BEA

Es muss mindestens einen Tag her sein, seit sie mich in diese fensterlose, luftdichte Zelle geworfen haben. Ich habe weder gegessen noch getrunken und meine Arme und Beine sind an einen Stuhl gefesselt. Vor ein paar Stunden habe ich mich angepinkelt. Es riecht grauenhaft und ich winde mich auf der Sitzfläche, um das unangenehme Gefühl etwas zu lindern. Ich werde hier nicht rumflennen, damit sie am Ende glauben, sie hätten mich kleingekriegt.

Ich versuche, meine Hände loszureißen, doch das kostet mich nur eine weitere Hautschicht meiner roten, wund gescheuerten Handgelenke. Als ein Klappern mir ankündigt, dass die Wache die Tür aufschließt, höre ich auf.

Der Wachmann hält die Tür auf und Niamh Knavery kommt hereinstolziert. Sie starrt mich an, als hätte mich wer hingekotzt. »Hier stinkt’s«, sagt sie. »Hast du dich etwa angepisst?« Wenn ich könnte, würde ich ihr zweigen, wie sehr mir ihr Gerede am Arsch vorbeigeht. Für den Gestank hier sind die verantwortlich, nicht ich.

Nach einer kurzen Pause erscheint Lance Vine. Er hält sich den Arm über die Nase. Schon beinah komisch, dass ausgerechnet er mich hier eklig findet. »Gib uns fünf Minuten«, trägt er dem Wachmann auf, der nickt und mitsamt dem Schlüsselbund an seinem Gürtel auf den Gang verschwindet.

»Ich hab nichts verbrochen«, sage ich.

»Komm mir nicht so«, schäumt Niamh verächtlich.

»Dein Vater hat meine Eltern ermordet. Ich hab allen Grund, dich zu hassen«, erkläre ich ihr, obwohl ich dann auch Oscar hassen müsste, und das tue ich nicht. Keiner von ihnen kann etwas dafür, was Cain Knavery war.

Vine baut sich neben Niamh auf und reibt sich die Nase zwischen Daumen und Zeigefinger. »Wenn’s nach mir geht, müssen wir hier nicht noch groß herumtun. Jude Caffrey hat gemeldet, dass die Lage sich zuspitzt. Zeit zum Handeln.« Er stellt sich vor Niamh und drückt mir seine schwitzige Pfote über den Mund. »Wir waren der Meinung, wir hätten die meisten von euch erwischt, als wir den Hain vernichtet haben. Wer greift uns dann jetzt an?«

»Schon wieder ein Aufstand in der Kuppel?«, frage ich. Ob Quinn da mit drinnen hängt? Könnte er hier sein? Ich verspüre einen schwachen Hoffnungsschimmer. »Wenn Sie so ein knallharter Bursche sind, warum stehen Sie dann nicht da draußen und kämpfen persönlich gegen die Bösen?«

Er verpasst mir eine schallende Ohrfeige. Der Stuhl kippt nach hinten und knallt auf den Boden. Ich lande auf meinen hinter dem Rücken fixierten Handgelenken und muss die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzuschreien. Ich drehe mich auf die Seite und versuche, meine Handgelenke zu bewegen.

Niamh presst die Lippen zusammen. »Steckt Wendy dahinter?«

»Oder war es Oscar?«, fügt Vine hinzu.

Niamh erschauert. »Und ich denk mal, Wendy hat auch diesen neuen Angriff auf die Kuppel mit vorbereitet«, sagt sie hastig, um mich ja nicht zu Wort kommen zu lassen. »Wir sollten hier einfach die Luft abdrehen und sie ersticken lassen.« Über mir zuckt Vine die Schultern. Er schert sich einen Dreck darum, was mit mir geschieht.

Ein Geräusch im Flur lässt mich erstarren. Ein weiterer Soldat tritt in die Tür. Bei meinem Anblick muss er schlucken. »Sie werden in der Kammer bei der Sitzung erwartet, Herr Präsident«, meldet er.

Vine dreht sich zu Niamh. »Sag denen, ich bin gleich da.«

»Ja, Herr Minister«, sagt sie. Mir verpasst sie noch einen kleinen Tritt.

»Ich bin nicht anders als du, Niamh«, sage ich. Das ist weder Bettelei noch Um-Hilfe-Flehen, ich gebe ihr nur die Chance, doch noch das Richtige zu tun.

»Nein, Bea«, sagt sie. »Wir sind von Grund auf verschieden und das ist Teil des Problems. Du und deine Terroristen wollen das einfach nicht wahrhaben.« Sie verlässt die Zelle und lässt die Tür hinter sich zuknallen.

Vine kauert sich neben mich und streichelt mir mit dem Handrücken übers Gesicht. Ich versuche, ihn zu beißen. Lachend zieht er die Hand weg. Ich bin nichts als ein Beutetier und das Gefühl kenne ich nur allzu gut. Ich schreie aus voller Kehle los, um ihn wenigstens aus dem Konzept zu bringen, und verstumme erst, als der Lautsprecher in der Wand Alarm schlägt und eine rote Warnleuchte aufblinkt. »Das darf doch nicht wahr sein«, sagt er.

»Was darf nicht sein?«

Er blickt auf mich runter. »Das ist der Luftalarm, das weißt du genauso gut wie ich. Die Rebellen müssen die Rohrleitungen beschädigt haben. Und du wirst dafür bezahlen, dass du da drin hängst.«

»Die Rohrleitungen?«

»Die hätten bedenken sollen, dass im Gefängnis und in den Zweitklasswohnungen zuallererst die Luft abgesaugt wird.« Er hastet zur Tür.

»Und mich lassen Sie einfach hier?«, frage ich. Vor dem Tod fürchte ich mich nicht – ich habe ihm schon zu oft ins Auge gesehen, um die Unvermeidlichkeit zu verdrängen, und Ersticken ist das Unvermeidlichste überhaupt –, aber alleine sterben, das will ich nicht. Irgendwer sollte meinen letzten Moment miterleben. Wenigstens das habe ich doch verdient, oder?

Vine schnaubt und drückt den Knopf der Gegensprechanlage. Er wartet ein paar Augenblicke ab und zerrt dann am Türgriff. Vergeblich. Er räuspert sich und versucht noch mal sein Glück mit der Gegensprechanlage. »Ich bin jetzt bereit zum Gehen«, spricht er in den kleinen Kasten, die Stirn in Falten.

Ich huste, weil die Luft in der Zelle schon merklich dünner geworden ist. »Was, wenn niemand kommt?«, stachle ich ihn auf. »Werden bei einem Angriff nicht alle zum Kämpfen zusammengetrommelt? Würden die Wachen nicht panisch abhauen, wenn sie wissen, dass die Luft abgesaugt wird?«

Er drückt sich die Hand auf die Brust und trommelt dann mit beiden Fäusten gegen die Zelltür. »Lasst mich raus!«, brüllt er. Ich konzentriere mich ganz darauf, meine Atemzüge möglichst lang auszudehnen, wie Meeresbrandung, die ans Ufer rollt. Vine kommt zu mir und kniet sich neben mich auf den Boden. Er hält sein Ohr an meinen Mund. »Was ist das für ein Trick?«, fragt er. Sein Atem geht hektisch.

»Kein Trick«, sage ich. »Ich hab genug Luft, ganz einfach.«

»Schafft mich hier raus!« Er wird kreidebleich, wankt wieder zur Tür, reckt den Hals und reißt den Mund weit auf, um so viel Luft wie möglich einzusaugen. »Das brennt«, krächzt er und beginnt zu röcheln.

Ein letztes Mal drückt er seinen Finger gegen den Knopf der Sprechanlage, bevor er keuchend zu Boden sinkt. Er beginnt zu hyperventilieren und kippt dann ohne Vorwarnung bewusstlos um. Ich sehe noch, wie seine Brust sich hebt und senkt. Ein Weilchen wird er noch leben. Aber nur ein Weilchen.

Und ich bleibe so ruhig wie möglich auf dem Boden liegen und haushalte mit meinem Sauerstoff. Die Luft ist sehr dünn, doch zum Überleben reicht sie. Mir zumindest.

Eine Weile.