OSCAR

Als ich den Bahnhof durch den Hintereingang verlassen und ihn einmal umrundet habe, um die Ausgestoßenen zu überraschen, sind sie verschwunden. Genau wie Bea. Bestimmt weggerannt. Ich hoffe nur, sie war schlau genug, wieder in den Bahnhof zu flüchten, das einzige Gebäude weit und breit, das nicht jederzeit einstürzen könnte. »Bea!«, schreie ich, springe über die Krater im Asphalt und stürze durch die Türen.

Ich höre ihre tierischen Laute, bevor ich sie sehen kann. »Mach schon, Brent, zier dich nicht so. Wenn du keinen Bock hast, lass mich zuerst ran.« Ich umklammere meine Pistole und erklimme die Stufen. Ein Blick durch das Fenster in der Restauranttür zeigt mir, dass sie Bea auf dem Balkon festhalten und sie betatschen. »Nicht«, piepst sie. »Ich geb euch alles, was ihr wollt.«

»Na klar tust du das.« Gejohle. Bea schluchzt. Ihr Hemd ist verschwunden. Sie zittert in Unterhose und BH.

Ich schleiche mich ins Restaurant. Die mach ich kalt, bevor sie wissen, wie ihnen geschieht. So sieht zumindest der Plan aus, doch in der Eile schaue ich nicht auf den Boden und schon knirscht das Glas unter meinen Füßen. Die Männer wirbeln herum. Sie zögern keine Sekunde. Zwei von ihnen stürzen sich auf mich und kommen erst ins Nachdenken, als ich die entsicherte Pistole auf sie richte.

»Jetzt keine Fehler machen, Sportsfreund«, sagt einer.

»Lass uns drüber reden«, schlägt der andere vor.

»Auf den Boden«, sage ich. Sie feixen, als hätten sie nie was Dämlicheres gehört.

»Knall sie ab«, sagt Bea mit unnatürlich beherrschter Stimme. Der Kerl, der sie festhält, schlägt ihr ins Gesicht. Beas Knie geben nach und ich drücke ab.

Der eine Mann kollabiert ohne ein Wort. Ich schieße noch mal, um sicherzustellen, dass er nie wieder aufsteht, und die anderen schnappen sich ihre Waffen. Der Typ neben Bea drückt ihr seine Mistgabel an den Hals.

»Versuch das bei mir, du kleiner Scheißkerl, und ich schlitz sie auf«, bellt er. »Jetzt gib Earl deine Waffe.« Der Ausgestoßene mit dem Baseballschläger kommt auf mich zugeschlendert.

»Bleib, wo du bist«, zische ich.

»Gib sie ihm nicht. Dann sind wir beide erledigt«, sagt Bea. »Knall ihn ab.«

»Kannst du der nicht das Maul stopfen?«, krächzt Earl mit Blick nach hinten. Der Kerl mit der Mistgabel rammt Bea seinen Handballen an die Schläfe.

Ich kneife ein Auge zu, nehme die Stirn von Beas Peiniger ins Visier und drücke ab. Der Rückstoß wirft mich nur minimal zurück. Der Ausgestoßene sinkt zu Boden und in dem Moment hat sich Bea schon die Mistgabel gekrallt und geht auf den verbleibenden Mann los. Er fährt herum, doch da ist es schon zu spät: Das Letzte, was er auf Erden sieht, ist Bea, wie sie ihm die Zacken der Mistgabel in die Brust treibt.

Sie lässt die Waffe fallen, sieht ihn zu Boden gleiten und bricht in sich zusammen. Die zarte Hügellandschaft ihrer Wirbelsäule zeichnet sich durch ihre weiße Haut überdeutlich ab.

Beas Bluse und Pulli liegen auf dem Teppich, beim Ausschütteln klammern sich Glas und Schmutz hartnäckig in die Fasern, rasiermesserscharfe Erinnerungen, die einfach nicht loslassen wollen.

Ich werfe die Teile zur Seite, schlüpfe aus dem Mantel und ziehe mir meinen eigenen Pulli über den Kopf.

Tief aus ihrem Bauch kommt ein Schluchzen, als ich sanft ihren Rücken berühre. Sie hält die Arme schützend über ihre Brust. »Hier«, sage ich und wende mich ab.

»Ich hätte auf dich hören sollen«, sagt sie. »Ich wollte stark sein. Jetzt bin ich eine Killerin.«

Ich drehe mich wieder zu ihr und gehe neben ihr in die Hocke. »Das war Notwehr.«

»Ich dachte, du wärst weg. Ich hab gedacht, ich wäre alleine.« Mehr bekommt sie nicht raus. Sie weint zu heftig.

»Ich hätte dich nie alleingelassen«, sage ich. Ich sehe ihr zu und atme in die Todesstille des Bahnhofs. Meine Pistole ist noch warm. Ich lasse die Sicherung wieder einschnappen. Die Männer, die ich umgebracht habe, liegen schlaff auf dem Teppich. Irgendwo sollte mich das wohl berühren, aber Fehlanzeige.

Jetzt geht’s nur noch darum, zurück in die Kuppel zu kommen. Und Jude wie auch immer dazu zu bringen, Bea zu helfen statt Quinn.

Denn sie sollte nicht hier draußen leben müssen.

Niemand sollte das.