Sechzigstes Kapitel

SECHZIGSTES KAPITEL

Ich bin nicht länger allein. Er hat versprochen, bei mir zu bleiben. Ich habe versprochen, es vorerst niemandem zu erzählen. Deshalb nenne ich seinen Namen nicht, nicht einmal in meinem Kopf. Die Angst, dass er wieder gehen könnte, frisst an mir. Also ist er lieber namenlos für mich, solange es nötig ist. Er hat gesagt, dass ich wunderbar bin. Dass er mir alles geben wird, was ich mir wünsche. In der Nacht hat er das gesagt. Hier. Ich wollte es nicht glauben, doch er hat es mir geschworen. Ob Sarah das Ding habe, wollte er von mir wissen. Ich habe genickt. Einfach genickt. Wir haben getrunken, er und ich. In der Nacht. Meine Erinnerung ist vage. Ein grauer Nebel, der nach Wodka riecht, liegt auf ihr. Aber er hat gesagt, dass ich wunderbar bin. Daran erinnere ich mich genau.

Gerade trinke ich den Rest aus der Flasche, die er mitgebracht hat. Der Alkohol verschafft mir ein gutes Gefühl, weil er die Verzweiflung mildert. Das Chaos macht mir nicht mehr so viel Angst, wenn ich den Wodka trinke. Der Schmerz in meinem Kopf ist leiser. Nie wieder möchte ich es anders haben. Wenn nur auch die Angst verschwinden würde. Doch er hat geschworen, dass er nicht wieder geht.

Er hat mir ein Geheimnis verraten. Sie wird die Statue bald wegschaffen. Sie ist keine Deutsche, sie gibt es nur vor. Die Statue hat sie für einen Sammler gestohlen, der sie der Welt vorenthalten will. Das darf ich nicht zulassen. Meine Forschung wird schließlich alles verändern. Ich habe ihm davon erzählt. Von Max, der das neue Forschungsthema nicht wirklich gutheißt. Von meinen Schwierigkeiten mit der fast fertigen Arbeit, die ich nicht vollenden werde. Die Statue darf nicht verschwinden. Deshalb muss ich sie schnell in die Finger bekommen. Sonst ist es zu spät. Also muss ich mit ihr sprechen. Auch wenn sie gefährlich ist. Ich sei wunderbar, hat er gesagt. Die Flasche hat er mir als Geschenk mitgebracht. Er ist nicht so wie Swen.

Mama hat gerade angerufen. Diesmal bin ich rangegangen, auch wenn ich erst nicht wollte. Jetzt ärgere ich mich über meine Dummheit. Wieso hört Mama mir nicht zu? Sie sagte, dass sie sich Sorgen mache und ich mich komisch anhöre. Sie versteht nicht. Mein Leben ändert sich gerade. Ich will nicht länger anders sein. Und allein. Ich bin wunderbar. Das versteht sie nicht. Meine Entscheidung ist gefallen. Einen Arzt, so wie früher, benötige ich wirklich nicht. Mama benötige ich nicht. Sobald ich die Statue habe, werden sie alle sehen, wie großartig ich bin. Kein Freak! Ich bin wunderbar, das hat er gesagt!

Ich habe aufgelegt. Mama wollte mir nicht zuhören. Ich habe ihr zwar gesagt, dass ich nicht in Helsinki bin, aber ich habe ihr nicht verraten, dass ich gerade in einer Pension in Sysmä sitze. Einiges wird sich in meinem Leben ändern. Ich werde nicht länger anders sein.

Heimo wollte mir keine neue Flasche geben. Eben war ich unten bei ihm. Doch ich habe mir das nicht gefallen lassen und bin laut geworden. Es ist mein Wunsch, etwas zu trinken. Es hilft mir gerade sehr. Später werde ich sicherlich etwas anderes tun, um den Schmerz zu betäuben. Später, aber im Moment bin ich glücklich mit den Dingen, so wie sie sind. Der Schmerz wird nämlich kleiner, wenn ich etwas trinke. Ähnlich einem Ballon, aus dem langsam die Luft entweicht. Deshalb habe ich darauf bestanden, noch eine Flasche von Heimo zu bekommen. Er soll sie auf die Rechnung setzen, habe ich ihm gesagt. Ganz komisch hat Heimo mich angesehen, als er mir die Flasche gegeben hat. Ich kenne diesen Blick. Aber das ist mir jetzt egal. Ich bin schließlich wunderbar, hat er gesagt.

Sarah Fuchs will die Statue wegschaffen. Ich muss sie aufhalten. Sie führt etwas im Schilde. Er hat sie im Auge behalten, weil er seinen Freund Matti rächen will. Sie muss für den Diebstahl bezahlen, meint er. Und für den Mord. Sie ist eine Mörderin. Er hat versprochen, mir zu helfen. Er wird bei mir bleiben. Gemeinsam mit mir nach Helsinki gehen. Wenn ich die Statue habe, will er sie sehen. Alle werden erkennen, dass ich ein Genie bin. Er wird mich unterstützen, weil er mich großartig findet. Ich musste nur schwören, niemandem davon zu erzählen. Ich habe geschworen, alles zu tun, was er von mir verlangt. Die Angst, dass er wieder gehen könnte, frisst an mir.