13

»Warum schenkst du’s nicht einfach deiner Mutter?«

»Was?«

»Na, das ›Favorit‹. Karlheinz war doch ihr Bruder, da kann sie es doch übernehmen, und den Gewinn könnt ihr euch teilen.«

»Klara, meine Mutter kann doch keinen Puff führen.«

»Ach. Aber du schon?«

Sebastian schwieg und sah stur geradeaus. »Mama und Karlheinz hatten schon lange keinen Kontakt mehr«, fuhr er nach einer Pause fort. »Es gab wohl eine Auseinandersetzung. Meiner Mutter haben die Geschäfte ihres Bruders so missfallen, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Sie hat ihn quasi aus der Familie ausgeschlossen.«

Klara dämmerte es. »Deshalb hat dir Karlheinz den Laden vererbt«, erwiderte sie. Geld oder Ehre, das alte Thema. Und jetzt sollte der Sohn der moralgetränkten Schwester zusehen, wie er da rauskam. Ob die mütterliche Missbilligung Sebastian in seinen Entscheidungen beeinflusst?, fragte sich Klara. Zumindest gab es wohl schon zwei Frauen in seinem Leben, die wenig erfreut über die Erbschaft waren.

»Du könntest mich heiraten, dann gehört’s uns beiden.« Jetzt grinste Sebastian Klara breit an. Die stutzte. War das etwa ein Antrag? Und wenn ja, sollte man bei einer solchen Mitgift direkt zugreifen oder empört ablehnen?

»Mach dich nicht lustig«, murmelte sie vor sich hin und sah aus dem Seitenfenster des Wagens. Vor ein paar Minuten war Sebastian von der Autobahn auf eine Bundesstraße Richtung Degerloch abgefahren. Der Verkehr war auch hier dicht, in der frühen Dunkelheit reihte sich ein Scheinwerferpaar an das andere.

»Im Ernst, Klara. Wenn ich den Laden verkaufe, geht es den Frauen womöglich deutlich schlechter. Solange ich verantwortlich bin, gibt es wenigstens faire Arbeitsbedingungen.«

Komm mir jetzt nicht mit so einem Arbeitgeberethos, dachte Klara und schwieg.

»Prostitution gab’s immer und wird es immer geben, daran ändern wir beide nichts. Selbst wenn ich das ›Favorit‹ dichtmachen würde – was so dämlich wäre, wie eine Goldgrube einfach zuzuschütten –, ändert das nichts. Außer dass die Frauen arbeitslos werden und am Ende bei der Paradise Found unterkommen müssen.«

Immer noch schwieg Klara. Einerseits hatte Sebastian recht. Doch es ging mehr um das Andererseits. Natürlich konnte er auch einfach einen Verwalter einsetzen und selbst nichts mehr mit dem Tagesgeschäft im ›Favorit‹ zu tun haben. Aber gehören würde ihm der Laden immer noch, und Klara ging es ums Prinzip.

»Klara, ich glaube, es geht um Vertrauen«, sagte Sebastian und sah zu ihr hin. »Du hast sowieso Schwierigkeiten damit. Und jetzt hängt die Latte noch ein bisschen höher.«

Was für ein Bild, dachte Klara.

»Dabei kannst du mir vertrauen. Das mit uns ist mir sehr wichtig.« Sebastian legte die rechte Hand auf Klaras Oberschenkel, durch den Stoff ihrer Jeans fühlte sie die Wärme.

Mir auch, dachte Klara, das ist ja das Problem. Vertrauen hin oder her – sie wollte nicht, dass ihr Freund Verbindungen zur Prostitution hatte. Auch wenn sie wusste, dass es die Prostitution nicht gab. Obwohl es im Kern immer um das Gleiche ging, war es ein sehr vielschichtiges Gewerbe. Dabei kamen etliche der mehreren hunderttausend Prostituierten in Deutschland mit ihrem Job gut klar. Viel öfter sah die Realität allerdings anders aus.

»Ich glaube, wir müssen da vorn rechts rein«, sagte Klara und kam der Stimme des Navigationssystems zuvor. Sebastian bremste, setzte den Blinker und bog auf eine schmalere Seitenstraße ab. Schweigend fuhr er weiter. Der Verkehr war hier weniger dicht, Sebastian konnte Gas geben. Nach zwei oder drei Kilometern wurde die Gegend zunehmend ländlicher, links und rechts der Straße standen nur noch vereinzelt Häuser.

»Ziel erreicht«, meldete die Frauenstimme des Navis schließlich. Sebastian fuhr auf einen mit Verbundsteinen ausgelegten Parkplatz auf.

An der Fassade des großen, hellgrau gestrichenen Gebäudes prangte in geschnörkelter lilafarbener Leuchtschrift »Shirleys Club«. Die Fenster im Erdgeschoss waren vergittert, die Eingangstür sah aus wie ein ochsenblutfarbenes Burgtor.

»Voilà«, sagte Sebastian, stellte den Motor ab und ließ den Gurt über seiner Brust zurückschnellen. »Der Traum untersexter Männer.«

»Wenn die von sonst nichts träumen …«, erwiderte Klara und stieg aus. Mit Sebastian zusammen ging sie auf die dunkelrote Pforte zu.

Während ihrer Zeit bei der Bereitschaftspolizei war Klara in mehreren Bordellen gewesen. Meist ging es bei den Einsätzen um randalierende Freier oder um welche, die ihr Geld zurückwollten, weil sie nicht – oder nicht wie gewünscht – zum Ziel gekommen waren. Klara hatte sich gefragt, was die Männer von der Polizei erwarteten? Weder die Dame zur Herausgabe der Scheine zu zwingen noch neben dem Bett zu stehen und den Vollzug zu überwachen gehörte zu den Aufgaben der Beamten.

Klara drückte die Eingangstür zu »Shirleys Club« auf. Aus der Kälte des Spätnachmittags traten die Ermittler in einen schummerig beleuchteten Raum.

Das Erste, was Klara auffiel, waren die Wärme und der Geruch. Alkoholdunst und Zigarettenrauch waren wohl passé, es roch blumig, frisch und sauber. Wahrscheinlich gehörte das heutzutage zum Gesamtkonzept, ebenso wie die leise Saxophonmusik, die durch den Raum waberte und sich mit dem Duft gleichsam verband.

Sebastian und Klara steuerten auf eine mahagonifarbene Bar zu, hinter der eine Batterie bunter Flaschen auf spiegelnden Sideboards aufgereiht war. Ein großformatiges Bild eines Pin-up-Girls aus den fünfziger Jahren hing links davon.

Hinter der Theke stand eine dunkelhaarige Frau in einer bordeauxfarbenen Korsage. Einen Augenblick lang sah sie die beiden Ermittler erstaunt an, dann verschloss sich ihr Ausdruck, so als ahne sie, wer die neuen Gäste waren. Sie senkte den Kopf und begann, Gläser zu polieren, die auf der Edelstahlfläche neben den beiden Zapfhähnen standen.

Der Gastraum war wenig besucht, vermutlich war es noch zu früh am Tag. Auf einer der lederbezogenen Bänke saß ein Mann in Körperkontakt zu einer jungen Frau in knappem schwarzem Oberteil. Kaum hatte er Klara und Sebastian gesehen, rückte er ein Stück von seiner Begleiterin ab und zog seinen Arm, den er um ihre Schultern gelegt hatte, zurück.

Am rechten Rand der Bar saß ein etwa fünfzigjähriger Mann in schwarzem Satinhemd auf einem der Hocker. Über die Wangen wuchsen in Form gestutzte Koteletten, er hatte ein Whiskyglas vor sich stehen. Hinter ihm verbarg ein Vorhang aus Perlenschnüren einen Durchgang.

»Guten Tag«, sagte Sebastian. »Kripo Heidelberg. Wir möchten gern mit einem Verantwortlichen sprechen.«

Klara bemerkte, wie der Mann auf der Bank noch weiter von der Frau abrückte.

Der mit den Koteletten straffte seinen Oberkörper. Hinter der bläulichen Tönung seiner Designerbrille waren die Augen kaum zu erkennen.

»Verantwortlich? Das bin ich. Worum geht’s? Kripo? Haben die Herrschaften auch einen Dienstausweis dabei?«

Klara und Sebastian zeigten ihre Ausweise vor. »Mit wem haben wir das Vergnügen zu sprechen?«, fragte Sebastian.

»Thilo Meurer. Ich bin hier Geschäftsführer. Stehe Ihnen gern zur Verfügung. Wir haben nichts zu verbergen.« In seiner Sprache schwang ein norddeutscher Einschlag mit. »Ist ja nicht mehr wie früher, als das alles nur so halb legal war.« Er deutete auf die Barhocker neben sich. »Nehmen Sie Platz. Was zu trinken?« Beiläufig schnippte er mit den Fingern der Frau hinter der Theke zu. »Sabine!«

Sie kam heran.

»Danke, wir möchten nichts trinken«, sagte Klara. Schon die erste Minute in diesem Etablissement brachte sie innerlich auf.

»Haben bei uns keine Probleme mit dem Gesetz«, fuhr Thilo Meurer schnarrend fort. »Heutzutage sind Unternehmen wie wir eine echte Wirtschaftskraft, überhaupt die ganze Branche. Fünfzehn Milliarden Umsatz im Jahr, da kann man uns nicht mehr so einfach in die Schmuddelecke stellen.« Er trank einen Schluck der bräunlichen Flüssigkeit aus seinem Glas, die Eiswürfel darin klirrten aneinander. »Also, worum geht’s?«

»Kennen Sie diesen Mann?« Sebastian zog ein Foto von Thoralf Kaiser hervor und hielt es Thilo Meurer hin.

»Nein. Kenne ich nicht.« Er stieß einen leisen Pfiff aus, der Klara an den eines Hundehalters erinnerte. »Sabine? Du?«

Die Frau kam noch ein Stück näher heran, betrachtete das Foto und schüttelte den Kopf.

»Also, zu uns kommt ja jeder«, ließ Thilo Meurer in bräsigem Ton verlauten. »Handwerker, Pfarrer, Anwälte, Polizisten. Jeder. Aber den da kenne ich nicht.«

»Er ist tatsächlich Anwalt«, erwiderte Sebastian. »Oder er war es. Und zwar der, der für Sie ganz hervorragende Arbeitsverträge ausgestaltet hat. Thoralf Kaiser.«

»Hä?«, machte Thilo Meurer und schien nicht einordnen zu können, wie »hervorragend« zu verstehen war. »Keine Ahnung«, sagte er dann. »Mit den Verträgen hab ich nichts zu tun. Aber bei uns ist mit Sicherheit alles sauber und legal.« Er schränkte seine Hände mit den manikürten Nägeln ineinander und legte sie auf der Theke ab. In die goldenen Manschettenknöpfe war irgendein Wappen eingeprägt. »Wir haben sogar quasi einen hauseigenen Gynäkologen und regelmäßige Besprechungen mit dem Ordnungsamt und der örtlichen Polizeibehörde. ›Runder Tisch‹ heißt das bei uns.« Meurer trank einen weiteren Schluck, stellte das Glas wieder ab und schmatzte ein paarmal kennerhaft, so als habe er einen besonders edlen Tropfen genossen. »Außerdem gibt es in unserem Geschäft eine Frauenbeauftragte.«

Das ist jetzt nicht dein Ernst, dachte Klara.

»Eine Mitarbeiterin, die sich darum kümmert, dass es den Damen gut geht.«

»Mit den Arbeitsverträgen, die Sie unterschreiben lassen, kann es den Frauen wohl kaum gut gehen«, konterte Sebastian scharf.

»Das ist Sache der Geschäftsleitung, da müssen Sie sich an die Chefs der Paradise Found wenden. Ich mach nur das Tagesgeschäft.«

»Wer ist denn Ihre Frauenbeauftragte?«, fragte Klara.

»Na, Sabine hier.« Ein breites Grinsen zog die Koteletten auseinander. »Unser bestes Pferd im Stall. Nicht wahr, Sabine?«

Mit einem pflichtschuldigen Lächeln machte sich Sabine wieder daran, Gläser zu polieren. Ihre langen goldfarbenen Ohrringe schaukelten dabei.

»Wenn nachher mehr los ist, macht Sabine auch wieder Service. Ihre Spezialität ist leichte Erziehung. Ich weiß ja nicht, ob das auch was für Sie wäre?« Als hätten sie sich schon oft im Puff getroffen, nickte Thilo Meurer Sebastian zu.

Der ignorierte das Angebot souverän. »Wie viele Frauen arbeiten bei Ihnen?«, fragte er trocken. Irgendwie passte er Klaras Gefühl nach schlecht in diesen Raum, was sie wiederum gut fand.

»So um die fünfzehn rum.«

»Wie viele haben einen von der Kanzlei ›Schöller und Kollegen‹ ausgearbeiteten Vertrag unterschrieben?«

»Keine Ahnung.«

»Gibt es andere Verträge?«

»Weiß ich nicht.«

»Wie? Sind Sie hier Hausmeister oder Geschäftsführer? Wir können Ihre Beschäftigungsverhältnisse auch von der Steuerfahndung auseinandernehmen lassen und uns selbst ein Bild machen«, drohte Sebastian laut.

»Äh, ich würde gern zahlen«, kam es aus dem vorderen Teil des Raums. Augenscheinlich wollte der Freier unverrichteter Dinge aufbrechen.

»Auf welcher Basis arbeiten die Frauen hier?«, legte Sebastian nach.

Klara fragte sich, ob das nun so entscheidend für den aktuellen Mordfall war. Oder wollte es Sebastian aus einem anderen Grund wissen?

Thilo Meurer rutschte mit seinem Gesäß auf dem Barhocker hin und her. Er war stämmig, hinter den offen stehenden Knöpfen seines Hemds spross dichtes Brusthaar.

»Einige arbeiten als Selbstständige, andere auf Vierhundertfünfzig-Euro-Basis. Die Selbstständigen behalten fünfzig Prozent von ihrem Verdienst, die anderen rund ein Drittel. Dazu kommen die Trinkgelder. Wenn eine Frau gut ist, können die schon ordentlich sein.« Ein Kopfnicken begleitete den letzten Satz. Etwas an Thilo Meurer erinnerte Klara an eine Bulldogge.

»Wir möchten mit den Frauen sprechen. Womöglich kennt eine von ihnen Thoralf Kaiser«, sagte Sebastian. »Wer hat am Sonntagmittag gearbeitet?«

»Ich bin immer hier. Wenn der Mann Kunde von uns wäre, hätte ich ihn gesehen.«

»Herr Meurer.« Sebastian schlug mit der flachen Hand auf den Tresen. »Wir können auch Ihre gesamte Belegschaft aufs Revier laden. Es wäre uns ein Vergnügen, Ihnen den Laden zumindest für einen Tag lahmzulegen.«

Lahmlegen klingt gut, dachte Klara. Lahmlegen, dichtmachen, verkaufen.

»Die meisten Frauen sind noch gar nicht da«, brummte Thilo Meurer.

»Dann sprechen wir mit denen, die da sind. Mit ihr zum Beispiel.« Sebastian machte eine Kopfbewegung zu der Frau, die neben dem Mann auf der Bank saß. Der hielt mit gepeinigtem Ausdruck seinen Geldbeutel hoch.

»Samira ist beschäftigt, das sehen Sie doch.«

»Gleich nicht mehr«, sagte Sebastian und begab sich mit dem Foto in der Hand zu Samira. Ihr Teint war südländisch, das schwarze Haar streng nach hinten frisiert.

»Kennen Sie diesen Mann?«

Zögerlich nahm Samira das Foto, sah es sich an und schüttelte den Kopf. Ihr Freier stand auf und ging mit seinem Geldbeutel vor zur Bar.

»Haben Sie einen Arbeitsvertrag?«, fragte Sebastian weiter.

Samira wirkte wie ein verschrecktes Reh und machte eine merkwürdige, fast kreisende Kopfbewegung, ein Nicken, das direkt in ein Kopfschütteln überging.

»Also nein?«

»Nein.«

»Das heißt, Sie arbeiten als Selbstständige? Zahlen Gewerbesteuer? Umsatzsteuer?«

Ängstlich schaute Samira Sebastian an und zuckte mit den Schultern. Auf die linke war ein rotes Lippenpaar tätowiert, darunter stand in verschnörkelter Schrift »Love«.

Schön wär’s, dachte Klara.

»Haben Sie am Sonntagmittag gearbeitet?«, wollte Sebastian wissen.

»Ja.«

»Und diesen Mann hier wirklich nicht gesehen?«

»Nein.«

An Klara vorbei eilte der Freier nach draußen. Mit einem dumpfen Geräusch fiel die schwere Tür hinter ihm ins Schloss.

»Arbeiten gerade einige Ihrer Kolleginnen auf den Zimmern?«, fuhr Sebastian fort.

Unsicher sah Samira Thilo Meurer an. »Francesca und Natalie«, antwortete sie leise.

»Waren die beiden am Sonntag da?«

»Francesca. Natalie nicht.«

Klara beobachtete Thilo Meurer, der betont lässig auf seinem Barhocker saß, so als könne er sicher sein, dass seine Frauen nicht auf die Idee kamen, zu plaudern. Dabei bemerkte sie, dass sich die Perlenschnüre des Vorhangs auf einmal leicht bewegten, wie durch einen Luftzug. Im selben Moment zuckte dahinter ein Schatten.

»Gut, dann warten wir auf Francesca«, sagte Sebastian.

»Ach, das kann dauern.« Wieder entblößte das breite Grinsen Thilo Meurers Jacketkronen. »Die ist immer sehr gründlich.«

Ekelpaket, dachte Klara. »Geben Sie uns bitte Namen und Kontaktdaten aller Frauen, die am Sonntag gearbeitet haben«, sagte sie kalt.

»Pffhh. Da müsste ich erst im Büro nachsehen.«

»Dann tun Sie das.«

»Nur die Ruhe, Gnädigste.«

»Jetzt! Oder wir sehen nach.« Klara spürte, wie ihr Blutdruck anstieg.

»Sie haben wohl keinen Durchsuchungsbeschluss?«

»Den brauchen wir nicht«, schrie Klara. »Gefahr im Verzug. Also bewegen Sie Ihren Hintern in Ihr schäbiges Büro und suchen Sie uns die Daten raus, und zwar sofort. Sonst rufen wir die örtlichen Kollegen zur Verstärkung.«

Sebastian sah Klara verwundert an, Sabine hielt beim Gläserpolieren inne. Die Anspannung war greifbar, aber Klara war entschlossen, sich durchzusetzen. Etwas in ihr war auf hundertachtzig.

Demonstrativ langsam hob Thilo Meurer seinen Whisky, trank ihn leer und knallte das Glas auf die Theke. Er stand auf und ging so dicht an Klara vorbei, dass sie seinen Alkoholatem roch. »Bullenfotze«, zischte er zwischen den Zähnen hervor.

Klara wandte sich ab, es kostete sie Mühe, nicht zuzuschlagen.

»Gleich wieder da«, knurrte Meurer an Sabine gewandt und verschwand durch den Perlenvorhang.

Klara atmete aus und bemerkte Sabines taxierenden Blick auf sich gerichtet.

»Arbeiten Sie eigentlich gern hier?«, fragte Klara sie unvermittelt.

Sabines Ausdruck wechselte in Erstaunen. »Ja. Schon.«

Blöde Frage, dachte Klara. Sie ging rüber zu Sebastian, währenddessen klickerten die Perlenschnüre hinter ihr. Sie drehte sich um.

Ein Mann war in den Gastraum getreten. Die braunen Haare seines Haarkranzes standen unordentlich ab, er trug eine Hornbrille und einen unmodernen olivgrünen Anorak. Hinter ihm folgte eine üppig gebaute Frau in Korsage, Netzstrümpfen und hochhackigen Schuhen. Sie war, was man so »in den besten Jahren« nannte.

»Ciao, Roland. Bis bald. Es war wie immer Zucker mit dir.« In großer Geste warf sie dem Mann einen Handkuss zu. Der sah verlegen drein und huschte aus dem Laden.

Unverhohlen musterte die Frau Klara und Sebastian von oben bis unten. »Ihr seid wohl kaum wegen einem flotten Dreier da, oder?«

»Eher nicht. Sie sind … Francesca?«, fragte Sebastian.

»Ja, mein Süßer, was kann ich für dich tun?«

»Sebastian Langer, Kripo Heidelberg. Das ist meine Kollegin Klara Haag. Kennen Sie diesen Mann, war er hier Kunde?« Wieder zeigte Sebastian das Foto.

»Nein. Nie gesehen.«

»Er war Anwalt«, fuhr Klara fort. »Unter anderem hat er Arbeitsverträge für Ihre Chefs ausgearbeitet.«

»Ach?« In Francescas stark geschminktem Gesicht ging eine Veränderung vor. »Ich geh mal raus, eine rauchen. Sie können ja mitkommen.« Zielsicher griff sie hinter den Tresen, holte eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug hervor und stöckelte zum Ausgang. Klara folgte ihr.

Draußen war es frostig, Klara kam es so vor, als liefe sie gegen eine Wand aus Kälte. Dennoch war sie froh, an der frischen Luft zu sein.

Francesca steckte sich eine Zigarette an, inhalierte tief und blies den Rauch aus. Im harten Licht der Straßenlampe wirkte sie um Jahre älter. Sie hatte tiefe Falten, das Make-up war maskenartig übertrieben, Rouge und Lidstrich sahen aus wie bei einem Clown. Nochmals zog Francesca an der Zigarette, dabei stand sie sehr gerade und schien trotz ihrer spärlichen Bekleidung nicht zu frieren.

»Eigentlich heiße ich Doris. Doris Seewald.« Mit einem fast pfeifenden Geräusch blies sie den Rauch aus. »Francesca ist mein Künstlername.«

»Möchten Sie mir etwas mitteilen, Frau Seewald? Im Zusammenhang mit dem Mann auf dem Foto, Thoralf Kaiser?«

Doris schnippte die Asche von der Zigarettenspitze, all ihre Bewegungen wirkten entschieden, ihre Körpersprache hatte nichts Verhaltenes. »Wieso haben Sie eben gesagt, der Mann war Anwalt? Ist er tot?«

Klara nickte.

Ein paar Sekunden lang schwieg Doris. »Vor acht Wochen etwa hat sich Jacky umgebracht«, sagte sie schließlich. »Hat sich vor einen Zug geworfen. Kam mit allem hier nicht mehr klar. Armes Ding.«

Klara horchte auf. »Was heißt ›mit allem hier‹?«, fragte sie.

»Na ja, in dem Job geht’s nicht ums Gänseblümchenpflücken.« Doris lachte trocken auf. »Manche Freier verlangen Sachen, die Sie sich nicht vorstellen wollen. Da muss man entweder ein dickes Fell haben oder Nein sagen können. Das Gefährliche ist nicht der Ekel vor den Freiern. Das Gefährliche ist der Ekel vor sich selbst.«

Einen Augenblick lang überlegte Klara. »Jacky konnte nicht Nein sagen?«, fragte sie dann.

Doris zog wieder an ihrer Zigarette, das Mundstück war vom Lippenstift rot gefärbt. »Sie hatte wohl so einen Vertrag, der ihr das praktisch unmöglich machte. Der Konkurrenzdruck in der Branche ist hoch, da läuft alles über den Preis und den Service. Wenn du einen Laden hast, in dem die Frauen alles machen, spricht sich das rum. Ein echter Bonus für die Betreiber.«

»Der Vertrag ist sittenwidrig, sie hätte sich nicht daran halten müssen.«

»Jacky kam aus der Ukraine, eigentlich hieß sie Jekaterina, den Nachnamen kenne ich nicht. Sie wollte aufhören, raus aus dem Vertrag und dem Job. Hat sich wohl auch beschwert. Aber dann kam ein Brief von einem Anwalt, ich weiß nicht, was drinstand und wer ihn geschrieben hat. Am selben Tag hat sie sich umgebracht.« Doris sah zu Boden und scharrte mit der Spitze ihres linken Pumps über den Verbundstein.

»Wieso ist sie nicht einfach gegangen?«, fragte Klara. »Sie war doch ein freier Mensch.«

Wieder lachte Doris auf. »Ohne Pass?«

»Wieso? Was heißt das?«

»Der Ausweis wird manchmal als Sicherheitsleistung von der Geschäftsführung einbehalten. Ich glaube auch nicht, dass Jacky legal in Deutschland war. Sie war eingeschüchtert. Viele der ausländischen Mädchen haben Angst. Wissen Sie, die käufliche Liebe ist nicht die Branche für selbstbewusste Akademikerinnen.« In Sarkasmus verzog Doris den Mund. »Nach Jackys Tod kam ihr Bruder hierher und ist völlig ausgeflippt, hat randaliert, Freier beschimpft und rumgeschrien. ›Wer Menschen so zu Sklaven macht, gehört abgestochen. Ihr seid alle Handlanger des Teufels‹, hat er gebrüllt. Ich glaube, er war betrunken. Dann ist er auf Thilo los. Der hat ihm eine gelangt, dass er zu Boden gegangen ist, und anschließend die Polizei gerufen.«

»Wie heißt der Bruder?«

»Leo. Keine Ahnung, wie weiter.«

Die Eingangstür des Bordells öffnete sich, aus dem schummerigen Licht trat Sebastian heraus, in seiner Hand hielt er ein gefaltetes Blatt Papier. Seine Züge wirkten angespannt, er stellte den Kragen seiner Lederjacke hoch und kam heran.

»Ich muss wieder rein«, sagte Doris Seewald. »Sonst gibt’s Ärger mit Thilo.« Sie warf die Kippe auf den Boden und trat die Glut aus.

»Warum arbeiten Sie hier?« Klara konnte sich die Frage nicht verkneifen. »Sie könnten doch sicher einen anderen Job finden.«

Doris lachte, es klang teils belustigt, teils bitter. »Herzchen, ich bin Mitte vierzig und mache das jetzt seit über zwanzig Jahren. Ein paar Jahre gehen noch. Man kann ganz gut verdienen, jedenfalls besser als in vielen anderen Jobs.« Sie verschränkte die Arme vor ihrem üppigen Dekolleté. »Meine Tochter studiert. Wissen Sie, was das kostet? Hier habe ich meine Stammkunden, das läuft, da gibt es kaum unliebsame Überraschungen. Ich komm zurecht.« Sie machte eine abwinkende Handbewegung und wandte sich um. »Also, auf Wiedersehen.« Kerzengerade stöckelte sie in den Club.

Klara und Sebastian stiegen in ihren Wagen. Mit einem nachdenklichen »Tja« fuhr Sebastian los. Klara erzählte von Jacky und Leo.

»Wenn bei dem Vorfall die Polizei gerufen wurde, bekommen wir seinen Namen und die Anschrift von den örtlichen Kollegen«, sagte Sebastian. »Mal sehen, ob er ein Alibi für die Tatzeit hat.«