Meine Mutter ist zur Alkoholikerin geworden. Sie hat so viel getrunken, weil das tolle Weichei von Arzt Frau Hentschel alleine ins Vertrauen gezogen hat: »Ihr Mann hat Leukämie und nur noch maximal zwei Jahre zu leben.« Meine Mutter war der Sache überhaupt nicht gewachsen. Sie hat gesoffen wie ’ne Badewanne, zwei Flaschen Korn, jeden Tag. Sie hat ’nen Mastino-Schädel gekriegt, so aufgedunsen ist sie gewesen. Mein Vater hat nicht mehr zwei Jahre gelebt. Ich hab den Film, wie sie sich im Esszimmer gefilmt haben, das Stativ hat damals noch ’nen halben Zentner gewogen. Mein Vater war ja immer der Erste, der alles Neue haben musste, das gerade auf dem Markt war. Die haben sich beim Essen von Rinderrouladen gefilmt. Da hat er nur noch sechs Monate auf dem Zettel gehabt. Die sind dann ganz schnell vergangen.
Er lag im Krankenhaus, und es wurde immer enger im Prinzip, sodass meine Mutter mich telefonisch wieder angekratzt hat: »Du, Vater geht’s dreckig.« Ich hab gesagt: »Gut, dann setz ich mich ins Auto und düse da hin.« Ich hab meinen Bruder abgeholt, und wir sind hingefahren. Wenn mein Vater sich durchs Haar gegriffen hat, sind ganze Büschel ausgefallen. Wenn ich aus dem Krankenhaus mal zwei Stunden weggefahren bin, zum Essen, und dann zurückgekommen bin, ist er schon wieder vier Jahre älter gewesen.
Ich hab immer am Fußende von seinem Bett gestanden, mein Bruder hat neben ihm gesessen. Auf einmal fängt er an zu reden. Ich konnte nie mit ihm reden wie mit meiner Großmutter. Er kann auch jetzt nicht richtig reden. Er liegt ja unter schwerem Morphium. Es blubbert raus aus seinem quittegelben Höhlenmund.
»Was hab ich dir angetan?« Das ist sein Satz für mich, den schreit er raus, mit Aufbäumen. Das ist zu viel für mich. Ich fang das Zittern an und muss mich an seinem Bettgestell festhalten. Ich kann nur sagen: »Mensch, hör auf, so ’nen Scheiß zu labern.« Ich hab doch nie gedacht, dass es mich so wegbeutelt, wenn mein Vater den Arsch zukneift. Das sind Ereignisse, auf die einen das Leben nicht vorbereitet. »Du hast mir gar nichts angetan!« Ich bin völlig fertig, in einem Zustand der Auflösung. Meine Mutter kann es wieder mal nicht ertragen. Sie geht raus. Mein Bruder auf seinem Bett, ich an seinem Fußende, wir sind allein mit unserm Vater. In dem Moment geht die Tür auf – das sind natürlich Bruchteile von Sekunden, die vergisst man nicht, Prinzessin –, da geht die Tür auf, und der Arzt kommt mit seinem Hörstecker rein, der Oberscheißer, und piept meinem Vater an der Brust rum. Ich steh am Bett und werde fast irre, der Arzt soll sich verpissen mit seinem Hörgerät. Ich will nicht, dass er meinem Vater die Augen zudrückt. Ich verstärke meinen Wunsch. Er geht. Mein Wunsch erfüllt sich, mein Vater lebt noch. Ich halte mich an seinem Bett fest, er atmet noch mal durch, sein letztes Röcheln. Und ich darf ihm die Augen zudrücken. Es ist meine erste Begegnung mit dem Tod.
Dann kommt der wieder mit seiner Stethoskopabteilung und mit seinem heftigen Beileid. Ich registrier den Arsch in Weiß nicht. Der will mir ’ne Spritze geben, weil ich so am Zittern bin. Ich brauch keine Spritze zur Beruhigung. Wenn einen der Tod nicht zittern lassen soll, was dann?
Ob ich meinem Vater verziehen hab? Prinzessin, dazu bin ich gar nicht imstande gewesen. Das hat der Tod gemacht.
In seiner Kindheit, das war immer ’n Wettbewerb. Er hatte einen Zwillingsbruder, Gerhard. Der hatte nicht die Kraft in den Eiern, über die Zonengrenze rüberzumarschieren. Der hatte so ’ne Alte an den Eiern, die ihn platt gemacht hat. Ich hab das Elend von meinem Vater gesehen. Die Fotos von ihm mit seinem Zwillingsbruder und seinem kleinen Bruder Manfred, wie die als Knaben da aufgebaut wurden, starr wie Orgelpfeifen, da möchte ich mich nicht dazugesellen. Das war für mich keine schöne Kindheit. Komischerweise steh ich mit meinem Bruder auf Fotos auch so da, im Sonntagsanzug mit Schlips. Das ist deckungsgleich.
Wir sind als Söhne mal seinem Vater präsentiert worden. Der war Vorstandsmitglied, Direktor in einem der größten deutschen Konzerne, hat ’n tolles Auto und ’ne tolle Wohnung gehabt. Mein Vater hat da angegeben mit abgeschnittenen Lederhandschuhen. Das war ’ne Vörstellungsscheiße, das war keine Liebe. Ich glaube, dass mein Vater daran orientiert war, mit allem, was ihm angetan wurde, seinem Vater nachzueifern. Wie er auf einmal Hochdeutsch gesprochen hat, mein Vater wurde mir fremder und fremder. Er ist als Kind viel geschlagen worden. Was ich nicht verstehen kann, dass man als Erziehungsberechtigter daraus nicht gelernt hat. »Was hab ich dir angetan?« Das ist der Satz, den er gesagt hat, förmlich rausgebrüllt hat. An seinem Todestag. Das war für mich erschütternd. Der Satz kam am Übergang vom Leben zum Tod.
Heute, wenn du mich fragst, mit allem Respekt: Ich hätte gerne Dialoge mit meinem Vater. Er ist nur 56 Jahre alt geworden.
Meine Großmutter ist immerhin 82 Jahre alt geworden. Sie hat mir in einer Prophezeiung gesagt, die mich noch heute erschüttert: »Mein Junge, ich habe keine Lust mehr, weiterzuleben.« Das ist kurz nach dem Tod von meinem Vater gewesen. Ich sag: »Entspann dich mal, Omi.« Ihr Augenlicht hat stärker nachgelassen, sie konnte nicht mehr lesen, das Fernsehen ist bei ihr kaum noch angekommen. Daran hatte ich ein bisschen Schuld, weil ich Weihnachten mal darauf bestand, dass sie die festesten Nüsse für mich aufbeißt. Damit hatte sie mir als Kind so viel Spaß gebracht, und als sie mir das später noch mal vormachen sollte, riss ihr die Netzhaut ab, und sie war auf dem rechten Auge blind. Das war lange vor ihrem Tod. Mit ihrem linken Auge hat sie mich zuletzt, wenn ich jeden Sonntag mit meinem Riechbesen hingegangen bin, erst auf dem letzten Meter erkannt. Sie hat gesagt: »Wir brauchen uns nicht lange was vormachen.« Sie ist schon so ’ne Art Indianer gewesen, der kennt keinen Schmerz.
Eine Woche nach ihrer Prophezeiung hab ich sie im Krankenhaus besucht, in einem riesigen Saal. Sie konnte sich kein eigenes Zimmer leisten. Das Liegen im Krankenhaus hat sie gelangweilt. Sie hat sich eigentlich zum Sterben hingelegt. An diesem bewussten Tag, als ich hingekommen bin, heißt es: »Frau Sappa ist auf ein Einzelzimmer verlegt worden.« Meine Mutter sitzt da: »Ach schön, dass du kommst, mein Junge.« Ich frag: »Was ist denn?« – »Ja, ich muss den Klaus abholen.« Meine Mutter ist nach dem Tod von meinem Vater gleich ein neues Abenteuer eingegangen mit so ’nem rothaarigen Arschloch aus Berlin. Ich sag: »Dann mach los. Ich bleib mit Omi alleine.« Ich bin ja froh gewesen, dass sie nicht mehr in dem Zimmer gesessen und immer auf die Uhr geguckt hat, wann sie ihren Stenz abholen soll. Meine Großmutter muss sich genau den Zeitpunkt ausgesucht haben, als ihre Tochter weg war, gnadenlos bis zum Letzten. Als die Tür hinter meiner Mutter zuging, ist seltsamerweise in diesem Zimmer was ganz anderes zu atmen gewesen, etwas, das ich nicht beurteilen kann. Gesprochen haben wir nicht mehr viel, weil wir ja schon früher normale Dialoge geführt haben übers Leben, den Tod und das Weiterleben nach dem Tod.
Ihre letzten Worte weiß ich noch. Aber die kann ich nicht sagen. Vielleicht nie.
Sie hat dann das Signal gesetzt und ihre Augen geschlossen. Ich hab die Möglichkeit gehabt, ihre Atemtechnik nachzuvollziehen. Das Atmen ist Sprechen mit ihr gewesen. Unter diesem Eindruck hab ich gestanden, und so hab ich mit ihr geatmet und gesprochen, immer weiter, geatmet, gesprochen, bis zum Übergang. Da merke ich auf einmal, dass es verdammt eng wird, obwohl ich die bessere Lunge habe. Auf einmal atmet sie nicht mehr. Ich höre auch auf zu atmen, so lange ich kann. Ich zwinge mich, meine Luft anzuhalten. Dann erwischt es mich, und ich kann nur noch weinen.
Als sie tot war, hab ich ihr die Schweißperlen an der Stirn weggeküsst. Die waren schon kalt. Mir war so, als wenn ich kein Wasser mehr in mir gehabt hätte. Ihre Schweißperlen sind ihre letzte Liebe für mich gewesen. Ich hab sie zugedeckt, ihren Kopf, nachdem ich mich verabschiedet hatte. Merkwürdigerweise haben, als ich auf den Flur ging, die Schwestern mir keine Fragen gestellt, die haben mir alles angesehen. Ich hab erst mal tief durchgeatmet, die Luft ist mir angenehm gewesen, das Leben. Und in dem Moment ist meine wahnwitzige Mutter mit ihrem Spielarsch reingekommen und hat mich gefragt, ob sie Muddel sehen kann. Und ich sag: »Ja, Muddel liegt oben zugedeckt von mir. Gut, dass du Klaus noch abgeholt hast. Nen schönen Tag noch.« Die hat das gefressen, sie hat meinen Sarkasmus nicht verstanden. Ich bin wahrscheinlich für ihre Verhältnisse viel zu cool gewesen. Tapfer.
Meine Mutter konnte mit ihren Schuhen, die sie auszog, wenn ich ’ne blöde Fratze machte, mir auf den Kopf hauen wie sie wollte, das ging mir als Kind am Arsch vorbei. Wenn ich zu spät nach Hause kam und meine Großmutter, die ja bis abends um zehn oder zwölf für fremde Leute Wäsche mangelte, mich anguckte und ich wusste, jetzt sollte ich Senge kriegen, da ging mir das durch und durch, ob ich welche kriegte oder nicht. Meine Großmutter konnte im Guten und im Bösen mein Herz erreichen, meine Mutter nicht. Da war alles drin in meinem Gruß auf dem Krankenhausflur: »Nen schönen Tag noch.«
Der Tod und das Weiterleben nach dem Tod war zwischen meiner Großmutter und mir ’ne Thematik, die uns immer gefesselt hat. Die Gewissheit haben wir alle, dass wir verrecken müssen, sterben müssen, jeder auf seine Art. Das war uns nicht fremd. So wie ja die Mexikaner beim Tod feiern, damit haben wir uns bestärkt. Dass sie als Erste den Arsch zukneift, war uns beiden klar, wenn mich nicht irgendwo ’ne Kugel erwischt auf dem Kiez oder sonst was, das war ja auch nahe liegend. Sie hat immer beim Rausgehen gesagt: »Pass auf dich auf, mein Junge.«
Sie war absolut überzeugt, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Da konntest du gar nicht dran rütteln. Das hat mich natürlich wie auf ’ner Kinderschaukel hin und her wanken lassen. Ich wollte eigentlich ’nen Beweis, weil sie ja tausend Jahre älter war als ich mit ihrem belesenen Charakter. Ich wollte wissen, ob es weitergeht. Ich meine, sie hat auch Beweise in den Raum gestellt. Das war ja schon in meiner Kindheit so, als ich vor ihrer Tür geflennt hab, weil ich mit den Eltern Probleme hatte und sie nicht wecken wollte, weil ich mir so schäbig vorkam. Und ich sitz vor ihrer Haustür, und da geht das Licht an. Sie kommt raus, ich hab ja nicht geklingelt. So laut kannst du nicht flennen, dass es durch Mauern geht.
Für sie war es absolut klar, dass es weitergeht. Das ist auch heute noch ein Zwiespalt für mich. Und ab und zu, wenn es mir mal wieder richtig an die Nieren geht, dann führ ich meine Patschhändchen zusammen, und dann zieh ich sie wieder auseinander, das ist ein gesunder Dialog. Ich will erwachsen sein. Wenn du in Demut verfällst und mal auf die Knie gehst, dann wirst du was los, das ist ein Riesenventil, so wie ’n Sandsack für mich. Und das brauch ich, sonst hätte ich gar nicht mehr so viel Lust zu leben. Sie hat mich auch auf ihre Art erzogen: »Man braucht nicht in die Kirche gehen. Den Scheiß machst du nicht. Man muss in sich gläubig sein.«
Meine Großmutter war für mich die tollste Frau, die mir je begegnet ist. So eine Prinzessin hätte ich auch mit ’ner Lanze erobern wollen. Das war so eine Vorstellung von mir, als ich in abenteuerlicher Weise noch an Märchen glaubte. Wenn ich als Kind die Kraft gehabt hätte, hätte ich meiner Großmutter ’n Schloss gebaut. In meinem kindischen Verhalten hab ich noch ’ne Abmachung mit ihr gehabt: »Mensch, wenn du tot bist, Omi, dann stell ich eine Figur ans Fenster, die fasse ich nicht an. Und wenn die verrückt ist, dann ist das ’ne Botschaft von dir. Wir müssen ja kommunizieren. Du kannst nicht einfach abhauen.«
Dass meine Großmutter nach Sepp keinen Mann mehr gehabt hat, das hat mir schon imponiert. Sie hat gesagt: »Der kann mir gestohlen bleiben. Die Kerle sind mir das nicht wert. Ich war mit dem Sepp glücklich. Und damit ist das Ding mit den Männern beendet.«
Warum bin ich mein ganzes Leben mit Huren zusammen? Warum hab ich keine Märchenfrau wie meine Großmutter gekriegt? Das wäre für mich tödlich gewesen in dieser Form. Wie ’n Verhungerter zu warten, bis meine Frau nach Hause kommt, mit dieser Nervosität hab ich gelebt, durch diese blöden Jalousien geblinzelt, morgens um vier, ob das Auto kommt oder die Taxe. Dieses Pochen, dieses Gequäle, wo jeder normale Arsch seine Alte an die Wand geklatscht hätte, das hab ich ja alles durchlebt mit den Frauen. Mein ganzes Leben lang als Mann.
Dass die mit anderen Männern geschlafen haben, hat mich auch entlastet, hat mich frei gemacht, mit anderen Frauen rumzualbern. Die Eifersucht wurde ja zugeschmettert oder vergipst mit dem Geld. Aber das Edle in meinem Weltbild hat im Prinzip meine Großmutter gelebt. Das war sehr kasteiend, und ich hab das bewundert.
Um mich ein bisschen zu erholen, bin ich nach dem Tod meiner Großmutter mit Lilo nach Portugal geflogen, zu meinem Freund Diamanten-Paul auf seinen Bauernhof. Er hat mir das Tauchen beigebracht, und er wollte mir auch das Surfen beibringen. Nicht mit ’nem Segel, sondern richtiges Wellensurfen nur mit ’nem Brett, auf dem man steht. Ich hab das nicht hingekriegt und nur im Wasser gelegen. Diamanten-Paul ist ganz elegant durch die Brandung geflitzt. Das Bild werd ich nie vergessen. Ein paar Tage nach unserer Abreise ist ihm ein Motorboot über den Kopf gefahren und hat ihm die Rübe zerrissen. Ich hab noch mit seiner Mutter gesprochen. Ich bedaure es sehr, dass er so schmerzhaft zu Tode gekommen ist.
Nach dem Desaster mit den Pappchinesen, die im »Bei Ami« umgefallen sind – die wären auch irgendwo anders erschossen worden, wenn sie da so rumgemacht hätten –, also nach diesem Vorfall hat Karate-Tommy Geburtstag gefeiert. So lange der Chef von den Nutellas in Amerika war, hat Karate-Tommy in dessen Haus gewohnt und ihm die Geldsammlungen von der Gang gelegentlich über den großen Teich gebracht. Tommy hat den Gastgeber gemacht in dem aufgemotzten Haus mit Löwenköpfen aus Gips am Eingang. Irgendwie neureich, aber der Nutella-Boss war ja vom Sternzeichen Löwe. Ich hab da so gesessen, und für mich ist das wie Hollywood gewesen. Tommy hat mit seinem Bauchverband ’ne Show abgezogen, und alle haben mitgespielt. Das einzige Gesprächsthema ist gewesen, dass Tommy ’nen Ein- und Ausschuss hatte. Immer wieder ist der Verband gezeigt worden. »Gut, dass du lebst.« Auffällig in dem Film ist für mich nur eine Szene gewesen: Tommy wird von ’nem Schwarzen mit einem supergeilen Body umarmt. Waldi. Er hat mich an diesem Abend nicht wahrgenommen.
Irgendwann unterliegt man keiner Bereitschaft mehr für die Verbandsorgie und hat was anderes zu tun: Ich hab mir ’ne Taxe bestellt.
Waldi hab ich beim Boxtraining wiedergetroffen. Er hat da gesessen und sich seine Hände von seinen Huren binden lassen. Das ist für mich neu gewesen, das hatte ich noch nie gesehen. Ist doch mal schön, wenn die Weiber ihm die Boxbandagen binden. Was Abgefahreneres fällt mir wirklich nicht mehr ein. Ich hab gedacht: »Kann der überhaupt boxen?« Von seinem geilen Body her schon, aber mit diesen Händen? Das ist irgendwie verrückt gewesen. Ich hab gedacht, machst dich erst mal warm. Dann hab ich meine Hände auf den Sandsack gebracht, und das hat eben gepasst. Er ist fasziniert gewesen von dem, was ich am Sandsack gemacht hab. Waldi kam aus Nürnberg und hat in seinem Nürnberger Dialekt gesagt: »Oh Jesus Christ, was bist du denn für einer?« Ich sag: »Ey, komm.« Das war okay, da hat man schon die Hose runtergelassen, weil so ’n bisschen Ehrlichkeit im Raum stand. Natürlich finden sich dann Männer in dieser Ebene. Er hat den Fürst raushängen lassen, das ist okay. Er ist ja auch so ’n starker Bär gewesen, und er sieht mich am Sandsack und sagt: »Jesus Christ«.
In Nürnbergerisch erzählt er mir abends, als wir noch was zusammen trinken, ’ne Story über Las Vegas, und wie sie da auftreten wollten mit ihren Weibern, wie große Gewinner. Und dann kam die Schmiere rein und sagte: »Hello«. Als sie dachten, sie wären die Größten, ging alles nach hinten los. Wir haben gelacht und gemerkt, dass wir uns nix vormachen mussten. Wir sind d’accord gewesen.
Ich glaube, Waldi war ’n Besatzungskind, aber ich hab die Frage nach seiner Hautfarbe nie gestellt. Ich hab mich nach schwarzen Frauen orientiert, und auf einmal hab ich ’nen schwarzen Kumpel, egal wie. Da ist gleich ’ne Sympathie gewesen, wie in dem Film Flucht in Ketten, Schwarz und Weiß, das ist ruckzuck gegangen.
Wie ich hatte Waldi ’ne Puffetage, seine hieß »Hollywood«. Ich bin von dem Zeitpunkt an immer mit Waldi gewesen. Er hat einen komischen Rattenschwanz gehabt, Kumpels aus dem Nürnberger Milieu. Daher kam auch einer seiner späteren Mörder. Und auch sein Wirtschafter im »Hollywood« kam daher. Der hat ’ne Corvette gefahren, so ’ne Ludenkutsche, deshalb hieß der Corvetten-Ralf. Waldi hat sein Ding gemacht, er hatte seine Eigenständigkeit. Der hat in Jeansklamotten geheiratet, und einen Tag vorher hatte er seine Junggesellenparty im »Lausen« gefeiert. Da ist er im Anzug erschienen, und zur Hochzeit in Jeansklamotten. Er hat ’n paar Weiber gehabt. Geheiratet hat er Brigitte, ’ne Blonde, die war früher Friseuse. Warum er gerade die genommen hat? Vielleicht, weil bei ihr alles im normalen, unauffälligen Bereich gehalten war, vielleicht hat er das als Gegensatz gebraucht, denn er ist ’n extremer Kerl gewesen.
Obwohl Waldi eigenständig war, hat er sich an meiner Person orientiert und mit mir in den Läden aufgedreht. Ich hab das auf meine Art bemerkt, aber nicht gewusst, dass er vorher leicht ’ne weiße Nase gefahren hat. Koks hat ihn unvorsichtig gemacht, und ich hab da mit dringehangen. Waldi und ich sind auch mal rübergegangen auf die andere Seite zu Ringo und seinen Leuten. Heute fällt es mir schwer, mich so ’n bisschen dümmlich hinzustellen, aber wir sind da manchmal rübergegangen wie mit ’ner Kompanie, auch wenn mir das schon missbehagt hat, weil ich nie gerne auf die andere Seite gegangen bin. Goldlocke ist auch dabei gewesen, der hat ’ne Knarre mitgeführt. Eigentlich hat der mit Warentermingeschäften zu tun gehabt.
Die Begegnungen mit der anderen Seite, mit Ringos Leuten, zu denen der Wiener Peter gehörte und natürlich auch King Kong, sind wie feindliche Berührungen abgelaufen. Jede Seite hat ihre Stärke raushängen lassen. Blöd im Nachhinein, aber du bist in so einem Umfeld, das waren eben die Achtzigerjahre.
Wenn Ringo gebellt hat, ist King Kong an seiner Seite gewesen. Das ist auch vom Job her nahe liegend, wenn Feierlichkeiten im »Chikago« waren, dass er den Türsteher gemacht und aufgepasst hat und nachher auch noch die Regie übers »Top Ten« übernommen hat, dass da nichts passiert. Wenn Schwierigkeiten aufgetreten sind zwischen Ringo und irgendwelchen Leuten, dann ist King Kong mitgegangen, und sie haben versucht, die Dinger zu lösen. Du siehst ja, Prinzessin, wie es ausgegangen ist, King Kong ist später mit ’ner Schrotflinte das Gehirn weggeschossen worden.
Aber erst mal hat er mich auf dem Kieker gehabt. Merkwürdig, dass der King Kong mich im »Top Ten« immer nur angeguckt hat. Ich hab gedacht: »Was hat der mit mir, der kann doch nicht schwul sein.« Solche Gedanken sind mir anfangs gekommen. Der war auf mich angesetzt, wenn ich da rumgelaufen bin und den Lauten gemacht hab.
Es ist auch zu einer Auseinandersetzung im »Domino« gekommen, und ich hab mit King Kong richtig Streit gekriegt. Prinzessin, ich möchte ja ehrlich sein: Ich weiß, dass ich für einen Großteil der Situationen verantwortlich gewesen bin. Es ist ja nicht so, dass ich irgendwas beschönigen muss. Zum Beispiel, dass ich da blöderweise, als ich den King Kong gesehen hab mit drei Kumpels, und ich komm alleine rein ins »Domino«, keinen taktisch gebotenen Rückzieher machen will. Stattdessen geh ich ans Telefon, mach den oberwichtigen Paul und sag: »Ich bin im ›Domino‹.« Ich hab bei mir im Puff angerufen, Goldlocke war am Apparat. Was weiß ich, warum die Sau ans Telefon gegangen ist. Das ist aber möglich, wenn der Wirtschafter beim Pissen ist oder sich um ’ne Frau kümmert, dass ein Insider dann ans Telefon geht. Ich sag: »Du, ich sitz hier im ›Domino‹, und ich glaub, das wird ziemlich eng. Ich glaub, ich krieg Ärger.« Goldlocke kam nicht einfach nur angeschlendert: Die Tür fliegt auf wie ’n Pustesegel, wie im Hollywoodstreifen. Da seh ich Goldlocke mit ’ner Kanone, er hat ’ne Riesenschrotflinte in der Hand. Er schreit: »Stefan, raus!« Das heißt, ich soll den Laden verlassen, weil er jetzt Ernst machen will. Ich denk, er will die anderen umbringen, und sag: »Entspann dich.« Das hab ich von einem Boxer gelernt, der sich nie wieder in Fights einmischen wollte, weil daraus zu viel Scheiße entstanden war. Als ich sag: »Mach keinen Scheiß!«, nimmt der King Kong den Lauf der Waffe, und da löst sich ein Schuss und trifft so ’nen Bierfahrer. Der bricht mit 30 Splittern im Rücken zusammen.
Natürlich ist die andere Seite sauer auf mich gewesen, nicht nur wegen der Sache im »Domino«, sondern auch, weil ich oft irgendein Arschloch allein ausgeschaltet hab. Ich hab auch meine Meinungsverschiedenheiten mit denen gehabt, aber ich habe nie ’nen Rucksack gebraucht, wie Ringo den King Kong. Und das war zu viel für die, dass ich mein Ding alleine gemacht hab. Ich hab’s ja wirklich alleine gemacht. Natürlich kam ’ne menschliche Schwäche von mir dazu, ’n bisschen geiles Aufstreben, daran hat’s mir nicht gefehlt, das gestehe ich, das ist auch ’ne Frage der Zeit. Mit meiner Präsenz hab ich natürlich Guten Tag gesagt.
Die Nutella ist liquidiert worden. Die Schmiere hat alle Konten gesperrt und drei Vorstandsherren abgegriffen, auch Karate-Tommy. Auf dem Kiez ist es zu einer Art Vakuum gekommen und zu ’ner hektischen Stimmung, wer es in Zukunft füllen würde.
Natürlich haben Waldi und ich die schwarz-weißen Zampanos gemacht, halb nackt rumgetanzt und unser Geltungsbedürfnis rausgehustet.
Mitte September 1984 ist der Knall gekommen. Ich bin morgens in meinen Puff gegangen. Elfi hat Dienst gehabt. Es ist ihre Gewohnheit gewesen, dass ich immer die neue Zeitung bei der Leselampe vorgefunden hab. Das Erste, was ich gesehen hab, ist natürlich die Überschrift der Regenbogenpresse: »Bayern-Peter tot!« Später, als sich das Morden wiederholte, da hat man nachts die Zeitung schon gefressen und sich darüber auf dem Pissoir ausgetauscht. Ich komm also in den Puff rein und seh das Bild von Bayern-Peter in der Zeitung. Mir kommen die Erinnerungen hoch. Ich kannte ihn ja. Er war ein Arschloch, einer, der sich profilieren wollte. Der kam aus Bayern und hat den Mut gehabt, gegen Walter anzutreten, den Häuptling vom Fischmarkt, saustark. Gegen den ist er drei Mal angetreten und hat sich drei Mal ’nen Kieferbruch gefangen. Wenn ein Mann so was macht, dann muss er von Haus aus dumm sein, und Dumme sind gefährlich.
Er hat sich auch mal gegen mich gewagt, den hab ich dann eben platt machen müssen. Das war im »Hotel Domino« in der Talstraße. Ich bin oben mit ’ner Hure am Ficken und höre, dass Bayern-Peter unten den Lauten macht. Ich geh runter mit ’nem Badelaken und sag: »Ey, Peter, ich bin’s, Stefan.« – »Ja und, was denn? Ich reiß dir gleich das Handtuch ab.« Auf so ’ne Art und Weise. Ich lass mir noch ’ne Flasche Schampus geben und geh hoch, leichenblass, meinen Overall holen. Die Frau sagt: »Was hast du denn, willst du mich alleine lassen?« Ich sag: »Ich hab unten was zu erledigen.« Ich hab den Overall, in dem sie mich in der Discothek abgestochen hatten, angezogen. Dann bin ich wieder runtergegangen und hab den platt gemacht. Er hat sich zur Kosmetik auf den Boden gelegt. Er hat noch gut geatmet, er hätte noch stehen können, aber er ist zu feige gewesen. Ich hab ihm die Brille abgenommen und die zum Abschied zermatscht.
Warum der getötet worden ist? Die haben sich alle zu weit nach vorne gelehnt, der Bayern-Peter und die, die den Mord an ihm in Auftrag gegeben haben. Ne cliqueninterne Angelegenheit von der anderen Seite, vom Hans-Albers-Platz, hab ich mir gedacht. Bayern-Peter wollte alles auf einmal, und da und dort. Der lief nur noch in weißen Bettlaken rum, wie Gandhi. Sein Partner im Puff und Freund war Gerd. Die waren nur noch voll geballert mit Koks, die Arschlöcher.
Bayern-Peter war jahrelang mit ’ner Frau verheiratet, und auf einmal gehörte die dem Gerd. Obwohl sie Freunde waren. Das konnte ich nicht nachvollziehen, diesen Mischmasch. Ich kann nicht nach sieben Jahren Ehe meine Hure meinem besten Kumpel geben. Was läuft da für ’n Film? Das hat alles das weiße Zeug angerichtet. Da bin ich ins Stottern gekommen. Wie viele Wurfpfeile braucht man im Rücken, um ’ne Freundschaft wirklich in den Arsch zu machen?
Der Wiener Peter hat den Puffanteil von Bayern-Peter übernommen. Pikant ist noch gewesen, dass der Bayern-Peter in dem Pontiac erschossen worden ist, der früher dem Chinesen-Fritz gehört hatte, bevor der mit drei Kugeln abgepustet dem Wiener Peter vor die Füße gekullert war. Für mich ist die Interessenlage sonnenklar gewesen, aber auf den Killer bin ich nicht gekommen. Dass der Mucki Pinzner für 30 Mille von der anderen Seite den Job übernommen hat als »Eliminator«, wie der sich später vor der Schmiere gebrüstet hat, da hat mein Instinkt nicht ins Schwarze getroffen, noch nicht. Ich hab aber schon gewusst, dass seine zehn Jahre im Knast abgelaufen waren. Und irgendwann spendieren sie auch zwei Jahre, wenn man sich gut verhält. Aber er hat ’nen Nachschlag im Knast gehabt, weil er faustgroße Haschischbommel verkauft hat.
Zwei Monate später ist der selbst ernannte »Eliminator« wieder tätig geworden. Diesmal musste Lackschuh abtreten. Für mich und einige andere war sein Name Stacheldraht, der hat nie einen ausgegeben. Der hat nur frisch geföhnt in der »Ritze« gesessen und seinen Schmuck ausgestellt, den er ’ne Viertelstunde lang geputzt hatte, bevor er aus dem Haus gegangen ist. Das war Lackschuh. Und er hatte komischerweise trotz seiner minderen Größe und seiner hohen Absätze unter den Lackschuhen als Lude Erfolg. Er hatte sich in dem Sog vom Wiener Peter festgebissen. Lackschuh ist in der Nase blöde geworden auf Ibiza, wo sich beide ’ne Wohnung geteilt haben. Er hat löffelweise gekokst. Er hat die Weiber angeschleppt und mit dem Zeug gepudert. Er hat die Kontrolle verloren, was das Hamburger Geschäft angeht. Er hat mehr gekostet, als er eingebracht hat. Und der Wiener Peter ist ja ein schlauer Hund.
Als auf einer Geburtstagsfeier im »Top Ten« die Nachricht von Lackschuhs Tod kam, war der Rechtsanwalt vom Wiener Peter dabei. Ich seh noch heute das leichenblasse Gesicht vom Wiener Peter. Und dieses Hektische, wie da zwischen Einzelnen getuschelt wird. Und endlich kommt die Nachricht auch zu mir. Axel und ich, wir sitzen da, wir haben schon das kalte Büfett genossen, das reichhaltig gestaltet war. Da guckt Axel mich an, ich guck Axel in sein Halbmondgesicht, und wir beide gucken uns an und lachen: »Ja geil, jetzt läuft es ja wirklich wie in Chicago.«
Das war für mich tiefste Provinz an Verschleierungstaktik. Für was hat der Einfallsreichtum gerade noch gereicht? Für ’ne Geburtstagsfete, im Background ’n Anwalt. Und Lackschuh weit weg, irgendwo im Wald in München erschossen. Na, recht vielen Dank. Das war ’n schwarzer Geburtstag und das tausendfache Alibi des Wiener Peter, was denkst du denn? Und der Anwalt als Standbild daneben, der hat den Clown gemacht. Happy Birthday.
Natürlich haben wir auf die Überheblichkeit von der anderen Seite, diese Überheblichkeit, die über Leichen geht, heftig reagiert. Goldlocke hat neben mir im »Empire« am Gänsemarkt gestanden, und da ist Ringo ganz großkotzig reingekommen mit seinem Gefolge. Goldlocke wird hektisch neben mir: »Den leg ich jetzt um.« Das hab ich verhindert. Ich hab, weil ich im Sternzeichen Balance bin, also Waage, den zurückgehalten: »Ey, lass die Mätzchen hier.« Der ist zu allem bereit gewesen, der hat ’ne richtige Pistole dabeigehabt. Und wenn er geschossen hätte, wären noch drei Leute, die dahinter gestanden haben, mit umgefallen. Ich bin nicht der Aggressor gewesen, ich bin nur der Pitbull in dieser Gesellschaft gewesen.
Das war ’ne hektische Zeit. Also, wenn du durchs Messer fällst, steckst du dir auch ’n Messer ein. Und wenn in deinem Bereich schon ein paar Leichen rumliegen und du bist in diesem Wirbelsturm verankert, dann bist du auch bewaffnet, so wie Goldlocke. Und irgendwann hat irgendeiner die Schnauze voll, und dann passieren eben solche Sachen. Das ist ein Austausch wie beim Boxkampf.
Auf dem Kiez war permanent ’ne negative Vibration. Egal, wo du hingegangen bist, es gab wieder ’ne Ansammlung von dreien, die anders gedacht haben. Aber trotzdem hat man irgendwie geglänzt, als hätte man ’ne neue Ritterrüstung an: Ritter Gawain stürzt sich gegen Ivanhoe. Tolle Wurst. Und irgendwann platzt der Riegel.
Waldi und Wiener Peter kriegten im »Top Ten« ’ne Auseinandersetzung. Und wieder bin ich in der gleichen Meerenge. Man steuert mit so ’nem Schiff. Jetzt kommt so ’n richtiger Ozeanriese entgegen. Man versucht volle Kraft zurück, der braucht fast fünf Kilometer und mehr, bis der reagiert. Dann sitzt du auf diesem Schiff und begreifst was von den Zwängen der Schubkraft und fährst weiter. Du willst auch nicht abspringen in die kalte Rotze, du fährst sehenden Auges in die Havarie.
Wiener Peter hat den Lauten gemacht, der ist ein machtgeiles Arschloch. Waldi muss die Rivalität entdeckt haben. Der schwarze starke Waldi nimmt den fahlen Wiener Wicht wie mit ’ner Hummerzange und drückt ihn an die Wand. Er soll sich hier nicht so aufblasen. Und zu mir kommt aus der Truppe von der anderen Seite so ’n blonder Arsch, ’n Hundert-Kilo-Mann: Hocki. Der Hartwichser hat sich später als Begleiter von Mucki Pinzner 15 Jahre Knast gefangen. Er hatte also schon was auf der Kerbe, als der sich drohend vor mir aufbaut. Dem box ich gleich aufs Bäuchlein. Der macht ’nen Knicks wie so ’n kleines Klappmesser und zieht sich wieder zurück. Das war ein Auftritt, den haben die Herren von der anderen Seite nicht verarbeitet.
Dass die uns den Tod an den Hals gewünscht haben, konnte man sich denken. Dass die wegen solchem Prestigescheiß für uns den Auftragsmörder bestellen würden, erst für Waldi, dann für mich, lag außerhalb von unseren Vorstellungsmöglichkeiten.
Aber ich hab schon ’ne Witterung in die Nase gekriegt, nur hab ich die noch nicht deuten können. Ich bin in der Café-Bar vom Sonnenstudio, wo man so ’nen guten Blick auf die Reeperbahn hat, mit Waldi verabredet. Er sitzt da mit ’nem riesenstarken Münchner Jungen, also rein optisch riesenstark, mit Oberarmen wie normale Leute Schenkel haben. Ich komm dazu, Waldi hat mich gern involviert in geschäftliche Gespräche. Zwei Tische weiter, ich denk, ich trau meinen Augen nicht, sitzt da der Mucki Pinzner. Und sofort nehm ich ’ne statische Figur an, sofort verändere ich mich. Was läuft hier? Ich seh immer wieder dieses Bild vor mir, diese atypische Jogginghose vom Pinzner und die Hand darin, mit seinem Armeerevolver. Im Nachhinein ist das ja in den Vernehmungsprotokollen bestätigt worden. Da hat der Mucki den Waldi schon unter Observation gehabt, mich noch nicht. Ich bin ja nur zufällig dazugekommen.
Stell dir vor, Prinzessin, da sitzt der Waldi und ist ’ne Abschussprämie von 60 000 Mark wert, ’ne Tellersammlung von der anderen Seite. Ich muss da instinktiv irgendeine Körpersprache verstanden haben, sonst hätte ich nicht so abwehrend auf den Mucki reagiert, denn unser letztes Zusammentreffen im Knast war schließlich nicht unangenehm.
Leider hab ich das kleine Zeichen nicht weiter beachtet. Wir haben uns Anfang 1985 noch ziemlich sicher gefühlt und manchmal sauwohl, wenn man die ganze Rotze vom Kiez privat hinter sich gelassen hat.
Waldi ist mit seiner Frau Brigitte in mein Haus eingezogen. Ich bin mit Lilo und meinem Hund Sammy zu Axel gezogen, in sein Doppelhaus in einer riesengroßen Gartenanlage mit Swimmingpool. Wir haben da ’ne abgeschlossene Wohnung gehabt und sind trotzdem in so ’ner Art Luxuswohngemeinschaft gewesen. Der ganze Zauber hat aber nur kurz vorgehalten. Die Geschichte mit Mona ist dazwischengekommen.
Mona, ’ne Schwarze mit krausen Haaren, kess mit Berliner Schnauze, hat im »Eros-Center« gearbeitet. Sie hat als erste schwarze Hure auf St. Pauli einen Stellenwert gehabt. Von ihr hab ich ’nen Anruf gekriegt: »Ich hab Bock auf dich, ich bin im A-Haus am Arbeiten, und mein Kerl ist auf Ibiza. Ich würd dich gern mal kennen lernen.« Ich bin hinmarschiert, gar kein Thema, da hab ich ’ne Hemmschwelle gleich Null gehabt. Wir haben uns gut verstanden, und ich hab ihr gesagt: »Sag deinem Hahn, wenn er aus dem Urlaub zurück ist, er soll sich mit mir in Verbindung setzen.« Der hat meine Gewohnheiten gekannt und seine Möglichkeit genutzt, als ich unten in der »Ritze« trainiert hab.
Er kommt tatsächlich in die Boxschule, braun gebrannt, wie man sich eben ’nen netten Kerl vorstellt. Er wartet, bis ich fertig bin mit meiner Runde. Ich frag, was los ist. »Stefan, mit dir kann man ja sprechen, du bist ’n guter Junge«, fängt er an, mir den Arsch zu lecken, und sagt weiter: »Ich hab da ’ne Menge Unkosten gehabt bei der Mona. Ich hab ihr die Wohnung eingerichtet, Einbauschränke, Fernseher.« Im Nobistor-Hochhaus, am Ende der Reeperbahn, hatte ihr der Liebeskasper anderthalb Zimmer verziert. Ich sag: »Ja, das hab ich alles gesehen. Ich war ja da oben. Was willst du mir denn nun sagen?« – »Ja, Mensch, wenn du mir dafür zehn Mille oder acht geben würdest.« Dann hätte er seinem Umfeld sagen können: »Der Hentschel hat mir zehn Mille für die Tussi gegeben. Die hat sowieso nichts gebracht.« Auf solche Dialoge hab ich mich von vornherein gar nicht eingelassen. Ich hab ihm gesagt: »Nee, da bist du auf ’nem falschen Schiff. Nimm die ganze Scheiße in 24 Stunden raus aus der Hütte. Bitte, verschon mich mit deinem Mobiliar, mit deinem blöden Fernseher. Das kotzt mich an, es geht hier um Menschen. Raus mit dem Schrott. Sonst schmeiß ich das oben aus dem 20. Stock. Oder lass es drin. Jetzt langweil mich nicht. Also 24 Stunden hast du Zeit. Ich will nicht über Möbel diskutieren, Arschficker.« Der ist halb schweißgebadet abgezogen: »Ach, so ist das.« – »Ja, so ist das. Das sind deine Sachen, und die darfst du gefälligst rausholen. Ich hab mich erkundigt, der Mietvertrag läuft auf Mona. Das ist nicht deine Wohnung, du hast nur deine Möbel rauszuholen. Das ist meine Ansage. Ist das klar? Und es gibt nie, solange ich meinen Arsch zwischen Nobis- und Millerntor bewege, eine Mark für ’ne Frau, damit das klar ist. Und tschüs, schönen Tag noch!« Das hat er akzeptiert. Geh davon aus, dass ich ihn sonst totgepisst hätte, wenn’s anders gegangen wäre. So einfach ist das gewesen.
Die Leute in ihrem Puff haben irgendwann keinen Bock mehr auf Mona gehabt, weil sie den Lauten gemacht hat: »Mein Stefan.« Und dann haben sie mich gebeten: »Bitte nimm sie in deinen Laden.« Das wollte ich letztendlich ja auch. Man hat mir die Dame zugeführt. Sie hat dann bei uns im »Salon Mademoiselle« gearbeitet, und Axel hat sich sehr die Hände gerieben. Wir haben wieder neuen Zulauf gehabt. So ist das Spiel gewesen, wie eben jedes Spiel seine Regeln hat.
Zum Kompott im »Top Ten« hab ich mir meine schwarze Diva bestellt. Heute kannst du darüber schmunzeln, dass ich zu der Zeit so ’ne vernetzte Kriegerjacke angehabt hab und ’nen Indianer-Jones-Hut auf. Mona hat hinter mir gestanden und mir den Nacken leicht massiert und keine andere Alte auf zwei Meter herangelassen. Das ist natürlich ein Bild für die Götter gewesen. Die anderen haben sich das reingeimpft, das hab ich gespürt, und das hab ich genossen, verdammt noch mal.
Die Nacht im »Top Ten« hätte leicht meine letzte werden können. In dem Vernehmungsprotokoll von Mucki Pinzner habe ich lesen dürfen, dass er auf der Straßenseite gegenüber stundenlang auf mich gewartet hat. Der »Elirninator« muss mich schon länger beobachtet haben. Aber er hat ein Handicap gehabt. Weil wir uns aus der Kindheit kannten, wollte er mich aus der Entfernung erschießen. Das war der Grund, weshalb das nicht geklappt hat. Er konnte nicht an mich rangehen und Piffpuff machen, er konnte mich nicht von vorne erschießen. Ich bin über ihn hinausgewachsen, obwohl er ein paar Tage älter gewesen ist. Im Knast hatte er mir fast in einem Domestikenverhalten dieses Haschisch gegeben. Natürlich hatte ich auf meine Art meinen Knicks gemacht, weil das ’n symbolischen Inhalt hatte.
Dass er vor dem »Top Ten« nach stundenlangem Warten nicht zum Abschuss gekommen ist, muss an seiner Irritation gelegen haben. Im Vernehmungsprotokoll hat gestanden: »Morgens ist der Hentschel mit ’ner schwarzen Fotze aus dem ›Top Ten‹ rausgekommen.« Da hab ich wieder Glück gehabt, das Glück, dass ich jemanden zum Kraulen gewollt habe und nicht allein rausgekommen bin.
Das hat sich noch mal in verschärfter Form wiederholt. Als ich im »Club 77« mit Mona bis auf die Mandeln am Knutschen bin, geht die Tür auf, und es kommt Marmortitte rein, Lilo, mit der ich die Wohnung bei Axel gerade neu gemacht hatte. Die Kneipe kannten nur Insider, man rechnet nicht damit, dass jemand, den man gar nicht erwartet, da reinkommt. Meine Lilo, stolz wie sie ist, sie ist ein Widder, nimmt am Tisch Platz und bestellt sich ’n Glas Bier. Stell dir vor, was da abgegangen ist. Meine Zunge hätte ich am liebsten verschluckt. Ich mach auf die Distanz so ’n bisschen auf cool, aber das ist zum Scheitern verurteilt. Transparenter geht’s nicht, was da abläuft. Mona hat keinen Schiss, die findet die Situation toll. Ich lös mich von ihr und geh zu Lilo. Die ist affencool, die lässt sich nicht beeindrucken, in der Art: »So schlimm finde ich das nicht.« Ich bin mit meinem ganzen Getue am Ende, mir fällt nichts mehr ein. Lilo zahlt und lässt mich stehen. Ich sag zu Mona: »Das Ding ist noch nicht zu Ende.«
Ich ahne natürlich nicht, dass für mich ein ganz anderes Ende am Ausgang vom »Club 77« vorgesehen ist. Wieder lauert Mucki auf mich. Diesmal hat er von der anderen Seite schon 20 Mille Vorschuss kassiert, um mir das Hirn auszupusten. Als Anzahlung. Aber er kommt an mich »schlecht ran«, jammert er in dem Protokoll. Warum kommt er diesmal nicht ran?
Ich hab mir ein Taxi direkt vor das »77« aufs Trottoir bestellt. Es ist vielleicht eine Frage, wie arrogant man in dem Moment ist, wenn man die Bestellung aufgibt: »Ich möchte von der Tür abgeholt werden.« Jedenfalls ist das beim Taxifahrer richtig angekommen. Der fährt fast rein in den Club. Ich genieß meinen starken Abgang, den brauch ich jetzt vor den Jungs. Natürlich wusste ich nicht, dass mir diese Arroganz das Leben rettet. Ich wollte einfach nur angeben. Heute bin ich froh, dass ich angegeben habe. Ich lebe.
Nein, das Ding mit Lilo ist noch nicht zu Ende. Der Knalleffekt kommt, als ich in unserer Wohnung ankomme. Ich kann die Tür nicht ganz aufmachen. Ich denk, dahinter liegt ’ne Leiche. Das sind Berge von Klamotten. Die Wohnung ist ruiniert, die Wohnung, die wir gerade frisch eingerichtet hatten. In der Küche alles verwüstet, das Mehl ausgekippt, der Zucker verstreut. Lilo grüßt mit ’ner Sprühdose, an den Wänden steht »Negerficker«, quer über die Möbel: »Negerficker«. Selbst die Kopfkissen sind zerfleddert. Die weißen Federn kleben an der nassen Farbe von den Buchstaben »Negerficker«.
Wie viel Kraft kostet dich ein Umzug? Was kostet dich eine eingerichtete Wohnung? Alles hast du teuer tapezieren lassen. Und du siehst dann alles ruiniert. Die Wohnung konntest du in ’ner Pfeife rauchen. Die hättest du auf dem Sperrmüll abgeben können und noch Schwierigkeiten gehabt wegen der Entsorgung. Ich dachte, ich krieg ’ne Augengrätsche. Na servus. Was fällt dir da noch ein? Hau hier ab. Wenn ich dageblieben wäre, hätte Lilo vielleicht ein Dreizehn-Schuss-Magazin in meiner Brust leer gemacht. Dabei hatte sie sich vorher in der Kneipe noch ’n Bier bestellt und war obercool.
Ich hab meine Sachen zusammengepackt. Irgendwas willst du ja als Eigenes mitnehmen, und wenn es das Mieseste ist. Viel hab ich ja nicht gebraucht. Wenn ich nach Marbella fahr, brauche ich kein Surfbrett, obwohl das vielleicht da in ist.
Waldi hatte in Spanien ’nen Buggy, der hat sich aber meist nur fahren lassen. Ich hab Fotos aus Marbella gesehen, tolle Bilder. Er hat sich angepasst an das Milieu in Marbella. Er hat mir Clubs gesagt, da bin ich auch später hingegangen. Die haben ihn da alle gekannt, seine Bilder haben noch an der Wand gehangen. Er ist nicht ’n Komparse gewesen. Ich bin nach Marbella gegangen mit Waldi, also gedanklich. Wir haben vorgehabt, uns nach Ostern da unten zu treffen und ’n paar Wochen auszuspannen.
Als ich dann wegen Lilo schon vor Ostern auf die Flucht gehen wollte, hab ich Waldi noch in meinem früheren Haus besucht. Er hat mir erzählt, dass ihn der Siggi angehauen hat um zehn Mille, weil er gerade aus dem Gefängnis raus war. Den kannte der Waldi aus dem Nürnberger Milieu, und deshalb hat er ihm das Geld in Aussicht gestellt. Natürlich hat er nicht geahnt, dass diese Drecksau Siggi von der anderen Seite mehr zu erwarten hat, wenn er den »Eliminator« bei Waldi einführt. Das ist genau bei dem Bettelgespräch geschehen, und Waldi hat das gewittert. Er hat mir den Typen, den Siggi im Schlepptau hatte, so beschrieben: »Der saß auf dem Rücksitz und hatte weiße Handschuhe an. Ey Stefan, du kannst mir in den Schuh scheißen, aber der soll mich killen.« Einen Namen hat er nicht gesagt. Ich hab nicht gewusst, dass es um Mucki Pinzner ging. Wenn ich den Namen gehört hätte, war das alles nicht passiert. Es war anders gekommen, weil man die Gefahr gekannt hätte. Es war vielleicht auch kein Staatsanwalt niedergerumst worden. Die weißen Handschuhe habe ich nicht mit Mucki Pinzner verbunden, weil ich von den Pusteblumen an seinen Onanierzangen nichts wusste. Nichts. Heute weiß ich, dass er Allergien an den Pfoten hatte und deshalb die weißen Handschuhe trug. Waldi war wie ich sehr instinktiv geleitet, deswegen war vielleicht auch zwischen uns die Schublade okay. Ich hör noch heute, wie er von seinem Verdacht spricht: »Ey Stefan, du kannst mir in den Schuh scheißen …« Beim Verabschieden seh ich ihn mit ’ner Dose Bier am Fenster: »Das ist mein letztes Bier.« Mich durchzuckt’s wie ’ne Nadel, sein letztes Bier. Ich sag: »Nie wieder Bier?« – »Nee.«
Warum hat er nicht auf seinen Instinkt gehört? Warum hat er drei Tage später den Killer mit den weißen Handschuhen ins Haus gelassen?
Auf dem Weg nach Spanien sitze ich mit meinem Freund Ditschi und mit Goldlocke in so ’nem Alpenhofhotel in Österreich beim Frühstück. Über mich werden Scherze gemacht, weil ich morgens, wenn ich gut gegessen hab, auch immer ein Weizenbier trinke: »Gestandenes Mannsbild«. In Österreich ist das ’ne Abwechslung, wenn solche Leute wie Ditschi, Goldlocke und ich da auftauchen. Draußen steht ein schwarzer Mercedes mit Hamburger Nummernschild, das ist ja für die Bevölkerung auch schon was, oder? Wir haben ja nicht bei der Post gearbeitet. Auf einmal wird Telefon für uns ausgerufen, für die »Hamburger Jungs«. Axel ist am Apparat und sagt zu Goldlocke wie so ’n Mädchen: »Das sag ich Stefan nicht.« Goldlocke soll es mir sagen. Der will nicht, und Axel sagt es mir dann doch: »Waldi ist bei dir im Haus erschossen worden.«
Das passierte Ostern 1985. Waldis Frau Brigitte war gerade Kuchen holen. Vorher hatte sie noch gehört, wie Waldi mit dem Siggi telefonierte und »Tschüs, bis später« sagte. Vielleicht war es Corvetten-Ralf, der die Mörder reinließ. Der kannte den Siggi ja aus dem Nürnberger Milieu. Als Brigitte mit dem Kuchen zurückkommt, liegt Corvetten-Ralf tot auf der Treppe zwischen Wohn- und Arbeitszimmer. Und mein Waldi sitzt an seinem Schreibtisch mit drei Einschusslöchern, sitzt am Schreibtisch wie Präsident Bush und lässt sich erschießen. Und ich hör ihn immer wieder sagen: »Ey Stefan, du kannst mir in den Schuh scheißen, aber der soll mich killen.«
Wer ist der Killer? Die Frage hämmert mir im Kopf. Waldis Tod ist für mich ein Warnschuss. Steckt die Machtgeilheit der anderen Seite dahinter? Geht sie so weit, mit Mord ihre Zukunft zu sichern? Ja, die Geschäfte gehen in ganz St. Pauli bergab, aber Waldi und ich sind wie das schwarz-weiße Zukunftsduo aufgetaucht, zwei Kerle, eben die Stärkeren, denen nach diesem Darwin-Gesetz alles zuwächst wie früher dem Paten. So muss uns die andere Seite gesehen haben. Waldi, mir läuft es eiskalt den Rücken runter, ist auch für mich gestorben, ich bin als Nächster dran.
Aus meiner läppischen Flucht vor ’ner durchgeknallten Frau ist in dem Moment ’ne ernsthafte Flucht vor einer wirklich großen Gefahr geworden. Ne Flucht vor einem Serienkiller, der schon ’ne Reihe von Menschen umgebracht hat: ein Serienkiller mit weißen Handschuhen.
Auf so einer Flucht bist du eingeengt in deine dunklen Gedanken und eingeengt in ein stickiges Auto. Und dann diese unterschiedlichen Gewohnheiten von Ditschi und Goldlocke, auch zwei Jungs aus dem Leben. Ditschi hat eher den Derben gegeben, wie er das vom Bau gewohnt ist. Goldlocke ist zu der Zeit groß im Warentermingeschäft gewesen, aber er hat sich in einer sehr diplomatischen Art und Weise zurückgenommen. Irgendwie ist er mehr Frau gewesen. Der hat jeden Tag ’nen Friseur gebraucht. Ohne Flachs. Auf der Fahrt hat er ständig ’ne Zigarettenpause gewollt, »Retü rauchen« hat er in seiner gespreizten Art gesagt.
In Barcelona hat sich Goldlocke geziert, mit uns durch den Transenpuff zu gehen. Erst sind wir in ’ner Straße gewesen, da haben vor den Puffs nur hübsche Frauen gesessen, aber ich hab die absolute Gosse erwischen wollen, weil ich gewusst hab, dass ich Goldlocke damit ’nen Genickschuss verpassen kann. Ditschi und ich haben uns bald ’nen Ast gelacht, weil Goldlocke Angst gehabt hat. Wir sind in eine enge Gasse gekommen, und dort saßen Transen mit ausgestochenen Augen, weil sie wahrscheinlich irgendwann mal mit ’nem Hetero nicht klargekommen sind, oder was weiß ich. Meine Güte, die haben ihr Leben gelebt, die sind über 50, und die halten dich fest wie im Film so Leprakranke, die an dir rumzerren, oder wie indische Kinder, die vor Hunger nicht in den Schlaf kommen. Wir haben das nicht gewusst, wir haben es vorher nicht so hart eingestuft. Als wir die Straße gesehen haben, da wären Ditschi und ich am liebsten auch umgekehrt. Aber durch Goldlocke in unserer Mitte ist ’ne verrückte Situation gewachsen. »Ich hab mein ganzes Geld in der Tasche«, hat der gejammert, 40000 Mark in bar. Der ist bald in sich zusammengebrochen, und Ditschi und ich haben ’nen Lachkrampf gekriegt.
Wenn du auf so ’ner Flucht und nach der Einengung im Auto endlich an deinem Zielort ankommst, ist das wie ’ne Geburt. Ich bin fix und foxi, aber beeindruckt von Marbella. Wir haben ’ne Telefonnummer von der Immobilienmaklerin, bei der Waldi schon bekannt war, Heike heißt die, mit ’nem Spanier verheiratet. Ich hab sie angerufen: »Ich hab die Telefonnummer von Waldi. Mein Name ist Stefan Hentschel. Und Waldi ist tot.«
Sie hat uns ins »Sinatra« dirigiert, so hieß die Location gleich vorne links beim Jachthafen. Diese Immobilienmaklerin und wir drei in diesem noblen Badeort mit unserer St.-Pauli-Geschichte: Waldi erschossen, und ich auf der Flucht vor ’nem Serienkiller. Sie fragt ganz cool: »Wie lange willst du denn hierbleiben, zwei Tage?«
Heike hat uns geholfen, die ist gleich befleißigt gewesen. Wir sind ja mit ’nem Drama da angekommen. Hamburg. Wir haben nichts weiter gewollt, als die Sache zu reflektieren. Wir waren durchgebrettert und haben entsprechend ausgesehen. Das ist ja nicht jeden Tag passiert, dass Leute mit so ’ner Geschichte angekommen sind. Wir haben uns erst mal am Golfplatz niedergelassen. Heike hat alles organisiert. Wir haben ’ne ganz tolle Begehung von dem Feld gemacht und sind untergekommen in ’ner Villenunterkunft vom Allerzartesten. Da haben wir in den Betten gelegen wie in Hamburg. Ich sag: »Hier kann man es aushalten.« Wir haben nur ’ne Schlafstelle gewollt, und die Schlafstelle, die wir bekommen haben, ist für uns absoluter Luxus gewesen.
Ich hab an was Kleines gedacht, ich hab ja vorgehabt, ein bisschen länger dazubleiben. Das hab ich Heike am nächsten Tag gesagt. Sie hat sofort begriffen, dass ich auch in Gefahr bin, als sie von Waldis Tod erfahren hat. Ich hab gedacht: »Wenn ich in Marbella den Arsch zukneife, das ist affengeil.« Heike hat was Passendes gefunden und gesagt: »Einer von euch dreien muss sich da vorstellen.« Das Haus gehörte einem schwedischen Ehepaar, das nur im Winter kam. Ja, wer kommt denn in Frage? Goldlocke liegt auf der Couch, das weiß ich noch wie heute, und sagt: »Ditschi, willst du dich melden? Du kannst kaum reden. Ich sowieso nicht, ich seh aus wie ’n Lodel mit meinen gelben Federn. Stefan macht das.« Na ja, dann hab ich mich zurechtgemacht und mich als deutscher Sportlehrer ausgegeben. Ich hab die beiden älteren Herrschaften überzeugt. Wir haben uns in ihrem Haus sauwohl gefühlt. Was mir im Nachhinein eigentlich ein bisschen Leid tut: Am Ende ist das Haus ruiniert gewesen. Es hat kein Mobiliar gegeben, das heil geblieben ist, keinen Badevorhang, keinen Sessel. Goldlocke hat Bräute einfliegen lassen aus Deutschland, und ich hab das Theater gehabt mit Lilo. Natürlich haben wir nichts bewusst kaputtgemacht. Aber da sind zu viele aufeinander gewesen, da ist immer was passiert. Und jeder hat diesen Druck gehabt, als würde ein Auto eingestampft in ’ner Presse: »Ich muss da wieder hin, nach Hamburg.«
Das Haus hat auf ’nem Hügel gestanden, man konnte auf Marbella gucken. Es hat 16 000 Mark Miete für die fünf Monate gekostet. Ich hab 30 000 Mark mitgehabt, die hab ich immer mit mir rumgetragen. Ditschi hat ja nicht viel Geld gehabt. Das habe ich mit Goldlocke erledigt, er war ein großzügiger Mensch. Erst mal bin ich natürlich stolz genug gewesen und hab die Miete zur Hälfte übernommen. Zu Goldlocke hab ich gesagt: »Die Telefonkosten übernimmst du. Du telefonierst viel nach Deutschland, das ist außerhalb. Ich brauch niemanden, mit dem ich rede.« So haben wir uns eben im Klartext über die Kleinigkeiten geeinigt.
Obwohl wir ’nen Hügel mit hatten, kamen wir doch zeitweise vor Hunger kaum in den Schlaf. Nun ja, wir konnten gerade noch essen.
Andalusien ist eine der ärmsten Gegenden. Aber in Marbella ist man krass abkassiert worden. Ich bin ins »Navy« gegangen, ein toller Laden, da hat ’ne Flasche Wodka zu dem Zeitpunkt 280 Mark gekostet. Deswegen hab ich mir abends schon zu Hause was vom Supermarkt reingegurgelt. Das ist verrückt, du kriegst ’ne andere Getränkekarte, wenn Scheich Ahmed kommt. Wenn Ramadan vorbei ist, werden die Karten umgedreht, ’ne Flasche Wein kostet dann 340 Mark statt 80 Mark. Das muss man alles erst begreifen lernen. Wenn Ramadan vorbei ist, kommen die reichen Araber rüber nach Marbella. Dann kommen auch die amerikanischen Aufreißer, die für die Araber die Weiber klarmachen und ihnen Geld und Christian-Dior-Kleider versprechen. Die Frauen müssen dann mit aufs Schiff. Zeitweilig ist das in Marbella so wie unter ’ner saudiamerikanischen Kriegsbesetzung.
Da unten in Marbella ist man unter sich, dort ist man affektiert. Zu dem Zeitpunkt hab ich das so gesehen. Man spricht da Englisch, nicht Spanisch. Ich komm ins »Navy«, und da sitzt sie, so ’ne schwarze Perle. Ich guck sie an, weil sie so hübsch ist. Wenn sie lacht, dann geht die Sonne auf, ganz simpel gesagt. Wir lachen uns an, und dann setz ich mich dazu. Ich sprech sie an mit meiner verkackten englischen Sprechweise, und sie antwortet in einem besseren Hannoveraner-Deutsch: Akosua, ’ne afrikanische Diplomatentochter, aufgewachsen am Rhein. Ich hab ja alles erwartet, aber das nicht. Da lacht sie über das ganze Gesicht: »Ich hab noch viel auf dem Programm, aber wir sehen uns wieder.« Also obercool, das Mädel, 27 ist sie. Sie sagt ganz locker: »Lass uns mal auf ’ne Party gehen.« Ich frag: »Wo wohnst du denn?« – »Ja, ich bin nicht irgendwo im Hotel.« Sie hat so gelebt, wie es dort üblich ist: Man wird rumgereicht und schläft mal bei dem und mal dort. Das war für mich ’ne andere Welt, das war Neuland.
Ich hab Akosua nicht getickt oder gevögelt, so ’nen Ausdruck kann ich bei ihr einfach nicht zulassen. Ich bin mit ihr in eine fantastische Altbauvilla gegangen, sie hat da gewohnt. Wir haben ein Bett zur Verfügung gehabt, sie hat auf dem Bauch gelegen, wir sind vom Alkohol geschafft gewesen. Ich hab nur diesen gigantischen Arsch gestreichelt. Wir haben keinen Sex gehabt. Sie ist auf ihre Art eigentlich ziemlich anständig gewesen, was Sex angeht. Sie hat sich ein Buch gekauft über die Sinnlichkeit der Frau. Irgendwie hat mich das angemacht. Zwischen uns hat sich das allmählich entwickelt. Meine Güte, wenn du die Akosua gesehen hättest, die ist ja nicht umsonst als Model über den Laufsteg gegangen und hat Pelzmode vorgeführt.
Ich bin sehr in sie verliebt gewesen. In Marbella hat sie ’ne ganz andere Vorstellung von mir gehabt, wer ich bin. Die ganze Hamburger Zuhälter-Rotze, der Stress mit der Lilo – das ist alles von mir abgefallen. Oder ich bin daraus aufgetaucht und nur der gewesen, der ich sein wollte, einer im Zwischenreich ohne Gestern und ohne Morgen. In den Stefan hat sie sich verknallt, und der Stefan ist auch in ihren Kreisen angekommen. Wenn ich sie abgeholt hab, bin ich auf einmal bei den Leuten eingeladen und mit ihr rumgereicht worden in der besseren Gesellschaft. Akosua ist zu dem Zeitpunkt in Marbella rumgelatscht, weil sie Modeaufnahmen gemacht hat. Als sie kurzfristig nach München gereist ist, hab ich das so jongliert, dass Mona kommt. Nachts hab ich telefoniert mit ihr: »Tu mir ’nen Gefallen, das Leben ist hier teuer, ich brauch 13 Mille. Flieg hier ein, ich hol dich aus Málaga ab.« Sie hat ja angeschafft im »Salon Mademoiselle«. Doch sie hat einen Riesenfehler gemacht. Ich hab gesagt: »Wenn du 13 Mille voll hast, und das kannst du schaffen, dann kommst du.« Sie hat gesagt: »Ich hab’s voll gemacht.« Dann hab ich da gestanden wie so ’n Primaner am Flughafen, und sie hat nur sieben Mille mitgehabt. Da sind meine ganzen Pläne den Bach runtergegangen. Und dann hat sie sich auch noch gegen meinen Willen ihre Negerkrause rausmachen lassen, ich bin bald ausgerastet, als ich sie gesehen hab.
Mona hat mich verarscht, nur sieben Mille. Zuerst haben wir gefickt wie die Wilden, und dann hab ich sie ausquartiert. Mit ihren glatten Haaren hat sie ausgesehen wie ’ne Inderin. Es hätte nur noch der Punkt auf der Stirn gefehlt, aus welcher Kaste sie ist. Mir ist zu ihr rüchts mehr eingefallen. Du bist ja in Marbella, nicht im Penny-Markt, und hast ’ne ganz andere Vergleichsperspektive. Sie kommt da mit ihrer Berliner Kodderschnauze und ohne Negerkrause – das hat mir nicht gepasst.
Und dann sind natürlich Sachen passiert: Mona und ich haben irgendwo zusammen gegessen. Dann sind Bekannte gekommen, mit denen ich wochenlang bei Akosua gesessen hab. Die haben das schwarze Mädchen gesehen und gleich von Akosua gesprochen. Und natürlich ist ’ne Hure ausgeschlafen, die hat das sofort überrissen.
Mona hab ich gesagt: »Wunderbar, du hast aus dreizehn nur sieben gemacht. Du ziehst ins Hotel ein, das wird bezahlt. Und du nimmst deinen Rückflugtermin wahr. Ich hab mit dir hier rein gar nichts mehr zu tun.« Und so hab ich das gemacht. Sie hat natürlich noch dreimal gekräht und mir zwei Fensterscheiben eingewichst, weil sie nachts reinwollte.
Lilo ist auch gekommen, das war das Kompott zur Sache. Ich hatte einen Hilfeschrei losgelassen, dass sie kommen soll. Eigentlich wollte ich sie nicht haben, aber sie war der einzige Mensch, der mir meinen Sammy bringen konnte, meinen Hund. Den brauchte ich, er ging mir grausam ab. Ich vermisste meinen Sammy, wenn ich in den Bergen war, und ich vermisste ihn, wenn ich am Strand war. Ich wollte nur meinen Sammy kommen lassen. Dann hab ich natürlich den Knicks gemacht und gesagt: »Ich hol euch aus Málaga ab.« Die erste Begegnung ist ’ne Enttäuschung. Ich steh in Málaga am Flughafen, sie kommt alleine raus, und ich guck nur: »Wo ist denn der Hund?« Das dauert ja länger, endlich kommt er in seiner Transportkiste an. Dann sieht er mich, schmeißt mich auf den Boden, und dann leckt er mich von oben bis unten ab, dieser Vierzig-Kilo-Koloss. Lilo sagt: »So werd ich nicht begrüßt!« – »Alles zu seiner Zeit«, sag ich, »ich bin schon geil.« Sie hatte mir geschrieben, dass sie sich geläutert hat: »Neckerficker, das ist Vergangenheit.« Ich hatte ein Gefühl von Großzügigkeit in mir, als ich das las, ich hab ihr geglaubt. Aber das ging alles wieder los.
Lilo hat sich in Torremolinos ein Hotelzimmer genommen. Sie ist dort mit ’ner Taxe hingefahren, für viel Geld. Gott sei Dank ist Akosua nicht da gewesen, als mich die Lilo in Marbella aufgesucht hat. Sie hat mehr gewollt, ich hab vorgehabt, es knallen zu lassen. Lilo ist dann eines Abends mit ’ner Taxe angetrunken von Torremolinos nach Marbella gefahren. Sie kommt ins »Ra Ra« rein, und ich sitz mit Akosua da. Sie hatte mich ja schon mit der schwarzen Mona im Hamburger »77« knutschen sehen. Und jetzt sieht sie mich in Marbella mit Akosua, der 1,82 Meter langen Schwarzen. Die muss ’ne Augengrätsche gemacht haben. Irgendwas muss da passiert sein. Ob da ein Eierstock runterfällt? Dann ist sie raus. Natürlich hat sie mir noch ’ne Show geboten. An den zwei Stränden, wo die Jungen und die Reichen rumturnen, ist sie langgefahren mit so ’nem amerikanischen Schlitten. Sie ist ausgestiegen und hat mich keines Blickes mehr gewürdigt, sie hat richtig abgekürt. Sie hat ’nen holländischen Freier gehabt und versucht, mich da nun ’n bisschen abzustrafen. Das brauchte ich so nötig wie ’n Loch im Kopf. Ich hab meine Zufriedenheit versteckt und gedacht, sie darf jetzt bloß nicht merken, dass ich mehr auf die Akosua abfahre. Ich bin richtig glücklich gewesen, wie sie abgebalzt hat, die Mutter. Das ist mir schon wichtig gewesen, weil ich ja ihre Scheiße gekannt hab. Aber sie ist mit meiner Ruhe nicht zufrieden gewesen: »Wie kann dieser Hund so ’ne Gelassenheit vorführen?«
Heute weiß ich, sie ist Widder vom Sternzeichen her, dass sie mich zurückhaben wollte auf ihre Art, aber auch zerstörerisch. Zum gleichen Zeitpunkt wie Lilo ist auch Ditschis Frau gekommen. Kannst du dir vorstellen, Prinzessin, wenn Frauen in Hamburg für Geld ficken gehen, und die beiden Kerle, Ditschi und ich, sind in Europas nobelstem Badeort und lassen sich die Welt gut gehen – was die sich für Gedanken machen? Wie sie sich trotzdem geifernd in ihrer Form um diese Kerle bemühen: »Also, dann muss an denen was dran sein, da geben wir unser Bestes.«
An uns ist auch was dran gewesen. Man ist ja bei dem Wetter schon morgens und erst recht beim Abendessen im Lokal sehr schwanzorientiert gewesen. Du hast bei den Temperaturen ein Verlangen gehabt, das sich nicht steuern lässt. Dieses Gefühl hab ich auch gelebt, egal wie. Mich hat es schon angemacht, wenn sich zum Beispiel nachmittags so ’ne Reinigungskolonne aufgereiht hat, und dann haben die alle angefangen, beim Saubermachen mit dem Arsch zu wackeln. Das hat mich richtig geil gemacht. Aber ich hab mich zurückgehalten, obwohl ich besoffen gewesen bin.
Diese Mixtur, das Wetter und dann der Druck, was kommt auf dich zu?, das hat mich in einen Ausnahmezustand versetzt. Du liegst nachts auf deinem Laken, der Moskito ist dir angenehm als Ablenkung: Was kommt jetzt auf dich zu?
Ich hab mir Vorwürfe gemacht, dass ich ’n ziemlich feiger Hund bin, weil ich zugelassen hab, dass es sich in Hamburg so zugespitzt hat. Ich hab mir das Vergangene immer wieder vorgespielt, wie ’nen Film, hab mix jede Kleinigkeit angesehen, jeden Vorfall immer wieder von vorne bis hinten durchgespielt. Auf einmal setzt sich alles zusammen wie ein Mosaik, und dann drehst du den Schalter um, und das Licht geht an, und du siehst ganz klar: Der Wiener Peter steckt dahinter, der Wiener Peter mit seiner Machtgeilheit und seinem Größenwahn. Er will der Pate von morgen sein, ein Pate, der über Leichen geht.
Und dann findest du den letzten Mosaikstein. Goldlocke redet über die Jungs in Hamburg, wie er ja oft über den und den geredet hat, und so redet er von dem Mucki mit seiner Scheißgicht und seinen weißen Handschuhen. Ich sag: »Was ist los?« Plötzlich kann ich die weißen Handschuhe in Waldis Beschreibung erkennen. Da gehen alle Birnen an, die ’n Mann hat. Ich sag: »Der Killer ist Mucki Pinzner.«
Mit Goldlocke hab ich sofort ’nen Konsens gehabt. Was er sich zusammengepuzzelt hat, ist deckungsgleich mit meinem Bild gewesen. Ich hab nach dem Gedankenblitz mit den Handschuhen was Dummes gemacht. Ich zu Goldlocke: »Gib mir mal gleich die Nummer vom ›Chikago‹. Ich muss mal mit dem Ringo Klartext reden.« Und dann zu Ringo: »Du, ich weiß jetzt, um was es geht. Weißt du eigentlich, dass dein Partner, der Wiener Peter, der Wurmstichige ist, ja, der Wurmstichige, der sich wie ’n Harzer Käse von alleine bewegt. So verdorben ist der. Und Mucki Pinzner ist sein Schießer.« – »Ehrlich, Stefan?« Ringo tut so, ach Gott, als wenn ich ihm Neuheiten erzähle. Und er gibt mir wirklich Nahrung und lässt mich plappern. In Wirklichkeit hat er mich aushorchen wollen. Ich hab nicht für möglich gehalten, dass er voll involviert sein könnte. Ich war immer noch unter diesem herrlich naiven Mantel verdeckt. Durch den Anruf hab ich mich gefährdet, der ist ’ne Angel gewesen, die ich zum Mist ausgeworfen hab, absolut.
Goldlocke ist versessen darauf gewesen, unseren Verdacht der Polizei mitzuteilen. Wenn man monatelang auf der Flucht in ’nem Haus zusammen ist, dann tauscht man sich ja über alles aus. Der hat wirklich nächtelang telefoniert und immer mehr Indizien zusammengekriegt. Ich will nicht wissen, was der Heike an Telefonrechnungen bezahlt hat. Der hat seiner Alten Heiratsanträge gemacht, und, weil er sich sicher gefühlt hat an dem Platz wie auf der Lorelei, über seinen Rechtsanwalt die Verbindung zur Hamburger Kripo gemacht. Goldlocke hat denselben Anwalt gehabt wie der Wiener Peter, das war ja das Groteske an der Sache. Als mich Goldlocke einweiht, sag ich: »Pass auf, wir haben den Jeep, wir treffen uns mit denen hier nicht in der Hütte, das will ich nicht. Wenn du willst, komm ich mit.« Die Kripoleute sind zu zweit aus Hamburg eingeflogen, wir haben uns in der Mitte der Strecke zwischen dem Flughafen und unserem Haus getroffen, in einem Gartenlokal. Das Versteckspiel haben wir uns sparen können, denn die haben genau gewusst, wo wir uns aufhielten. Die haben alles gewusst, die Schmiere war ja so geil, die haben am Telefon gesagt: »Hören Sie mal zu, Herr Hentschel, wir können uns treffen, wo wir wollen. Wir wissen, wo Sie sich aufhalten. Ich gebe Ihnen ’ne Luftlinie von sieben Kilometern.« – »Ich weiß, ich hab auf meinen Tacho geguckt, das waren sechs Komma vier.« Also, ich hab mich da nicht mit doofen Herren unterhalten. Da hab ich immer schon irgendwie ’n Orientierungsmaß gehabt.
Wir sind in das Lokal gefahren, und natürlich waren wir rein optisch gleich zu erkennen, das war klar. Ich denke mal, dass sie auch Bilder von mir vorliegen hatten. Goldlocke hat geredet wie ein Buch. Ich hab mich zurückgenommen und gemerkt, ihr Interesse hat mir gegolten. Ich hab mich gefühlt wie in ’nem Operationshemd, das man hinten zuschnürt: hilflos. Und dann fragt der Kripomann, der spricht wie ’n Junge vom Kiez, ob man mit mir sprechen könnte, und ich sag: »Aber bitte in der Gegenwart von meinem Begleiter.« Daran hat mir gelegen, weil man irgendwie ’nen Kodex hat, man ist ja kein Verräter. Ich hab denen einfach in einer schmerzfreien Zone gesagt: »Ich habe mir erlaubt, einen fünfseitigen Brief zu schreiben, wie ich die Geschichte sehe nach dem schmerzlichen Tod meines Freundes. Und jetzt liegt es an euch, mich was zu fragen.« Ich hab nicht auf die Tränendrüse gedrückt. Aber ich durfte wenigstens diese Worte in aller Deutlichkeit sagen: »Ich weiß, wie die Scheiße läuft, Mann. Und das und das sind meine Beweise, das ist das, was ich weiß. Der Killer ist Mucki Pinzner. Tut mir ’nen Gefallen, Männer, also Mucki Pinzner kenn ich vom Kindergarten, erzählt mir keine Kacke. Jetzt weiß ich um seine weißen Handschuhe, Mucki ist nicht Balu, der nette Bär, er ist der Serienkiller. Und der Auftraggeber ist dieses andere Arschloch, der geltungsbedürftige Wiener Peter. Und wenn ihr das nicht so seht, ist das eure Sache. Ich kenn den einen, und ich kenn den anderen mit diesem Schmachtbolzen.« So habe ich geredet: »Und ich komme wieder nach Deutschland, auch wenn diese Wanze noch lebt.«
Erst mal ist der Axel gekommen, weil er gedacht hat: »Der Stefan kommt nie wieder zurück und der Ditschi auch nicht.« Der hat in Hamburg gemerkt, wie die Geschäfte runtergegangen sind, während sein Partner in Marbella sitzt. Goldlocke hat ihn mitgebracht, als er ’ne ganze Kolonne Mercedesse aus Deutschland geholt hat mit ’nem Vertreter von Mercedes. Die haben damals in Marbella diese ganzen Mercedes-Cabrio vorgeführt. Das hatten die vorher geschäftlich vereinbart und sind da über diese Traumstraße gefahren. Axel ist in seinem Ferrari gekommen. Aber Andalusiens Straßen haben ihm den vernichtet.
Er hat auch ’ne Hure mitgebracht, weil er gedacht hat, wir schwelgen da nur in Gold und Silber, unsere Weiber ficken rum, und wir tragen das Geld jeden Morgen schulterlastig weg. Irgendwie haben wir das auch in den kalten Norden vermittelt.
Das Schlimmste, was ’ner Frau in diesem Gewerbe widerfahren kann, ist Axels Hure passiert. Sie hat irgendwann ’nen Lauf mit ’nem Freier gemacht und ist morgens ganz entsetzt nach Hause gekommen. Also, die ist von so ’nem Polizeioberen durchgenommen worden. Der hat sich als Freier ausgegeben und die Frau die ganze Nacht durchgefickt, aber in jedes Loch, selbst ins Ohr. Dann hat er ihr gesagt, ihr Patrone soll sich bei ihm melden und hat ihr seine Karte gegeben. Da haben wir natürlich alle ’nen Schluckauf gekriegt. Das ist Alarmstufe Rot gewesen. Axel hat sich ganz schnell in seinen ruinierten Ferrari gesetzt und ist mit der Frau zurückgebrettert.
Ich hab gerochen, dass die Spanier hier höllisch aufpassen, damit sich keine Jungs von auswärts festsetzen und ihre Frauen rumturnen lassen. Vor Axel ist ’ne Stuttgarter Gruppe mit 24 Mann aus Marbella verjagt worden. Alles das hab ich ja gewusst durch die Heike. Ich hör ja Frauen, die was in der Birne haben, gerne zu. Sie hat gesagt: »Ihr Hamburger Jungs müsst vorsichtig sein, gerade du, Stefan, mit deiner Vorgeschichte, Waldi erschossen, vielen Dank. Spiel mal den Ball schön flach.« Das hab ich gemacht, flacher geht’s nicht.
Nach ’ner Zeit ist dann Goldlocke abgehauen. Ditschi auch, aber der ist noch mal kurz wiedergekommen. Ich hab ihn in Hamburg angerufen und gebeten: »Tu mir ’nen Gefallen, setz dich in mein Auto und bring mir den Sandsack mit.« In Marbella haben ja Leute wie Arnold Schwarzenegger im Sportstudio trainiert. Meinen Audi 100, den hab ich gebraucht wegen Sammy, um mit ihm in die Berge zu fahren und rumzutoben.
Irgendwann im September hab ich Marbella kurzfristig verlassen. Die Nachrichten über die aggressive Stimmung in Hamburg haben mich beschäftigt. Alle meine Lampen sind angegangen, ich hab in ’ner schmerzlichen Klarheit nachempfunden, was wirklich passiert war. Ich war voller Hass und hätte gerne meinen Ramboeffekt raushängen lassen. Ich hab ja nicht mit den Füßen in der Steckdose geschlafen, die Entwicklung in Hamburg ist mir nicht fremd gewesen, zumal ich gewusst habe, wer mit was im Spiel ist.
Sammy hab ich in einem spanischen Tierheim untergebracht. Das ist für mich grausam gewesen. Ich hab auch das Auto unten stehen lassen und bin geflogen. In Deutschland hab ich ’n paar Mark eingelöst, ich hatte noch ’ne Reserve auf der Bank, ’nen Pissgroschen, aber der sollte für Sprit und vielleicht für drei Monate reichen. Wenn du keine Luft mehr kriegst und in so ’nem teuren Badeort überleben willst, dann frisst du auch Staub.
Ich bin drei Tage in Hamburg gewesen und hab mich auf dem Kiez in meinem Trenchcoat gezeigt. Auf der anderen Seite hab ich einen meiner guten Freunde als Portier arbeiten sehen. Den hab ich »Opa« genannt und bin jahrelang sehr nett zu ihm gewesen. Ich sag: »Du stehst hier auf der falschen Seite.« Und er sagt: »Hier kann ich mir mein Geld verdienen.« Jetzt hat sich das Vertrauen gezeigt, dass zwischen uns in all den Jahren gewachsen ist. Er hat mir gesagt, dass auf mich ein Kopfgeld ausgesetzt worden ist. Dass die Tellersammlung rumgegangen ist. Wer alles sein Geld reingeschmissen hat, da hab ich nicht schlecht gestaunt. Da sind Leute darunter gewesen, denen ich mal geholfen hab. Danke schön. Ich musste ganz schnell wieder weg, ich wusste, der Nächste, der hier fällt, bin ich.
Dann bin ich wieder nach Marbella zurück. Die Heike konnte mir kein Haus mehr nach der Verwüstung bei den Schweden anbieten. Daher hab ich meinen Hund nicht abholen können. Akosua hat sich aus ihrer Villa verabschiedet und ist zu mir ins Hotel gezogen. Dass ich in so ’ner schwierigen Zeit ihrem Lachen begegnet bin, ist für mich wie ’n Trost vom Schicksal gewesen. Ich hab noch ’ne schöne Zeit mit Akosua gehabt. Die werd ich nie in meinem Leben vergessen.
Nein, das Geld ist noch nicht alle gewesen. Mein zweiter Name ist Heinz, so hieß mein Vater. Wie er bin ich Sachse und hab immer noch was im Beutel. Nach Hause, nach Hamburg, wollte ich schon irgendwie kommen. Auf jeden Fall hab ich die Verantwortung gefühlt, Akosua abzusetzen bei ihr zu Hause am Rhein. Mein Zuhause gab es nicht mehr. Die verwüstete Wohnung bei Axel wurde ja aufgelöst. Aus Marbella hab ich Lilo angerufen, was Akosua wiederum nicht wusste, und ihr gesagt: »Du, ich glaub, ich hab noch was zu erledigen.« Ich hatte ja noch diesen Ramboeffekt im Kopf. Und irgendwo musste ich ja pennen.
Mir ist schon bewusst gewesen, dass ich meinen Hund in Einzelhaft gelassen hatte. Auf unserer Rückreise bin ich mit Akosua in diesem Audi in das Tierheim gefahren, um ihn abzuholen. Wir haben eine Begrüßung gehabt, das war die schönste, die ich je erlebt hab. Ich geh auf das Tierheim zu, da steht so ’n alter Spanier. Er sieht aus, als hätte er 80 Weinberge, er hat graue Bartstoppeln und so ’ne Hängerpfeife im Gesicht. Auf einmal nimmt er die raus, guckt mich an und schreit: »Sammy!« Ich sag: »Ja, ja.« Er hat mich nie vorher gesehen und sagt zu mir »Sammy«. Der ist der einzige Hund gewesen – und die haben ja viele Hunde dort gehabt, und in Spanien hat man ein anderes Verhältnis zu Tieren –, den er abends in sein Haus gelassen hat, meinen Hund. Bei den Herrschaften, also den Spaniern, hab ich noch lange gesessen mit Akosua auf ein Schnäpschen. Ich hab eine große Freude über Sammy gehabt.
Dann sind wir ins Auto und los, durch die Sierra Nevada. Unterwegs steht überall, wo du halten willst, um zu tanken oder ’nen Espresso zu nehmen: »Sin Perro«, keine Hunde. Ich lass natürlich meinen Sammy im Auto, dreh ein bisschen die Scheibe runter, wie sich das gehört, und geh mit Akosua rein. Wir trinken ’nen Espresso und essen was. Irgendwann komme ich zurück auf den Parkplatz, so nach ’ner Stunde. Ich hab meinen Schlüssel in der Hand, seh mein Auto und guck da rein, das ganze Auto ist voll von Plastikzeug. Das ist nicht mein Auto. Ich geh weiter und wieder zurück.
Mein Hund hat in meiner Abwesenheit, nachdem ich ihn so lange alleine gelassen hatte in Einzelhaft und dann noch einmal ins Auto gepfercht hab in die Isolation, da hat der mir alles zerlegt. Die Zentralverriegelung, die Seitentür, die Kopfnackenstützen, die Armaturen – das Auto war ein Chaos. Sammy hat da unten gelegen, als würde er von mir Dresche kriegen. Ich hätte fast weinen können – was hab ich dem Hund angetan? Der Hund ist ’n Pitbull, ein Vierzig-Kilo-Hund. Jetzt hab ich den im Auto ’ne Stunde allein gelassen. Trotzdem ist zwischen Sammy und mir eine gigantische Solidarität. Ich seh das Auto zerfetzt, ich denk, hoffentlich geht das Gaspedal noch.
Ich hab den Scheiß erst mal ausgeräumt. Die Kopfstützen waren nur noch Schaumgummi. Es war nichts mehr da, die Seitenverkleidung weg, nur noch das Blech da, ein Wischer ging nicht. Und ich war mitten in Spanien. Ich weiß noch, ich musste erst mal hinter irgendwelchen Autos versteckt pinkeln.
Ich bin über drei Grenzen gefahren mit einem Lenkrad, das aussah wie ’n Flugknüppel. Es war katastrophal. An jeder Grenze: »Bitte rechts ran.« – »Selbstverständlich.« Ne Schwarze auf dem Beifahrersitz, hinten ’n Pitbull und ein zerfetztes Auto. Na, recht vielen Dank, ’ne tolle Heimreise.
Bleifuß Richtung Hamburg. Ich hab nur getankt mit dem zerrissenen Auto, nichts gegessen, nichts getrunken. Auf dem Nachhauseweg hab ich immer wieder Lilos Stimme gehört: »Dann komm mal mit Sammy, es ist alles okay. Wunderschön.«
Als ich in Hamburg angekommen bin, hat früher Schnee gelegen. Für unsere tolle Unterkunft bei Axel wollte Lilo nicht mehr die Unkosten tragen, weil ich den Harlekin in Marbella gemacht hatte. Sie hat sich ’ne Wohnung in der Waterloostraße genommen, in Eimsbüttel. Ich komm in Lilos Altbauwohnung im 1. Stock, klobig, ein langer Flur, viel Stuck. Nur das Schlafzimmer ist eingerichtet, ein paar Möbel, die in unserer alten Wohnung noch heil geblieben waren, stehen rum. Na ja, ich bin gerade angekommen, und sie will gleich arbeiten gehen in die Herbertstraße. Ich hätte ja auch nie gebellt, dass sie mir was zu essen machen muss. Ich geh in die Küche und sag: »Ich will nur ’nen tiefen Teller, weil der Hund Wasser braucht.« Nicht, dass Sammy rumgefiept hätte, das hätte er nie gemacht. Der hatte mir zwar das Auto zerlegt, aber er hatte Charakter. Und ich fang da nicht an: »Machst du Bratkartoffeln und ’n paar Eier?« Wenn ich nicht gefragt werde, ob ich Hunger hab, nachdem ich 14 Stunden mit dem Auto unterwegs war, dann hat sich das andere auch erledigt.
Natürlich war das ein distanzierter Empfang, was anderes war auch nicht zu erwarten. Sie war ja informiert, dass ich mit ’ner Schwarzen zusammen war, aber trotzdem kam ich wieder an die Mutterbrust. Da war wieder eine Tür auf, erst mal. Da gab es auch ’ne Verbindung von dem Vierbeiner zu Lilo. Sammy freute sich auch über sie, aber sehr verhalten, so wie ich auch war.
Erst mal hab ich meinen Freund Ditschi und seine Frau besucht. Die haben im Hotel »Amber« gewohnt, mit allem Sack und Pack, was sie hatten. Ins Hotel »Amber«, na gut, da geht man mal hin zum Ficken. Da gibt es ein Spielzimmer, das ist die Zehn, das weiß jeder, das kann man reservieren. Aber da wohnen ist schon: Oh, Hilfe. Ich bin da hoch ins Zimmer und sag: »Ditschi, was machst du denn hier?« – »Ach, ich fall schon wieder auf die Füße.« Ein Wort gibt das andere, wir sind in so ’ner Grabesstimmung und hören diese Platte von Prince, Purple Rain: Das war Waldis Musik, die wurde auf seiner Beerdigung gespielt. Ich hatte das Stück in Marbella nicht gehört. Jetzt erlebe ich durch die Musik Waldis Beerdigung in Gedanken. Dann kommen solche Ausraster: Aus Hass wächst was, was einen wach hält.
Mucki Pinzner ist ja noch draußen rumgelaufen. Ich hab auch Dillo gesehen, der schon ’n bisschen schwach bei Blase gewesen ist und sich trotzdem mit 5000 Mark beteiligt hat an meinem Kopfgeld. Und ich hab von seinem guten Vorschlag gehört, mich durch den Fleischwolf zu drehen und an die Pitbulls zu verfüttern.
Ich bin, als ich aus Marbella wieder zurück war, einer der am meisten gefährdeten Männer. Ich rangiere ganz oben im Visier. Angst essen Seele auf, Prinzessin. Es geht um Leben und Tod, ich bin wieder da, ich stell mich, alleine wie immer.
Man ist absolut ein Topstar darin, Dinge zu verdrängen, wenn man unten in Marbella in der göttlichen Sonne ist und wie bei Bay Watch die schönen Leiber um sich hat. Dann ist alles in Ordnung, und man will eigentlich gar nicht an das denken, was in Hamburg passiert ist, versteht du das, Prinzessin? So verdreht man sich selber in seiner Person, und dann kommt mit Wucht die Vergangenheit zurück und ist mit einem Mal die Gegenwart. Wie geh ich jetzt weiter vor? Bin ich jetzt in Hamburg zurück ohne Eier, oder mach ich mein Ding? Ich hab immer mein Ding gemacht. Da kann der oder jener noch rumlaufen. Mit dem Wissen, dass die da sind, bin ich außer Haus gegangen, so hab ich mich auch angezogen.
Mein erste Amtshandlung: Ich bewaffne mich. Mir gehörte ’ne Smith & Wesson, 9 Millimeter, die hatte ich von meinem Freund Brillanten-Paul in rotem Geschenkpapier erhalten, lange bevor ihm in Portugal der Kopf zerschmettert wurde. Ich seh ihn noch vor mir im »Wintergarten«, und er sagt: »Hinter meinem rechten Hinterreifen ist was für dich.« So was lässt man sich nie in ’ner direkten Verbindung geben. Ich geh raus und bück mich am rechten Hinterreifen, als wenn ich ’nen Schnürsenkel zumachen will, und steck mir das Geschenk in die Tasche.
Brillanten-Paul war schon lange tot, aber die Kanone hatte ich wie eine Bibel bewahrt, die hatte für mich Priorität. Ich hab sie im Schrank unter der frischen Wäsche versteckt, da, wo ich früher das Geld gebunkert hatte.
Irgendwann habe ich sie meinem Freund Günther gegeben, der heute leider tot ist. Der hatte in der Hierarchie seiner Firma großen Streit und fragte mich nach ’ner Waffe. Den hab ich geliebt, ich hab immer »Vater« zu ihm gesagt. »Ey Vater, mach keinen Scheiß.« – »Stefan, gib mir ’ne Waffe, ich bin ein erwachsener Mann. Ich hab ein Haus und pflege meine Frau, die muss ich schützen. Du musst mir helfen.« Natürlich hab ich ihm geholfen. Was weiß ich, was da oben in diesen Chefetagen abgegangen ist. Es hat mit dem Krieg Iran-Irak zu tun gehabt und mit Waffengeschäften. Na ja, für mich ist das alles Neuland gewesen, verdammt noch mal, Waffengeschäfte. Günther hat kein Gemüse verkauft. Und er hat mich komischerweise nach ’ner Waffe gefragt. Er ist für mich wirklich ’n geiler Typ gewesen. Also, ich hab keinem Neurotiker was gegeben und schon gar nicht die Waffe. Ich hab gesagt: »Ich gebe dir die Waffe für die Zeit, wo du sie brauchst. Und wenn du sie benutzt hast, behalte sie, und dann sprechen wir über den Preis. Wenn nicht, gibst du sie mir zurück.«
Und es ist dann die Zeit gekommen, dass er sie mir zurückgeben musste. Ich hab die Pistole geholt, aber ich wollte nicht schießen. Ich hab sie am Mann gehabt, hinten im Gürtel, die ist wie mein zweiter Schwanz gewesen. Ich hab auch immer ein Gewicht, sprich das Schlüsselbund, in die Tasche gelegt, denn wenn du zur Pistole greifst, musst du ein Gewicht haben, dass die Stoffrolle nicht zurückkommt. Du musst gleich Platz haben, um an den Knauf ranzukommen. Wenn ich zum Boxen gegangen bin, hab ich mir nur eine Hand bandagiert, damit ich die Smith & Wesson durchziehen kann. So hab ich gelebt hier, sogar zum Scheißhaus hab ich das Ding mitgenommen, in meiner eigenen Wohnung, weil man mir mein Rennrad im ersten Stock geklaut hat. Das hat neun Kilo gewogen. Da hab ich gedacht: »Na, wenn man mir das Rennrad da oben vom Balkon klaut, dann muss ich das Ding auch mit in die Heia nehmen.«
Mein Puff hat ja nun richtig den Kopfsprung gemacht. Ich geh da rein und finde nichts mehr von dem vor, was ich verlassen habe. Es sind – genauso wie damals, als ich angefangen habe – nur noch vier, fünf Weiber da. Die Aids-Hysterie hat die Geschäfte versaut. Es ist nichts mehr los gewesen. Ich hab die Massenhysterie vor Aids nicht verstanden, weil Huren in ihrer Arbeitsphase viel sauberer sind als ’ne Solide, die die Nacht durchgetanzt hat und danach den Weg zur Dusche nicht findet und sich auch noch geil fühlt. Also, ’ne Hure macht sich da schon in ihrer Sache sauber. Da wird Wert darauf gelegt, das ist letztendlich auch das Geschäft. Du verkaufst ja auch keinen Wagen, wenn da Scheiße auf dem Rücksitz liegt. Trotzdem wuchert die Vorstellung, wo Aids nur herkommen kann: aus ’ner Minorität, von Huren, die jeden Tag rumvögeln.
Eine von unseren Huren, die Marita, die aber längst nicht mehr im »Salon Mademoiselle« gearbeitet hat, die ist nur noch ein Drittel von dem gewesen, was sie mal war. Marita, die Diva mit den tollen Hüten, Marita, die immer so tat, als warte sie auf den einen, hat den einen gefunden, der ihr den Tod gebracht hat. Aids hat sie nicht vom Ficken gehabt, sondern von dem Penner, der sie auf die Nadel gehoben hat. Die ist dann bald gestorben.
Aber nicht nur wegen Aids ist der »Salon Mademoiselle« so heruntergekommen. Mein Partner Axel hat die Welt nicht mehr verstanden. Warum bin ich auf einmal monatelang weg, lass Bräute einfliegen und mir Geld geben? Ich hab seine Lage auch nachvollziehen können. Ich hab mich um Hamburg ja nicht mehr gekümmert. Ich hätte auch eher wiederkommen können, wenn ich nicht besoffen von dem gewesen wäre, was passiert war. Ich kann meine Fehler nicht schönreden, ich brauch nicht den Max zu machen, ich bin doch kein Armdrücker, in erster Linie bin ich Denker. Und das mach ich auch als Kampfsportler: Der Fight wird im Kopf entschieden, und den ums Geschäft hab ich verloren. Axel hat schon jemanden an der Leine gehabt, der den Puff kaufen wollte: Männlein ist der genannt worden, der hat ’nen ganz schlechten Ruf gehabt, weil der mit miesen Tricks gearbeitet hat. Er ist eben sehr talentiert auf seine Art gewesen. Wenn irgendwas bergab geht und du brauchst jede Mark und willst wieder aus der Scheiße raus, dann akzeptierst du auch so einen wie Männlein. Da fragt er mich: »Kannst du dir vorstellen, an mich zu verkaufen?« Ich sag: »Frag mich lieber, warum ich verkaufen will.« Mit meiner Ehrlichkeit hab ich ihn fasziniert. Das Geschäftliche hat Axel in die Wege geleitet und ein mehr oder weniger bankrottes Geschäft für kleines Geld verkauft. Er ist mir noch mit den Mietschulden gekommen: »Das müssen wir aufrechnen und hochrechnen.« Natürlich, wenn ich ein dreiviertel Jahr in Marbella rumgeturnt bin und mit diesem persönlichen Druck agiert habe, und Mucki läuft noch rum. Aber was hat der Axel mit Mucki und Waldi zu tun gehabt?
Am Ende hab ich ’n bisschen Bewegungsgeld gehabt, ein Handgeld, mit dem man noch ’n bisschen überleben konnte, ungefähr 20 000 Mark. Axel hat dann das »Relax« in St. Georg gemacht und gefragt, ob ich da mit einsteigen will. Wir galten ja noch als Partner. Das »Relax« hat mir schon gefallen, ein toller Laden, roter Samt, ’ne Hollywood-Bar in Hufeisenform. Da haben sich die Damen aufgereiht und sind in der Nachbarschaft in ein anderes Haus ficken gegangen. Im Prinzip ist das »Relax« ein Nachfolgeetablissement vom »Chérie« gewesen, ein Sammelpunkt von Huren, die Klasse hatten. Da ist das Geld nur so reingeprasselt. Axel mit seiner Spürnase hat das gerochen. Aber ich bin am Einstieg mit 30 000 Mark gescheitert, verdammt noch mal, ich hab das Geld nicht gehabt. Da war ich eben über Bord, im Klartext.
Zwischen Weihnachten und Neujahr bin ich mit Lilo verreist. Ich wollte der Alten mal wieder unter die Arme greifen, damit sie nicht so ’ne Fresse zieht. Ich war ja nicht ihr Heger und Pfleger, ich bin nicht mit Seidensakkos und Goldkettchen rumgerannt. Ich wollte einfach schnell wieder weg in die weite Welt. Thailand war eine Idee von ihr, weit weg und niemanden kennen lernen. Sie hatte immer Angst, wenn wir nur nach Spanien, nach Mallorca oder Ibiza gefahren sind, dass ich da die Hälfte der Menschen kenne. Also haben wir uns auf die Insel Phuket eingeschwärmt. Nach der Fünf-Sterne-Scheiße auf Jamaika wollte ich einen Bungalow mit direktem Blick aufs Wasser, nicht gerade günstig über die Feiertage.
Asien hat mir sofort gefallen: die Küche, erst recht die Garküchen am Straßenrand, die freundlichen Menschen, die Frauen unter ihren Spitzhüten, das Klima, der Platzregen. Zwanglos ohne Helm auf dem Moped durch die Gegend zu fahren – das ist für mich das Beste in den Ferien gewesen. Natürlich bin ich den Einheimischen mit meiner Größe und Stärke aufgefallen. Die haben mich »Lambo« genannt, die können das R ja nicht sprechen, die riefen immer »Hallo, Lambo!« Nach ’ner Zeit ist mir die Sprache auf den Sack gegangen. Manchmal hab ich dies Zwölf-Silben-Gezwitscher im Gehirn nicht gebraucht und mich abgesondert.
An der Bar von unserer Bungalow-Anlage haben wir ein Arztpärchen aus Düsseldorf kennen gelernt. Der Arzt hat mehr Augen für Lilos dicke Marmortitten gehabt als für alles andere. Wir sind alle schön besoffen gewesen, aber ich hab das gerissen: Dies Pärchen ist auf Partnertausch aus. Die andere Frau ist schon attraktiv gewesen, aber mir hat der Sinn nicht danach gestanden. Ich bin da vielleicht ein bisschen zu altmodisch: Weihnachten und Silvester, ich sitz nicht mit meiner Frau 16 Stunden im Flieger, um ’ne andere Henne rumzunudeln. Das war nicht mein Ding. »Wir brechen hier die Zelte ab«, pieps ich Lilo ins Ohr, weil sie schon wieder anfängt, die Titten zu rücken. Da kriegst du ja Angst, wenn sie die Kraken hochholt. Und der Arzt rückt rüber: »Wollen wir nicht Brüderschaft trinken?« Ich kenn dieses solide Zusammengerücke, Polonäse, da krieg ich ’nen Kackreiz. Ich sag: »Ich geh schon mal vor, komm du man nach.« Aber die Dame kommt nicht. Ich leg mich schlafen. Irgendwann werde ich wieder wach, ’ne Stunde später. Ich zieh meine Rüstung wieder an und geh im Stechschritt an die Bar zurück. Ich hör schon von weitem, wie sie rumfeixen. Ich geh zu Lilo und beiß ihr wie Mike Tyson ins Ohrläppchen, um ihr zu verstehen zu geben: »So, wenn du jetzt nicht kommst, mach ich dich platt.« Weil das ihre Gossensprache ist, die sie wirklich hört. Hab ich aber falsch gedacht, die Dame ist erst zwei Stunden später stockbesoffen gekommen, und da bin ich ausgerastet. Ich hatte ihr in Downtown tolle Kleider gekauft, die hab ich ihr runtergerissen. Und sie ist nackt, das musst du dir mal vorstellen, nackt weggelaufen. Ich hab gebrüllt: »Bleib hier, bist du bescheuert? Ich flieg mit dir nach Thailand, und du sitzt da wie in so ’nem Swingerclub vor so ’nem blöden Düsseldorfer Pärchen, weil er Arzt ist und Kohle hat. Du verwechselst hier was: Wir sind privat da!« Sie rennt weiter, und die Thais, die sie »La Bomba« getauft haben wegen ihrer Titten, sehen sie in ihrer nackten Pracht. Rennt die durch die Anlage und schreit um Hilfe. Ein grausames Chaos. Und was mach ich? Ich grab in aller Eile halb besoffen meine Teile zusammen und hau ab. Ich kenn die asiatische Polizei nicht. Was weiß ich, was die in solchen Situationen macht.
Ich hab mir dann für ein paar kleine Bäht ein Zimmer genommen mit Ventilator an der Decke wie in den alten Humphrey-Bogart-Filmen. Am nächsten Morgen hab ich vom Hotel wie ein Dieb mein Moped geholt und bin an den Beach gefahren, an dem wir immer zusammen gewesen sind. Aber sie ist nicht gekommen. Ich bin abends schweren Herzens in mein Zimmer gegangen, hab da gelegen und gedacht: »Sie muss doch mal kommen.« Man verträgt sich doch wieder: Neues Jahr, toller Anfang.
Nach dem zweiten Tag hab ich das nicht mehr ausgehalten und bin in das Hotel zurückgegangen, ganz locker in ’nem neuen Hemd. Ich hab einen zweiten Schlüssel gehabt. Ich komm in unser Zimmer rein, und da riecht das wie frisch verbrannt. Da hat sie die Klamotten, die ich ihr gekauft hatte, in der Badewanne abgefackelt. Also, sie ist noch auf Krieg aus. Da hab ich sofort die Tür zugeschlagen, bin nach Downtown gefahren und hab genau die Klamotten, die sie verbrannt hatte, neu gekauft, bin wieder ins Hotel und hab die auf dem Bett ausgebreitet. Und dann hab ich mich wieder verpisst.
Und einen Tag später bin ich am Strand unter meinem Bambusschirm, und da kommt jemand mit so ’nem wehenden Kleid. Ich seh schon von weitem, wer das ist.
Nach dem Versöhnungstrip sind wir bald wieder zusammengestoßen. Ich hab mich in ihre Wohnung nur wie in ein Zelt reingelegt, mit ’ner Raffinesse. Aber ich hatte die Schnauze voll und einfach nur vorgehabt, erst mal in Hamburg irgendwo zu überleben. Meinen besten Freund Ditschi im »Amber« zu sehen – das hat mich verletzt. In so eine Lage hab ich nicht kommen wollen.
Da sagte mir die Lilo: »Eine Wohnung in der Annenstraße steht leer und wird nur an allein stehende Herren verkauft oder vermietet.« Die Wohnung gehörte einer alten Dame, die ist dort als Mädchen Anfang des 20. Jahrhunderts groß geworden. Die wollte da kein anderes Mädchen drin haben, nur einen Mann, vielleicht so ’nen Typen, von dem sie als junges Ding mal geträumt hatte. Bei der Dame hat Domenica ihren Auftritt gehabt und meine Marmortitte, aber sie haben alle ’nen Korb gekriegt. Und ich steh draußen zum verabredeten Zeitpunkt, 14 Uhr, ich klingel, sie macht auf und sagt: »Ja, ich hab gerade ’ne Führung.« Und macht mir die Tür vor der Nase zu. Das ist meine erste Begegnung mit der Hausfrau. Als ich wiederkomme, hab ich ein blau geklopptes Auge, vom Sparring aus der »Ritze«. Wie soll ich jetzt ’ne Wohnung anmieten, Vertrauen kaufen? Was soll ich ihr erklären? Dass ich mich geschminkt hab? Sie macht auf: »Oh, was ist Ihnen denn passiert?« Ich sag: »Ich bin auch gerne Boxer, und ich hab mir heute eine eingefangen. Das ist sicherlich nicht der richtige Zeitpunkt für ’ne Vorstellung, aber das ist mir passiert.« Da hat sie gelacht, ich hab mitgelacht, und sie hat gesagt: »Oh, Sie haben aber ’ne schöne Lache. Sie wollen die Wohnung nehmen, und Sie haben keine Familie?« – »Nein, das war doch zur Prämisse gemacht worden.« So sind wir ins Gespräch gekommen, und ich hab den Turm gekriegt: Drei ineinander übergehende Zimmer, vorne ein richtiger kleiner Salon mit ’ner geschnitzten Holzvertäfelung rundum, hinten am Schlafzimmer ein kleiner Wintergarten mit ’ner Treppe zu einem Garten unter dem Schatten einer riesigen Rosskastanie, im Souterrain ’ne Sauna – eine Traumwohnung in ’ner stillen Gegend von St. Pauli.
Ich bin also von der Waterloostraße in die Annenstraße gezogen. Da leb ich noch heute.
Mit der neuen Wohnung hab ich Lilo erst mal wieder motiviert. Alle anderen haben Klimmzüge gemacht, sie haben den Turm nicht gekriegt. Jetzt hat die Lilo natürlich angegeben: »Mein Mann hat das geschafft.« Sie hat in der Herbertstraße wieder richtig gebohnert in ihrem Muschikorsett, und ich hab von dem gelebt, was sie verdient hat.
Dann hat mich die nächste Begegnung mit Mucki Pinzner aufgepeitscht wie ’n Orkan das Meer. Ich sitz neben Lilo in ihrem silbernen Golf, wir wollen die Davidstraße hoch fahren Richtung Herbertstraße, wo ich den Fahrersitz übernehmen will. Auf der rechten Seite in der Hein-Hoyer-Straße sitzt Mucki Pinzner in seinem BMW. Ich sag zu Lilo: »Das ist der, der Waldi erschossen hat.« – »Stefan, tu mir bitte einen Gefallen, bau keine Scheiße.« Sie weiß, dass ich das Eisen an der Hüfte hab. Die Ampel ist rot. Ich weiß, er ist auch bewaffnet. Er atmet genau so durch wie ich. Es ist wie bei der Formel 1 in der Pole-Position. Wir sitzen uns 40 oder 60 Zentimeter durchs Blech gegenüber. Die Ampel ist rot. In mir ist ein Aufkochen der Brandung. Als würdest du untergeduckert unter Wasser. Du willst aufatmen: »Mensch, befrei dich von dem Wichser, der hat Waldi umgelegt.« Und dann hörst du von links: »Bleib ruhig, Stefan.« Die ist so erbarmungslos, meine Dame da. Das ist schon verrückt.
Ich bin plötzlich wieder der junge Motorradfahrer, der gegen die Sonne ’nen Hügel in der Eifel hochfährt. Als ich über die Kuppe komme, sehe ich vor mir einen Unfall, ein anderer Motorradfahrer, der vielleicht auch geblendet worden ist. Ich will helfen und sehe durch den Lederanzug so ’nen rausgestellten Hüftknochen von der Frau, die hinten auf dem Rücksitz gesessen hat. Ich bin erschüttert und zugleich froh, dass ich niemanden auf dem Sozius habe außer dem lieben Gott.
Jetzt hab ich wieder das gleiche Gefühl, die Erinnerung an den Knochen taucht auf, als ich mich entscheiden muss, ob ich schieße oder nicht. Das sind nur Bruchteile von Sekunden.
Ich hab aus einem einfachen Grund nicht geschossen: Ich hatte eine panische Angst. Ich hatte Angst um Lilo, dass die getroffen wird oder ’nen Schuss in die dicken Titten kriegt. Nennen wir es, wie wir es wollen, aber ich war nicht allein in dem Moment. Dann wurde die Ampel grün, er bog rechts ab und wir sind geradeaus gefahren.
Als Lilo in der Herbertstraße ausgestiegen ist, hab ich lächerlicherweise die Verfolgung aufgenommen. Ich hab gedacht: »Hoffentlich steht er irgendwo. Jetzt ist mir das scheüßegal, jetzt mach ich Ernst, verdammt noch mal.« Ich hab die Satisfaktion gebraucht: »Jetzt jag ich ihn!« Getroffen hätte ich ihn bestimmt, mit meinem ganzen Magazin durch die Augen, das schwör ich dir. Wenn ich ihn gesehen hätte, wenn, wenn… Wenn meine Oma ’nen Schwanz hätte, wäre sie mein Opa. Aber es war zu spät, ich hab Mucki nicht mehr gesehen.
Tag für Tag habe ich an der Schwelle der Ewigkeit gestanden, eine ungeheure Belastung. Vielleicht hab ich mich auch vor meinen Rachegelüsten schützen wollen, vielleicht hab ich es satt gehabt, immer mit ’ner Waffe rumzurennen, vielleicht hab ich um mein Leben gefürchtet, vielleicht hab ich die Schnauze von Lilos Gezicke voll gehabt, vermutlich ist alles zusammengekommen: Mich hat’s wieder weggetrieben.
Da hab ich den Heino getroffen, der hat viel Geld gehabt, wer weiß woher, drei Porsche in der Tiefgarage, und trotzdem ist der seit 25 Jahren immer nur nach Österreich zum Kraxeln in die Berge gefahren. Dabei ist dem der Verstand in die Hose geplumpst, wenn der mal ’nen schwarzen Arsch gesehen hat. Also hab ich ihn gefragt: »Was hältst du denn mal von der Copacabana? Meine Güte, du hast doch genug Fett.«
Brasilien war schon immer in seinem Hinterstübchen, er spricht ja Portugiesisch, aber er hat nie den Kick gekriegt, alleine rüberzufahren. Transen aus der Schmuckstraße, die aus Brasilien stammen, haben ihn voll gelabert, dass er für ihre Freunde und Verwandten Sachen mitnimmt. Die haben ihn vielleicht beladen! Der ist mit peinlich verschnürten Kartons gereist, wie wenn man früher aus Westdeutschland mit Care-Paketen in die DDR fuhr. Dafür hat er auch noch am Flughafen ordentlich bezahlen müssen. Aber so was ist ihm nicht fremd gewesen. Weiber haben ihn ganz schön übern Leisten gezogen und sich die Titten auf seine Kosten machen lassen. Die haben ihn ausgenommen. Wenn ihm das klar geworden ist, hat er den Weibern an den Fersen gehangen und seine vorgestreckten Dollars wiederhaben wollen, für ihr Silikon in der Haube.
Als wir in Rio ankommen, steigt der aus wie der Papst und küsst den brasilianischen Boden. Na ja, gut, das ist sein Ding. Wir sind in einem Hotel an der Copacabana abgestiegen, teuer, aber relativ bescheiden. Er ist »O Louro« genannt worden, weil er blonde Haare hat. Mit seinem perfekten Portugiesisch hat Heino gleich am ersten Abend so ’nen Schnapper kennen gelernt, also ’ne Frau, die keinen Aufwand kostet, um sie vors Rohr zu kriegen, sich aber lohnt, eben ein Schnäppchen aus Fleisch und Blut. Dann ist er gekommen: »Wir ziehen hier aus. Wir kriegen ein Privatappartement im zwölften Stock mit großem Foyer am Eingang.« Die Alte hat draußen mit ’nem Auto gestanden, und wir sind in die andere Richtung, fast bis ans Ende der Copacabana gedonnert.
Wir haben jeder eine Wohnung gekriegt. Am nächsten Tag hab ich mich gewundert: Er ist morgens nicht rausgekommen. Ich hab noch ein bisschen länger gewartet, die Sonne knallt ja in Brasilien unendlich, und der Heino schließt sich mit ’ner Brasilianerin ein und guckt Tennis. Ich bin allein, natürlich völlig unorientiert, an die Playa gegangen und hab mich da niedergelassen, wo es mir am besten gefallen hat. Ich hab Bier getrunken, zugeguckt, wie das Mischvolk grillt, mich über die gegenseitige Anteilnahme gewundert und gedacht: »Hier geht aber die Post ab.« Ein paar Transis hab ich wohl gesehen, aber erst am zweiten Tag haben sie mir erzählt, dass ich mich am Homo- und Transenstrand aufhalte. Das ist mir nicht zuwider gewesen, aber ich hab gedacht: »So, jetzt reicht’s auch, Stefan. Hier lernst du mit Sicherheit keine richtige Brasilianerin kennen.«
Der Heino hat nach drei Tagen ein Telegramm gekriegt, dass seine Mama gestorben ist. Ich hab bei ihm Heiapopeia gemacht, und wir haben beide geweint. Er ist sofort wieder zurückgeflogen mit ’nem sündhaft teuren Linienflug. Mein fest gebuchtes Billigticket ging erst in sechs Wochen zurück.
Ich also allein in Rio. Bin rumgelatscht. Hab mir ein anderes Stück Strand gesucht, das Treiben beobachtet und mich gefreut, als in meiner Nähe ein Vater mit seinen Söhnen ein kleines Zelt und einen Getränkestand aufbaut. Ein drittes, kleineres Kind ist auch noch rumgewuselt. Wenn der Vater zum Meer gegangen ist, hat er niedergekniet und sich bekreuzigt. Die Sorgfalt und der Eifer der Familie hat mir gefallen: Wie sie das Eis zum Kühlen der Getränke zerhacken, wie sie alles in Ordnung halten, wie sie ihr Strandstück im Blick haben. Wenn ich gewinkt hab, sind die Kids wie die Sputniks angerast gekommen und haben mich mit kühlem Bier versorgt. Die Jungs haben zerschlissene T-Shirts angehabt. Als ich ihnen neue gekauft hab, sind sie erst ganz verschämt gewesen, dann aber stolz durch die Gegend gewetzt.
Nach ein paar Tagen, als die Strandverkäufer ihr Zelt abgebaut haben, hab ich dem Vater klar gemacht, er soll mal mit seiner Familie mitkommen. Fast hätte ich sie über die Straße ziehen müssen, weil sie sich so geziert haben, ins Restaurant zu gehen. Ich hab gedacht, was läuft hier für ’n Film? Und dann hab ich der Familie mit viel Mimik zu verstehen gegeben, dass ich sie auf brasilianische Art einladen möchte. Es ist dann noch ein ganzer Tross von Verwandten und Freunden mitgezogen. Als der Kellner gekommen ist, sind sie alle in einer Demutshaltung erstarrt. Aber ich hab gedacht: »Arschlecken. Das geht nun gar nicht.« Ich hab gesagt, es soll ’ne lange Tafel gerichtet werden, ich möchte Bohnen essen, schwarze Bohnen. Die Gesichter haben gestrahlt, meine Güte. Umgerechnet hat mich das ’n paar Dollar gekostet, davon haben zwölf Leute an der Tafel gegessen. Und das hat geschmeckt, die haben sich mit ihren fettigen Händen beeilt, noch ’n Stück Fleisch reinzuschieben.
Dann hab ich den Vater gefragt, wo die Familie wohnt. Ich hab mich in der stickigen Hitze in ihr Auto gequetscht, das muss ’n Japaner gewesen sein. Es hat irgendwie nach Lebendigkeit gerochen. Wir sind in die Favela, in die Berge gefahren. Schlüssel aus und Schlüssel an. Da hab ich begriffen, dass sie bergab den Zündschlüssel rausgenommen haben, um Sprit zu sparen. Ich hab geschrien: »Tankwart, Tankwart, tut mir ’nen Gefallen!« Nein, sie wollen schieben. Nein, es wird getankt, ganz klarer Fall, Hentschel setzt sich durch.
In der Favela waren die Häuser aus Wellblech oder aus Lehm gebaut. Wo wir ausgestiegen sind, waren Billardtische aufgebaut, nur so groß wie ’ne aufgeklappte Zeitung. Die Knüppel hatten sich die Jungen aus Ästen geschnitzt. Die Hütte der Familie hat ausgesehen wie ein Schachturm, oben ein Dachgarten, wo man die Wäsche aufgehängt hat. Alles in einer peinlichen Sauberkeit trotz Armut, das ist mir aufgefallen. Ich bin in das Haus reingegangen, es ist relativ kühl gewesen, da hab ich das erste Mal seine Frau sehen dürfen. Sie hat ein kleines Kind auf dem Arm getragen, und ich hab wieder in so ein schönes Gesicht reingucken dürfen.
Das Haus hat nur einen Raum mit einer Schlafstelle gehabt. Ich hab erfahren, dass sie wechselweise dort schlafen. Wenn du das gesehen hättest, Prinzessin, verrückt. Die schlafen in Abständen, damit jeder das warme Zuhause hat, das ist wirklich Familie. Das einzige Fundament hat sich da befunden, wo die kleinen Kinder schlafen, in Geborgenheit. Babygeschrei hast du kaum gehört, komischerweise. Du hast das Rabaukentum von den älteren Kindern gehört, diesen Lärm, das permanente Durchgehen von den Kids, die da rumrennen. Die Erwachsenen haben Besonnenheit gezeigt. Wenn du durch die Favela gehst, kriegst du als Weißer kaum ’ne nette Geste oder ein Lächeln geschenkt. Da musst du cool sein, das ist mir ja nicht fremd aus meinem Leben heraus. Dann hörst du bobobomm, da schießt irgendwo wieder jemand. Automatisch bin ich einer, der sich genau so verhält wie die: Ich duck mich nicht.
Bei jedem Regen müssen sie in der Favela was Neues erfinden. Vor Regen haben sie Angst. Ich hab so einen Regen erlebt, aber in der Innenstadt. Ich denk: »Was rennen die hier weg?« Und dann: »Wo kommt denn das Laub her?« Ich krempel mir die Hosen hoch, das Wasser steigt: »Wo kommt das Laub her, hier sind doch gar keine Bäume?« Da sind das Kakerlaken aus den Kellergewölben, die sind so groß wie Laubblätter. Wenn du das begreifst, wie du dann hochspringst, wie von der Tarantel gestochen. Du bist in Südamerika.
Du bist allein in Südamerika, und abends fängst du das Caipirinha-Saufen an, dann wächst der Trieb in dir, die Sonne hat dich aufgeheizt, die ganzen Halbnackten am Strand. Ich sitz da in der Armeehose, die mich überallhin begleitet hat, und fühl mich stark wie ’ne Litfasssäule. Du sitzt da und merkst, dass Frauen an dir interessiert sind. Du trifft Touris, die sagen: »Du musst ins ›Help‹ gehen.« Na ja, da bin ich ins »Help« gegangen, eine große fetzige Discothek. Da findest du absolut die schönsten Menschen auf der Welt, du wirst von ihnen mit Erdnüssen beworf en, die gucken dich an, die Frauen vom Allerzartesten. Im Klartext sind das Huren. Natürlich hab ich mir eine mit nach Hause genommen. Der Hentschel ist ja in Laune durch die Caipirinhas gewesen und hat den Tänzer gemacht. Ich hab mir die Krönung, die Sahneschnitte rausgepopelt.
Natürlich haben wir rumgehühnert und ’n geiles Ding gehabt. Dann wachst du auf, die Schnitte liegt nicht neben dir, du bist sofort hellwach, der Instinkt treibt dich hoch, du denkst, die ist abgehauen. Dann seh ich ihren schwarzen Arsch: Die macht in meiner Wäsche rum, wo mein Geld ist. Ich hab noch von den Caipirinhas Minimum 2,0 Promille in der Birne und spring sie an. Sie wehrt sich und kreischt, ich soll gleich löhnen, greift nach ’nem Bügel, um mich zu schlagen. Ich hau der in die Backen, ich hab schließlich meinen Ehrenkodex: »Was bildest du dir ein? Wir ficken uns hier wund, und morgens bemaust du mich.« Also Missverständnisse pur, mehr geht nicht. Na, dann fliegt sie natürlich raus, wie sie das braucht. Sie schreit noch in ihrem gebrochenen Scheißenglisch, dass ich verrecken und sterben werde.
Am nächsten Morgen hab ich erst mal die Miefbettlaken mit ihrem originellen Parfüm rausgeschmissen. Alles voll mit Lippenstift. Als sich die Wirkung von den Caipirinhas langsam vernebelt hat, ist mir zu Bewusstsein gekommen: »Hab acht.« Als das Telefon geklingelt hat, hab ich ein Scheißgefühl gehabt: »Irgendwas läuft hier.« Am nächsten Abend um 17 Uhr hat die Hausmeisterin angerufen: »Da will Sie jemand besuchen.« – »Nein, nein, ich kenn hier keinen.«
Am nächsten Tag ist mir klar geworden: Die lassen sich nicht abwimmeln. Für die bin ich ein Gringo, den wollen sie platt machen. Ich bin also wieder auf der Flucht gewesen, wie ich das aus Hamburg kannte: Das Letzte, was ich gebraucht habe. An der Copacabana sind zu der Zeit jede Woche ’n paar Morde passiert. Dann bin ich wieder an meinen Bonschestrand gegangen, wo die Halbseidenen, die Transen und die Schwulen rumturnen. Da ist mein Hilfeschrei angekommen. Da hat’s einen gegeben, der hatte irgendwann mal in Hamburg auf der Großen Freiheit angeschafft, der hat mich verstanden und den anderen meine Situation erklärt. »Näo problema, Stefano, tudo bem.« Dann sind vier von ihnen mitgekommen, haben sich einquartiert in meiner Wohnung und die Brüder von der Hure empfangen: »Was ist? Wir wohnen hier schon ganz lange. Die muss sich irren.« Die haben ’nen Film abgezogen, das hätte keiner besser vortragen können. Die Brüder haben mit ihren Stilettos dagestanden, und die Schwulen haben sie kirre gemacht: »Hä? Also eure Schwester muss voll doof gewesen sein.« Und ich hab hinten gesessen, mit ’nem Kartoffelschälmesser und ’nem Lederriemen um meine Hand und gedacht: »Wenn sie kommen, dann kommen sie. Zwei, drei kann ich schon wegblasen.« Aber sie sind nicht gekommen, sie sind abgezogen, und ich bin wieder mal gerettet worden, Inshallah.
Ich hab mich erst mal dünn gemacht und tagelang auf die Suche nach ’nem Buch begeben. Und keine Bücherei, kein Arschladen hat deutsche Literatur gehabt. Englisch, Französisch, Italienisch, alles zu finden. Irgendwo hab ich schließlich ’nen Simmel-Schinken gefunden und den gefressen wie ’n Pfarrer die Bibel.
Auch die »Bild am Sonntag« hab ich gekauft für überbewertetes Geld. Ich schlag die auf und trau meinen Augen nicht: mein Freund Ditschi auf ’ner halben Seite. Im gelben T-Shirt mit ’ner Rose im Arm wirbt er für irgendein Gartencenter. Ich sitz an der Copacabana, und in so ’nem abgegriffenen Ding guck ich meinem besten Freund in die Fresse: der geilste Sonnenstrahl fern der Heimat.
Natürlich hab ich in Rio nicht aufgehört zu hühen, das kannst du gar nicht. Bei den Mahlzeiten kriegst du ein Prachtfleisch hingelegt, halbe Rinder, die hab ich vertilgt. Dann die Sonne und das Meer, das Schwimmen in gleißendem Licht. Und abends im Rest der Schwüle die Frauen. Da hab ich ’ne Nettere gefunden und die mit nach oben genommen. Mit der bin ich bald nicht mehr allein gewesen. Die hat ihre Familie im Schlepptau gehabt: Die stehen auf der Matte und gehen mit ’ner Selbstverständlichkeit an deinen mannshohen Kühlschrank und popeln den leer. Da kannst du dich gar nicht wehren, das musst du genießen als weißer Arsch.
Als ich nach Hamburg zurückgekommen bin, ist Lilo mit Schaum vor dem Mund rumgelaufen, weil ich für die Brasilienreise den Krügerrand aus dem Safe unten im Keller rausgeholt hatte. Wir hatten einen gemeinsamen Schlüssel in einem gemeinsamen Versteck, der Schlüssel hat natürlich noch in dem Versteck gelegen, nur im Safe ist nichts mehr drin gewesen.