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Zwei Tage später
Es war ein windiger Tag und die Wolken rasten wie eine Horde grauer Reiter über den bleiernen Himmel. Die Fackeln, die rund um die Grabstätte der Familie Hohenwald in den Boden gerammt worden waren, flackerten unruhig, und die Mäntel der Trauergäste, die sich beim Tor versammelt hatten, bauschten sich in dem kalten Wind.
Auf ein Zeichen der Pompfüneberer setzte sich der Trauerzug langsam in Bewegung. Zwei schwarze Ponys zogen den goldenen Karren, auf dem der Sarg von Rosa ruhte. Ein Kammerensemble spielte dazu schwermütige Weisen, während als schwarze Schwäne verkleidete Ballettmädchen den Sarg tanzend begleiteten. Direkt dahinter gingen Alma und Max. Alma hatte einen Strauß weißer Lilien fest an ihre Brust gedrückt, während Max mit teilnahmslosem Gesicht den Sarg fixierte. In angemessener Entfernung folgten Johannes und eine stattliche Anzahl an Trauergästen, die er persönlich eingeladen hatte. Am Ende des Trauerzuges ging Olivia, die der kleinen Rosa ebenfalls die letzte Ehre erweisen wollte. Arnheim war zwar dagegen
gewesen, aber Max hatte darauf bestanden, dass Olivia dabei sein durfte.
Als die Trauergemeinde die Grabstätte erreicht hatte, hielt zunächst der Bürgermeister eine Rede und dann Johannes eine kurze, aber sehr emotionale Ansprache, der alle gebannt lauschten. So bemerkten sie auch nicht, dass ein Streifenwagen langsam die Allee hinauffuhr und vor dem Schloss hielt.
»Die Zeremonie ist gleich vorbei.« Levi blickte aus dem Seitenfenster nach oben zur Grabstätte, wo gerade der Sarg von Rosa in die Gruft gebracht wurde.
»Da hat Brenner also doch den richtigen Riecher gehabt«, meinte er und betrachtete das Abzeichen, das Reiter mitgebracht hatte.
»Die Spurensicherung hat es neben dem Skelett von Rosa gefunden. Es ist dieselbe DNA darauf wie bei Sperl und den Kleidern von Rosa«, resümierte Reiter.
»Jetzt brauchen wir nur noch den Besitzer«, sagte Levi. Er wusste natürlich, um wen es sich handelte, denn Brenner hatte ihm eine SMS geschickt. Gemeinsam mit Reiter hatte Levi die Fotos von dem Sommerfest durchgesehen, bis sie fündig wurden. Reiter konfrontierte Greta damit. Sie hatte eingesehen, dass es sinnlos war, weiter zu schweigen, und war bereit zu kooperieren.
»Sie müssen das nicht tun«, sagte Reiter zu Greta, die schweigend auf dem Rücksitz saß. »Sie können hier im Wagen warten.«
»Nein, ich komme mit. Das bin ich Rosa schuldig.«
»Dann gehen wir«, sagte Levi und öffnete die Wagentür.
Als sie über die Wiese hinauf zu der Grabstätte gingen, begann es leicht zu regnen. Einige Trauergäste kamen ihnen bereits entgegen, stutzten und gingen tuschelnd schnell weiter. Dann kam Alma mit verweintem Gesicht aus der Familiengruft und ihr Blick war in sich gekehrt. Erst als sie die Stufen
hinabging, schreckte sie auf. Sie blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf die kleine Gruppe, die langsam immer näher kam.
»Was machst du hier?« Alma starrte entsetzt auf ihre Schwester Greta. »Bist du wieder frei?«
»Ich erweise Rosa die letzte Ehre«, erwiderte Greta traurig und drehte eine schwarze Rose zwischen ihren Händen. »Diese Rose ist für sie.«
»Du machst keinen Schritt weiter, Greta.« Arnheim tauchte hinter Alma auf und legte die Hände beschützend auf die Schultern seiner Frau. »Du siehst doch, was du Alma angetan hast. Verschwinde aus unserem Leben.«
Wütend drehte sich Arnheim zu Reiter und Levi. »Das wird ein Nachspiel haben«, drohte er. »Sie lassen diese Frau einfach aus dem Gefängnis hierherkommen? Damit eine Mörderin vor allen Leuten ihre Mitleids-Show abziehen kann? Das ist ein unglaublicher Skandal.«
»Passen Sie auf. Hier liegt etwas auf dem Boden«, sagte Levi und deutete auf ein kleines Abzeichen, das neben den Stufen auf der Erde lag. Er hob es auf und betrachtete es neugierig.
»Das gehört mir«, sagte Arnheim unwirsch und griff danach. »Das habe ich schon ewig gesucht. Und jetzt verschwinden Sie.«
Greta schien die Worte von Arnheim nicht zu registrieren, sondern machte einen Schritt auf ihre Schwester zu. »Alma, ich muss dir etwas sagen.« Greta streckte ihre Hand aus, um ihre Schwester zu berühren.
»Rühr mich nicht an!«, gellte Alma und wich zurück, als hätte ihre Schwester eine ansteckende Krankheit. Panisch wandte sie sich an Arnheim. »So tu doch endlich etwas!«
Durch Almas Schreien waren auch die anderen Trauergäste auf den Streit aufmerksam geworden und beobachteten neugierig die Szene
.
»Es reicht. Ich hole jetzt die Security.« Arnheim winkte einen Wachmann herbei. »Bringen Sie diese Frau wieder zurück zu dem Polizeiwagen.«
»Wir sind noch nicht fertig, Herr Arnheim«, sagte Levi. »Lassen Sie Greta doch ausreden.«
»Hör mich bitte an, Alma. Es geht um Rosa und um Andreas. Das, was ich jetzt sage, ist sehr schmerzlich für dich.«