Nein, Prinzessin, du und ich, wir können nicht zusammenkommen. Denn ich unterliege barbarischen Werten. Mein Umfeld ist im Vergleich zu deinem finster wie die Nacht. Du hast aus Büchern gelernt. Ich hab meine Seminare im Leben gehabt, ich hab aus ungesunden Strukturen gelernt. Mein Fett habe ich 28 Jahre auf St. Pauli verdient, das prägt.
Sieh mich an, Prinzessin. Ich seh dich nur mit einem Auge an, wie Moshe Dayan oder Lord Nelson. Mein Augenlicht, das rechte, hab ich nicht bei ’ner vornehmen Fechtübung verloren. Ein Oberwichser von ’nem schwarzen Mischling hat mir mit ’nem Bierglas den Sehnerv durchtrennt, aus ’nem Gespräch heraus, in ’ner Kneipe von St. Pauli. Schmerz im Auge kann man nicht beschreiben, Prinzessin. Die Augen sind ja Spiegel der Seele.
Bevor das geschehen ist, da ist schon eine Menge abgegangen. In einer Wade hab ich ’nen Durchschuss. An einem Finger hab ich ’ne Narbe, weil mir den ’ne Hure halb durchgebissen hat. Ich bin vier Mal abgestochen worden. Das heißt, vier Männer sind mit ihren Stichwaffen in meinen Wanst eingebrochen, schmutzigen Messern, mit denen der eine vielleicht seine Nägel ausgepopelt und der andere ’ne Fischdose aufgemacht hat. Ich hab fast drei Liter Blut verloren und mich mit dem lieben Gott unterhalten, dass ich noch nicht sterben will. Geblieben ist ’ne Zweiundzwanzig-Zentimeter-Narbe überm Bauch.
Der Serienkiller von St. Pauli, Mucki Pinzner, hat für mich Kopfgeld kassiert. Dabei bin ich mit ihm schon in den Kindergarten gegangen. Meinen Freund hat er erschossen. Ich bin ihm entkommen, zweimal, vielleicht auch dreimal.
Ich habe vom Leben meine Strafe gekriegt. Nicht unverdient. Ich bin ein Scheißkerl gewesen, in jüngeren Jahren, das zeichnet sich in dich ein, das kannst du nicht abwaschen, nie mehr.
Meine barbarischen Werte drücke ich auch in meinem Gesamtbild aus. Du sagst, ich hätte nette Grübchen. Das ändert aber nichts an meinem Gesamtbild, auch nicht, dass ich ein leidenschaftlicher Sonnenanbeter und immer braun gebrannt bin. Bei schönem Wetter bin ich früh draußen, aber um die Mittagszeit ist bei mir Abwinken, wie bei den Südländern. Dann komm ich erst abends wieder raus.
Mein Gesamtbild kann ich nicht beschreiben, nur so viel: Ich bin 1,82 groß und in jeder Muskelfaser durchtrainiert. 95 Kilo. 55 Jahre auf diesem Planeten und 150 Jahre alt im Kopf.
Männer, die mich kennen, würden dir über mich sagen: »Vorsicht, wenn er getrunken hat.« Aber es ist nicht der Suff, der mich brandgefährlich machen kann. Wenn ich betrunken bin, dann mach ich schon mal den Lauten. Dann kommt aus mir ein Lachen heraus, dass der Himmel in anderen Ohren einstürzt. Aber gewalttätig werde ich nicht einfach aus mir heraus, sondern in ’ner bestimmten Situation.
Stell dir vor, Prinzessin, du kommst auf der Reeperbahn in ’nen Zuhältertreff rein und einer, der über zwei Meter groß ist, kommt wie im Wilden Westen mit dem Vorsatz auf dich zu: Den muss ich heute platt machen, ich hab genug Publikum. Stellt sich mir in den Weg und sagt: »Kannst du mich stoppen?« Das ist ’ne absolute Ansage: Ich bin schneller, ich erschlag dich hier in der Öffentlichkeit. Der hat den Satz kaum beendet, box ich dem ’n Fünfmarkstück großes Loch in die Backe, und der liegt dann in seinem Blut ausgeruht über zwei Tischen zwischen den Tellern, von denen gerade ein Ehepaar gespeist hat. Der Koch muss den wieder zum Leben bringen, mit Eiswürfeln an der Schläfe. Natürlich könnte ich das heute noch, aber ich geh nicht mehr in solche Läden, um alte Zeiten aufzuforsten.
Tu mir nicht weh, ich bin von meiner Natur her kein Schläger. Aber ich hab die Scheiße angezogen. Wie ich aufgetreten bin, das ist eben für viele blankes Gift gewesen, ein maskulines Gebalze, ein Verhalten, die Männlichkeit zur Show hochzufahren. Heute kann ich darüber lächeln, aber ich hab’s gemacht.
Wenn du die längste Zeit deines Lebens abends aus der Dusche springst und in das Nachtleben von St. Pauli rennst, dann unterliegst du seinen Bedingungen und lernst da ’ne ganz andere Sorte von Menschen kennen als die, die morgens in den Schlaufen von der U-Bahn hängen und verschwitzt aus dem Oberarm riechen. Die kommen vielleicht am Wochenende nach St. Pauli, um über die Flaniermeile zu hopsen. Die gehören zu ’nem anderen Schlag als die, die in St. Pauli leben und ihr Geld da verdienen. Wenn man im Nachtleben seinen Geschäften nachgeht, speziell der Förderung der Prostitution, wie es in der Sprache der Schmiere heißt, knallen Interessen aufeinander. Es ergeben sich Situationen, und du trägst dazu bei, dass sie sich ergeben und auswachsen, und du kannst nur verlieren, und wenn du das nicht willst, klärst du sie wie ein Barbar. Du siegst, unter Umständen mit der Faust, und verlässt den zivilisierten Bereich. Wenn du das oft machst, werden die barbarischen Werte ein Teil von dir. Aber es ist nicht so, dass du sie nicht mehr erkennst.
Auch wie ich mit Frauen umgegangen bin, ist barbarisch, wie ich heute zugeben muss. Frauen hatten bei mir keinen allzu großen Stellenwert. Aber letztlich sind es doch Frauen gewesen, die mich auf ’nen gewissen Weg gebracht haben, den ich noch nicht gekannt habe, auf dem ich aber Schritt für Schritt weitergetrieben bin. Und du feilst an dir, wie an ’ner Modellpuppe, um die nächsten Anforderungen durchzustehen. Auch im Sex.
Du hältst ja nicht ’ne Hure über Jahre im Bett – und ich hab die längste Zeit meines Lebens mit Huren zusammengelebt –, wenn du dir nicht ein breites Spektrum aneignest. Da musst du sehr variabel sein. Wenn du viele Pferde im Stall hast, musst du schon wissen, wie man sie reitet. Und das hab ich beherrscht. Vielleicht ist die Unterwerfung einer Frau mit meiner Potenz, das Ausreizen all meiner Möglichkeiten, auch barbarisch zu nennen.
Ob ich bedauere, wie ich mit Frauen umgegangen bin? Auch mit denen, die ich auf meine Art geliebt habe? Grausam bedauere ich das, Prinzessin, aber dadurch wird nichts ungeschehen. Dass ich vom Leben auf die Fresse gekriegt habe, akzeptiere ich als eine höhere Form des Ausgleichs, weil ich mit Frauen nicht gerade koscher umgegangen bin. Ich hab zehnmal wiedergekriegt, was ich den Damen angetan hab, da kannst du sicher sein, Prinzessin.
Weißt du noch, wie wir uns kennen gelernt haben? Du lachst und erzählst mir, dass du durch mich die Körpersprache zwischen Männern auf dem Kiez verstanden hast. Für mich ist das, was du in deiner unsäglichen Art ein »archaisches Imponiergehabe« nennst, was Selbstverständliches gewesen. Ich hab dich in der »Ritze« an der Reeperbahn gesehen, als ich an dir vorbei zum Pissen gegangen bin. Dein rotes Wuschelhaar und deine schlauen Augen sind mir gleich aufgefallen. Du hast mit dem Wirt Hanne Kleine am Tisch gesessen und was in dein Blockbuch geschrieben. Irgendein Tonband hat da auch rumgestanden. Ich denk: »Da sitz ’ne Journalistin, der kann ich was erzählen, dass ihr der Mund aufklappt und der Stift aus der Patschhand fliegt.« Als ich vom Pissen zurückgekommen bin, hab ich an deinem Tisch angehalten und mich aufgebaut. Ohne dass ein Wort gefallen ist, hat Hanne den Rückzug angetreten, und ich hab auf seinem Platz gesessen. Nein, es ist dir gar nicht recht gewesen. Du hast Hanne zurückgewollt und ein bisschen pikiert gefragt: »Wer sind Sie denn?« – »Ein göttlicher Zuhälter.« Ich seh noch heute deine erschrockenen Kinderaugen vor mir, für ’nen Sekundenbruchteil hast du mich fassungslos angestarrt, dich aber schnell wieder eingekriegt und technisch wie ’n Profiboxer losgefragt. Aber herrlich naiv, wie jemand, der vom Innenleben im Rotlichtmilieu keine Ahnung hat, doch ehrlich bemüht ist, die Menschen in diesem wüsten Kosmos von St. Pauli zu verstehen. Ich hab viel gelacht über dich und du über mich. Du bist für mich aus Glas geworden, durchsichtig, und ganz wichtig.
Irgendwann in der Nacht hab ich dich gefragt, ob ich dich küssen darf. Du hast cool gesagt, dass so was nicht zum Interview dazugehört. Da hab ich dir in dein Buch diktiert: »Neugier und Leidenschaft sind die Quellen sexueller Potenz.« Wie bei ’nem Übergriff hab ich dir dann den Stift aus der Hand genommen und in dein Buch einen transparenten Würfel gemalt. Und gesagt: »Mal nach.« Ich hab wer weiß wie viele Frauen unter der Presse gehabt und mit vielen meinen Würfelversuch gemacht. Keine hat ihn bestanden. Transparente Würfel können sonst nur Männer zeichnen. Aber du, meine intellektuelle Prinzessin, du hast es gekonnt. Ich hab auch gemerkt, dass man mit dir im verbalen Bereich rumalbern kann wie sonst nur mit Männern. Und wir haben dann immer mal wieder zusammen gelacht.
Aber zwischen dir und mir ist was Fremdes geblieben. Prinzessin, wie kannst du Klassenunterschiede beschreiben? Ich hab einen souveränen Auftritt. Ich kann mich auf jedem Parkett benehmen, wenn mir danach ist. Ich hab keinen Gehfehler, wenn ich in Räume reinkomme, die schon belegt sind. Über die Jahre hab ich ’ne gewisse Aura gepflegt, wenn ich erschienen bin, und auch den Widerhall genossen. Heute übe ich ein bisschen persönliche Bescheidenheit und freu mich, wenn mir Respekt entgegengebracht wird. Aber egal, wo ich bin, meistens ist nach kurzer Zeit ’ne Traube Menschen um mich herum. Ich kann mich auch in ’ner mondänen Wolle wohl fühlen, aber irgendwie merk ich bald, das bin ja nicht ich. In deine Welt, Prinzessin, pass ich nicht rein. Da wo du wohnst, an der Alster, hab ich das Gefühl, dass mich die Leute lätschert angucken. Ich komm aus dem ärmsten Stadtteil Europas mit einem multikulturellen Gewusel. Da bin ich zu Hause.
Über die Grenzen hinweg ist aber doch zwischen dir und mir so was wie Vertrauen gewachsen, sonst wären wir ja nicht weitergerutscht. Du hast immer mehr gefragt, und ich hab dir immer mehr erzählt.