Sich tief in Bulldogs Fall einzuarbeiten, ist ein Teil der Strafverteidigung, von der Marc weiß, er kann dies nicht allein bewältigen. Nicht in 30 Tagen. Er muss jeden Stein einzeln umdrehen, Zeugen finden, die er befragen kann, Beweise ausarbeiten und bewerten. Die meisten Privatdetektive bearbeiten Fälle, wo es um Scheidung, Sorgerecht oder Hintergrundinformationen für Arbeitgeber geht. Er weiß, es gibt nur eine Art Privatdetektive, die Fälle wie seinen bearbeiten. Kriminalfälle zu bearbeiten ist eine Spezialität, für die Strafverteidiger gut bezahlen, besonders bei einem bedeutenden Mandanten. Aber armen Leuten widerfährt oft keine Gerechtigkeit, weil ihr Geldbeutel solche Dienstleistungen nicht hergibt. Jemanden zu finden, der es umsonst macht, ist ein schöner Traum und auch seine Anwaltskollegen können ihm nicht weiterhelfen, jemanden zu finden. Aber Marc hat noch ein Ass im Ärmel.
„Ben, du musst mir bei etwas behilflich sein.“
„Raus mit der Sprache“, antwortet Ben, nimmt seine randlose Brille ab und dreht sich langsam mit seinem Stuhl, eine Art Meditationstechnik.
„Ich weiß, du vertrittst ein paar schmierige Klienten", bemerkt Marc.
„Ja, leider.“
„Und ich weiß, sie haben die großen Scheine für den besten Anwalt.“
„Das wäre wohl ich.“
„Hattest du es je nötig, einen Privatdetektiv zu engagieren, einen der kriminellen Aktivitäten auf den Grund geht?“
Instinktiv schaltet Ben die Freisprecheinrichtung aus. „Die Hälfte meiner Klienten haben Dreck am Stecken. Sie arbeiten an der Wall Street. Ich bearbeite aber keine Anzeigen über Strafsachen. Für sowas beauftragen sie einen entsprechend spezialisierten Anwalt.“
„Du weißt, einen solchen wie dich, Ben. Wann hörst du auf, für die Bösen zu arbeiten und tust etwas Bedeutendes mit deinem Talent als Jurist?“ Marc weiß, Ben hatte mit dem Gedanken gespielt, sich auf Strafrecht zu spezialisieren, sich aber noch nicht entschieden, auf welcher Seite des Zauns das Gras grüner ist. Bens große Persönlichkeit und der kindliche Charme ergänzen sich im Gerichtssaal perfekt, da passen langsame Denker und Protzer schlecht. „Wir könnten Typen wie dich bei der Verteidigung brauchen.“
„Nein. Ich bin nicht sicher, ob ich den ganzen Abschaum unternehmerisch verteidigen könnte. Und ich bin ebenso wenig großherzig wie du ein Meister des kleinen Mannes.“
„Dann habe ich nur eine einzige andere Möglichkeit.“
„Ich suche nach einer Stelle als Staatsanwalt. Aber vorerst suche ich nur. Also, zurück zu dir, denn du brauchst einen Privatdetektiv.“
„Ich brauche den Namen, Ben.“
„Das wird nicht billig. Kann sich das dein Mandant leisten?“
„Wohl kaum. Noch nicht einmal ich werde hierfür bezahlt. Richter Larimer hat es mir aufs Auge gedrückt. Ben, es ist ein großer Fall. Ich denke, da geht etwas nicht mit rechten Dingen zu. Ich brauche jemanden mit guten Beziehungen, der leicht durch das Raster rutschen und sich Antworten holen kann, ohne dass jemand Verdacht schöpft.“
„Dann gibt es nur einen Menschen, den ich kenne, der gewillt und dazu imstande ist.“
Auf der Visitenkarte von Global Investigations stehen ein paar Spezialisierungen, die Marc ins Auge stechen: Neuen Hinweisen nachgehen, Abläufe von Ereignissen belegen, forensische Analyse.
„Wollen Sie diese Art Fall bearbeiten?“, fragt Marc den Privatdetektiv, der eher einem von Bens Firmenkunden ähnelt, als einem, der solchen hinterher schnüffelt. Gepflegt, gut angezogen, aber nicht aufgesetzt und mit einem sanften Auftreten, das selbstsicher, jedoch nicht arrogant wirkt. Man kann ihn einordnen, er ist höflich und sehr interessiert an Marcs Fall. Außerdem ist er glattrasiert, was neu ist, in der heutigen Zeit der Gesichtsbehaarung.
„Ich habe tausende von Stunden Ermittlungsarbeit auf dem Buckel, Mr. Jordan, einschließlich mehrerer strafrechtlicher Untersuchungen. Davon würde ich gerne mehr machen. Und ich will ihn wirklich Pro Bono übernehmen. In meiner gesamten Laufbahn habe ich mich der Gerechtigkeit verschrieben, genau wie meine Mandanten. Also würde ich gerne wissen, was Sie brauchen.“
Dantes jamaikanischer Akzent, der jetzt noch deutlicher zu hören ist, hat einen beruhigenden Einfluss auf Marc, der ihn auf der Stelle einstellen will. „Ist Ihr Terminkalender frei. Denn bei diesem Fall braucht man ein scharfes Auge und einen klaren Blick. Ich möchte Sie nicht überfordern.“
„Ich habe ein paar Klienten, meistens geht es um Hintergrundinformationen und Familienangelegenheiten. Sie sollten sich nicht überschneiden. Tatsächlich will ich nicht, dass das passiert. Ich kann meine anderen Klienten an andere Detektive übergeben, außer einem, dessen Situation etwas komplizierter ist. Aber das dürfte ich bald beendet haben.“
„Gut. Ich brauche Sie wirklich, um in die Vollen zu gehen. Ich habe bald eine Beweisaufnahme und ich muss dem Richter etwas präsentieren können, dass es zu einer Wiederaufnahme eines Verfahrens kommt.“
„Sagen Sie mir, was Sie wissen müssen, ich kümmere mich darum.“
„Mein Mandant ist zu 20 Jahren bis lebenslänglich verurteilt. Er ist kein guter Mensch. Er ist vorbestraft wegen Körperverletzung, Alkohol am Steuer und vielem mehr. Aber es ist gut möglich, dass er im Gefängnis landete für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Ich bin der Überzeugung, irgendwo gibt es noch Beweise, die nicht eingebracht wurden. Man hat mit ihm ein schmutziges Spiel getrieben oder ihn zumindest sehr schlecht beraten, damit er sich schuldig bekennt.“
„Das geschieht leider viel zu häufig.“
„Ja, das denke ich auch. Aber in diesem Fall ist etwas faul. Ich suche nach etwas Großem, das diesem Fall eine Wendung gibt, nicht nur nach einer kümmerlichen Petition oder einem Trick. Hier ist die Akte. Ich möchte, dass Sie Dinge sehen, die noch nicht einmal ich sehen kann und Dinge finden, an die ich nicht einmal denken würde. Gehen Sie jeder Spur nach und sei sie noch so trivial. Ich muss Sie warnen. Der Fall ist alt, 15 Jahre.“
„Manchmal werden ziemlich alte Fälle schnell wieder zu aktuellen“, bemerkt Dante, um bei der Wortwahl zu bleiben.
„Dann wollen wir dem hier mal wieder Leben einhauchen. Hier ist die Akte.“
„Danke, Mr. Jordan.“ „Er schiebt sie in seinen Aktenkoffer und schaut kaum auf die Beschriftung.
„Marc. Nennen Sie mich Marc.“
„Danke, Marc. Ich mache mich heute noch dran.“
Dante Monroe verlässt Marcs Büro, die Akte des Falles Clive Parsons im Aktenkoffer, und weiß nicht, dass zwei seiner Klienten bald schon zu Fall gebracht werden.