Sie bezeichnen den Raum, in den sie uns führen, als Besprechungszimmer, aber in Wirklichkeit dürfte es wohl ein Verhörzimmer sein. Zwei bullige Aufseher sitzen uns am Tisch gegenüber und starren uns an. Angeblich warten sie darauf, dass ihr Chef kommt. Vorher könne es nicht losgehen, sagen sie, aber das ist garantiert nur vorgeschoben. In Wahrheit, glaube ich, lassen sie uns extra zappeln, um uns einzuschüchtern. Ich versuche, meine Angst zu überspielen, indem ich so tue, als wäre ich erschöpft. So fix und fertig, dass ich mich kaum auf dem Stuhl halten kann.
Unsere Geschichte lautet, dass die Soldaten uns aus dem Schneegestöber gerettet haben, und wenn diese Story glaubhaft sein soll, dann gibt’s keinen Grund, warum ich mich vor ihnen fürchten sollte. Wir sind einzig und allein deshalb hier, weil wir dem Ministerium helfen wollen zu rekonstruieren, was mit uns passiert ist. Weil wir helfen wollen, unsere Entführer zu schnappen und den Terrorismus zu bekämpfen.
Quinn versucht eine andere Taktik. Er wippt die ganze Zeit ungeduldig mit dem Fuß und mokiert sich lautstark über alles Mögliche. Von Zeit zu Zeit dreht er sich demonstrativ zu der riesigen Uhr an der Wand um und zweimal hat er sich bereits nach dem zuständigen Beamten erkundigt. »Der ist auf dem Weg«, lautete beide Male die Antwort des einen Aufpassers, gefolgt von einem etwas zu stark betonten »Sir«. Ich habe meine Zweifel, dass die Rolle des arroganten Schnösels, die Quinn spielt, vorteilhaft ist, denn unsere beiden Bewacher scheinen zunehmend verärgert und misstrauisch.
Schließlich öffnet sich die Tür und herein schreitet eine extrem schwergewichtige Gestalt in einem teuren, altertümlichen Pelzmantel mit ausladendem Kragen, der das Gesicht nahezu verdeckt. Der Mann klopft sich den Schnee von den Schultern, zieht den Mantel aus und wirft ihn unseren Aufpassern zu, die beim Öffnen der Tür sofort strammgestanden haben. Ich hab das Gefühl, dass ich den Typen schon mal gesehen habe, und gehe im Geiste alle Orte durch, wo wir uns begegnet sein könnten. Doch mir wird schnell klar, dass ich den Mann nicht persönlich kenne, sondern vom Bildschirm – aus den Nachrichten und aus politischen Sendungen, von Plakaten und Ausstellungen in der Schule: Vor uns steht der Präsident höchstpersönlich.
Über seinen knolligen Nasenrücken hinweg beäugt er uns, ungefähr eine Minute lang, dann bellt er unvermittelt die zwei Aufseher an: »Mir ist kalt!«
Der Aufseher, der seinen Mantel hält, tritt eilfertig vor und reicht ihn dem Präsidenten. Der reagiert mit einer blitzschnellen Ohrfeige: »Nicht den Mantel, Schwachkopf! Etwas zu trinken!«
Daraufhin hastet der Aufseher aus dem Raum und kehrt eilends mit einem Tablett zurück.
»Caffrey junior.« Der Präsident streckt seine Hand aus und reicht sie Quinn.
»Herr Präsident.« Quinn ist aufgestanden.
»Du warst auf Reisen, höre ich.« Der Präsident lässt sich auf einen freien Stuhl fallen, zieht einen dicken Korken aus der Flasche vor sich und gießt sein Glas randvoll. Dann lehnt er sich zurück und nippt an seinem Drink. Im Nu liegt der scharfe Geruch von Whisky im Raum.
»Durstig?«, fragt er, aber wir schütteln beide den Kopf. »Ich habe heute Abend einen Anruf bekommen, in dem man mir mitteilte, dass zwei vermisste Personen aufgegriffen worden seien. Als ich die komplette Geschichte hörte, wollte ich zuerst meinen Ohren nicht trauen. Und so ganz tue ich es immer noch nicht. Das Seltsame ist, dass eine unserer Panzerbesatzungen einen einzelnen Jungen ganz in der Nähe der Stelle gesichtet hat, wo unsere Kommunikationsabteilung das letzte Signal eurer Pads aufgefangen hat.«
Quinn runzelt die Stirn, als würde er den Zusammenhang nicht ganz verstehen.
»Seltsam ist ebenfalls, dass noch nie jemand den Terroristen entkommen ist. Eine wirkliche Meisterleistung eurerseits.«
Der Präsident schwenkt den Whisky im Glas, hält seine Nase darüber und inhaliert einmal tief, bevor er einen weiteren kräftigen Schluck nimmt. Und selbst während dieser langen Pause sagt Quinn kein Wort.
»Nun ist die Sache die«, fährt der Präsident fort, »dass ich einen Bericht erhalten habe, demzufolge du vor einigen Tagen eine verdächtige Person aus der Kuppel herausbegleitet haben sollst. Mit anderen Worten: Du hast einer Terroristin zur Flucht verholfen und zum Dank hat sie dich angegriffen. Ist es das, was du mir sagen willst?« Als Quinn nickt, fährt er fort: »Tja, als Erstes werde ich natürlich die Grenzsoldaten, die die Flucht des Mädchens zugelassen haben, bestrafen. Ich gehe davon aus, dass sie sich haben bestechen lassen.«
Quinn senkt beschämt den Kopf, schweigt aber weiterhin. Ich selbst sage auch kein Wort. Ich muss mir sogar auf die Zunge beißen, damit ich nicht in Versuchung komme, mich einzuschalten. Denn wer will schon die Meinung einer Second hören?
»So, mein Sohn, und jetzt erzähl mir doch mal bitte, was da wirklich los war.« Grinsend fährt sich der Präsident mit der Hand durch sein schütteres Haar.
Quinn seufzt und wirft dem Mann einen beschämten Blick zu. »Sie heißt Alina. Ich … ich … es ist mir ziemlich peinlich.«
Der Präsident beugt sich interessiert vor, und auch in den Blicken der Aufseher, die sich in den hinteren Teil des Raumes zurückgezogen haben, liegt jetzt unverhohlene Neugier.
»Schauen Sie, ich mochte sie. Und, na ja, als sie mich fragte, ob sie uns auf unseren Ausflug begleiten könnte, habe ich … nun ja … Sie wissen schon. Als sie mir sagte, sie wollte auch eine Tour machen, da dachte ich, dass dann meine Chancen bei ihr steigen würden. Verstehen Sie?«
Die Aufseher kichern vor sich hin. Mir hingegen tut die Erinnerung an Quinns Verliebtheit fast körperlich weh. Fühlt er Alina gegenüber immer noch so? Ist es überhaupt möglich, sich eine Person, für die man so geschwärmt hat, von einem Tag auf den anderen aus dem Kopf zu schlagen?
»Also habe ich ihr Beas Pass gegeben und mich selbst durch die Grenzkontrolle hindurchgepöbelt.«
»Demnach war der Ausflug geplant?«
»Ja, klar. Ich meine, ich hab meinen Eltern natürlich nichts von Alina erzählt, denn die hätten mir wieder so ein peinliches Gespräch aufgedrückt. Jedes Mal, wenn ich ein neues Mädel kennenlerne, erzählen sie mir, wie gefährlich es ist, sich nackt auszuziehen.«
Die Aufseher stehen inzwischen schon ganz gekrümmt da, um nicht vor Lachen laut herauszuplatzen.
»Und warum bist du mitgegangen?«, wendet sich der Präsident ganz unvermittelt an mich und sprüht mir dabei kleine Whiskytröpfchen ins Gesicht. Doch bevor ich den Mund aufmachen kann, springt Quinn schon ein:
»Bea war noch nie außerhalb der Kuppel. Ich habe sie zu dem Trip eingeladen, bevor ich Alina kennenlernte. Na ja, und ich konnte sie ja schlecht wieder ausladen.« In unerträglich herablassender Art tätschelt er mein Knie. »Aber natürlich hab ich ihr nicht gesagt, dass Alina mitkommt.«
»So, so, du warst also eine Art Ersatzspielerin.« Die Stimme des Präsidenten klingt beleidigend. Dennoch lächelt er mich an, während er mich eingehend mustert. Überhaupt wirkt sein Gesichtsausdruck schon die ganze Zeit freundlich und gelassen. Doch ich weiß, dass unter diesem Lächeln Misstrauen und Wut lauern. Und ich habe keine Lust, Zielscheibe dieser Wut zu werden. Trotzdem: Ich bin kurz davor, den Mund aufzumachen, als sich die Tür öffnet und Quinns Vater hereinkommt. Er bleibt neben der Tür stehen, starrt schweigend seinen Sohn an und wirft zwischendurch verstohlene Blicke auf den Präsidenten. Neben mir erschaudert Quinn.
»Ah, Jude, da sind Sie ja. Mein Mann. Treten Sie doch näher«, begrüßt ihn der Präsident, zieht kratzend einen Stuhl heran und bietet ihn Quinns Vater an.
»Ich wusste nicht, dass Sie auch hier sind«, sagt Mr Caffrey. »Ich hätte das durchaus alleine händeln können. Sie haben doch viel Wichtigeres zu tun.«
»Ach kommen Sie, Jude. Sie wissen ja selbst, dass nichts passiert, ohne dass ich davon erfahre. Und als ich hörte, dass Ihr armer Sohn in der Gewalt von Terroristen war, habe ich es natürlich als meine Pflicht angesehen, herzueilen und mich persönlich davon zu überzeugen, dass es ihm gut geht. Natürlich nur in Ihrem Interesse. Ha!«
Mr Caffrey setzt sich auf den Stuhl, den der Präsident ihm hinschiebt.
»Mir ist das Ganze natürlich sehr peinlich. Und ich versichere Ihnen, dass er ein Jahr lang kein Tageslicht mehr zu Gesicht bekommt«, sagt Mr Caffrey.
»Was? Der Junge soll bestraft werden? Nein, das wird nicht nötig sein, denke ich.« Der Präsident schiebt die Whiskyflasche und ein leeres Glas vor Quinns Vater, der sich großzügig einschenkt.
»Was zum Teufel hast du getrieben?«, fragt Mr Caffrey, nachdem er das halbe Glas runtergekippt hat.
»Vater, ich … ich …«, stottert Quinn. Mehr bringt er nicht heraus. Er hat offenbar mehr Angst vor seinem Vater als vor dem Präsidenten. Eine dicke Ader an Mr Caffreys Hals pulsiert, und noch bevor Quinn sich schützend die Hände vors Gesicht halten kann, hat sein Vater ihn geschlagen. Leise wimmernd vergräbt Quinn sein Gesicht in den Händen.
Ich weiß, dass ich in diesem Raum so viel zähle wie eine Staubflocke und dass meine Worte noch weniger zählen. Trotzdem frage ich, mit einer Stimme, die nicht mehr ist als ein Flüstern: »Darf ich etwas sagen?«
Provokant grinsend wendet sich der Präsident mir zu.
»Ja, warum nicht? Natürlich, ha! Sprich, Second, sprich. Sag uns, was du weißt.«
»Als wir aus der Kuppel heraustraten, nahm uns diese Alina in eine seltsame Richtung mit. In eine Gegend, in die wir überhaupt nicht wollten. Sie sagte, sie wolle sich ein paar der alten Häuser anschauen. Allerdings war uns klar, dass das gefährlich ist. Wir hatten sämtliche Reisehandbücher gelesen und wussten, dass die Gebäude einsturzgefährdet sind. Aber wir sind trotzdem mitgegangen. Was wir nicht hätten tun sollen. Als wir nämlich über die Schwelle des ersten Hauses traten, wurden wir hinterrücks überfallen. Fünf oder sechs von ihnen kamen quasi aus dem Nichts hervor. Sie haben uns als Geiseln benutzt. Sie wussten, dass Quinns Vater ein ranghohes Mitglied von BREATHE ist. Keine Ahnung, woher sie das wussten. Allerdings dachten sie, er sei bei der Armee.«
Der Präsident wirft Mr Caffrey einen Blick zu.
»Fragen Sie mich nicht. Selbst meine Frau weiß davon nichts«, versichert dieser.
»Man hat uns die Augen verbunden und uns gefesselt und uns dann befohlen zu laufen«, fahre ich fort.
Quinn streckt seine Arme aus, um ihnen die Scheuerstellen zu zeigen, die Petras Fesseln hinterlassen haben. Die beiden Männer starren auf seine Handgelenke und dann auf Jazz’ Kratzspuren in meinem Gesicht.
»Wo haben sie euch hingebracht?«, will Mr Caffrey wissen.
»Wir sind südwärts gegangen. Einen Ort haben sie nicht genannt. Aber es muss irgendwo an der Küste gewesen sein, denn sie haben ständig über Boote geredet.«
»Und Seetang gegessen«, fügt Quinn hinzu. Ein merkwürdiges Detail, aber der Präsident nickt zustimmend.
»Ist ihr Versteck auf einem Boot?«, fragt Mr Caffrey.
»Ich glaube schon«, antworte ich.
»Aber wie schaffen sie es dann, Bäu…?«, beginnt Mr Caffrey, doch der Präsident schneidet ihm das Wort ab.
»Geheimsache!«, bellt er.
Mr Caffrey nippt an seinem Whisky. Um ein Haar wäre ihm entschlüpft, was das Ministerium um jeden Preis unter der Decke halten will: dass außerhalb der Kuppel Bäume wachsen.
»Was mich viel mehr interessieren würde, ist, wie unsere zwei Helden es geschafft haben, den Terroristen zu entkommen«, lässt sich der Präsident vernehmen. Bei dem Wort »Helden« verweilt er ein bisschen und lächelt. »Das Ganze klingt ja ziemlich gefährlich.«
Da Quinn diesen Teil der Geschichte einstudiert hat, lehne ich mich zurück und lasse ihn berichten.
»In der zweiten Nacht, während die meisten Entführer schliefen, wurden wir von Ausgestoßenen angegriffen. Von einer ganzen Horde. Im Dunkeln konnte ich nicht erkennen, wie viele es waren, aber es war auf jeden Fall die Hölle los, und der Dreckskerl, der uns bewachen sollte, ist zu seinen Kumpels gelaufen, um ihnen zu helfen. In dem allgemeinen Tumult konnten wir abhauen und uns in einer alten U-Bahn-Station verkriechen. Wir haben noch eine Weile beobachtet, wie sie nach uns gesucht haben, und wir haben sie rufen hören, aber irgendwann haben sie aufgegeben.«
Der Präsident hebt die Augenbrauen. »Wow! Das ist doch mal was!«, ruft er. »Was für eine Geschichte! Schier unglaublich!«
»Mein Sohn ist kein Lügner, Cain«, schaltet sich Mr Caffrey ein.
»Natürlich nicht, Jude. Das hab ich auch nicht behauptet, oder? Ich muss nur einfach sichergehen.«
In diesem Moment betritt ein weiterer Aufseher den Raum, stellt sich neben den Präsidenten und flüstert ihm etwas ins Ohr.
»Okay, bring sie rein«, sagt der Präsident.
Wieder öffnet sich die Tür. Im Gang hört man das Klappern von Absätzen, dann betritt Quinns Mutter den Raum.
»Oh, Quinn, dir geht es gut! Du bist unversehrt!«, heult sie, stöckelt auf ihren Sohn zu und wirft sich geradezu auf ihn, wobei sie ihre Brüste in sein Gesicht drückt.
Mr Caffrey wendet den Blick ab. Mrs Caffrey herzt ihre Kinder selten, so viel ich weiß, und ich muss mich zusammenreißen, um bei diesem theatralischen Spektakel nicht mit den Augen zu rollen.
»Hallo Mutter«, ist alles, was Quinn herausbringt.
Am liebsten würde ich seine Hand drücken.
»Also, Quinn. Wenn du jetzt schwören müsstest, dass du die Wahrheit sagst, würdest du das tun?«, fragt der Präsident.
Quinn nickt energisch, während er versucht, sich aus der Umarmung seiner Mutter zu winden.
»Na schön.« Bei diesen Worten schaut der Präsident Mrs Caffrey an und leckt sich die Lippen. »Und wenn du beim Leben deines ungeborenen Bruders schwören müsstest, würdest du dann immer noch behaupten, die Wahrheit zu sagen?«
Während Mrs Caffrey sich langsam aufrichtet, wirft Quinn einen kurzen Blick auf den Bauch seiner Mutter. Ich mochte Mrs Caffrey noch nie, aber jetzt gerade sieht sie ganz klein und zart aus, eher wie ein schwangeres Mädchen als wie eine schwangere Frau. Bei dem Gedanken, dass dem Baby irgendetwas zustoßen könnte, läuft mir ein Schauder über den Rücken.
»Cain! Was ist das für eine Frage, die Sie da stellen!«, ruft sie mit einem zaghaften Lächeln im Gesicht, so als hätte sie einen Witz gemacht und würde unsicher abwarten, wie er ankommt. »Jude, sag ihm, dass er jetzt wirklich eine Grenze überschritten hat. Cain, Sie haben jetzt wirklich eine Grenze überschritten.«
Ihr Blick fällt auf die Whiskygläser, die der Präsident und ihr Mann in den Händen halten, und sie zieht offenbar den falschen Schluss: dass der Präsident es nämlich nicht ganz ernst gemeint hat.
Dessen Lächeln hat sich inzwischen zu einem Grinsen verzogen. »Sollte sich herausstellen, dass du gelogen hast, dann …«, knurrt er und blickt vielsagend auf den Bauch von Mrs Caffrey, die hörbar nach Luft schnappt. »Und was dich und deine kleine Freundin hier angeht, nun, das versteht sich wohl von selbst. Aber jetzt schieß los: Wo verschanzen sich die Rebellen?«
Ich versuche, nirgendwo anders hinzusehen als in die Augen des Präsidenten. Eine halbe Ewigkeit verstreicht. Alle scheinen den Atem anzuhalten. Ich versuche, Quinns und mein Leben und das Leben seines ungeborenen Bruders aufzuwiegen gegen die Leben all derer, die im Hain Unterschlupf gefunden haben.
»Kannst du mir garantieren, dass wir, wenn wir südwärts ausschwärmen, die Terroristen aufspüren?«, fragt der Präsident.
Er redet jetzt nur noch mit Quinn, bei dem auf einmal die ganze Last der Entscheidung liegt. Wenn Quinn wollte, könnte er mit einem Wort Alina, Silas und sämtliche Bewohner des Rebellenhains verraten. Und es wäre ihm nicht zu verdenken, denn schließlich haben sie nichts, aber auch gar nichts getan, um sich seine Unterstützung zu verdienen. Und Maude? Auch mit der hat er eigentlich nichts am Hut, auch ihr Schicksal geht ihn letztlich nichts an.
Keiner im Raum rührt sich, als Quinn endlich den Mund aufmacht: »Zumindest ist es das, was ich mitgekriegt habe, Herr Präsident: Die Terroristen halten sich im Süden auf.«
Jetzt gibt es kein Zurück mehr – egal, was sie mit uns machen werden, wenn sie herausfinden, dass wir gelogen haben.
Der Präsident klatscht in die Hände, als hätte Quinn eine Wahnsinnsheldentat vollbracht, und dreht sich wieder zu Mr und Mrs Caffrey um.
»Ha!«, schreit er und haut seine Hände auf den Tisch, sodass ich vor Schreck zusammenfahre. »Ha! Ha!« Er leert sein Glas mit einem Zug, steht auf und greift sich seinen absurden Pelzmantel.
»Jude, sieh zu, dass du wieder rauskommst«, kommandiert er, schon im Gehen. »Und wenn du sie gefunden hast, funke kurz durch. Ich will genauestens darüber informiert sein, wann wir ihren Unterschlupf dem Erdboden gleichmachen. Ha! Guter Job, Caffrey junior! Verdammt guter Job! Ha!«
Mit diesen Worten verschwindet der Präsident im Korridor, gefolgt von seinen zwei Lakaien. Mr und Mrs Caffrey bleiben im Raum zurück und sinken sich verzweifelt in die Arme. Ich habe noch nie gesehen, dass sich Quinns Eltern umarmt, ja nicht mal, dass sie sich auch nur berührt hätten. Quinn beobachtet sie ebenfalls. Er zittert inzwischen am ganzen Körper. Ich strecke meine Hand aus und drücke sanft sein Bein, um ihn und auch mich selbst zu beruhigen. Er nimmt meine Hand, lässt sie aber augenblicklich wieder los, als sein Vater sich zu uns umdreht.
»Wehe, wenn du nicht die Wahrheit gesagt hast, Sohn«, knurrt er. »Denn wenn nicht …«
Aber er spricht nicht weiter. Warum nicht? Was passiert, wenn wir gelogen haben? Offenbar hat nicht mal Mr Caffrey, der Oberbefehlshaber der Armee, den Durchblick.
»… denn wenn du gelogen hast, dann werde ich persönlich dafür sorgen, dass du mit deinem Leben dafür bezahlst – und nicht er.« Er deutet auf den Bauch seiner Frau.
Wie gelähmt vor Schreck starrt Mrs Caffrey ihren Mann an. »Jude«, flüstert sie.
Sie traut sich nicht, Quinn anzusehen. Mechanisch streicht sie sich über den Bauch und wiederholt ein ums andere Mal den Namen ihres Mannes. Ich würde sie am liebsten anschreien, möchte ihr zurufen: Quinn war auch mal dein Baby!
»Schön, dass ihr da wart.« Mit diesen Worten steht Quinn auf und verlässt den Raum.
Ich frage nicht, ob ich ihm folgen darf, denn das Verhör ist ganz offensichtlich beendet und weder Mr Caffrey noch Mrs Caffrey nehmen überhaupt Notiz von mir.
Also jage ich Quinn hinterher und rufe seinen Namen, während er den Korridor entlang und durch den Ausgang stürmt. Aber ich hole ihn nicht ein, er ist zu schnell, und als ich schließlich selbst am Ausgang ankomme, greift jemand nach meiner Hand. Mein erster Impuls ist es zuzuschlagen.
»Wir sind es, Schatz.« Ich wirbele herum und blicke geradewegs in die unsagbar erleichterten Gesichter meiner Eltern. »Oh, mein Gott, du bist in Sicherheit!«, rufen sie und schlingen ihre Arme um mich.
»Ich muss Quinn aufhalten«, haspele ich und versuche, mich aus ihrer Umarmung zu befreien.
»Was ist denn nur los, Schatz?«, fragt Mom. Ihre Augen sind gerötet. Sie hat offenbar seit Tagen nicht gegessen und geschlafen. Noch nie hat sie so alt auf mich gewirkt. So, wie sie aussieht, könnte sie glatt meine Großmutter sein. Sie muss geglaubt haben, mich für immer verloren zu haben. Ich lehne mich an ihre Schulter und weine.
»Ich muss Quinn finden, bevor er etwas Unüberlegtes tut«, bringe ich schließlich heraus.