QUINN

Ich sitze schweigend da, während mein Vater Lennon und Keane erklärt, dass ich von einer Bande blutrünstiger Terroristen entführt und beinahe umgebracht worden bin. Keine Ahnung, ob er die Geschichte, die er da erzählt, glaubt oder nicht, aber die Zwillinge sind vollkommen gebannt: Mit offenen Mündern, in denen man noch das halbe Abendessen besichtigen kann, starren sie abwechselnd ihn und mich ungläubig an.

»Hattest du Angst?«, fragt Lennon.

»Ja«, antworte ich.

Mein Vater schielt zu mir herüber und provoziert mich durch seinen Blick fast, seinen drastischen Ausführungen zu widersprechen. Aber das tue ich nicht, sondern erzähle die Geschichte einfach noch mal. Ich muss alle und jeden davon überzeugen, dass man uns wirklich entführt hat.

»Sie haben uns irgendwelche alten Lappen in den Mund gestopft und uns die Hände gefesselt. Und wenn wir miteinander gesprochen haben, dann haben sie uns hierhin geschlagen.« Ich lege meine Hände auf den Brustkorb, der immer noch wehtut.

Lennon starrt mich einfach nur an, während Keane nachdenklich über seinen eigenen Oberkörper reibt. Meine Mutter legt die Gabel auf den Teller und rollt mit den Augen, als würde ich von irgendeinem blöden Horrorfilm erzählen, den ich gesehen habe.

»Bitte keine Details«, sagt sie.

»Wenn ich einem Terroristen begegnen würde, dann würde ich ihm einfach meinen Speer ins Auge rammen. Dann käme er nicht mehr weg«, tönt Keane.

»Käme er wohl. Ist doch bloß ’n blöder Plastikspeer«, kontert Lennon.

Den Rest des Abendessens verbringen die beiden damit, sich Folter- und Tötungsmethoden für Terroristen auszudenken. Mein Vater nickt wohlwollend und stachelt uns alle zur Rache an.

Eigentlich hatte ich gar nicht vorgehabt, überhaupt noch nach Hause zu kommen. Als ich vorhin Hals über Kopf aus dem Justizgebäude gerannt bin, hatte ich kurz überlegt, irgendwo unterzutauchen. Aber wo? Ich kann ja schlecht auf der Straße leben. Die würden mich doch aufgreifen, bevor ich abends auch nur ein Auge zugetan hätte. Und zu Bea konnte ich auch nicht. Dort hätten sie mich als Allererstes gesucht. Also habe ich mich doch nach Hause geschleppt. Auch wenn ich nicht weiß, ob ich das überhaupt noch ein Zuhause nennen kann, jetzt, wo ich mit eigenen Ohren gehört habe, dass es meinen Eltern völlig egal ist, ob ich lebe oder tot bin.

Als ich durch die Wohnungstür trat, standen meine Eltern gerade im Flur und hängten ihre Mäntel auf. Sie konnten mir kaum in die Augen schauen.

Nach dem Essen verdrücke ich mich sofort in mein Zimmer. Doch mein Vater folgt mir, setzt sich auf die Bettkante und mustert den Haufen dreckiger Klamotten auf dem Fußboden.

»Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, ich wäre nicht enttäuscht«, beginnt er.

»Tut mir leid«, murmele ich, als wäre ich derjenige, der etwas zu bereuen hätte. »Ich hätte Alina nicht vertrauen dürfen. Ich hätte sie nicht durch die Grenzkontrolle schmuggeln sollen. Das ist mir jetzt klar geworden.«

»Tja, es ist wohl ganz grundsätzlich so, dass du deine Urteilskraft etwas schärfen solltest.«

»Wie meinst du das?«

»Du hast wenig vertrauenswürdige Freunde. Du bist mittlerweile zu alt, um mit Seconds abzuhängen. Es wird höchste Zeit, dass du aufhörst, dich mit Bea Whitcraft abzugeben. Die Leute werden noch anfangen zu reden.«

Mein Herz fängt wie verrückt an zu trommeln, meine Hände sind schlagartig schweißnass.

»Aber sie ist meine beste Freundin.«

»Tja, ab jetzt nicht mehr. Halt dich fern von ihr. Deine Mutter und ich haben Größeres mit dir vor als die Hochzeit mit einer Second. Die Tochter von Cain Knavery ist nur ein Jahr älter als du. Hübsches Mädel. Sehr aufgeweckt.«

Ich kenne Niamh Knavery. Das, was Dad als »aufgeweckt« bezeichnet, ist in Wirklichkeit blanke Grausamkeit. Außerdem dürfte die Zahl ihrer abgelegten Freunde seit Schuljahresbeginn in den dreistelligen Bereich gehen. Selbst wenn es Bea überhaupt nicht gäbe, würde ich Niamh Knavery nicht mit der Kneifzange anfassen.

»Verstehe, Sir«, antworte ich. Wenn ich den Rebellen helfen will, muss ich das Spielchen wohl mitspielen  – und wenn es zu den Spielregeln gehört, hier und da ein bisschen zu nicken und Zustimmung zu heucheln, dann muss ich eben in den sauren Apfel beißen und das tun. Geht nicht anders.

»Übrigens«, fügt er hinzu und steht auf, »ich weiß ja nicht, was die Terroristen dir über meinen Job erzählt haben. Aber was immer dir zu Ohren gekommen ist, behalte es für dich. Deine Mutter ist momentan etwas labil und die Zwillinge sind einfach noch sehr klein.«

»Hm, das verstehe ich nicht«, sage ich. Ich setze das Gesicht des alten Quinn auf, des Sohnes, der noch bis vor wenigen Tagen hier gewohnt hat. Und mein Vater schluckt es.

»Ach, nichts«, winkt er ab, dreht sich um und verlässt, ohne mir Gute Nacht zu wünschen, mein Zimmer.

Er hat die Tür kaum hinter sich geschlossen, da ziehe ich ein Atemgerät unter dem Bett hervor. Ich muss sofort mit dem Training beginnen, muss endlich lernen, mit weniger Sauerstoff auszukommen. Ich halte es keine Sekunde länger in diesem Haus aus. Und auch nicht in der Kuppel.