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Alexandra erwachte mit einem Ruck. Langsam setzte sie sich auf und blinzelte in die Dunkelheit. Im Zimmer war es still, aber einen Moment lang hatte sie das Gefühl, es stünde jemand neben dem Bett.

Sie atmete tief durch. Sie wusste ja, es war nur ein Gefühl, das Gefühl, dass er bei ihr war, weil ihr Traum so wirklich gewesen war.

Aber das war immer so, wenn sie von ihm träumte. Es fühlte sich ganz echt an. Auch jetzt konnte sie ihn riechen, seine Haare, das Eau de Toilette, das er benutzte. Jicky von Guerlain. Es kam ihr sogar so vor, als habe sie seinen Geschmack im Mund, als habe er sie gerade leidenschaftlich geküsst.

Weil sie wusste, dass sie jetzt nicht mehr einschlafen konnte, schaltete Alexandra die Nachttischlampe ein und stand auf. Wie immer nach diesem Traum war sie in Schweiß gebadet.

Sie wickelte sich in ihren blassblauen Morgenmantel und lief durch die kleine Diele in die Küche, wobei sie auf dem Weg dorthin überall das Licht einschaltete.

Sie brauchte eine Tasse Tee. Kamillentee. Das würde sie beruhigen, und danach konnte sie bestimmt wieder schlafen. Sie stellte den Wasserkessel auf und setzte sich auf einen Hocker. In Gedanken ließ sie noch einmal den Traum Revue passieren, der sie in der letzten Zeit so oft überfiel.

Das Seltsame daran war, dass es immer derselbe Traum war. Es änderte sich nie etwas. Plötzlich war er bei ihr. Er trat entweder durch die Tür oder stand am Bett und blickte sie an. Und dann schlüpfte er zu ihr ins Bett, nahm sie in die Arme und liebte sie. Er sagte ihr, wie sehr sie ihm fehlte, wie sehr er sie begehrte und brauchte. Und immer wieder erinnerte er sie daran, dass sie die Liebe seines Lebens war. Seine einzige wahre Liebe.

Und der Traum war so unglaublich real, dass sie hinterher immer das Gefühl hatte, wirklich mit einem Mann zusammen gewesen zu sein. »Das war ich ja auch«, murmelte sie leise, während sie kochendes Wasser in ihren Becher goss. Ich habe heute Nachmittag mit Jack Wilton geschlafen.

Aber im Traum hat mich Tom Conners geliebt. In meinen Träumen ist es immer nur Tom Conners, und das ist das Problem.

Seufzend ließ sich Alexandra auf dem gemütlichen Sessel am Kamin nieder. Sie nippte an ihrem Kamillentee und blickte gedankenverloren in die Glut.

Was war nur mit ihr los? Die Frage schwebte wie eine dunkle Wolke über ihr.

Sie hatte mit Jack geschlafen und jede Sekunde genossen. Die Leidenschaft, die monatelang schon beinahe erloschen schien, was sie auf Müdigkeit, zu viel Arbeit und Stress geschoben hatte, war wie durch ein Wunder wieder aufgeflammt. Aber wenn sie ehrlich war, war auch noch etwas anderes im Spiel gewesen. Sie hatte das Zusammensein mit Jack noch aus anderen Gründen gemieden. Sie hatte nicht mit ihm schlafen wollen und hatte sich mental zurückgezogen. Aber warum? Er war ein anziehender, attraktiver, gut aussehender Mann, und er war äußerst liebenswert. Außerdem war er lustig und brachte sie zum Lachen.

So vieles ging ihr durch den Kopf, und sie schloss die Augen, um Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Plötzlich jedoch setzte sie sich kerzengerade auf und dachte: Mein Gott, ich habe eingewilligt, Jack zu heiraten! Ich bin mit ihm verlobt!

Er hatte es mit Sicherheit ernst gemeint. Todernst. Er hatte auch beim Abendessen von nichts anderem geredet, ständig mit ihr angestoßen. Sie hatten gelacht und miteinander geflirtet und sich prächtig verstanden.

Sie hatten zwar das genaue Hochzeitsdatum noch nicht festgelegt, aber sie hatte auch nicht widersprochen, als er Ende des Jahres vorgeschlagen hatte. »In New York. Eine richtige Hochzeit«, hatte er gemeint. »Mit deiner Familie und meiner und allem Drum und Dran, Lexi.« Und sie hatte zustimmend genickt.

Nach dem Abendessen hatte er ihr geholfen, die Spülmaschine einzuräumen, und dann waren sie ins Bett gegangen. Aber um fünf war er aufgestanden, hatte sie auf die Wange geküsst und geflüstert, er wolle früh mit einem Bild für seine bevorstehende Ausstellung beginnen.

Und dann hatte sie von einem anderen Mann geträumt. Was stimmte nicht mit ihr? Das war doch nicht normal, oder?

Der Kamillentee war völlig wirkungslos, Alexandra war jetzt hellwach. Sie warf einen Blick auf die kleine Messinguhr auf dem Kamin und sah, dass es zehn nach sechs war.

In Paris war es schon zehn nach zwölf.

Aus einem Impuls heraus hob sie den Hörer des Telefons auf dem Beistelltisch ab und wählte die Durchwahl von Toms Büro. Im Bruchteil von Sekunden läutete in Paris das Telefon.

Er war sofort am Apparat. »Allo.«

Sie umklammerte den Hörer. Die Stimme versagte ihr, und sie bekam kaum noch Luft. Er gab einen ungeduldigen Laut von sich und sagte dann: »Tom Conners ici.« Auf Englisch fügte er hinzu: »Hallo? Tom Conners. Wer ist dort?«

Vorsichtig legte sie den Hörer auf. Ihre Hände waren feucht und zitterten, und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Es war dumm, dass sie sich das antat. Sie holte tief Luft und lehnte sich im Sessel zurück.

Er war da. In seinem Büro. Er war immer noch in Paris. Er lebte und war wohlauf.

Und wenn sie nach Paris zu Anjas Geburtstagsfest fuhr, dann würde sie genau das tun, was sie gerade getan hatte. Sie würde ihn anrufen, und er würde sagen, lass uns etwas trinken gehen, und sie würde antworten, ja, gerne, und dann würden sie zusammen ausgehen. Und danach würde sie restlos verloren sein. Eine verlorene Seele.

Denn sie konnte Tom Conners einfach nicht widerstehen. Er beherrschte und faszinierte sie und war selbst nach drei Jahren noch ständig in ihren Gedanken präsent.

Obwohl er es war, der sich damals von ihr getrennt hatte, wusste sie genau, dass er sie wiedersehen wollte, wenn sie mit ihm sprechen würde.

Du bist eine solche Idiotin, schalt sie sich wütend. Es war dumm von ihr gewesen anzurufen. Allein seine Stimme zu hören hatte sie schon fertiggemacht.

Energisch richtete Alexa ihre Gedanken auf Jack Wilton. Er liebte sie, wollte sie heiraten, und sie hatte seinen Antrag eigentlich angenommen. Abgesehen davon war er anständig, gutherzig, ehrlich, liebevoll und äußerst großzügig. Sein Erfolg hatte ihn nicht verdorben, und auf seine humorvolle englische Art war er sehr bodenständig, ohne sich selbst oder das Leben zu ernst zu nehmen. »Ich muss nur meine Arbeit ernst nehmen«, sagte er immer zu ihr, und sie verstand genau, was er meinte.

Sie wusste, dass er sie anbetete, ihr Talent als Bühnenbildnerin bewunderte und ihre Arbeitswut und Disziplin schätzte. Er ermutigte sie, tröstete sie, wenn sie Trost brauchte, und war immer für sie da. Und er hatte immerhin an der Beziehung festgehalten und war äußerst geduldig gewesen, als sie sich in den letzten Monaten so abweisend verhalten hatte.

Außerdem mochten ihre Eltern ihn. Das war ein gutes Zeichen, da sie bisher an allen ihren Freunden etwas auszusetzen gehabt hatten. Außer an Tom Conners, der sie von Anfang an bezaubert hatte. Aber ihn hatten sie auch nicht besonders gut gekannt und nicht gewusst, wie tief ihre Beziehung ging.

Jack wird ein wundervoller Ehemann sein, dachte sie. Er liebt mich, und ich liebe ihn. Auf meine Weise.

Alexandra stand auf, schaltete das Licht aus und ging wieder ins Bett. Sie würde Jack Wilton heiraten und damit basta.

Leider würde sie für Anjas Geburtstagsfest absagen müssen. Zu ihrem eigenen Schutz.