Anja hatte sie überredet, und so war sie jetzt in Paris. Es war Mai, drei Wochen vor dem Geburtstagsfest am zweiten Juni. Viel zu früh also. Andererseits hatte Alexandra Gordon viel zu erledigen.
Sie wollte Zeit mit Anja verbringen und ausgiebig einkaufen; das hatte sie nach der harten Arbeit der letzten Monate verdient. Außerdem hatte sie eingewilligt, mit Nicky an einem neuen Film zu arbeiten. Die Dreharbeiten würden im Oktober beginnen.
Und dann hatte sie noch geheime Pläne.
Tom Conners.
Sie war fest entschlossen, ihn zu besuchen, um herauszufinden, wo sie jetzt standen und was sie überhaupt noch für ihn empfand. Schließlich hatten sie sich drei Jahre lang nicht gesehen, und vielleicht erwiesen sich ihre Gefühle als völlig anders, wenn sie ihm gegenüberstand.
Ihrer Meinung nach war es eigentlich vorbei.
Er hatte es beendet, hatte ihr gesagt, es gäbe keine Zukunft für sie, er könne und wolle sie nicht heiraten – und auch keine andere. Offensichtlich beherrschte doch die Vergangenheit seine Zukunft.
Andererseits war es irgendwie auch nicht vorbei. Sie sehnte sich immer noch nach ihm – und er beherrschte einen großen Teil ihrer Gedanken. Aber das war nicht gesund, und sie konnte so nicht mehr weiterleben.
Jack Wilton würde sie jedenfalls erst heiraten können, wenn sie emotional frei war, und dazu musste sie sich den Dämonen ihrer Vergangenheit stellen. Alles andere wäre verlogen. Jack war so ein anständiger Mann, und sie wollte sich fair ihm gegenüber verhalten.
Sie musste dieses Kapitel erst beenden, um ihr Leben weiterfuhren zu können. Schließlich war sie fast einunddreißig, und es kam ihr so vor, als ob die Zeit immer schneller verging.
Alexa gestand sich ein, dass sie sich besser fühlte, seitdem sie beschlossen hatte, Tom aufzusuchen. So, als ob ihr ein Stein vom Herzen gefallen sei.
Am Donnerstagmorgen war Alexa in Paris angekommen. Sie hatte ausgepackt, war ein wenig spazieren gegangen und hatte sich den Rest des Tages hauptsächlich ausgeruht.
Jetzt war es elf Uhr früh am Freitagmorgen, und sie war voller Tatendrang. Außerdem hatte sie große Lust, Tom Conners anzurufen. Aber sie widerstand der Versuchung. Eigentlich war sie noch nicht bereit, ihn wiederzusehen.
Sie packte ihre Sonnenbrille, ihr Adressbuch, einen Notizblock und ihr Handy in die Tasche und verließ ihr Hotelzimmer.
Kurz darauf ging sie über den eleganten Marmorboden in der Lobby des Hotels Meurice, das Anja ihr empfohlen hatte. Sie war froh, dass sie auf Anja gehört hatte: Ihr Zimmer war behaglich und komfortabel, und die Lage des Hotels war ideal für sie.
Sie trat durch die Drehtür nach draußen und blieb unentschlossen vor dem Hotel stehen. Um eins war sie bei Anja zum Mittagessen eingeladen, also hatte sie noch zwei Stunden Zeit.
Paris war ihre absolute Lieblingsstadt, und da sie drei Jahre lang nicht da gewesen war, war sie voller Aufregung und Nostalgie.
Wenn sie die Straße links herunterginge, käme sie zum Louvre, wo eins ihrer Lieblingsbilder hing. Es wäre ein Vergnügen, es wieder einmal zu betrachten.
Oder sie konnte nach rechts die Rue de Rivoli entlanggehen und einen Schaufensterbummel machen, bis sie an der Place de la Concorde anlangte. Dahinter lagen die Champs-Élysées mit dem Arc de Triomphe, ein Anblick, der ihr immer wieder den Atem raubte.
Die Place Vendôme lag direkt hinter dem Hotel, ebenso wie die Rue du Faubourg St. Honoré, in der sich einige ihrer Lieblingsgeschäfte befanden. Aber eigentlich war sie nicht in der richtigen Stimmung, um einzukaufen und Kleider anzuprobieren. Das würde sie ein anderes Mal machen. Kurz entschlossen ging sie auf den Louvre zu.
Was für ein prachtvoller Tag es doch war! Strahlend blauer Himmel wölbte sich über der Stadt. Kein Wölkchen war zu sehen. Es war weder windig noch schwül, einfach nur perfektes Wetter.
Während sie rasch ausschritt, machte sie sich im Geiste eine Notiz, unbedingt in den Louvre des Antiquaires auf der Place du Palais-Royal ganz in der Nähe zu gehen. Sie hoffte, dort etwas wirklich Besonderes und Originelles für Anja zum Geburtstag zu finden. Vielleicht etwas Russisches oder Englisches, das Erinnerungen in Anja wach rief.
Alexas Herz wurde schwer, als ihre eigenen Erinnerungen in ihr aufstiegen. Erinnerungen an Tom und die zwei Jahre, die sie miteinander verbracht hatten ... wie sehr sie sich geliebt hatten, wie viel Freude sie aneinander gehabt hatten. Ihre Zeit mit Nicky und Larry. Aufregende Tage waren das gewesen, sie hatte so viel von den beiden gelernt. Und ihre Nächte hatten Tom gehört. Auch von ihm hatte sie viel gelernt.
Plötzlich hing der Duft nach Kaffee in der Luft. Sie war an einem Straßencafé angekommen. Sie widerstand der Verlockung nicht und setzte sich an einen der Tische.
»Café au lait, s’il vous plaît«, sagte sie zu dem lächelnden Kellner, der augenblicklich vor ihr stand.
»Mais oui«, antwortete er und eilte davon.
Alexa lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und dachte, wie wundervoll es doch war, wieder hier zu sein. Es war dumm von ihr gewesen, so lange wegzubleiben.
»Merci«, sagte sie zu dem Kellner, der ihr schwarzen Kaffee und ein Kännchen mit geschäumter Milch brachte. Sie mischte Kaffee und Milch in einer großen Tasse und trank einen Schluck.
Er schmeckte köstlich. Wie durch ein Wunder waren auch ein Korb mit frischen, duftenden Croissants, Butter und Himbeermarmelade vor ihr aufgetaucht.
Na ja, warum nicht?, dachte sie und bestrich eins der Croissants mit Butter und Marmelade. Es schien in ihrem Mund zu schmelzen, und sie dachte daran, wie oft sie als Studentin in Cafés gefrühstückt hatte.
Neun Jahre war das jetzt her. Sie war gerade erst einundzwanzig gewesen, als sie an Anjas Schule gekommen war. Und sie hatte jeden einzelnen Tag genossen, war nie enttäuscht gewesen.
In der Schule herrschte eine außergewöhnliche Atmosphäre. Die Gebäude strahlten ... Glück aus. Anders konnte sie die Stimmung dort nicht beschreiben. Alle, die dort studierten, empfanden es so. Das lag natürlich an Anja. Aber auch die anderen Lehrer hatten Begeisterung für ihre Arbeit vermittelt, und das hatte sich auf alle Schüler übertragen.
Wie wundervoll diese Jahre doch waren, dachte sie. Voller Staunen, Freude, Erwartung und auch Abenteuer. Alles lag noch vor ihr, das ganze Leben. Und es war voller Versprechen.
Und Anja und die anderen Lehrer hatten sie in ihren Hoffnungen und Plänen unterstützt und ermutigt. Dank Anja waren so viele ihrer Träume wahr geworden ... zumindest, was ihre Arbeit betraf. Nur in ihrem Privatleben war einiges schiefgegangen. Aber jetzt war sie hier in Paris, um dieses Kapitel ihres Lebens in Ordnung zu bringen und abzuschließen.