Millie
Drei Monate früher
Ich liebe dieses Haus.
Ich liebe alles an diesem Haus. Ich liebe den riesigen Rasen vorne und den noch riesigeren hinten (auch wenn beide ein bisschen zu Braun tendieren). Ich liebe die Tatsache, dass das Wohnzimmer groß genug ist, um viele Möbelstücke darin unterzubringen, statt nur ein kleines Sofa und einen Fernseher. Ich liebe die Panoramafenster mit Aussicht auf die Umgebung, die, wie ich kürzlich in einer Zeitschrift gelesen habe, eine der besten Gegenden ist, um ein Kind großzuziehen.
Und am meisten liebe ich, dass es mir gehört. Locust Street Nummer 14 gehört mir. Na ja, in dreißig Jahren, wenn die Hypothek abbezahlt ist, wird es mir gehören. Während ich mit dem Finger über die Wand unseres neuen Wohnzimmers fahre und die brandneue Blumentapete aus der Nähe bewundere, muss ich erneut daran denken, was für ein Glück ich habe.
»Mom küsst wieder das Haus!«, kreischt jemand hinter mir.
Ich trete schnell von der Wand zurück, dabei ist es ja nicht so, als hätte mich mein neunjähriger Sohn mit einem Liebhaber erwischt. Ich schäme mich nicht dafür, dass ich das Haus liebe. Ich würde mich am liebsten aufs Dach stellen und es laut in die Welt hinausschreien. (Wir haben ein beeindruckendes Dach. Ich liebe dieses Haus. )
»Solltest du nicht auspacken?«, frage ich.
Nicos Kisten und Möbel wurden alle in sein Zimmer gestellt, er sollte also auspacken. Doch stattdessen wirft er immer wieder einen Baseball gegen die Wand – die mit der hübschen Blumentapete – und fängt ihn wieder auf. Wir wohnen noch keine fünf Minuten in diesem Haus, und er ist schon entschlossen, es zu zerstören. Ich kann es in seinen dunklen braunen Augen sehen.
Es ist nicht so, dass ich meinen Sohn nicht über alles liebe. Wenn ich mich zwischen Nico und diesem Haus entscheiden müsste, würde ich natürlich Nico wählen. Keine Frage.
Aber wenn er dieses Haus irgendwie beschädigt, bekommt er Hausarrest, bis er alt genug ist, um sich rasieren zu müssen.
»Ich packe morgen aus«, sagt Nico. Seine Maxime ist, dass alles morgen erledigt wird.
»Oder jetzt?«, schlage ich vor.
Nico wirft den Ball in die Luft, und er streift knapp die Decke. Wenn wir irgendetwas Wertvolles im Haus hätten, würde ich jetzt einen Herzanfall bekommen. »Später«, beharrt er.
Heißt nie.
Ich spähe die Treppe hinauf. Ja, wir haben eine Treppe ! Eine richtige Treppe. Sie knarrt zwar bei jedem Schritt, und wenn man sich zu sehr am Geländer festhält, könnte es herunterfallen. Aber wir haben eine Treppe, und sie führt in ein weiteres Stockwerk .
Man merkt, dass ich zu lange in New York City gelebt habe. Nach der Sache, die das letzte Mal passiert ist, als ich hier gewohnt habe, zögerte ich, wieder nach Long Island zu ziehen. Aber das ist fast zwei Jahrzehnte her – in grauer Vorzeit.
»Ada?«, rufe ich nach oben. »Ada, kannst du mal kommen?«
Ein paar Minuten später steckt meine elfjährige Tochter ihren Kopf mit den dicken, welligen schwarzen Haaren ins Treppenhaus und blickt mit ihren dunklen Augen zu mir herunter. Sie haben dieselbe Farbe wie Nicos, es sind die Augen ihres Vaters. Im Gegensatz zu Nico hat Ada sofort nach unserer Ankunft damit begonnen, ihre Sachen auszupacken. Sie ist eine Einser-Schülerin – eine, die ihre Hausaufgaben macht, ohne dass man es ihr sagen muss.
»Ada«, sage ich. »Bist du mit Auspacken fertig?«
»Fast.« Keine Überraschung.
»Könntest du vielleicht Nico beim Auspacken helfen?«
Ada nickt, ohne zu zögern. »Klar. Los, komm, Nico.«
Nico sieht sofort die Chance, dass seine Schwester den Großteil der Arbeit macht. »Okay!«, stimmt er fröhlich zu.
Nico hört endlich auf, mich mit dem Baseball zu terrorisieren, und läuft, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben, um seiner Schwester in sein Zimmer zu folgen. Ich versuche ihr zu sagen, dass sie ihm nicht die ganze Arbeit abnehmen soll, aber das ist aussichtslos. Ich habe selbst noch ungefähr sechzig Kartons auszupacken und werde froh sein, wenn alles erledigt ist.
Wir hatten großes Glück, dieses Haus zu bekommen. Wir haben ein halbes Dutzend Bieterschlachten in Gegenden verloren, die weniger nett waren als diese. Ich hätte nicht gedacht, dass wir die geringste Chance haben würden, dieses urige ehemalige Farmhaus in einem Ort mit so gut bewerteten öffentlichen Schulen zu bekommen. Ich habe fast vor Freude geweint, als unsere Immobilienmaklerin mich anrief, um mir zu sagen, dass das Haus uns gehört. Zehn Prozent günstiger als der geforderte Kaufpreis!
Das Universum muss entschieden haben, dass wir etwas Glück verdienen.
Ich werfe einen Blick aus dem vorderen Fenster auf den Umzugswagen, der vor dem Haus steht. Wir wohnen in einer kleinen Sackgasse mit zwei weiteren Häusern, und am Fenster auf der gegenüberliegenden Seite sehe ich die Umrisse von jemandem. Mein neuer Nachbar, wie ich vermute. Ich hoffe, sie sind freundlich.
Aus dem Umzugswagen ist ein Gepolter zu hören, und ich reiße das Fenster auf, um zu sehen, was los ist. Als ich nach draußen laufe, taucht mein Mann gerade mit einem seiner Freunde, die uns helfen, aus dem Umzugswagen auf. Ich wollte eine Umzugsfirma beauftragen, aber er beharrte, er könne es mit seinen Freunden selbst machen. Ehrlicherweise müssen wir jeden Cent sparen, wenn wir die Hypothekenraten aufbringen wollen. Obwohl der Kaufpreis zehn Prozent unter dem ursprünglich geforderten lag, war unser Traumhaus nicht billig.
Mein Mann hebt eine Hälfte unseres Wohnzimmersofas hoch, und sein verschwitztes T-Shirt klebt an seinem Oberkörper. Mir ist nicht wohl dabei, denn er ist über vierzig, und das Letzte, was er gebrauchen kann, ist ein verrenkter Rücken. Ich habe ihm gegenüber diese Sorge geäußert, als wir den Umzug geplant haben, aber er hat sich benommen, als wäre es das Dümmste, was er je gehört hatte. Obwohl ich mir alle zwei Wochen den Rücken verrenke. Und zwar nicht vom Heben eines Sofas, sondern zum Beispiel vom Niesen .
»Sei bitte vorsichtig, Enzo«, sage ich.
Er sieht zu mir hoch, und als er grinst, schmelze ich dahin. Ist das normal? Bekommen andere Frauen, die seit mehr als elf Jahren verheiratet sind, auch noch manchmal weiche Knie, wenn sie ihren Mann sehen?
Nein? Nur ich?
Ich meine, das geschieht nicht jede Minute . Aber, o Mann, er haut mich immer noch um. Zumal er unerklärlicherweise Jahr für Jahr sexyer wird. (Während ich nur ein Jahr älter werde.)
»Ich pass auf«, sagt er. »Außerdem, dieses Sofa? Ist leicht! Wiegt fast nichts.«
Der Mann, der das andere Ende des Sofas hält, verdreht die Augen. Aber zugegebenermaßen ist es tatsächlich keine schwere Couch. Wir haben sie von IKEA , was eine Verbesserung gegenüber der davor ist, die wir vom Sperrmüll mitgenommen hatten. Enzo war der Meinung, dass es im Sperrmüll vor unserer Wohnung die besten Möbel gebe.
Seitdem sind wir ein bisschen erwachsener geworden. Hoffentlich.
Als Enzo und sein Freund das Sofa in unser schönes neues Haus bringen, blicke ich wieder zum Haus gegenüber. Locust Street Nummer 13. Es starrt immer noch jemand aus dem Fenster. Im Haus ist es dunkel, deshalb sehe ich nicht viel, aber die Gestalt ist immer noch am Fenster.
Jemand beobachtet uns.
Aber daran ist nichts Unheimliches. Die Leute sind unsere neuen Nachbarn und bestimmt neugierig, wer wir sind. Wenn ich früher einen Umzugswagen vor unserem Haus gesehen habe, dann habe ich auch immer durchs Fenster beobachtet, wer einzieht. Enzo hat immer gelacht und gesagt, ich solle aufhören zu gucken und stattdessen hingehen und mich vorstellen.
Das ist der Unterschied zwischen ihm und mir.
Na ja, nicht der einzige Unterschied.
Mit dem Vorsatz, mich zu ändern und wie mein Mann freundlicher zu sein, hebe ich eine Hand, um der Gestalt am Fenster zuzuwinken. Es ist okay, meinen neuen Nachbarn in Nummer 13 zu grüßen.
Aber die Person grüßt nicht zurück. Stattdessen gehen die Rollläden herunter, und die Gestalt verschwindet.
Willkommen in der Nachbarschaft.