ACHTUNDVIERZIGSTES KAPITEL
Der Tag geht zur Neige. Überall am Ufer steigen Rauchsäulen auf. Die Leute grillen oder haben ihre Saunaöfen angeschmissen. Nicht selten beides gleichzeitig. Langsam steuert er das Boot am Ufer entlang, winkt hier einer Familie zu, die wie Gott sie schuf um einen Gartentisch beim Abendbrot sitzt, grüßt dort einen Bekannten, der selbst auf dem Wasser unterwegs ist. Sehnsüchtig liegt sein Blick auf Mattis Anwesen, als er sich der Rotaugen-Bucht nähert. Doch solange die ausgefuchste Furie nebst ihren Helfern, die sich jüngst wie die Kaninchen vermehren, in der Nähe ist, traut er sich nicht erneut auf das Grundstück.
Wie zufällig steuert er die Insel an und stoppt das Boot am Anlegefelsen. Ohne auszusteigen beugt er sich über den Bootsrand und tastet in der Felsspalte herum. Ja, da ist wirklich etwas! Halb amüsiert, halb aufgeregt zieht er das gefaltete Papier hervor und schiebt es eilig in die Hosentasche. Dann legt er sogleich wieder ab und folgt dem Ufer weiter nach Norden. Er zwingt sich, nicht zu der breiten Glasfront hinüberzuschauen, als er an Sarahs mökki vorbeizieht. Noch läuft sie frei herum, die Schlange!, denkt er und knirscht mit den Zähnen. Doch es kann nicht mehr lange dauern, bis der dämliche Bulle auf die Hinterlassenschaft in seinem Zimmer reagiert. Mit Sarahs beiden willigen Gehilfen wird er dann schon selbst fertig.
In der übernächsten Bucht steuert er das Boot neben einen Felsen. Sanft wiegt es sich auf dem Wasser, während leichte Wellen gegen seinen Rumpf schwappen. Er schaut sich prüfend um, ob ihn jemand vom Ufer aus beobachtet, doch erwartungsgemäß ist dieser unbewohnte Landstrich menschenleer. Dann zieht er das Papier aus der Tasche. Und lacht auf.
Geheim!, steht in großen Lettern auf der Oberseite geschrieben. Darf nur von Veetie geöffnet werden!
Mit einem Grinsen auf den Lippen entfaltet er den Papierbogen. »Es fehlt nur noch die Postanschrift.« Er muss schmunzeln. »Da müssen die beiden Detektive wohl noch einiges lernen.«
Die Seite ist eng beschrieben. Erstaunt hebt er die Augenbrauen. Dieses Mädchen, Vilma, hat sich anscheinend richtig ins Zeug gelegt. Gespannt fliegen seine Augen über die Zeilen.
Achtung! Wenn du nicht Veetie bist, darfst du jetzt nicht weiterlesen! Weil dieser Bericht ist geheim. Wir haben die Frau beobachtet. Das Boot haben wir am Ufer versteckt, dann sind wir zu dem Haus geschlichen. Ins Haus kann man gut hineinsehen. Im Haus waren aber zwei Frauen. Eine große Frau mit blonden Haaren und eine kleine Frau mit schwarzen Haaren. Die Schwarzhaarige ist überall sehr bunt. Die blonde Frau ist die Mörderin. Sie rannte im Zimmer herum, während die andere auf dem Sofa lag. Dann ist sie aufgestanden (die bunte Frau) und hat in der Küche etwas in einer Pfanne gebraten. Es ist eine komische Küche. Sie ist im Wohnraum. Im Wohnraum muss es stinken, wenn man Fisch brät. Unsere Küche ist ein eigener Raum. Die Mörderin und die bunte Frau sind rausgegangen. Die bunte Frau ist mit einem schwarzen Auto weggefahren. Sie kann nicht gut Auto fahren, so wie Opa. Die Mörderin ist durch den Wald zu einem Haus gegangen. In dem Haus wohnt ein trauriger alter Mann. Wir haben uns auf eine Bank gestellt und durch ein Fenster geschaut. Der Mann hat viel getrunken. Die Frau hat auf dem Sofa gesessen. Dann ist sie wieder gegangen. Im Wald hat sie uns gehört. Wir haben uns aber versteckt. Die Mörderin hat uns nicht gesehen. Das schwöre ich! Deshalb müssen wir das Geld für die Detektivarbeit bekommen! Die Mörderin hat sich wieder mit der bunten Frau unterhalten. Im Haus war das. Dann hat sie telefoniert. Dann ist sie mit dem Auto weggefahren (die Mörderin). Die bunte Frau hat sich ausgezogen, bis sie ganz nackt war. Dann ist sie durch das Wohnzimmer getanzt. Dabei hat sie die Augen zugemacht. Aarne hat gesagt, dass die bunte Frau bestimmt betrunken ist. Wenn Papa manchmal zu viel trinkt, läuft er auch ganz komisch herum. Er ist dann aber nicht nackt. Ich glaube irgendwie, die bunte Frau war nur glücklich. Sie hat ganz oft beim Tanzen gelacht. Die Bilder auf der Haut haben sich beim Tanzen bewegt. Später möchte ich auch so bunte Bilder haben. Mama erlaubt mir nicht mal Ohrstecker. Die bunte Frau hat sich irgendwann auf das Sofa gelegt. Wir sind dann zum Boot geschlichen, weil wir nach Hause mussten. Mama hat mir nämlich eine Nachricht auf meine Uhr geschickt. Wenn wir Zeit haben, beobachten wir die Mörderin wieder. Übrigens – bei ihrem Haus wohnt ein niedliches Eichhörnchen in den Bäumen. Wir haben es Puschel genannt. Weil es ganz flauschig aussieht. Vergiss nicht unsere Bezahlung. Die Mörderin hat uns nicht gesehen! V.
Langsam zerreißt er den Papierbogen und lässt die Schnipsel in den See rieseln. Nach ihrem Treffen mit Onni ist Sarah also zu Ilvi gegangen, um sich auch mit ihr zu besprechen. Dann ist sie in den Wagen gestiegen. Wohin ist sie gefahren? In den Ort? Er hat das unbestimmte Gefühl, dass sich etwas zusammenbraut. Die Geschehnisse nehmen an Fahrt auf. Mit einem Gefühl der Aufregung lenkt er das Boot heimwärts. Es drängt ihn, in Sysmä nachzuhorchen, was Sarah dort treibt. Die Suche nach der Statue wird sehr bald in eine entscheidende Phase eintreten, ist er plötzlich überzeugt.