch, mit welcher Power die zierliche Frau dem Leben begegnet. Am wahrscheinlichsten jedoch ist, dass Sarah es leid ist, die ganze erlittene Katastrophe mit sich selbst auszumachen. »Ich habe noch nie gefischt«, sagt sie mit belegter Stimme und räuspert sich. »Wüsste nicht, wie das überhaupt funktioniert. Da muss man zuerst nach Würmern graben, oder?« Sie verzieht angewidert das Gesicht. »Ich bin aus München abgereist, weil es … weil es Probleme mit meinem Mann Udo gibt.« Sie schluckt. »Und jetzt sind ein paar Leute hinter mir her.«
Schwungvoll setzt Ilvi sich im Autositz auf. Ihre Augen leuchten. »Cool! Deshalb also versteckst du dich hier, in einem einsamen mökki am Päijänne. Erzähl, was hast du getan? Deinen Mann erschossen?« Aufgeregt rutscht sie hin und her. Wie ein kleines Kind, das sehnsüchtig auf die weihnachtliche Bescherung wartet.
»Erschossen? Um Gottes willen, ich könnte doch keine Schusswaffe bedienen«, entgegnet Sarah entsetzt. Ob Martha das Messer bereits wieder in die Schublade geräumt hat?
»Ich glaube nicht, dass das so schwer ist«, erwidert Ilvi nachdenklich.
Plötzlich kommt sich Sarah albern vor. Sie ist dabei, einer Wildfremden den ganzen Grund ihrer Flucht aus München zu beichten. Keine gute Idee. »Ich wollte immer schon einen längeren Urlaub in Finnland machen«, erklärt sie und starrt geradeaus auf die Fahrbahn.
»Du bist nicht zum ersten Mal hier, oder?« Ilvi schaltet die Musik aus, verschränkt die Arme und stützt ihr Kinn auf einer Handfläche ab, wobei sie Sarah erwartungsvoll ansieht.
Sie weiß, dass sie nicht drum herumkommt, etwas von sich preiszugeben. »Ja, ich war schon einmal in Finnland. Als Zwölfjährige verbrachte ich mit meinen Eltern eine ganze Woche in Helsinki. Wir waren mit der Fähre von Travemünde aus angereist, und schon die Überfahrt war spektakulär. Nie zuvor hatte ich ein derart blaues Meer, einen derart blauen Himmel und eine derart gleißende Sonne gesehen. Doch Helsinki stellte das Erlebnis der Seereise noch in den Schatten. Ich verliebte mich sogleich in die breiten Straßen und grünen Parkanlagen, in die Schäreninseln vor der Stadt. Sie wirkten, als wären sie nur einen Steinwurf von mir entfernt. Von einem Vorort Helsinkis aus, wo wir in einer billigen Pension wohnten, fuhren wir täglich mit unserem klapprigen VW ins Stadtzentrum. Ich weiß noch, dass wir uns auch in diesem Urlaub nicht viel leisten konnten, doch Helsinki machte jede Einschränkung wett. Die Stadt war so kühl und heimelig zugleich.«
Ilvi nickt, als wäre damit alles gesagt.
»Und jetzt freue ich mich, endlich wieder zurück in Finnland zu sein.« Erleichtert atmet Sarah aus. Es ist ihr gelungen, die heiklen Themen zu umschiffen.
Auf Ilvis Gesicht hat sich ein Stirnrunzeln geschlichen. Nachdenklich streicht sie über ihre tiefschwarzen Haare, um ruckartig nach ihrem Handy zu greifen. Sie tippt etwas in das Gerät, scrollt runter und wieder hoch, dann macht sie große Augen. »Oh, verdammt«, sagt sie, »du hast ja einen eigenen Eintrag auf Wikipedia!«
»Was? Woher …?« Sarah wird schlagartig fahl im Gesicht. »Ich … Du musst mich verwechseln. Ich habe dir gar nicht meinen Nachnamen …«
»Sarah Fuchs.« Ilvi deutet in den Fußraum. »Dein Name steht auf dem Mietwagenvertrag, der da unten liegt.« Ihr Blick schnellt zurück auf das Handydisplay.
Sarah stöhnt auf.
»Hier steht, dass du vor etwa zwanzig Jahren mit dem Fußball-Nationalspieler Rüdiger Schleeberger verheiratet gewesen bist. Bereits nach etwas mehr als einem Jahr ist die Ehe wieder geschieden worden; aufgrund eines fehlenden Ehevertrags gingst du aus der Scheidung mit einem Millionenbetrag hervor.« Ungläubig liest Ilvi weiter. »Du hast eine Tochter mit dem Fußballer. Vor ein paar Jahren hast du dich als Schmuckdesignerin versucht. Deine Kollektion wurde auf einem Shoppingsender angeboten, sie hat sich nach anfänglicher Furore aber nicht gut verkauft. Gerüchten zufolge war ein TV-Format mit dir als Moderatorin geplant, es wurde jedoch vor der Ausstrahlung eingestampft. In zweiter Ehe bist du mit einem erfolgreichen PR-Berater verheiratet. Udo Fuchs. Vorzeigeehe, aber keine weiteren Kinder. Bis auf wenige Auftritte, etwa beim Bayerischen Filmpreis, hast du dich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Steht hier so«, erklärt Ilvi entschuldigend.
»Vorzeigeehe«, murmelt Sarah zwischen zusammengebissenen Zähnen. Sie versucht, sich auf die Straße zu konzentrieren. Heutzutage wird ja alles im Internet breitgetreten! Demonstrativ zuckt sie mit den Schultern. »Alles lange her«, sagt sie betont lapidar.
»Klasse Fotos in deinem Wiki-Eintrag. Das waren gewagte Frisuren vor zwanzig Jahren! Diese Schmetterlingsclips in deinem Haar. Umwerfend!« Ilvi grinst breit.
Für einen Moment ist Sarah aus der Bahn geworfen. Dann baut sich in ihrem Bauch ein Zittern auf, das langsam durch ihren Körper nach oben steigt und sich in einem Lachanfall Bahn bricht. Sie lacht, bis sie das Gefühl hat, keine Luft mehr zu bekommen. Mit dem Handrücken streicht sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln, während sie bemüht ist, den Volvo in der Spur zu halten. »Du hättest meinen berühmten Zickzack-Scheitel sehen sollen. Oder die gekreppten Strähnen«, presst sie atemlos hervor.
»Oh, die Kreppdinger habe ich eben gesehen«, winkt Ilvi ab, bevor sie in das Lachen einfällt. »Von denen werde ich heute Nacht träumen.«
Lange Zeit herrscht im Wagen eine angenehme Stille, die sich anfühlt wie klare Luft nach einem Sommergewitter. Erst als sie sich im dichter werdenden Verkehr der Ausfahrt nach Lahti nähern, räuspert sich Sarah. »Wir sind gleich da«, sagt sie.
»Nach der Ausfahrt kannst du mich gleich an der Raststätte rauslassen«, erklärt Ilvi, während der Volvo die Autobahn verlässt.
»Aber soll ich dich nicht bis zu deinem Freund …?«
»Keine Umstände«, wirft Ilvi ein. »Schau, dort ist der Parkplatz, da kannst du halten. Du musst nur drehen und zurück auf die Bahn, dann bist du wieder auf der Route nach Sysmä.«
Auf dem Parkplatz stehen eine Handvoll Autos und zwei Trucks. Über dem Eingang zu der Raststätte leuchtet der Schriftzug Ravintola. Restaurant. Sarah wirft dem Glaskasten einen skeptischen Blick zu, dann hält sie den Wagen neben einem Grasstreifen an. »Wie gesagt, ich fahre dich gerne noch weiter.«
»Ich bin ein großes Mädchen«, sagt Ilvi und zwinkert Sarah zu. »Gib mir mal die Adresse deines mökki, dann gebe ich sie für dich ins Navi ein. Nicht, dass du auf den letzten Metern verloren gehst.« Sarah nennt sie ihr, und Ilvi tippt versiert auf dem Display des Volvos herum. »So, fertig.«
»Ich danke dir, Ilvi.« Plötzlich überkommt Sarah ein Gefühl des Verlustes. »Es … es hat mich gefreut, dich kennenzulernen.«
»Mich auch!« Ilvi steigt aus dem Wagen und zieht den Rucksack vom Rücksitz. Dann beugt sie sich noch einmal in den Innenraum. »Alles Gute! Einen schönen Sommer wünsche ich dir.«
»Du kennst ja jetzt die Adresse. Wenn du Lust hast, dann besuch mich doch mal in Sysmä«, stößt Sarah hastig hervor, bevor Ilvi die Beifahrertür mit Schwung zuwirft.
Ilvi nickt und hebt den Daumen. Dann schultert sie den Rucksack. Auch von hinten ist ihre Haut eine einzige Leinwand, geschmückt mit bunten Tattoos. Im Nacken schließen sie mit einer roten Rose ab.
Sarah will gerade losfahren, da dreht Ilvi sich noch einmal zu ihr um und hebt die linke Hand zum Gruß. Für einen Moment sieht es so aus, als salutiere das reitende Gerippe auf ihrem Oberarm und verziehe dabei das knöcherne Gesicht zu einem höhnischen Grinsen.