Als Lastwagenfahrer hatte ich die Schnauze restlos voll. Da wurde mir in der »Amigo Bar« ein Angebot gemacht, zu dem ich nicht mehr nein sagen konnte. Ich hab mir gedacht, ich setz mich doch nicht mehr auf den Kutschbock für 350 Mark die Woche. Wohl kam ’n kleiner Nebenverdienst dazu. Ich habe natürlich an den Paletten gemaust wie ein Hamster. Wenn die Fernfahrer die Paletten im Freihafen aufstapeln und da ist was geladen, zum Beispiel Underberg, dann baut man ein Loch, nimmt zwei Kisten Underberg mit nach Hause und kann die Verwandten ein bisschen bedienen. Das macht jeder Fernfahrer. Aber von der öden Fahrerei hatte ich die Schnauze voll. Willi aus der »Amigo Bar« kam wie ein Retter zu mir: »Wenn du Lust hast, kannst du am Wochenende bei mir arbeiten.«
Ich bin natürlich hin. Ich war ein junger Spund, sportlich durch und durch, ich war topfit. Heute ist Bodybuilder ein Begriff, den man fast ablehnt, weil es so viele gibt. Damals waren wir nur wenige. Ich kam gut an bei den Schwulen, Schwuchtern und Transvestiten. Ich habe in der Bar zum ersten Mal einen Riss gehabt von 150 Mark netto in der Nacht. Abends habe ich angefangen mit dem schwulen Publikum, und morgens um vier kamen die Weiber nach der Arbeit in den Puffs rein und haben 20 Mark Tip gegeben, auf den Oberschenkel drauf. Ich dachte: »Hier bist du richtig, mehr geht nicht.«
Ich hatte eine leere Zigarrenkiste, in der hab ich fast jeden Morgen, nach zehn oder zwölf Stunden in der »Amigo Bar«, 120, 150 Mark gebunkert. Hör mal zu, Prinzessin, als ich in die Ferne gefahren bin, da stand ich die ganze Woche von morgens bis abends unter einer Belastung, die kannst du in ’ner Pfeife rauchen, so stark ist die. Und auf einmal hast du das gleiche Geld in zwei Nächten und wirst auch noch poussiert. Als Kerl kriegst du einen Tip von ’ner Prostituierten. Ich war sehr stolz.
Schnell hatte ich meine ersten paar tausend Mark zusammen. Jeder junge Arsch hat sich damals an Autos orientiert, ich nicht. Ich wollte mich in ein Sportstudio einkaufen. Das war mein Ding, weil ich da drei oder vier Stunden am Tag verbracht habe.
Richard hat mich als Partner genommen, und dann war sein Sportstudio auch mein Sportstudio. Dort habe ich Bernd kennen gelernt, einen eleganten Hahn, durch den mein Leben wieder einen neuen Dreh bekommen hat. Er war ein paar Tage älter als ich. Wie ich kam er aus der DDR. Er hatte sich seine Papiere auf die Brust geklebt und war über die Elbe geschwommen. Mittlerweile hatte er es zum Geschäftsführer in einer noblen Reederei gebracht. Er fuhr einen 6,3 Liter-Mercedes, eine der schnellsten Limousinen der Welt, ausgestattet mit Autotelefon, das war gigantisch. Das Auto war so lang, dass Bernd drei Minuten brauchte, um es einzuparken. Ins Studio kam er immer mit Krawatte und edel angezogen. Er hatte einen riesigen geilen Body. Wir lagen im Wettbewerb mit der Körperstärke. Ich war anders stark, ich hätte ihn durch die Wand kloppen können. Er war massiger. Bewundert hab ich an ihm sein geschäftliches Know-how.
Irgendwann fragt er mich: »Hast du heute Abend Bock, mit mir ins ›Café Chérie‹ zu kommen?« Ich sagte: »Bernd, tu mir ’nen Gefallen, nicht das ›Café Chérie‹, das hab ich nicht auf der Kralle.«
Ich wusste, dass das »Chérie« ein Etablissement war im klassischen Stil, berühmt in der ganzen Republik. Draußen versprach die Leuchtschrift: »Sie kamen als Fremder und gehen als Freund.« Den Slogan kannte fast jeder Mann in der ganzen Stadt. Vor dem »Chérie« durfte kein Zuhälter seine Stussmutter abladen und mit seinem Auto protzen. Der musste schön um den Block fahren, und die Dame durfte alleine vortragen. Das war das Höchste an Edelprostitution.
Der Bernd hat nicht locker gelassen: »Nee, nee, mach dir mal keinen Kopf, das ist meine Welt. Geh mal mit rein. Das kostet dich alles nichts.« Eigentlich lächerlich, ich hab mich aufgerüstet wie bei meiner Konfirmation und bin komischerweise sehr souverän reingegangen. Viel roter Samt, Geglitzer von Messingkandelabern. Du hast das Gefühl, du kommst rein in eine Filmkulisse. Überall kleine runde Tische. Ungefähr 120 Personen. Jede Frau war in der Bereitschaft, als müsste sie gleich vor die Kamera, exquisit angezogen, Abendkleidung, die Haare und die Schminke top gestylt. Die Frauen saßen zu zweit oder sie saßen mit Gästen. Dann gehst du einen Gang von circa 30,40 Metern zur Bar und denkst: »Das ist der Garten Eden.« Vorne an der Bar bediente Mario, ein charmanter Typ. Italiener.
In der Situation war Bernd sehr hilflos. Ohne das große Auto war er schüchtern, irgendwie verklemmt. Indem ich ihm meine lockere Art überspielt habe, ist er aus sich rausgekommen. Er hat sich dann wie ein Scherenschnitt von mir verhalten, und ich hab den Dirigentenposten übernommen. Ich hatte natürlich das Fett nicht in der Tasche. Aber ich hatte ja nun mal das große F auf der Stirn: F heißt Freier, das ist der, der das Geld hat und die Souveränität. Mario, der Goldgräber, war fleißig, uns zu bedienen.
Dann kamen zwei bildhübsche Frauen, eine kleinere und eine größere. Die größere hatte einen fränkischen Dialekt, der mir gefallen hat. Sie hatte ein orangenes Abendkleid an mit Trägern, eine kleine, sehr sportliche Brust. Das Gesicht mit den ausgeprägten Wangenknochen erinnerte mich an meine Lehrerin, die Frau Fieger. Sie war nicht so, wie man sich eine Hure vorstellt. Vom Typ her war sie ein Model vom Feinsten. Sie hatte ein sehr schönes Lachen und die blauesten Augen, die ich bisher gesehen habe. Dunkle Locken. Ihre Bewegungen waren von aller Eleganz geprägt. Auch ihre Unterhaltung. Diese Dialoge, die ich von Prostituierten aus der »Amigo Bar« kannte: »Hey, bist du geil?«, die gab es nicht. Wenn jemand so gesprochen hätte, wäre das befremdend. Man versucht in so einem Moment, wenn einem etwas gefällt, sein Bestes zu geben. Ich unterlag einer Neugierde, ich hab ja mein Rückgrat blubbern gehört. Und jetzt bezahlt jemand für mich, eine Stunde Vögeln vielleicht für 400 Mark. Mir so was selbst zu spendieren, da wäre ich nicht drauf gekommen.
Bernd ohne Auto blühte durch mich auf. Er sagte: »Hier nimm das Geld, dann komme ich auch mit.« Wir blieben noch länger im »Chérie«, ich hab mich geziert, ich muss so ’ne Maus im Kopf haben. Ich mochte nicht schon nach ’ner halben Stunde abhauen und mit so ’ner Mutter auf den Turm gehen, sprich aufs Zimmer. Das wäre für mich tiefste Provinz gewesen. Bernd hat mir auch keinen Anstoß gegeben, lass uns abhauen oder so. Er wollte auch den Löwen raushängen lassen. Ich dachte, da machst du mit, das kostet eh nicht dein Geld. Ich konnte mir das gar nicht erlauben, schon gar nicht zwei Frauen. Wir kannten uns ja lange unter der Dusche, der Bernd und ich, durchs Studio. Wenn da zwei Bräute mit rumhopsen, das wäre uns am Rücken vorbeigelaufen.
Wir sind dann den Steindamm runter zum »Hotel Kruse« und hatten das Vergnügen zu viert auf dem großen Turm, das werde ich nie vergessen. Die beiden Frauen waren ja vertraut miteinander, vielleicht haben sie gedacht, wir gucken ein bisschen zu, wie sie rumschnäbeln, und dass wir uns vielleicht ein bisschen geil machen. Das war’s aber gar nicht. Ich spürte, dass eine unbeschreibliche Sympathie von der blauäugigen Dame kam. Sie bestand als Erste darauf, dass wir getrennte Zimmer nehmen. Da war ich natürlich aufgerufen. Das ging sogar so weit, dass wir nachts noch zusammen los sind. Ein Riesenerlebnis, auf einmal fährst du mit so ’ner göttlichen Hure vom »Café Chérie« in dein halbseidenes Sportstudio, und die macht da noch so ein paar Trizepsübungen und spricht im Dialekt. Wir waren eigentlich immer noch besoffen von dem, was passiert ist mit uns beiden. Verrückt. Reni hieß sie.
Wir sind dann zu mir in die Wohnung gegangen, das war wirklich die letzte Mottenhöhle. Da konntest du nur verrecken oder wie Charles Bukowski zu Ende gehen. Aber trotzdem hat sie mich das nicht merken lassen. In der Wohnung war ja nichts mehr. Nur das französische Ehebett war mir geblieben. Darauf haben wir unseren Sex ausgetobt. Noch und noch.
Danach hat sie mir erzählt, dass sie mit einem Zuhälter zusammen ist, dem Luden-Schorsch. Das war für mich natürlich eine neue Perspektive. Mir war sonnenklar, jetzt kannst du dich auf was gefasst machen. Aber mir war das auch scheißegal. Ohne zu wissen, was auf St. Pauli zwischen Miliern- und Nobistor für Gefahren lauern.
Um ’ne Frau aus dem »Café Chérie« zu kämpfen, das heißt auf dem Kiez: Krieg gegen Vietnam. Erstens verliert man ihn, weil man den Dschungel nicht durchschaut. Und zweitens verliert man ihn, weil die Frau jede Nacht 1500 Mark verdient. Andrerseits, das wusste ich damals noch nicht, das kann ich dir heute, Prinzessin, mit aller Sicherheit sagen: Eine Hure verliebt sich mit einem gewissen Profidenken. Mit Know-how. Also in einen, der dem Kampf insofern gewachsen ist, dass er ihn vielleicht doch gewinnt. Das soll auch so sein. Das ist Zuchtwahl wie im Tierreich.
Der Luden-Schorsch, der war für mich natürlich biblisch alt. Ich war 24, und der war um die 40. Der hatte einen großen cremefarbenen SL, nur Mercedes hat damals bei den Zuhältern gegolten, der Stern musste auf der Mütze sein.
Irgendwann musste Reni ja nach Hause. Luden-Schorsch war psychologisch ein Ass, er hat sie sofort gefragt: »So, so, wer ist es denn?«
Ein paar Tage später kam sie wieder zu mir, in Jeans. Es war nicht mehr so wie vorher zwischen uns, und ich sagte: »Was ist los, Reni? Du druckst rum mit mir. Du hast ein Problem.« Sie hatte kein zerklopptes Auge, das wäre für mich eine Motivation gewesen, gleich mit dem Hackebeil hinzufahren. Darum ging es nicht. Reni war völlig aufgelöst. Ich sollte 60000 Mark bezahlen für sie: Abstecke. Das Wort, das sie mir in ihrer fränkischen Art reinhustet, hab ich vorher nie gehört. 60 Mille Abstecke. So viel Geld hab ich vorher noch nie auf einem Haufen gesehen. Verdammt, ich bin doch nicht auf dem Sklavenmarkt, für mich ist das alles Neuland.
Schorsch hatte ihr gesagt: »Sag mal deinem Tarzan Bescheid, wir sitzen im ›Nobistor‹.« Das war damals ein Hotel, das gehörte einem Boxer, Europameister. Da saßen nur die Jungs rum im Foyer, also nur Zuhälter und Puffbesitzer. Du musst dir vorstellen, Prinzessin, wenn du als einigermaßen solides Kerlchen zum »Nobistor« bestellt wirst: »Du hast da meine Frau angebaggert«, dann scheißt du dir in die Hose vor Angst, oder schlimmer noch: Die Wurst kommt dir als Kupferbolzen aus den Rippen geschossen, so einem grausamen Druck unterliegst du, dass deine Fantasie Unmögliches mit dir anstellt.
Ich bin in mein Studio zum Training gegangen. Da liefen ja keine Seifenteddys rum, sondern toughe Kerle. Denen habe ich meine Situation geschildert. Mein Freund Ditschi sagte gleich: »Komm, lass uns anziehen, ich brauch das Training nicht, ich muss mal ein paar Zuhältern aufs Maul hauen, das gefällt mir.« Henk aus Holland, der konnte 200 Kilo drücken, war auch sofort dabei.
Dann sind wir da hingegangen, Henk, Ditschi und ich. Mich kennst du ja, Prinzessin, ich bin ein 100-Kilo-Mann. Henk kannst du noch mal 20 Kilo mehr geben. Nicht dass er aussah wie ein Monster, eher wie ein gepflegter Konfirmand, aber er hatte Arme wie ein Kesselflicker und war um die zwei Meter groß. Der Ditschi hat sich öfter in der Kneipe geprügelt, der hat keine Hemmschwellen gehabt. Beruflich waren sie beide relativ solide Menschen. Der Ditschi war Polier auf dem Bau, der Henk in der Werbung tätig, er war souverän.
Jetzt komm ich da rein ins »Nobistor« mit den beiden hinter mir und seh einen Pool-Billard-Tisch. Als Erstes sag ich: »Schiebt den vor die Tür. Ich will das Tor zu haben, dass hier keiner wegläuft.« Ditschi und Henk erledigen das sofort. Drei Mann sitzen beim Zocken. Einer am Tresen, der sagt: »Schorsch kann nicht.« Ich weiß gleich, wer Schorsch ist. Ich erkenn ihn an seiner geföhnten Haartolle und seiner affektierten Ludenkette. Ich lehn mich an dem Zockertisch zu ihm rüber: »Hier ist der Tarzan!« Jetzt sehe ich die Knie von Schorsch – als hätte er Popcorn zwischen den Eiern. Er zittert vor Angst. Die anderen vertiefen sich in ihre Karten. »Die sind irgendwie billig«, denke ich, »so einfach geht das, du musst nur Überzeugung rüberbringen. Es kann doch nicht angehen, dass sich auf einmal irgendein Lackaffe meldet, und ich muss den Arsch zuschnallen. Nee, Stefan, komm, da machen wir uns gerade!«
Ich mag Schwächeren nicht auf den Kopf hauen. Dass dem Schorsch die Karten nicht aus der Hand fallen, ist ein Meisterwerk. Seine Knie gehen jetzt wie ein Maschinengewehr. Ich sehe seine Scheißangst. Henk und Ditschi stehen wie römische Soldaten an der Tür. Konsequenz ist angesagt, kein halbseidener Vortrag. Nicht ums Verrecken, Prinzessin. Ich hätte Luden-Schorsch aufgefressen zu der Zeit. Ich war wie ein Kannibale vor lauter Liebe zu einer Hure.
Also, wir sind am Zug, hier ist euer Tarzan. Selbst der Europameister hat als Erfahrungswert erleben dürfen: Mit mir ist schlecht Kirschen essen. Ich sag zu Schorsch: »Was hast du für Probleme? Die 60 Mille kannst du dir fein in den Arsch stecken.« Ich bin bereit, ihm den Kopf wegzuknallen. Ich denke keine Sekunde an was anderes. Der merkt, dass er seine Karten behalten kann, aber nicht seine Frau. Nicht mal seine Freunde erklären sich solidarisch. Die sitzen zu dritt am Tisch und kuschen vor uns.
Genauso hätten uns drei Bauchschüsse passieren können. Die Frau hat so viel Geld verdient, da werden andere bewusstlos und fangen zu ballern an.
Nach dem Showdown sind wir raus. Reni wartete im Sportstudio auf mich. Ich sagte: »Es ist an der Zeit, dass du deine Sachen holst. Ich möchte nicht, dass du die Kinkerlitzchen am Body trägst, die er dir geschenkt hat. Das gehört ihm.« Da war sie relativ dankbar und hat von allem abgelassen, ob das nun bunte Kniestrümpfe waren, auf die er bestanden hatte, oder all das andere Zeug, was er mit ihr beim Schaufensterschnüffeln zusammengetragen hatte.
Eigentlich war der Schorsch ein netter Kerl, aber er war der Daddy und ich war in ihrem Alter, zwischen ihm und mir, da sind Welten gewesen
Wir sind nach Rahlstedt gefahren, Reni hat da in einem Hochhaus gewohnt. Die Wohnung gehörte Schorsch. Ich habe unten gewartet. Sie sollte sich ihre Rüstung rausholen, Klamotten und so weiter. Sie zog in meine Wohnung nach Wandsbek, in diese Puppenstube ohne alles, nur mit französischem Ehebett. Eigentlich haben wir da von morgens bis abends nur rumgevögelt. Ich hab sie geliebt. Es war ein berauschender, knallgeiler Sex.
Abends hab ich Reni ins »Café Chérie« gefahren, nicht direkt vor die Tür, das war nicht angesagt. Wenn sie zur Arbeit ging, wusste ich, was sie tun wird, weil ich am Anfang ja Freier bei ihr war. Irgendwann wächst, wenn sie weg ist, der Gedanke, vielleicht vögelt die mit ’nem anderen genauso rum. Nicht alle Freier sind hässlich oder haben Schuppen hinten auf dem Kragen. Andere ticken auch gut, sehen sehr ästhetisch aus und haben Geld. Mit dieser Herausforderung zu leben ist schon gigantisch. Das ist eine offene Wunde im Hals, die nie zuwächst.
Dass sie mit anderen Männern geschlafen hat, das habe ich verdrängt, Prinzessin. Guck mal, ich hab das Weib ja geliebt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was da abgeht. Ob man das wiedergeben kann, was man erlebt hat? Oder unterliegst du in deiner Fantasie den Gesetzen der Verlogenheit? Oder kannst du sie aufdecken? Ich hab mich besoffen rund um die Uhr. Ich hab das kaschiert, weggesteckt und hab sie morgens blöde gefickt, wenn sie von der Arbeit gekommen ist. Ich wollte besser sein als alle, mit denen sie zusammen war. Ich hatte gar keinen anderen Weg mehr. Das Geld kam so schmerzhaft schnell, 1200, 1500 Mark am Tag. Was denkst du, was da auf einmal in dir abgeht.
Ein Zuhälter wird nicht geboren, er wird gemacht.
Und auf einmal riechst du diesen Gummigeruch. Unausweichlich. Da kann sie reden: »Ich lass keinen Brustfick machen mit mir.« Der Talggeruch von Gummi zwischen den Titten von der Reni ist da, der ist trotz ihres Duschens nach der Arbeit nicht weg. Ich bin ja ein Geruchstyp seit der frühesten Kindheit. Dann nimmst du das wahr und bist mit ihr am Machen. Das kann man nicht schildern. Irgendwie macht es dich geil, das ist das, was ich seelische Vernarbung nenne, wo etwas aus dir herausgerissen wird. Ich hab das gerochen, das tat weh, und trotzdem war ich geil. Hätte ich denn noch mal mit ’ner Scheißhausbürste zwischen den Titten saubermachen sollen? Das wäre doch Verrat gewesen am Ganzen. Morgens war alles weg, aber das Geld war da, in der Schublade oder unter der Kaffeetasse. Wenn du morgens 1000 Mark findest, dann kann das ruhig ein bisschen nach Präser riechen. Da kannst du nicht noch Vorwürfe machen. Auf einmal stellst du fest, du bist auf ’nem Drehbahnhof und hast vielleicht ’ne Macke. Jeder andere würde seine Frau erschlagen. Du hast verwirrende Gefühle und eine merkwürdige Art von Stolz: Die Frau geht schick angezogen und hat drei bis fünf Freier gehabt und kommt zu dir und bringt Geld mit. Du bist ja nicht ohne Gefährdung. Da passiert ’ne Verwandlung. Auf ’ne simple Art fühlt man sich besser als die anderen Männer. Eigentlich geht das viel, viel tiefer in die Seele rein. Du bist das Alpha-Männchen. Das Ganze ist für ’nen Außenstehenden nichts weiter als gemein: »Deine Frau für Geld ficken lassen und dann auch noch sagen, dass du sie liebst. Du bist ein Scharlatan. Du bist ein Wichser.«
Aber ich hab ja ’ne ganz andere Schule mitgemacht und erst von der einen geliebten Hure und dann von vielen anderen Huren eine Menge Erfahrungswerte über Männer sammeln dürfen, die ihre Bilderchen von ihren Frauen und Kindern zeigen und sich die Eier abbinden lassen. Also hab ich ’ne Trennschärfe zu denen entwickelt. Die schwulen Geschichten hab ich gefressen, also aufgesaugt. Der Heilungsprozess, um das zu verarbeiten, war die Kohle. Und so hat sich das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden.
Manchmal stell ich mir heute die Frage: Was war eigentlich los, Hentschel? Was hat dich geiler gemacht, dass sie dir einen Sack voll Geld nach Hause gebracht hat oder sie selbst? Natürlich war ich in sie verliebt. Oder auch in ihren erotischen Klappkoffer von Louis Vuitton? Da hat sie das Geld reingelegt, und ich konnte da reingreifen wie in ein Wurschtbündel und mir einen schönen Tag machen.
Man kann ja auch sagen, man hat perfide reagiert. Ich war gar nicht in der Bereitschaft, ein Zuhälter zu werden. Sie hat mich zum Lodel gemacht. Ich habe einfach nur gedacht: Du bringst das alles unter einen Hut und benimmst dich ein bisschen anständig. Du respektierst die Selbstständigkeit von der Frau, und du respektierst sie wiederum nicht. Der Mann ist für eine sich prostituierende Frau sehr wichtig. Von dem zusammengefickten Geld kauft man ihr zu Weihnachten ’ne Rolex, und die freut sich wie ein Kind.
Was sie an mir hatte? Sie war glashart verknallt, und ich hab ihr vermittelt, dass sie gut drauf ist. Wir haben beide Grübchen und uns totgelacht. Für Reni war ich was anderes als ihr zweiundvierzigjähriger Lodel, ich unterlag noch nicht dem eiskalten Atem, ich war unverbraucht und blauäugig, ein Neuer im verschissenen Spiel, ein Schmuckstück. Das brachte ihr Status. Sie stand da als eine, die keinen Mann mehr zur Anleitung brauchte. Sie konnte sich einen erwählen, mit dem sie Spaß hatte. Sie steigerte sozusagen ihren Luxus. Trotzdem konnte ich ihr durch meine Stärke den Schutz geben, den sie brauchte, mehr das Gefühl von Schutz, ich musste ja nicht wirklich einschreiten. Sie hat meinen Body gern angefasst. Ich hab ihr Bild von einem Kerl voll erfüllt. Sie hat gern mit mir im Kreis ihrer Freundinnen angegeben: Er hat mich den ganzen Tag nicht aus dem Bett rausgelassen und mir das Gehirn aus der Birne getickt. Unter Huren ist Sex ein ganz wichtiges Thema, und Reni hatte viel zu bieten. Wir hatten eine gigantische Abfahrt nach der anderen. Zwischen uns stimmte es, wir passten zusammen, auch äußerlich. Wir waren ein tolles Paar.
Natürlich wollte mich Reni nur in gutem Tuch sehen, vom Hemd drei Knöpfe offen. Sehr wichtig war für sie, dass ich mir einen BMW 2,8 gekauft habe, in Weiß mit schwarzen Ledersitzen. Darin hab ich immer auf sie gewartet, bis morgens um vier. Und wir sind dann ins »City Treff« gegangen, Spaghetti essen. Dann hat sie mir die Kuppe gegeben, sprich das Geld, 1500 Mark und sagt: »Das war schlecht.« Was meinst du, was da für ein Film abgegangen ist. Ich denk mir, du hast die Welt nicht verstanden. Ich bin für 350 Mark die Woche LKW gefahren. Da geht in deinem Kopf ’ne Revolution ab. Du bist so ein junger Hahn und kriegst 1500 pro Tag oder 1600. Wenn es schlecht lief, durfte ich sie noch nicht abholen, sie wollte noch 1500 voll machen. Oft sind wir morgens danach auf die Reeperbahn gegangen und haben abgetanzt und wieder gesoffen.
In meinem verschlurften Puppenhaus wollte ich mit der Reni keine Sekunde länger wohnen. Wir haben uns eine Eigentumswohnung in Rahlstedt gekauft. Aber der Spaß hat nicht lange gedauert. Wir kamen erst morgens nach Hause und waren gut drauf. Die Nachbarn haben sich zusammengetan, weil sie uns beim Ficken zuhören mussten durch das offene Fenster. Einmal guck ich durch den Spion und seh die ganze Schar der Hausbewohner. Peinlicher konnte es nicht sein. Die hatten ja auch Kinder. Wir haben beide gelacht und das Fenster zugemacht. Das hat aber nichts genützt. Die haben uns schließlich doch rausgeekelt.
Wir haben dann auf ganz wichtig gemacht und sind wie die Landlords an den Stadtrand gezogen: in ein Anwesen mit Terrasse, wo vierzig Sambatänzer hätten rumhopsen können. Reni hat das große Haus in Altenglisch eingerichtet. Stilempfinden hatte sie ja.
Um meinem Vater zu zeigen, dass man es auch ohne große Leistung in Mathematik zu was bringen konnte, hab ich meine Eltern eingeladen. Sie waren von dem Haus und von Reni sehr beeindruckt. Für meine Eltern war Reni in der Kosmetikbranche tätig. Was die wirklich machte, bei ihrer Eleganz in der Aufmachung und der Redeweise, da wären meine Eltern nicht im Traum drauf gekommen.
Fast jedes Wochenende haben Reni oder ich meine Omi abgeholt. Sie hat wie ein Zinnsoldat am Gartentor gestanden und sich riesig auf uns gefreut. Meistens haben Omi und Reni mit viel Gezwitscher und Gelache zusammen gekocht: Die sächsische und fränkische Küche haben sich geknutscht. Und ich genieß in vollen Zügen die grünen Klöße von Omi und die kinderkopfgroßen Speckknödel von Reni. Allein die köstlichen Gerüche haben mich schon meschugge gemacht. Ich hab mich gefühlt wie Graf Koks im englischen Esszimmer mit weißem Tischtuch.
Ich hab nicht auf der faulen Haut gelegen und gewartet, dass die Reni das Geld reinbringt. Der Bernd, der elegante Hahn, der mir meine geliebte Hure das erste Mal bezahlt hatte, machte mich zu seinem Geschäftsführer im »Mic Mac«. Das war die ultimative geschäftliche Nebenidee von diesem hochkarätigen Reederei-Manager: ein Nightclub, in dem sich die feine und die schräge Welt mischen sollten. Und da mischte sich was auf Deibel komm raus. Da kreuzten erfolgreiche Typen aus der Wirtschaft und der Werbung auf, da stellte die Creme der Jungs von St. Pauli und St. Georg ihr Geschmeide aus, die hatten ja noch Fett in der Tasche und waren keine Hungerhaken wie die heute sind. Die Boxpromotion war vertreten und die Musikbranche, Presseleute hingen rum und machten sich wichtig mit ihren News, der Sprecher der Tagesschau war live zu sehen; er aß immer Scampis und trank Wodka-Lemon. Morgens um vier knallte die andere Abteilung rein, die Huren aus den Edel-Etablissements und die Zocker vom Steindamm sagten Guten Tag. Mehr ging nicht. Mittendrin machte ich den Zampano.
Wenn Wilfrid Schulz reinkam: Das war, als wenn das Vakuum erst mal rausgezogen wird und er füllt den luftleeren Raum, mit den Vasallen um ihn herum. Dakota-Uwe, ein kerniger knallharter Typ, war seine rechte Hand. Seinen Schatten gab der Perser-König, eine orientalische Spielernatur. Wilfrid Schulz hatte eine Aura, absolut. Von der Presse wurde er als Pate hochgejaucht. Ich wusste, dass er richtungweisend war, wenn man auf St. Pauli ’nen Tannenbaum verkaufen oder ’ne Strohhütte aufmachen wollte. Dann sollte man sich tunlichst über seine Connections an ihn wenden. Wenn nicht, konnte das ungut enden. Wilfrid Schulz, man nannte ihn »Frieda«, war eine lebende Legende. Gegen ihn, das wusste man, liefen zwei Dutzend Ermittlungsverfahren, und alle wurden eingestellt. In St. Pauli war er der absolute King. In St. Georg hatte er seine Perle, das »Café Chérie«.
Ohne Reni hätte ich keine Möglichkeit gehabt, den Paten kennen zu lernen. Ich konnte ja nicht bei dem klingeln und sagen: »Ich arbeite bei der Post und möchte mit Ihnen ein Geschäft machen.« Ich wollte ihn unbedingt treffen, seit ich auf einer Boxveranstaltung war. Auf den Plakaten stand als Promoter Wilfrid Schulz. Ich hab natürlich die Dame aus dem »Chérie« mitgenommen und in der zweiten Reihe zwischen der Prominenz rumgelungert. Als Zuschauer bei den Kämpfen hab ich den Mut gefasst: Das trau ich mir auch zu. Also hab ich gedacht, geh mal zu Wilfrid Schulz. Das lief dann über Reni. Sie kam ganz locker zurück: »Ja, morgen.«
Am nächsten Abend bin ich in das »Chérie«. Wenn du ein Date mit Frieda hast und gehst durch das Café und siehst die 120 toll angezogenen Frauen in Abendkleidern und du gehst runter zum Chef: Also, dass der da keine Frittenbude hat, das ist doch klar, Prinzessin. Der empfängt mit der passenden Vorhut vor seinem Thron. Da saß der dicke Fritz, der Boxmanager. Der hatte den einen oder anderen Europameister gemacht. Außerdem gehörte ihm neben dem »Café Chérie« ein Pelzgeschäft. Der andere, Theo, war Boxpräsident; der hieß damals Goldfinger, weil er an jedem Finger so ’nen Sarg hatte, also ’nen Ring. Ich hatte einen erdbeerrosafarbenen Pullover an, auch das passende Sakko, für 96 Mark von C&A, und wollte vor seiner Eleganz fast in den Boden versinken. So stand ich vor dem Gentleman. Er war in jeder Hinsicht die Umkehrung von meinem Vater, bei dem mir immer verhasst war, dass er schmutzige Hände hatte. Mein Vater war ein Nichts. Da war ein Jemand. Ich konnte ihm den nötigen Respekt erweisen. Dass er so ’nem jungen Spund wie mir die Hand zu geben bereit war: Das war schon was.
Ich bin ziemlich unbelastet in die Boxangelegenheit reingegangen. Naiv irgendwie. »Ich trau mir das auch zu.« Das muss ihm gefallen haben. Er hat mir das Du angeboten. Wir haben uns in erlesener Höflichkeit unterhalten.
Ich hab dann angefangen, in einer Boxhalle von Wilfrid Schulz zu trainieren, zusammen mit fünf anderen Boxern. Über ein Jahr lang. In meinem Sportstudio hab ich nicht mehr trainiert. Als ich die Welt von Schulz geschmeckt hab, ist mir die Lust vergangen, in meinem Ding den Chef raushängen zu lassen mit dem Wissen, dass damit kein Reibach zu machen ist. Schon deshalb nicht, weil meine Freunde und die Freundesfreunde ihre Körperkultur für lau kriegten, also ohne groß dafür zu bezahlen. Als ich mich nicht mehr so richtig um das Sportstudio gekümmert hab, hat es sich wie triefender Honig verlaufen. Die Restblase hab ich meinem Partner überlassen.
Als ich mal Karten für ’nen Boxkampf besorgen wollte, war der Vorverkauf in der »Ritze« an der Reeperbahn. Da betrat ich zum ersten Mal die Kneipe, die heute Museumscharakter hat. Die wurde damals in der Freiertoilette vom »Palais d’amour«, dem neu gebauten Großbordell, eingerichtet, weil sich herausgestellt hatte, dass die Freier sich nicht auspissen, sondern Mut ansaufen wollten. Das Witzige war, dass die »Ritze« als vielleicht einzige Kneipe der Republik genehmigt wurde, die keine Fenster hatte. So was würde heute bei keinem Ordnungsamt mehr durchgehen.
Die »Ritze« hatte damals schon die gespreizten Beine am Eingang, eigentlich ein toller Einfall von dem Kiez-Rubens Erwin Ross. Die Beine hatte er mit Nylonnetzstrümpfen gemalt, abgesetzt vom Fleisch mit Ziergummi, und natürlich Stöckelschuhen. Die Tür ist die Ritze oder Muschi oder Fotze oder Fickfrosch. Du gehst durch die Ritze rein, und dann durch den Schlauch.
An diesem Abend war es brechend voll. Ich erkannte sofort eine Anzahl der Leute und die unterschiedlichen Dialoge: Stuttgarter Milieu, Düsseldorfer Raum… Der Wirt Hanne Kleine, ein Schützling des so genannten Paten, stand in einem hellen Anzug hinterm Tresen und nahm mich natürlich in keiner Weise wahr. Monate später, als ich mich in »Charlys Nightclub« mit Catcher Joe prügelte und ich den unter mich gebracht hatte, da nahm mich Hanne von dem weg und hob mich auf. Sein erster Satz zu mir war: »Du wirst mal ’n Großer.«
Hanne ist 16 Jahre älter als ich, biologisch fast ’ne Vaterfigur für mich. Seine »Ritze« wurde für mich wie ein zweites Wohnzimmer. Vorne in der Kneipe saß das »normale« Publikum und guckte sich die Fickfilme an. Und hinten, da war ein Vorhang, der war immer zugezogen: Der »Eiserne Vorhang«, der heute nicht mehr da ist. Als es den noch gab, waren wir dahinter unter uns. Da kam nicht irgend so’n Hufschmied oder ’n Patient nach hinten und bestellte ein Bier. Wenn wir in Lust und Laune waren, ließen wir auch mal ’nen soliden Appel nach hinten. Aber sonst waren wir dort nur unter uns: Zuhälter, Puffbosse, andere Kneipenbesitzer. Die »Ritze« war ein Dreh- und Angelpunkt. Und Wilfrid Schulz hielt die Hände darüber. Er brachte Hanne sogar die Buchhaltung bei.
Noch einmal hab ich um Audienz bei Wilfrid gebeten, in der Angelegenheit von Erichs Pension. Die meisten Mädchen vom »Café Chérie« gingen mit den Freiern zu Erich. Der war schon 63, hat mich reingeholt in seinen Puff, als Geschäftsführer. Ich hab da nicht viel mehr gemacht als mich in Stoßzeiten kurz blicken zu lassen und mit meinen Muskeln zu imponieren. Dafür hab ich ’n paar Mark gekriegt. Dann hat er mir den Vorschlag gemacht, Partner zu werden. Was ich allerdings nicht wusste, aber schließlich als Gerücht hörte: Wilfrid Schulz wollte mit einem Kompagnon gegenüber dem »Chérie« ein Hotel bauen. Nur dort sollten dann alle »Chérie«-Mädchen absteigen. Somit war die Pension, in der ich jetzt Partner werden sollte, hinfällig. Als mich Schulz empfängt, sag ich ihm: »Ich hatte vor, bei Erich in den Puff einzusteigen. Ich hab erfahren, dass du mit einem Freund ein Hotel bauen willst.« Da lehnt er sich zurück und lacht und sagt: »Ich geb dir ’nen Favour.« Er hat ab und zu auf Englisch rumgesülzt. Und er sagt: »Lass es, vergiss es.« Er gibt mir ein Briefkuvert. Darin waren 20 000 Mark in bar. Damit war die Sache zu Ende.
Wofür ich das Geld gekriegt habe? Nun ja, er hat mir ’ne Chance versaut, er mochte mich, er wollte mich nicht verletzen. 20 000 waren zu der Zeit für ihn, als würden ihm fünf Mark aus der Hose kullern. So ’ne Summe war für ihn gar kein Thema. Und ich war 20 Mille reicher. Du kannst dir vorstellen, Prinzessin, aus welcher Perspektive ich Wilfrid gesehen hab.
Später, als die Steuer bei ihm eingeflogen ist, die Sektkorken gezählt und jeden Pissgroschen umgedreht hat, ist natürlich auch dieses Dokument aufgetaucht. Deswegen mussten meine 20 000 nachversteuert werden. Ich bin auch angewichst worden durch die Steuerfahndung.
Als ich noch angeturnt von den 20 Mille gewesen bin, also vor der Sache mit der Steuerfahndung, sind Reni und ich an die Ostsee nach Scharbeutz gefahren. Dort haben wir gefrühstückt und uns in einen Strandkorb gesetzt. Der ganze Tag war schön, wir haben uns gut verstanden. Abends sind wir zurückgefahren, und ich hab die Dame um 20 Uhr zum »Café Chérie« gefahren, mit meinem BMW. Manchmal hab ich, wenn ich gut drauf war, direkt vor dem Eingang auf die Bremse gelatscht, das war überhaupt nicht angesagt. Darum hab ich mich aber nicht gekümmert und Reni bei dem Portier abgegeben und ihm dann zugewinkt. Danach häng ich noch ein bisschen im Stau rum und denke: »Scheiße, Stefan, dieser Tag war so affengeil.« Fahr einmal um den Block herum, halte wieder vorm »Café Chérie« und geh zum Portier: »Sag mal Jutta Bescheid.« Reni hieß Jutta im »Chérie«. Er sagt: »Die ist mit ’nem Gast weg.« Ich spür in mir tausend Nadelstiche. Ich bin maximal sieben Minuten weggewesen. Da hab ich mich gegenüber in die Parkreihe gestellt und hab gewartet, wie lange das mit dem Gast wohl dauert. Sie kommt nicht. Mir ist eine Luftblase aufgegangen. So ein Hass. Ich wusste schon bei dem Türsteher, dass er mich belügt. Den hätte ich am liebsten mit einem Samuraischwert enthauptet, ich wusste aber, dass er das mir zuliebe macht. Ich bin dann durch vier oder fünf Discotheken gezogen, überall hab ich reingeguckt und sie gesucht. Völlig klitschnass war ich. Der Tag war so schön gewesen, und ich war so abgewichst. Den Bruchteil einer Sekunde hatte ich, als ich sie abgab am »Chérie«, gedacht: »Nee, nee, den Tag machen wir rund.« Es war zu spät, ich hätte sie da nicht hinbringen sollen.
Was ich erst später erfahren hab: Sie ist zu diesem Zeitpunkt mit ihrer Freundin um den Block gegangen, also in alle möglichen Lokalitäten. Was ich mit ihr vorhatte, hat sie mit ihrer Freundin gemacht.
Natürlich ist sie schulmäßig wieder um vier Uhr morgens im »Café Chérie« aufgetaucht: »Göttin Shiva hat heute kein Geld gehabt. Nichts verdient.« Ich hatte sie stundenlang in Hamburgs Discotheken gesucht und nicht gefunden. Und jetzt kommt sie aus dem »Chérie« und macht den Platzwart vor mir. Das ging überhaupt nicht. Für mich war das Betrug. Natürlich war ich nicht in der Lage, mir morgens um vier in ’ner besoffenen Phase klar zu machen: Heute ist absolut Schwanz, es geht nichts mehr. Mir stießen Luden-Schorsch und seine Kumpel auf, diese Arschlöcher, die ich beim Kartenspielen gesehen hatte, diese Mistböcke, die die tollen Frauen besessen haben. Den Pennern hätte ich keinen Groschen bezahlt. Und jetzt werde ich behandelt wie ein Penner. Ich wollte nicht vorgeführt werden. Ich war mehr als voller Hass, und nicht nur geistig bewaffnet.
Ich hatte eine Pistole. Die hatte ich vom Geschäftsführer im »Club 88« für ungefähr 600 Mark gekauft: ein Kopfkissen, das wärmer ist als ein normales, wenn du sie drunter hattest. Obwohl ich sie gar nicht nötig hatte. Zu der Zeit waren Pistolen auf dem Kiez noch nicht gefragt. Für mich war die Waffe wie ein verlängerter Schwanz: ziemlich dusselig, wie ich heute sagen muss. Ich hab damals wie in »Miami Vice« die Weste aufgemacht und den Knauf sehen lassen. Irgendwie ist das als ganz witzig angekommen. Das hat man unter Freunden gemacht oder in geschlossenen Räumen, nicht in der Öffentlichkeit. Meistens hat die Pistole in meinem Autohandschuhfach gelegen. Als Geschäftsführer im »Mic Mac« habe ich die nie getragen.
An diesem Tag, als Reni mich belog, habe ich in meiner Wut versucht, Gewalt auszuüben. Während der Fahrt nach Hause habe ich die Waffe aus dem Handschuhfach genommen und gesagt: »Was denkst du, was ich mit dir vorhabe? Das machst du nur einmal mit mir.« Da hat sie sich aus dem Auto geschmissen, sich wie ein Gl abgerollt. Das wollte ich alles gar nicht. Ich wollte sie sowieso nie erschießen, um Gottes willen. Ich bin dann zurückgefahren und hab die Alte nicht mehr gefunden, ums Verrecken nicht. Sie war weg von der Chaussee. Sie muss irgendwo Schutz gesucht haben im Graben. Mit ihrem Nerzmantel lag die bis zu den Knien tief in der Jauche. Der muss gestunken haben wie ein Rammelbiber. Sie hat ja gedacht, es geht um ihr Leben. Ich hab ihr das auch so verkauft, wie Gustaf Gründgens im Film, nur dass ich der Darsteller war.
An dem Tag hab ich sie nicht mehr gefunden. Ich habe mich über mich selbst geschämt.
Am nächsten Tag kam das Telefonat von ihrer Freundin: »Reni hat bei mir geschlafen. Stefan, versteh das alles richtig und nicht falsch. Sie hatte höllische Angst vor dir.« Ich hab sie gebeten, nach Hause zu kommen. Ich hatte nur das Bedürfnis, nicht alleine rumzulatschen. Und sie kam nach Hause. Es gab den Versöhnungseffekt. Man sagt sich in so einem Moment viele Worte, die ganz schnell verpufft sind. Man ist leer wie ’ne Gießkanne. Dann hast du die Möglichkeit, wieder Luft zu kriegen, und lässt das nicht aus deinem Body raus, was passiert ist. Das zerfrisst dich. Dann merkst du auf einmal, dass du einen falschen Weg gehst. Später fängst du an, es zu genießen, bei diesem Wettbewerb Geld zu verdienen. Irgendwann interessieren dich andere Frauen.
Sogar ihre Freundin aus dem »Chérie«. Wenn die in ihrer Freizeit zu Hause geduscht hatte, die hatte ein Haus mit Garten, lief sie halb nackt rum. Komischerweise unterlag ich damals noch einer Aufrichtigkeit, keiner Scheißsensibilität. Ich hab mit ihrer Freundin nichts gemacht. Doch irgendwann kommt man dahin, was mit anderen Frauen anzufangen. Du wirst als Mann schon gerne rumgereicht. Das Schlimmste, was dir passieren kann, ist, dass man im Nachhinein schlecht über dich spricht. Männer empfinden das von Haus aus schlimmer als Weiber. Frauen können, wenn du gut mit ihnen umgegangen bist, über dich als Weichei lachen. Das kann dich kaputtmachen.
Die Edelhuren haben zu meiner Zeit Prinzen aufleben lassen und sie auch genauso zum Sterben gebracht. Sie haben ihr Geld den Kerlen gegeben und haben sie hochfeiern lassen. Wenn eine Frau merkt, dass er neben ihr noch vier oder fünf andere Frauen zu sich kommen lässt, gibt es Konfrontationen, bei denen du irgendwelche Wurfpfeile in deine Leber kriegst. Hundertprozentig. Man konnte sich nicht ohne Strafe wie ein Gockel gebärden, dann kam ’ne Degradierung. Ich hab’s trotzdem gemacht.
Mit Reni ging es weiter wie in einer beschissenen Ehe, mal gut, mal schlecht, sieben Jahre lang.
Wenn ich Reni abends abgesetzt hatte, wurde ich immer mehr wie ’ne Ratte. Und damit ich es werden konnte, hab ich mir die Bedingungen geschaffen und die Wohnung über dem »Mic Mac« übernommen. Ich habe so oft gesoffen und morgens nicht mehr weggekonnt. Meine Hochrechnung: Jeden Tag ’ne Taxe bis nach Hause, das sind 60 Mark. Deswegen hab ich die Hütte genommen. Das hat sich ausgezahlt.
Erst recht, als ich Josefa kennen lernte. Sie kam mit ihrer Freundin als Gast ins »Mic Mac«. Wenn du die gesehen hättest, dann brauchtest du eins und eins nur zusammenzählen. Sie hat Katzenaugen und sie hat Zähne gehabt, du dachtest, die beißt ’nen Kotelettknochen durch. Riesengroße weiße Zähne, davor konnte man Angst kriegen. Rabenschwarze Haare. Über die Figur brauche ich nicht sprechen, perfekter geht’s nicht mehr. Ein göttlicher Arsch. Vom Temperament hat sie immer den vierten Gang drin gehabt. Ich war ja jung, ich sah gut aus, ich hab mein Ding gemacht: Du hast ’ne Frau im »Café Chérie«, die liebst du. Du hast oben ’ne Absteige, in der steht nur ein Gummibaum und ’ne Rammelwiese, ein ideales Stoßkabinett für mich. Und da kommt Josefa. Als ich sie seh, werd ich vom Flammenwerfer im Arsch getroffen.
Zum Sex mit ihr brauchte man ’nen Helm. Alle waren geil auf Josefa. Der Pate hat sie für ’nen Tausender zu sich nach Hause kommen lassen. Der Perser-König war verliebt in sie.
Josefa war Portugiesin und ganz anders gelagert als die heimischen Huren. Aus der Hafenstadt Porto kam die. Ganz am Anfang hat die hier geputzt, ohne Aufenthaltsgenehmigung, und ganz schnell gerochen, wie das hier abgeht auf dem Kiez. Sie arbeitete im »Café Lausen« an der Reeperbahn. Das war auch ein Edelbordell, in dem Abendroben angesagt waren. Nein, bei Josefa gab’s kein Geld. Sie wurde von den Luden mit Respekt gemieden. Über Josefa wurde gesagt: Die bezahlt an keinen Jungen Geld. Das war der Slogan. Insider warnten mich: »Stefan, das brauchst du gar nicht probieren.« Mich hat das geil und heiß gemacht, dass sie kein Geld raustat und dass sie so fantastisch aussah.
Josefa hat in der Palmaille, nicht weit von der Reeperbahn, in einem Hochhaus gewohnt, 22. Etage. Sonntags bin ich dorthin, weil sie tierisch gut kochen konnte. Ich hab meinen Hund mitgenommen, Eros, einen Dobermann. Offiziell war ich für Reni im Dobermann-Verein. Josefa und ich sind mit dem Hund im Jenisch Park spazieren gegangen, dann hat sie gekocht für mich, meistens Ochsenbein mit Reis. Ich hab mich voll gefressen und bin zu mir nach Hause gefahren, zu Reni.
Dann hab ich den Tick mit dem Geld entdeckt. Eines Sonntags hatte ich mit Josefa Streit, da hab ich ihre blöde Pisstasche aufgemacht, ihre Handtasche. Da waren vielleicht 1200 Mark drin. Die Hälfte hab ich mir gleich rausgezogen: »Pass auf, ich wünsch dir noch ’nen schönen Sonntag, das ist der Tag des Herrn, und ich möchte nicht angerufen werden.« Weg war ich. Irgendwie war ich enttäuscht, dass ich keine Resonanz hatte. Nicht sauer, ich war froh, aber mir fehlte doch ihre Gegenwehr. Ich habe dann begriffen, wie sie tickt. Die hat nie was freiwillig hingelegt. Man musste es sich nehmen. Kein Vortrag. Nicht fordern: »Gib mir Geld.« Oder ihr an die Kehle gehen. Nicht mit der Arroganz der Schläger arbeiten, die es damals zur Genüge gab. Ich bin ganz einfach an ihre Pisstasche gegangen. Das war der Schlüssel zur Tür. Das war der erste Schritt. Man musste sich ihr Geld ganz einfach nehmen.
Wenn ich dann wieder bei ihr oben war und die von der Maloche kam, hab ich mir die Kohle rausgenommen, die ich brauchte. Aber nicht so viel, dass sie gejammert hat: »Ich brauch noch Miete, ich brauch noch dies und jenes.« Ich hab so viel drin gelassen, dass ich nie irgendwas gehört hab.
Jetzt hatte ich also zwei Huren. Ich konnte das aber ganz gut handeln, weil Reni ihr Revier in St. Georg hatte und Josefa ihres in St. Pauli. Ich hab das einigermaßen koordiniert und meinen Bewegungsradius etwas weiter auf den Kiez verlegt. Manchmal hab ich Josefa aus dem »Café Lausen« rausgeholt. Das hätte sich sonst keiner erlaubt. Jeden anderen hätten die Aufpasser geschlachtet. Es hat sich aber keiner gegen mich gestellt, ich war einfach zu stark. Ich bin dann mit Josefa in den »Club 88« oder ins »Sheila« zum Tanzen gegangen und hab die Sau rausgelassen. Von da war es natürlich näher, zur Palmaille in ihre Wohnung zu fahren. Zwischen ihren Beinen hab ich rumgelungert bis zum nächsten Tag.
Dann kam das Drama, als ich Josefa sagen musste, ich fahr mit ’ner anderen in Urlaub nach Italien, mit Reni, die ich noch immer geliebt habe. Da hat Josefa sich an meine Beine geklammert, ich bin mit ihr an den Beinen zum Fahrstuhl gegangen, hab mit meiner Lederjacke den Fahrstuhl blockiert, hab sie wieder Richtung Wohnung geschleift, mich gelöst und bin zum Fahrstuhl gerannt und runter. Als ich unten auf der Palmaille zu meinem Auto gehe, steht sie oben auf der Brüstung und schreit: »Stefan!« Alle auf dem Parkplatz gucken nach oben, 22. Stock, ich guck mit hoch, die sagen: »Wer ist denn hier Stefan? Die springt jetzt.« Ich habe Angst, ich hör sie schon aufklatschen. Ich steh da schweißgebadet. Doch sie geht von selber wieder rein, und ich fahr los.
Dann war ich mit Reni im Urlaub, hab ein schlechtes Gewissen gehabt und Josefa angerufen. Sie erzählt mir den Scheiß, sie hätte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Da war der Urlaub natürlich gelaufen.
Wenn Reni gegen vier, halb fünf ins »Mic Mac« kam, hab ich sie beschnäbelt: »Hallo, mein Schatz.« Dass Josefa auch da war, hab ich kaschiert, und sie hat sich aus meinem Blickwinkel zurückgezogen. Ich hab mich dann ein bisschen mit Reni beschäftigt und gesagt: »Ich komm in zwei Stunden nach Hause.«
Bis es irgendwann gebrezelt hat. Auf längere Zeit geht so ein Doppelspiel überhaupt nicht. Morgens um halb fünf kommt Josefa, und in dem Moment, als ich sie begrüße, kommt Reni und sieht, wie ich die andere im Arm halte, die sie schon lange im Verdacht hatte. Frauen spüren ja so was. Die Josefa war ja nicht da, weil sie mir nur durch meine Locken streicheln wollte. Um die Zeit waren wir alle drei ziemlich alkoholisiert. Die beiden Mädels sind zusammengerasselt und haben sich geschlagen. Das war furchtbar für mich. Die meisten Schmerzen dabei habe ich ausgehalten. Ich hab gesehen, wie Josefa die Reni an den Haaren hatte und bin dazwischen. Josefa hat mir in den Daumen gebissen. Ich hab geschrien: »Hör auf, ich bring dich um!« Die hat nicht aufgehört. Einem Pitbull kann man das Maul nur mit ’nem Hebel aufmachen – dasselbe in Grün war Josefa. Die hat so heftig zugebissen, dass mir der Nagel nach vier Wochen abgefallen ist.
Mit Reni war danach natürlich Eiszeit angesagt. »Du hast mich beschissen, belogen, du linker Kerl.« Ist ja auch verständlich.
Josefa hat mich mit ihren Erpressungen genervt. Als ich zu ihr gesagt hab: »Hau ab, ich will mit dir Schluss machen, du Stussmutter, ich hab keinen Bock mehr auf dich!«, ist die auf die Reeperbahn gegangen, im Winter, hat ihren Pelzmantel, ’nen hellen Luchs, weggeschmissen und sich vors Auto geworfen. Ich hab sie wieder zugedeckt und die Erpressung beiseite geschoben.
Einmal hab ich im »Mic Mac« mit ’ner blonden Frau ganz cool getanzt. Die Tanzfläche war so klein wie ’ne Telefonzelle. Ich schmieg mich an, und wir besprechen gerade locker den Heimweg. Da seh ich Josefa kommen, die haut gleich in die Küche ab, hinter einen Vorhang. Ich dachte, sie telefoniert, weil der Automat da hing. Ich wusste ja nicht, dass sie ein Brotmesser holt. Da wichst die mir mit diesem Brotmesser die Fingerkuppe ab, die hing nur noch an ’n paar Fäden, und vorne pisst das Blut raus. Na Hilfe, Nachbarn. Da hab ich mich festgekrallt und ihr einen Fußtritt gegeben, damit sie mich in Ruhe lässt und weggeht. Ich denk ja, sie hat mich zum Krüppel gemacht. Mir wird ein Handtuch um die Hand gebunden und ein Taxi bestellt. Josefa ist mitgefahren, die hat sich nicht abschütteln, die hat sich nichts gefallen lassen. Die hat geweint: »Was hab ich dir angetan, mein Bandito.«
Die Fingerkuppe ist mir im St.-Georg-Krankenhaus wieder angenäht worden. Ich kriegte einen Gipsverband mit Schiene und vier Spritzen. Dann bin ich wieder ins »Mic Mac« gefahren. Das kam ja gut mit so ’ner Gipshand.
Von Josefa musste ich dann natürlich mehr gerudert werden. Das war okay, das war keine Strafe, das wurde nicht ausgesprochen, das war selbstverständlich. Sie hat sich bei mir wieder eingekratzt, und ich hab gesagt: »Wollen wir mal sehen, das überleg ich mir noch. Noch bin ich ja krank.« Sie hat mir dann ihre Pisstasche hingeschoben: »Nimm mit, mein Bandito, du Stinkstiefel. Du brauchst Geld, ich weiß schon.«
Ich hab Josefa verboten, weiterhin ins »Mic Mac« zu kommen: »Ich will dich hier nicht sehen, ich muss Geld verdienen. Ich muss mich um andere Gäste kümmern. Ich hab da keine Lust drauf, mir noch mal ’ne Fingerkuppe von dir abschlagen zu lassen.«
Es kamen noch andere ins Stoßkabinett. Was denkst du, wie oft mir die Tür von Weibern eingebrettert wurde. Wenn unten im »Mic Mac« mal eine ein bisschen witzig war, bin ich schnell nach oben auf die Rammelwiese.
Da lieg ich nach vollbrachter Nacht ausgelaugt im Bademantel. Irgendwann geht die Klingel. Ich geh an die Tür und seh ’n Mädel, ich will nicht sagen fade. Die Augen haben mir gefallen, das Lachen auch, sie hat Grübchen wie ich. Sie hat ’nen Stapel Zeitungen im Arm, den »Wachturm«. Weißblaue Ringelsocken. Ich im Bademantel wie Clark Gable, nichts darunter. Ich sag: »Bitte treten Sie näher.« Ich hätte sie genausogut wegschicken können. Ich hab nichts im Sinn mit ihr, nur den Gedanken: Ich will sie nicht vor den Kopf stoßen. Also bitte ich sie rein. Sie kam aus Franken, aus der Gegend von Coburg, ’ne Zeugin Jehovas war sie. Sie hat geredet vom Weltuntergang, hat mich bekehren wollen. Aber der Zug ist anders gelaufen, ich hab sie bekehrt. Aus den Ringelsöckchen sollten Strapse werden. Sie hat mir mehr geglaubt als ihren blöden verschlissenen Eltern, die sie zu dem Rumlaufen mit dem »Wachturm« gezwungen haben. Das Mädchen war mehr oder weniger verstört. Sie hat ein sympathisches Gesicht gehabt. Als ich sie da so stehen gesehen hab, da ist mein erster Gedanke gewesen: »Der kannst du ins Gesicht remschrrdnken.« Ich hab damals wahrscheinlich Fresse gedacht, Frauen hatten einen anderen Stellenwert für mich. Ich hab sie also abgeleuchtet, die Mutter. Sie hat sich in meiner Wohnung umgesehen, die ja nicht gerade mit Liebe eingerichtet war. Vielleicht hat sie gedacht, mir geht es finanziell nicht so gut. Jedenfalls hab ich das ein bisschen ausgenutzt. So wie man ’ner Brillenschlange sagt: »Nimm doch mal bitte die Brille ab« und »Mach dein Haar auf«, hab ich ihr gesagt: »Tu mir mal ’nen Gefallen, roll doch einfach mal deine blöden Ringelsocken runter. Ich hab was gegen die Farbe. Und erzähl mir nichts von dem ›Wachturm‹.«
Ich hab sicherlich ein paar Stunden gebraucht. Ich war in Laune und hab mir nachgegossen und ihr eingeschenkt. Sie hat an dem Whiskyglas genippt wie an Nagellack. Natürlich war sie vorsichtig. Aber dann hat ihr der Alkohol auch ein bisschen geschmeckt. Ich war sehr nett, vielleicht war’s auch mein Charme. Egal, es hat jedenfalls geklappt. Die Ringelsöckchen sind weg und auch dieser kleine Fransenfrostmantel. Der »Wachturm« wird vergessen. Ich gehe sanft mit der Zunge zwischen ihre Zehen. Ich weiß, ich bin ein gekonntes Schwein. Sie ist wie ein kleines Mädchen, dass ins Eis einbricht, und ich hol sie raus, nehm ihre Hand und drück sie auf meinen Schwanz. Natürlich kür ich mit meinem geilen Body ab, und ich rieche ihre Erregung. Sie geht auf wie ’ne Blume, und als ich mit ihr rumalbere, macht sie den Quieckfrosch und kann gar nicht genug davon kriegen.
Ohne groß danach zu suchen, hab ich ’nen Schlüssel in der Hand. Ich mach die Tür auf und staune, wie viel Dümmlichkeit im Raum steht. Sie ist verheiratet, natürlich mit so ’nem Zeugen-Jehovas-Wichser. Der macht ihr ’ne Menge Schwierigkeiten. Sie ist mit ihrem Dasein absolut nicht zufrieden, aber unfähig zur Veränderung, obwohl sie nicht wirklich dumm ist. Sie klammert sich an ihren Scheiß und will doch weg, aber sie hat tierisch Angst. Ich sag ihr: »Wenn du Ärger kriegst, Mädel, lässt du den Penner einfach allein und ziehst hier oben bei mir ein. Ist das klar? Da brauchst du nicht mehr den ›Wachturm‹ verkaufen, du glaubst sowieso nicht dran. Mach dir nicht mit deinem Ehemann Angst. Bei mir kriegst du Schutz. Wenn er dich verletzen will, brech ich ihm alle Knochen. Dir hat es doch bei mir gefallen, oder nicht?«
Ich riech, sie ist lenkbar wie ’ne Marionette, und schon geht sie an mich über, ohne es zu merken. Der Ehemann ist der größere Zuhälter, der sie verarscht und gezwungen hat, den »Wachturm« zu verkaufen. Keine Woche, und ich hab ihn aus der Partie geblasen. Sie ist bei mir eingezogen und hat die Scheidung gewollt. So herrlich naiv, wie sie gewesen ist, hat sie mir die Überzeugungsarbeit leicht gemacht. Ich hab ihr klar gesagt, dass ich Geld brauchte, um den Rotz aus ihrem Leben wegzumachen, den Ehemann und sein Jehova-Gedöns, Geld für Anwälte. Wie sie dieses Geld verdienen kann, hab ich ihr schonend beigebracht: »Du machst das nur kurzfristig, bis alles erledigt ist, das tut nicht weh, das ist kein zermürbendes Treppauf, Treppab, und du lernst was vom Leben.« Ich hätte sie auch nackt zum Nordpol beamen können, sie ist mir willig gefolgt.
Wenn ich sie zur Arbeit schicken wollte, musste ich ’nen Mittelweg für sie finden. Ich konnte sie ja nicht ins leuchtende »Lausen« setzen, da hätte sie gar nicht reingepasst, und Josefa hätte mich geschlachtet, wenn ich mit ’ner Neuen angetanzt wäre. Im »Chérie«, wo 120 Edelhuren rumlaufen und meine Frau drin ist, konnte ich sie erst recht nicht unterbringen. In der Kastanienallee in St. Pauli gab es einen gemütlichen Puff, da waren die Wirtschafterinnen alt, da saßen die etwas abgelebten, mit Cellulitis bereicherten Freudchen draußen und haben gekobert. Ich hab meiner Neuen, sie hieß Gisela, gesagt: »Siehste, hier kannste dann auch ’n bisschen rumquatschen. Hallo, mein Süßer und so. Du hast sehr viel Charme, und wie du sprichst, mit deinem rollenden R, das gefällt nicht nur mir. Jetzt können wir das gleich mal trainieren: ›Bleib mal stehen, ich möchte mal mit dir reden.‹ Du brauchst ja nicht viel machen.« Dann hab ich ihr gezeigt, wie man mit ’nem Gummi arbeitet und hab ihr das alles gutgeredet. Ihr erklärt, wie sie ’ne Falle schieben kann, ohne dass in ihre Vagina so ’ne Rotze reinläuft. Da war sie sehr aufnahmefähig.
Ich bin ganz blöde geworden, als sie am ersten Tag mit siebenhundert Mark nach Hause gekommen ist. Ich dachte ja, ich muss sie noch drei Wochen besprechen. Ich hab bald Schluckbeschwerden gekriegt, dass es so gut lief.
Gisela war also meine dritte Hure, ich musste selber über mich staunen.
Meine drei Frauen haben zugeguckt, als meine Boxkarriere beginnen sollte, endlich, nach langen Trainingseinheiten. Von meinem Vater habe ich gar nicht gewusst, dass er auch gekommen ist. Natürlich haben auf dem Kiez viele ’nen Steifen gekriegt, dass Stefan Hentschel, der Zögling von Wilfrid Schulz, groß angekündigt ist. Die Plakate sind noch heute in der »Ritze« an der Reeperbahn zu sehen.
Die eine Hälfte hat mich beneidet und mir ’ne Faust in den Arsch gewünscht, die andere Hälfte hat mir die Daumen gedrückt und mich angefeuert: »Er soll alle k.o. schlagen.« Beim Training hatten sie mir versprochen, ich sollte meinen ersten Rahmenkampf in Österreich machen. Da ich aber schon ein bisschen stadtbekannt im Boxmilieu war, brachten die mich in die Ernst-Merck-Halle. 5000 Zuschauer. Wie die Kulisse dröhnt, bebt, vibriert, damit hab ich nicht gerechnet. Ich geh da rein in den Ring. Den Bademantel hat mir Wilfrid Schulz schneidern lassen, bei einem Spezialisten. Damit seh ich aus, als war ich schon Weltmeister. Ich mach den Oberkörper frei. Da geht ein Raunen durch die Menge. Natürlich stimmt alles mit dem Body. Nur bin ich der Sache mit dem Publikum nicht gewachsen. Nervlich bin ich einfach ein Wrack, bin so verspannt und so fertig, dass ich nichts mehr kann. Na ja, ich verlier. In meinem ersten Profikampf gegen einen Schwarzamerikaner krieg ich in der zweiten Runde eins auf die Schnauze. Von diesem Neger, den hätt ich totgepisst auf der Straße oder beim Sparring. Nur nicht vor dieser johlenden Masse.
Es ist ein beschissenes Gefühl, mit der Nase auf dem Ringboden zu liegen. Du musst wieder aufstehen, das ist das Schwerste, und wenn du das schaffst, fängt was Neues für dich an.
Die Niederlage hat mich geformt, Prinzessin.
Nachdem ich den Boxkampf verloren und den Paten enttäuscht hatte, also in der Öffentlichkeit als Nullsumme dastand, da hat jeder Hühnerarmige gemeint, dass er dem Geschäftsführer, dem Stefan Hentschel, nun aufs Maul hauen könnte. Die kamen ins »Mic Mac« rein wie in ’nen John-Wayne-Film: »Wo ist denn euer Boxer?« Aber ich hab meinen Champ nicht zerstören lassen. Was denn mein Champ wohl ist? Mein Champ, nichts weiter als meine Ehre, Prinzessin. Ich hatte überhaupt keine Probleme mit den Arschlöchern. Da kamen nicht nur Einzelne, die kamen reihenweise an, wie bei High Noon. Ohne Flachs. Ich kann dir die Namen der Reihe nach aufzählen. Die haben alle die große Schnauze im Laden gehabt: »Na, wo isser denn, der Boxer, der in der zweiten Runde aufs Maul gekriegt hat?« Ich sag: »Hier!« Die sind frech geworden, ich hab sie niedergeboxt, und sie sind alle mit der Sackkarre rausgefahren worden. Beschwerden, Anzeigen? Nein, die gab’s nicht. Das waren alles Jungs aus dem Leben, die haben ja nicht bei der Post gearbeitet oder Brötchen verkauft. Die Größen von St. Pauli und von St. Georg, die Halbgrößen und die Möchtegern-Größen bewegten sich damals wie unter ’ner Käseglocke. Da drang nichts nach außen.
Meine Wunden mussten natürlich geleckt werden. Da war Reni wunderbar. Ich hab sie noch immer geliebt. Aber in mir ist wieder was durchgegangen, als ich Lilo mit den Marmortitten gesehen hab. Die war Lehrmädchen bei einem ganz biederen Friseur in einem ganz biederen Viertel. Trotzdem kreuzte da der Luden-Corso vom Kiez auf. Der weiße Rolls-Royce von dem Schönen Mischa, jede Menge tief liegender Mercedesse und bemalter Harleys waren da geparkt. Die Jungs ließen sich in dem Salon die Nägel machen. Lilo war extrem gefragt.
Als ich reinkomm, krieg ich Atembeschwerden: diese Marmortitten, überwältigend, schlanke Taille, bildhübsches Gesicht mit viel Herz drin, braune, glatte Haare bis zum Arsch. Als Kerl sag ich: »Wow«. Als Geschäftsmann taxier ich: »Das ist die Börse persönlich.«
Ich bin wiedergekommen, aber nicht mit ’ner 1000er Kawasaki, ich hab so ’ne Protze gar nicht gehabt. Dass ich die Tasche nicht zugekriegt hab, weil die Hunderter rausgeguckt haben: So wie die anderen Jungs hab ich das natürlich nicht gemacht. Ich hab auch keine Goldkette um den Hals gehabt, die hätte mich beim Lecken gestört, im Klartext. Doof gefunden hab ich auch solche Talermaxe, noch doofer diese Gravuren mit den Anfangsbuchstaben oder dem Datum vom Geburtstag. Jeder hat so was auf dem Kiez getragen, und das hab ich nicht gemocht. Ich weiß doch, wann ich Geburtstag hab und wie ich heiße, das muss ich mir nicht um den Hals hängen. Also, das Standardprogramm der Luden hab ich nicht abgezogen.
Was ich gemacht hab, das hab ich instinktmäßig aus der Situation entwickelt. In den Friseursalon ist einer reingekommen, der hat ausgesehen wie der Glöckner von Notre-Dame und aus so ’nem Vorbau Postkarten verkauft. Diesem Buckelarsch hab ich fünfzig Mark gegeben und gesagt: »Zieh dich mal nackend aus und renn durch den Damensalon.« Das hat der gemacht. Die haben alle geschrien. Lilo hat so schön gekreischt, ihre Marmortitten haben so stark vibriert, dass bei mir das Ding gewachsen ist. Das hat sie gesehen, und da hat es auch bei Lilo gezündelt. So sind wir uns nähergekommen. Ich hab sie ausgeführt, nicht ins Milieu, sondern in Cafés mit Terrasse oder Wintergarten. Und irgendwann hat sie auf meiner Rammelwiese gelegen. Meine Seligkeit, den Kopf zwischen ihre Marmortitten betten zu dürfen, ist unbeschreiblich gewesen.
Später hab ich ihr gesagt: »So ’ne Frau wie du darf doch nicht im Friseursalon verkommen. Das ist unmöglich. Dir springen die Kerle auf den Schoß, und du putzt denen an den Nägeln rum. Du musst dir ’ne richtige Reifeprüfung anpassen, das heißt: Klamotten, die deine Reize rausbringen, und mit dem Arsch wackeln. Guck mal, selbst wir beide haben uns kennen gelernt, und ich bin ’n ausgebuffter Arm, so viele wie ich mir schon gegriffen hab.« Die hat sich natürlich gefreut und geschmeichelt gefühlt, aber mir eher geknickt klargemacht: »Du glaubst doch wohl nicht, dass ich mich von ’nem Kerl mit Schuppen antatschen lasse. Da bleib ich lieber im Friseursalon.« Jahre später sollte sie ihre Meinung gründlich ändern, aber das war erst nach meinem tiefen Fall.
Im »Mic Mac« waren zwei Italiener Stammgäste bei mir. Danny, ein schräger Hund, war Portier auf St. Pauli. Toni, der aus Palermo kam, hatte ein eher solides italienisches Restaurant in einem Vorort. Der liebe Gott ist mein Zeuge, ich mag mich zwar überhaupt nicht gern auf ihn berufen, aber: Ich wurde von den beiden Italienern angesprochen, die wollten noch mit ’ner Dicken nach Hause. Ich hatte die am Abend kaum wahrgenommen, aber die Italiener bequatschten mich zu einem flotten Dreier. Und ich Arschloch hau mir mein Leben weg.
Die Italiener hatten mich im Schlepptau, ich saß hinten in irgendeinem Auto und bin besoffen eingenickt. Die haben mich wachgerüttelt, wir sind da: zu Hause bei der bewussten Dicken. Eine öde Souterrainwohnung, muffig. Ich weiß noch, dass ich mir mit der Katze, die so rollig war mit ihrem steifen Schwanz, den kleinen Spaß gemacht habe, ihr die Arschrosette mit ’nem Eiswürfel einzureihen. Die anderen waren mit der Alten am Ficken. Irgendwann sagen sie: »Jetzt bist du dran.« Da latsche ich in die Falle des Jahrhunderts. Ich will abhauen, weil mir die Dicke am Arsch vorbeigeht. Ich hab ja ästhetische Werte. Werte, denen die überhaupt nicht entspricht. Da sagt die: »Du kannst mich wohl nicht ficken.« Da bin ich hingegangen und hab ihr in die Fresse gehauen. Ja, ich hab ihr ’nen Flicken verpasst, also ein blaues Auge, die hat ausgesehen wie ’n voll geschissener Turnschuh, ja, das ist ein ganz linker Ausraster von mir gewesen.
Ich hab den Kragen hochgemacht und bin mit dem Taxi zu meiner Wohnung über dem »Mic Mac« und hab mich aufs Ohr gehauen. Irgendwann ruft meine Mutter an und sagt: »Stefan, bei uns war die Polizei. Sie haben die Tür aufgemacht. Mit ’nem Rammbolzen.« Ich war noch immer bei meinen Eltern gemeldet, weil ich bei meinem halbseidenen Rumgeturne eine Briefordnung haben und die Post nicht in die Kneipe oder sonstwohin kriegen wollte.
Ein Hentschel wurde gesucht, wegen Vergewaltigung. Die Polizisten dachten, mein Bruder sei ich, haben ihn auf den Boden geschmissen, den Kopf verdreht, die Hände nach hinten gezerrt, also das halbe Programm aus dem Terroristenfang-Lehrbuch.
Mein Bruder hat zu der Zeit noch bei meinen Eltern gewohnt. Er war als Werkzeugmacher einer der besten Lehrlinge. Er konnte in Filigrantechnik winzige Motoren bauen, zum Staunen. Was ihm meinetwegen passierte, war für mich natürlich grauenhaft. Ich liebte meinen Bruder und liebe ihn bis heute.
Ich bin sofort zu einer Polizeiwache gegangen: »Guten Abend, mein Name ist Stefan Hentschel. Sie haben bei meinen Eltern die Tür eingetreten und meinen Bruder verhaftet. Was liegt denn gegen mich vor?« Sie haben mich in eine andere Etage gebracht und etliche Telefonate geführt. Beim letzten Telefonat ist die Tür abgeschlossen worden. Nach zwanzig Minuten sind vier Beamte reingekommen. Die haben mich über den Tisch gezogen und abgeklopft, von den Hoden bis zu den Knöcheln und zum Nacken. Eine Schusswaffe gesucht, aber nicht gefunden. Ich hab gedacht, ich bin in ’nem schlechten Film.
Ich wurde in Untersuchungshaft genommen und durfte mit keinem sprechen.
Was war passiert? Die Frau war morgens nach ihrer Tourneearbeit mit den Italienern zu ihrer Schwester gegangen und hatte sich in die Badewanne gelegt. Von meinem Schlag hatte sie das blaue Auge, das sie ihrer Schwester irgendwie begründen musste. Da hat sie erzählt: »Ich bin vergewaltigt worden. Da war ein Deutscher dabei.« Die Schwester war mit einem Kriminallöffel verheiratet, dem sie die Geschichte weitererzählt hat. Der hat sich dann in der vertrauten Art und Weise an seine Kollegen gewandt, die Anzeige und alles Weitere ins Rollen gebracht.
Für das blaue Auge saß ich elf einhalb Monate in Untersuchungshaft. Auf siebeneinhalb Quadratmetern in einer Einzelzelle. Ich wurde behandelt wie ein Stück Vieh: Stefan Hentschel vom Kiez. Die Beamten kriegten ’nen langen Schwanz und freuten sich richtig, wenn sie mir was Fieses antun konnten.
Als Danny in den Knast kam, wollte er sofort verlegt werden, weil er Angst hatte, dass ich ihn umlegen könnte. Er saß im Flur nackt mit einer Wolldecke und guckte mich panisch an, weil er gelogen hatte: »Stefan Hentschel hat uns dazu gezwungen.« Ich dachte: Die Italiener sind Weicheier. Was für ein Glück, dass die von der Schmiere mich bei der Verhaftung nicht ausgezogen haben. Bei Männern sieht das peinlich aus, wenn sie nackt sind und nur mit ’ner Wolldecke zur Schau gestellt werden. Die haben dann keine Männlichkeit mehr. Für mich ist das Schlimmste: nicht menschlich behandelt zu werden, Beine breit, sich in den Popo gucken lassen und solche Rotze.
Danny in der Decke, das war für mich ein Moment, der sich in meinem Kopf fixierte. Ich hatte im Leben wieder einmal Glück gehabt.
Mein Anwalt drängte sich mir durch Bernd auf, den »Mic Mac«-Eigentümer und Reederei-Manager. Er brachte mir die Sachen in die Zelle, die ich wollte: Rauchwaren, Pfeifen. Ich rauchte Hänger, Pfeifen, die nicht gradlinig sind. Ich war dem Anwalt sehr dankbar. Was ich nicht wusste: Zu der Zeit war er dabei, meine Frau anzumachen und sie zu bearbeiten, ihr Geld, was sie im »Chérie« zusammenfickte, besser umzusetzen und nicht mir zu geben. Eigentlich wollte der Anwalt als Anlageberater für Reni tätig werden. Ein trostloser kleiner Jammerlappen. Es fehlte nur, dass er gesabbert hätte. Irgendwie hab ich seine Unaufrichtigkeit gewittert.
Reni besuchte mich regelmäßig. Aber man distanziert sich ja von Menschen, wenn man von ihnen nicht mehr die Impulse kriegt
Dann kam ein anderer Anwalt, auch ein Pfeifenraucher, allein zu mir in die Zelle und sagte: »Hören Sie mal zu, Herr Hentschel, wenn Sie mir unter der Hand 30000 Mark geben, werden Sie freigelassen.« Reni zahlte. Der verlogene Penner, der den hochtrabenden Titel Professor führte, kriegte sogar noch mehr. Ich kam ganz normal auf Kaution raus.
Beim Wiedersehen mit Reni wollte ich eigentlich nur mit dem Rücken auf dem Boden liegen und die japanischen Fickkugeln in ihrer Fotze ansehen. Die Kugeln waren damals der Trend, die hatte sie neu. Sie hatte sich verändert. Stillstand ist Rückschritt. Ich wollte gar nicht ficken. Ich war frei davon. Ich sah die Dusche an wie eine Kirche. Nicht mehr mit zwanzig Leuten zusammen baden oder mit vier Schwarzen, von denen dann einer einen Furz lässt. Endlich wieder nur der eigene Geruch.
Vor dem Prozess kriegte ich ’nen Rappel und musste mir antun, nach Gran Canaria abzuhauen. Das war natürlich Bullshit pur.