Kapitel Neunzehn

Ben schaltet den Kassettenrekorder ab und wartet nicht auf die Antwort von Herman Farmer, Ibarras Anwalt.

„Ich plädiere auf Totschlag. Verzweifelter Vater wird von einem Arzt konfrontiert, der das Leben seiner Tochter zerstören will“, beginnt Ben. „Und wenn er mir sagt, wo ich Miguel finde, damit ich ihn wegen des Unfalls mit Fahrerflucht, wie auch Anabel, damit ich sie wegen des Feuers, das Franco Jourdain tötete, befragen kann, dann wäre ich geneigt, ein milderes Urteil zu fordern. Vielleicht.“

„Notwehr im Fall McMillan, vielleicht mache ich das meinem Mandanten klar.“ Farmer beharrt hartnäckig auf diesen Bedingungen. „Aber er wird Ihnen ganz sicher keine Informationen geben, die seine Tochter und seinen Sohn in Verbrechen verwickeln, von denen er nicht einmal etwas weiß.

„Schau“, lügt Ben, dies alles ist vermutlich schon verjährt und sie werden vielleicht gar nicht angeklagt.“

„So dumm bin ich nicht“, meint der Anwalt und will den Sack zumachen. „Amador weigert sich, das Wort Mord oder Totschlag überhaupt in den Mund zu nehmen. Was Anabel angeht, vielleicht hatte sie einen Nervenzusammenbruch und bildete sich alles ein. Vielleicht setzte ihr McMillan diese Flausen in den Kopf, als sie unter seinem Bann stand.“

„Es gibt Beweise“, gibt Ben zu bedenken. „Den Zeitungsausschnitt, den man in McMillans Schreibtisch fand. Der Arzt hatte außerdem ein Sedativum in seinem Blut, wurde als betäubt, ehe er starb. Wir glauben, Ibarra hat es in sein Getränk getan.“

„Er war Arzt und könnte es genommen haben, um seine Nerven zu beruhigen“, wirft Farmer ein.

„Dasselbe Sedativum, das Ibarra nimmt, um seine zu beruhigen?“

„Reiner Zufall. Millionen von Menschen nehmen dieses Medikament.“

„Farmer, es gibt genug Beweise, um Ihren Mandanten lebenslang hinter Gitter zu bringen. Sie haben die Pflicht, mein Angebot Ihrem Mandanten vorzubringen.“

Als Farmer das tut, ist Amador widerspenstig, wie eh und je. „Holen Sie mich einfach hier raus“, verlangt er.

„Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob ich das kann. Bringen wir das vor die Geschworenen, werden Sie verurteilt. Die Beweislage ist echt erdrückend, Amador. Kein einziger Geschworener wird glauben, es war Notwehr. Besonders, wenn dieses Band als Beweismittel zugelassen wird.“

„Wie halten wir es also von den Geschworenen fern?“

Ben Parker und Farmer sehen sich in Richterin Zoey Hillers Zimmer wieder und kommen gleich zur Sache.

„Mein Mandant will von seinem Recht auf einen Schwurgerichtsprozess Gebrauch machen, Euer Ehren.“

„Was zum Teufel?“ Ben findet diese Idee fast schon lustig.

Richterin Hiller, hinter ihrer modischen Brille mit dem roten Rand, überhaupt nicht. „Und warum, Mr. Farmer? Denkt er, er bekommt bei mir eine Sonderbehandlung?“

„Er zieht es vor, dass sein Fall nicht öffentlich angehört wird. Er hat Angst um seine Familie und sein Geschäft.“

Da kichert Ben laut, verstummt aber sofort, als ihm die Richterin einen strengen Blick zuwirft. Ben schaut düster drein und sagt ernst: „Er denkt, er könne einen Freispruch erkaufen.“

Da erwidert Farmer zornig: „Jetzt bin ich dran, Parker. Was zum Teufel? Euer Ehren?“

Hiller zeigt mit einem gepflegten rotlackierten Finger auf Farmer, schaut aber gleichzeitig Ben an. „Ja, Parker. Was er sagte. Haben Sie Beweise, dass Ibarra Richter kauft?“

„Keine Beweise, Euer Ehren. Nur einen Verdacht.“

„Der sich auf was bitte stützt?“

„Er war immer bekannt dafür, sich raus zu kaufen, um sich persönlich und geschäftlich Vorteile zu verschaffen, sozusagen“,

Farmer erwidert unnachgiebig: „Das ist nicht der Kauf von Richtern, sondern Geschäftsverhandlungen. Außerdem hat das nichts mit diesem Fall zu tun.“

„Ja, widmen wir uns wieder diesem Fall“, meint Richterin Hiller. „Der Angeklagte hat das Recht, ein Geschworenengericht abzulehnen, wenn er sich das gut überlegt hat. Selbst wenn es keine Geschworenen gibt und der Fall für die Öffentlichkeit geschlossen wird, wäre da immer noch eine Vorstrafe für die Öffentlichkeit. Haben Sie Ihrem Mandanten diesen Rat gegeben?“

„Ich sagte ihm, dass diese Option besteht“, bestätigt Farmer beiläufig.

„Vermutlich deshalb, weil Sie beide wissen, dass ein Geschworenengericht ihn verurteilt“, ergänzt Ben beiläufig.

„Ich kann diesen Fall sicher gewinnen, Parker.“

„Das müssen Sie auch.“ Ben meint zu Richterin Hiller: „Ich habe noch mehr Beweise, Euer Ehren. Mir kam eine Tonbandaufnahme in die Hände, auf der ein mögliches Motiv Ibarras zu hören ist.“

„Sie wissen von diesem Band, Mr. Farmer?“

„Ja. Aber es ist weder von Relevanz noch zulässig", ergänzt Farmer. „Und das wissen Sie, Parker.“

Die Richterin nickt und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. „Er hat schon irgendwie Recht. Was ist auf dem Band?“

„Nur die Tiraden eines schwerkranken Mädchens, das unter Hypnose steht, gegenüber ihrem Arzt“, nimmt Farmer Ben das Wort aus dem Mund. „Sie redet über Sachen, die nichts mit diesem Fall zu tun haben. Wirklich, Euer Ehren.“

Ben bekräftigt seinen Standpunkt und erklärt: „Eine Tonbandaufnahme, die Dr. McMillan von Anabel Ibarras Therapiesitzungen machte, beweist, dass eines, vielleicht zwei Verbrechen begangen wurden und deshalb kann sie zugelassen werden.“

„Sie hat der Freigabe dieses Bands nicht zugestimmt, also können Sie es nicht vorlegen, Ben. Es ist eine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht.“

„Was hat das mit dem Fall McMillan zu tun?“ Hiller zieht an ihrem goldenen Ohrring, ein klares Zeichen, dass sie ungeduldig wird.

Ben beschreibt den Inhalt, Farmer protestiert und die Richterin wägt das Für und Wider ab. „Ich möchte es hören. Aber Mr. Farmer könnte Recht haben. Das wäre völlig unzulässig.“

Diese vage Hoffnung wird von Farmer völlig missachtet. „Bitte, Euer Ehren. Das ist ein völlig ungewöhnlicher Fall.“

„Vielleicht. Aber ich bin die Richterin.“

In Kalifornien wird das Recht auf ein Schwurgerichtsverfahren allen gewährt und bleibt unangetastet.“ Ein Schwurgerichtsverfahren kommt bei allen Strafsachen zum Tragen, wenn beide Parteien zustimmen, wie es bei der öffentlichen Sitzung, vom Angeklagten und seinem Anwalt gesagt wird.

Jetzt, da er vor Richterin Hiller steht, stellt sich Amador Ibarra neben seinen Anwalt und wünscht selbst, dass man auf ein Schwurgerichtsverfahren verzichtet.

„Sie sind sich darüber im Klaren, mein Herr, dass ein freiwilliger Verzicht auf ein Schwurgerichtsverfahren im Nachhinein nicht zurückgenommen werden kann, außer es liegt im Ermessen des Gerichts“, belehrt sie den Angeklagten.

Ibarra schaut Herman Farmer an und erhofft sich eine Reaktion. Farmer nickt. „Bin ich, Euer Ehren.“

Ben Parker wirft ein: „Mit Erlaubnis des Gerichts, will die Anklage, dass die Tonbandaufnahme als Beweismittel nicht zugelassen wird.“

Wieder erwidert die Verteidigung: „Das ist unzulässig, allein aufgrund der Tatsache, dass Ms. Anabel Ibarra eine einstweilige Verfügung gegen die Herausgabe einer persönlichen Krankenakte, die nichts mit dem Verbrechen, für das ihr Vater angeklagt wird, zu tun hat.“

Ben wirft ein: „Aber hier wurden, wie auf dem Tonband bewiesen wird, Verbrechen begangen. Das wird von der Staatsanwaltschaft untersucht. Es geht um den Tod eines Mitarbeiters von Ibarra, bei einem verdächtigen Brand, den sie gestand, gelegt zu haben, wie auch um den Unfall mit Fahrerflucht, bei dem Dr. McMillans Schwester, Angela Bolane, zu Tode kam. Zumindest lässt die Existenz einer Tonbandaufnahme, auf der Anabel Ibarra zu hören ist, auf das Motiv schließen, weshalb der Angeklagte Dr. McMillan tötete, nämlich um seine Kinder vor einer Anklage zu bewahren.“

„Wollen Sie die Akte über Tochter und Sohn öffnen, so ist das ihr gutes Recht, Mr. Parker. Bis aber das Gericht über Ms. Ibarras Wunsch nach einer einstweiligen Verfügung entschieden hat, kann ich weder das Band als Beweismittel zulassen, noch kann ich es mir selbst anhören. Wir können morgen früh mit der Beweisaufnahme anfangen, beginnend mit den Zeugenaussagen.“

Der Gerichtssaal ist, bis auf den Staatsanwalt, den Angeklagten und dessen Anwalt, menschenleer. An diesem schwülen Tag hört man nur das Surren der Ventilatoren an der Decke, denn die Klimaanlage ist defekt. Dennoch muss der Gerichtsvollzieher folgendes tun: Ankündigen, dass der Richter den Saal betritt, jeden bitten, sich zu erheben, um dem Richter, dem Gericht und dem Gesetz seinen Respekt zu zollen, indem er sagt: „Erheben Sie sich. Nun tagt das Gericht.“

Es können keine Zeugen aufgerufen werden, die Amador Ibarras Schuld oder Unschuld belegen könnten und die Verteidigung nimmt es fast schon schadenfroh auf, dass es keine Belastungszeugen gibt. Farmer widmet sich den Fakten und verliest zwei Aussagen von abwesenden Zeugen:

„Das Taxiunternehmen, das McMillan zwei Tage, bevor man seine Leiche in der Baugrube des Springbrunnens fand, zum Anwesen der Ibarras brachte, hat über Datum, Uhrzeit, Taxinummer und Identität des Fahrers Auskunft erteilt. Darüber hinaus ist der Taxifahrer nur Minuten später zu einem anderen Fahrgast gefahren.“ Farmer reicht das Dokument Richterin Hiller.

„In einer schriftlichen Aussage, die Carmela, die Haushälterin aufgab, sagt sie, sie hätte an diesem Abend einem Mann die Tür geöffnet, der sagte, es wäre muy importanto , dass er Señor Ibarra spricht. Sie berichtete dies ihrem Chef, der sagte, er kümmere sich darum. Carmela ging dann durch den Dienstboteneingang hinaus und fuhr nach Hause. Sie hatte nicht mitbekommen, was danach und keine Ahnung, dass Dr. McMillan das Haus je betrat.“ Der Richterin wird noch ein Dokument gereicht.

Dann rief Ben die Bauarbeiter, die den Beton zerschlugen, um die Wasserrohre freizulegen, die wegen des Erdbebens kaputt gingen. Diese sagten dann nur aus, dass sie eine Leiche fanden und niemand, weder die Familie Ibarra noch ihr Personal hat tatsächlich gesehen, dass Ibarra der Mörder ist.

Außer vielleicht einer.

„Ich rufe Señora Consuela Ibarra in den Zeugenstand“, verkündet Ben.

Sie betritt den Gerichtssaal durch die Hintertür und geht mit der Würde und Ruhe, welche die Unruhe tief in ihrer Seele verbirgt. Im Zeugenstand hält sie ihr silbernes Kreuz in der linken Hand, legt die rechte auf die Bibel und sagt: „Ich schwöre.“

„Bitte sagen Sie dem Gericht Ihren Namen“, unterweist sie Ben.

„Consuela Ibarra.“

„Sie sind Señor Amador Ibarras Mutter, richtig?“

„Das stimmt.“ Sie merkt nicht, wie wütend und finster ihr Sohn schaut.

„Und Sie waren auf dem Grundstück, als Dr. McMillans Leiche gefunden wurde?“

„Das war ich, aber ich war die meiste Zeit drinnen mit meiner Enkelin Anabel und Amadors Frau, Madalena. Wir bereiteten Anabels Hochzeit vor.“

„Was geschah sonst noch an diesem Tag?“

„Ein heftiges Erdbeben erschütterte das Haus.“

„Was taten Sie alle, als das geschah?“

„Zunächst vergewisserten wir uns, dass niemand verletzt wurde. Gott sei Dank niemand. Dann gingen wir rein, um uns zu beruhigen und unsere Füße abzutrocknen, die nass wurden, weil es einen Wasserrohrbruch gab.“

„Was passierte als nächstes?“

„Nach dem schweren Erdbeben, gab es draußen noch eine Erschütterung, worauf die Wasserleitungen brachen, die das Haus zu überschwemmen drohten. Bauarbeiter kamen herbei und begannen, den Beton aufzuschlagen. Sie wollten die Wasserrohre finden, um sie zu reparieren.“

„Señor Ibarra stellte die Bauarbeiter zur Rede. Worum ging es?“

„Er wollte, dass sie aufhörten, sie würden den Brunnen kaputt machen. Aber die Bauarbeiter sagten meinem Sohn, dass sie die kaputten Rohre freilegen müssten, weil sonst das Wasser ins Haus dränge.“

„Und er widersprach. Lautstark.“

„Könnte man so sagen. Ja.“

„Sie aber machten weiter.“

„Ja.“

„Was passierte dann?“

„Anabel rannte hinaus, wollte ihren Vater überzeugen, dass er sie ihre Arbeit tun ließ. Sie sagte, man könne den Brunnen reparieren und sie wollte nicht, dass sich die Hochzeit verzögerte. Die Männer meißelten weiter und als der Beton aufbrach, fanden sie...“

„Die Leiche?“

„Ja.“

„Ihre Enkelin war auch da. Wie hat sie reagiert?“

„Sie wurde hysterisch. Da ging ich raus und wollte mir das selbst ansehen.“

Was sagte Ihr Sohn?“

Farmer ruft: „Einspruch, Euer Ehren. Hörensagen.“

„Abgelehnt.“

„Er schwor, er hätte den Mann nie zuvor gesehen und er sei so schockiert wie alle anderen.“

„Zu diesem Zeitpunkt war ein Kommissar vor Ort. Und er fragte Sie, ob Sie wüssten, wer das war.“

Consuela nickt. „Eigentlich wandte er sich an Anabel.“

„Und sie identifizierte ihn?“

Sie nickt.

„Bitte antworten Sie laut und deutlich.“

„Ja. Sie sagte ihm, das sei Dr. McMillan, ihr Arzt.“

„Dann sagten Sie noch etwas, nicht wahr?“

Consuela zögert und Ben fragt abermals: „Nicht wahr?“

Farmer erhebt abermals Einspruch: „Beeinflussung, Euer Ehren.“

„Ich könnte den Kommissar rufen, das ist aber nicht nötig", sagt Ben zum Gericht. „Ich habe seine schriftliche Aussage hier“, sagt er und reicht sie Hiller.

„Einspruch abgelehnt.“

„Soll ich das verlesen, Señora Ibarra?“

Consuela senkt den Kopf, bringt keinen Ton mehr heraus und weiß, was sie jetzt sagt, könnte das Schicksal ihres Sohnes besiegeln und ihn als Mörder dastehen lassen.

„Kommissar Markowitz: Nachdem Anabel Ibarra den Verstorbenen identifizierte, stellte man ihr folgende Frage: ‚Woher kennen Sie ihn?‘ Consuela antwortete dann: ‚Er ist Anabels Arzt.‘ Dann wandte sie sich an Ibarra und fragte ihn: ‚Was hast du getan, Amador?‘“

Consuela sitzt unruhig auf ihrem Stuhl, betet im Stillen zur heiligen Maria und ihr Sohn Amador leidet unter der schweren Last, von seiner eigenen Mutter verraten worden zu sein.

„Sie glaubten, es war seine Schuld, nicht Señora?“

„Einspruch, Euer Ehren! Die Anklage mutmaßt nur und er sagt für seine eigene Zeugin aus.“

„Ich bin fertig“, beendet Ben die Befragung.

„Die Zeugin ist entlassen“, sagt Richterin Hiller. „Für heute ist die Verhandlung geschlossen. Ich habe morgen noch einen Gerichtstermin, wir sehen uns also wieder am Mittwoch, um 10:00 Uhr morgens.“