OSCAR

Nach meinem zweiten Tag als Judes rechte Hand bei der Rekrutenausbildung in der Sporthalle hänge ich abends völlig in den Seilen. Ich will nur noch abendessen und dann auf einen Sprung rauf zu Bea, doch als ich zu Hause eintreffe, tigert Niamh durch die Küche. Vom Herd her bedenkt mich Wendy mit einem Blick, den ich nicht deuten kann, bevor Niamh auf mich zugestürmt kommt. »Alles okay?«, frage ich.

»Nein, kann man so nicht sagen.« Niamh schleudert mir mein Pad hin, das sie in der Hand gehalten hat.

»Hast du versucht, mich zu erreichen? Ich hab’s leider liegen lassen.« Ich werfe schnell einen Blick drauf. Irgendwie hat sie es geschafft, in meine Dateien reinzukommen. Aber was soll sie gefunden haben? Ich habe weder irgendwelche verfänglichen Botschaften gesendet noch irgendwen kontaktiert, den ich nicht sollte. Ich war extrem vorsichtig. »Wie hast du’s aufgekriegt?«

»Du hast seit Jahren dasselbe Passwort, Oscar. Picasso. Außerdem ist das nicht die Frage. Die Frage ist, was das Foto von Bea Whitcraft auf deinem Pad zu suchen hat.«

Ich erstarre. Mist. Beim Bahnhof habe ich ein Foto von Bea gemacht und sie meinte noch, ich soll es löschen. Warum hab ich das bloß nicht getan?

Wendy rührt wild im Topf herum. »Möchte jemand einen Happen?«, fragt sie.

»Also?«, sagt Niamh fordernd.

Ich mache einen Schritt zurück, öffne den Fotoordner auf dem Pad und scrolle die Bilder so unbekümmert wie möglich durch. »Komisch. Vielleicht noch aus der Schule oder so.«

Niamh entreißt mir das Pad und vergrößert das Foto. Beas gereiztes Gesicht ist deutlich zu erkennen – genau wie der orangerote Sonnenuntergang und die verlotterten Gebäude hinter ihr. »Ich hab Datum und Ort gecheckt. Das hast du im Ödland gemacht. Spar dir deine Lügen. Du bist Bea über den Weg gelaufen?« Ich starre auf Beas Bild und sage kein Wort. Wenn ich möglichst betroffen wirke, lässt sie’s dann vielleicht gut sein? »Also hast du sie getroffen«, sagt Niamh. »Und statt sie abzuknallen, schießt du Bilder von ihr. Was geht hier eigentlich ab?«

»Ja, ich hab sie getroffen. Aber sie stellt keine Bedrohung dar. Sie lebt wie eine Ausgestoßene und sie wird da draußen sterben. Ich konnte sie nicht einfach so abknallen, Niamh. Ich hab’s einfach nicht gepackt. Hättest du das gekonnt?«

Das war eigentlich rhetorisch gemeint, da ich kaum glaube, dass Niamh irgendwen umbringen könnte, doch sie rammt ihren Finger in Beas Fotogesicht. »Jeder muss sterben, der an den Aufständen und Daddys Tod beteiligt war. Wenn sich die Gelegenheit bietet, stech ich sie ab.« Ihr Gesicht ist eine stählerne Maske.

»Abendessen?«, fragt Wendy. Sie zittert am ganzen Leib und hat allen Grund dazu.

Ich muss Bea und die anderen hier rausschaffen und zwar besser noch gestern als heute. Wenn Niamh wittert, mit wem sie hier unter einem Dach lebt, dann sind wir alle geliefert.