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Gegenüber Enzo erwähne ich nichts von meinem Gespräch mit Cecelia.

Ich habe eine Heidenangst, mit ihm darüber zu sprechen. Als er in die Küche kommt, um beim Tischdecken zu helfen, öffne ich ein Dutzend Mal den Mund, aber die Worte kommen einfach nicht heraus. Ich habe das Gefühl, etwas Schreckliches kommt auf uns zu, und wenn ich darüber rede, wird es wahr.

Als die Kinder nach Hause kommen, tun wir so, als sei alles in bester Ordnung. Wir tun so, als wäre unser Zuhause nicht gerade von Polizisten auf der Suche nach Beweisen für einen Mord zerlegt worden. Sollte Enzo wirklich bald verhaftet werden, dann ist es umso wichtiger, sich an die Normalität zu klammern, solange wir das noch können. Enzo schafft es sogar, Nico zum Baseballspielen in den Garten zu locken, das erste Mal seit dem Vorfall in der Little League.

Am Abend braucht Enzo viel länger als sonst, um den Kindern Gute Nacht zu sagen. Als er schon eine halbe Stunde bei Ada ist, beschließe ich, Nico Gute Nacht zu sagen. Es ist schon so spät, dass er vielleicht bald einschläft, wenn ich nicht zu ihm gehe.

Als ich in Nicos Schlafzimmer komme, sieht er jedoch gar nicht so aus, als würde er jeden Moment einschlafen. Im Gegenteil, er sitzt aufrecht im Bett und liest einen Comic. Der Käfig, in dem Little Kiwi früher wohnte, steht immer noch neben seinem Bett, aber jetzt ist er natürlich leer.

»Schlafenszeit.« Ich nehme ihm den Comic aus den Händen und lege ihn auf den Schreibtisch. »Sei so lieb, es ist Zeit zu schlafen.«

»Ich bin aber gar nicht müde.«

»Ich wette, du bist müder, als du denkst.«

»Wetten, dass nicht?«

Aber er legt folgsam seinen Kopf auf das Kissen. Ich schalte das Licht aus, nur das Mondlicht fällt noch durch das Fenster auf den Boden neben seinem Bett. Obwohl wir inzwischen Jalousien haben, lässt er sie normalerweise oben. Das Weiße in seinen Augen scheint im Mondlicht fast zu leuchten.

»Mom?«, sagt er.

Ich setze mich auf seine Bettkante. »Ja?«

»Glaubst du, dass ein Mensch, der etwas Schlimmes tut, deshalb ein schlechter Mensch ist?«

»Nun, was für eine schlimme Sache meinst du denn?«

Er zieht die Augenbrauen hoch, und seine Augen weiten sich. »Eine wirklich schlimme Sache.«

Wahrscheinlich denkt er an seinen Vater. Es muss ein Schock für ihn gewesen sein, heute Morgen aufzuwachen und die Polizei in unserem Haus zu sehen. Was wird er bloß denken, wenn sie Enzo verhaften?

Er beobachtet mich und wartet auf meine Antwort. Nach allem, was ich im Leben durchgemacht habe, habe ich meine ganz eigene Ansicht dazu. Ich selbst habe tatsächlich einige schlimme Dinge getan. Einige wirklich schlimme Dinge. Ich habe jemanden umgebracht. Genau genommen sogar mehr als einen Menschen.

Zum Glück weiß Nico nichts davon. Wir haben das bisher alles vor unseren Kindern geheim gehalten. Eines Tages werden sie es mit Sicherheit herausfinden, und ich habe schreckliche Angst, dass sie mich dann verachten werden.

»Ich glaube«, sage ich, »dass ein Mensch schlechte Dinge tun und trotzdem ein guter Mensch sein kann. Solange er die schlechten Dinge aus dem richtigen Grund getan hat.«

»Man kann schlechte Dinge aus einem guten Grund tun?«

»Auf jeden Fall. Schau mal, wir sind uns doch zum Beispiel einig, dass Lügen falsch ist, oder?«

Er nickt.

»Nun, was wäre, wenn Ada zum Friseur geht und mit einem neuen Haarschnitt nach Hause käme, der ihr nicht steht. Sie fragt dich, wie es aussieht. Und du sagst ihr, es sieht toll aus, weil du sie nicht verletzen willst. Das wäre zwar eine Lüge, aber aus einem guten Grund. Verstehst du?«

»Ja …«

»Beantwortet das deine Frage?«

»Nicht wirklich«, sagt er. »Denn über einen Haarschnitt zu lügen, ist nicht wirklich etwas Schlimmes.«

Mir läuft ein Schauer über den Rücken. »Okay, woran denkst du denn dann?«

Wo warst du immer dann, wenn du mir gesagt hast, du seist bei Spencer Archer?

Ich beobachte das Gesicht meines Sohnes und bin gespannt darauf, was er antwortet. Aber er zuckt nur mit den Schultern. Was auch immer er getan hat, er möchte nicht mit mir darüber reden.

Bevor ich das Gespräch fortsetzen kann, klopft es an der Tür. Es ist Enzo, der ebenfalls Gute Nacht sagen will. Ich bin mir immer noch nicht sicher, was Nico gemeint hat. Es scheint, als hätte er etwas ganz Bestimmtes im Sinn, aber offensichtlich möchte er mir das nicht anvertrauen. Vielleicht kann Enzo seine Fragen ja besser beantworten als ich.