19

Angefunzelt von trübem Rotlicht sah Klara auf die Bierflasche vor sich. »Butcher’s Tears«, stand auf dem Etikett, es war das Lieblingsbier von Onkel Karlheinz gewesen, den sie hier Charly nannten. Klara trank noch einen Schluck, es schmeckte ziemlich bitter.

Der Gastraum des »Favorit« sah aus wie eine Mischung aus Schwarzwaldstube, Hafenkneipe und einer plüschigen Haremsphantasie. Klara war für einen Moment der Mund offen stehen geblieben, als sie mit Sebastian hereingekommen war. An den Wänden hingen Hirschgeweihe neben Ölschinken, die puttenähnliche Badende auf einer Waldlichtung zeigten. Das dunkle Holzmobiliar war mit purpurnen Kissen verziert, und in den Ecken standen Stehlampen mit bommelverhangenen Schirmen. Auf Sideboards reihten sich unzählige Figuren aus Messing oder Keramik in eindeutigen Stellungen. Die mit Ketten an der Decke befestigten Boxen waren in etwa so alt wie die Schlagermusik, die aus ihnen klang.

Es war sehr warm im »Favorit«. Klara hatte die Ärmel ihres Strickpullis nach oben geschoben. In Anbetracht der drei halb nackten Frauen im Raum fühlte sie sich irgendwie falsch angezogen. Aber irgendwie auch nicht.

Bislang waren nur zwei männliche Gäste da, die mit jeweils einer Frau auf Tuchfühlung an den Tischen saßen, einen bestückten Sektkühler und zwei Gläser vor sich.

»Das Bier ist gut, oder?« Die Bardame namens Malou lächelte Klara an, sie hatte tolle Zähne und war richtig hübsch. Ihre schwarze Korsage schnürte eine Wespentaille, der Lederrock war eher ein breiter Gürtel, der sich über einen Apfelpo spannte.

»Charly hat immer gesagt: ›Metzgers Tränen, starkes Sehnen.‹«

Oh, bitte, dachte Klara. Neben ihr trank Sebastian ein Gebräu aus einer Flasche mit einem langschwänzigen Teufel auf dem Etikett.

»Das mochte Charly auch gern.« Malou blinzelte Sebastian an und seufzte: »Wir vermissen ihn alle wirklich sehr.«

»Wie ist er eigentlich gestorben?«, fragte Sebastian mitfühlend.

»Herzinfarkt.« Malou guckte traurig. »Aber na ja, zumindest hat er nicht lange leiden müssen. Es ging ganz schnell. Aus die Maus.«

Verständnisvoll nickte Sebastian.

»Und manche wünschen sich ja einen solchen Tod.« Nun kicherte Malou, dabei hielt sie sich verschämt eine Hand vor den rot geschminkten Mund.

»Wieso?«, fragten Sebastian und Klara gleichzeitig, und Klara dachte: Erzähl jetzt bitte nicht das.

»Er ist bei Sandy im Bett gestorben.«

Hilfe, dachte Klara.

»Also, für Sandy war das natürlich nicht schön.« Malou machte eine Kopfbewegung zu einer der beiden Frauen an den Tischen und beugte sich vertraulich nach vorn. Sebastians Nase hing fast in ihrem Dekolleté, mit einem Seitenblick auf Klara wich er ein Stück zurück.

»Sandy musste auch ein paarmal zum Psychologen danach«, fuhr Malou fort. »Aber jetzt geht’s wieder.«

Geht was wieder?, fragte sich Klara, goss den Rest aus der Bierflasche in ihr Glas und leerte es auf ex.

Einer der Männer stand mit seiner Begleiterin auf. Er wurde von ihr durch eine Art Saloontür an der Seite des Raums hinausgeführt.

Ach ja, das natürlich, dachte Klara.

»Möchtest du noch ein Bier? Oder lieber einen Cocktail?«, fragte Malou sie zuvorkommend. »Das geht bei euch natürlich aufs Haus. Ihr scheint ja wirklich nett zu sein. Wir hatten schon Angst, Charly hätte das Geschäft an irgend so einen herzlosen Heini vererbt.«

Das ist Sebastian wirklich nicht, dachte Klara, er ist halt nur bei der Polizei. »Danke, ich nehme noch ein Bier«, antwortete sie.

»Ich auch, bitte«, sagte Sebastian. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, den Klara noch nicht recht deuten konnte. Er gab sich geschäftsmäßig freundlich, dabei glänzten seine Augen wie die eines Kindes an Weihnachten.

»Also, gleich kommt auch Charlys rechte Hand.« Malou stellte die beiden Bierflaschen vor Klara und Sebastian. Klara goss sich nach, sie hatte das Gefühl, den Abend nüchtern nicht zu überstehen.

»Sie kann euch mehr über das ›Favorit‹ erzählen, was die geschäftliche Seite betrifft, dir die Bücher zeigen und all so was.«

»Ah«, sagte Sebastian.

»Clarissa kommt aber immer erst um halb neun. Sie hat eine kleine Tochter.«

Klara verschluckte sich an ihrem Bier. Heftig hustend presste sie beide Hände vor den Mund, Tränen schossen in ihre Augen.

»Hoppla«, schmunzelte Sebastian und klopfte ihr ein paarmal nachsichtig auf den Rücken. »Geht’s wieder?«

Hätte Klara antworten können, wäre ihr Ton ziemlich pampig gewesen. Jaja, es geht wieder. Von Malou skeptisch beäugt, hustete sie noch mal kräftig, dann fühlte sie sich in der Lage, einen Schluck »Metzgertränen« dem verirrten hinterherzukippen.

Für einen Moment hatte Klara das starke Bedürfnis, die Welten zu wechseln, raus hier. Sie wollte bei ihrer Tochter statt in diesem Laden sein. Josi war bei ihrem Papa, keine der beiden Babysitterinnen hatte aufpassen können, und Klara hatte Jan gefragt – allerdings nur mit Unbehagen. Das wiederum hatte sie mit dem Gedanken zu beschwichtigen versucht, ihr Termin sei ja irgendwie fast dienstlich. Gerade bereute sie es, überhaupt hier zu sein.

Die Eingangstür öffnete sich, und zwei Männer um die vierzig traten ein. Bei genauerem Hinsehen glichen sie einander, mit ihren ovalen Gesichtern und der gedrungenen Statur.

»Ah, die Lampen-Brüder«, meinte Malou. Auf Sebastians fragenden Blick hin ergänzte sie: »Wir nennen sie so, weil sie immer ordentlich einen auf der Lampe haben, bevor sie mit den Mädels aufs Zimmer gehen. Günther und Dieter, sie kommen fast jeden Freitag. Echte Stammkundschaft.«

»Verstehe«, sagte Sebastian im Ton eines Buchhalters und schien in seinem Kopf einen Ordner anzulegen – »Zahlen und Fakten«.

»Die beiden wirst du also öfter hier sehen«, fuhr Malou fort und zapfte zwei Pils. »Erst fangen sie mit Bier an, später kommen die härteren Sachen.«

Öfter hier sehen?, rotierte es in Klaras Gehirn. Sie trank einen großen Schluck.

Malou stöckelte mit einem Tablett hinter der Theke hervor, um den Lampen-Brüdern ihr Pils zu bringen. Gleichzeitig kam aus der Saloontür eine junge Frau in »Favorit«-tauglicher Arbeitskleidung.

»Hallo, Jessi«, grüßte Malou im Vorbeigehen. »Kümmerst du dich gleich um Günther und Dieter?«

»Klar, gern.« Mit wiegenden Hüften ging Jessi an einen der Tische und setzte sich zu den Brüdern. Die hoben die Pilsgläser, stießen miteinander an, tranken in der gleichen Haltung exakt gleich lang, stellten die Gläser gleichzeitig ab und leckten mit ihren Zungen den Schaum von der Oberlippe.

Klara musste blinzeln, ein Schauer lief über ihren Rücken.

Wieder ging die Eingangstür auf, ein großer, sportlich aussehender Mann trat ein. Er zog seine Mütze vom Kopf, sah sich um und setzte sich an einen freien Tisch. Ein paar Augenblicke später kamen zwei Frauen miteinander plaudernd aus der Saloontür.

Malou stand wieder hinter dem Tresen und hatte zu tun. Sie beförderte eine Flasche Sekt aus der Kühlung in einen Sektkübel und zapfte ein Pils an. »Unsere Mädels kommen durch den Hintereingang und dann dort durch die Seitentür ins Lokal. Das da sind Birgit und Maria, die arbeiten auch schon lange hier.«

Was für eine entzückende Großfamilie, dachte Klara und leerte ihr Glas. Etwas in ihr ahnte, dass der Laden Sebastian gefiel. Er würde es sich ihr gegenüber nicht anmerken lassen, vermutlich würde er es sogar abstreiten, aber Klaras Sensoren hatten hinter seiner freundlichen Zurückhaltung so etwas wie freudige Erregung registriert.

Ein weiterer Mann kam in den Gastraum, auch er sah so bürgerlich wie die anderen aus. Es war voller im »Favorit« geworden, das Stimmengewirr überlagerte mittlerweile die Schlagermusik. Klara hörte nur noch gedämpft den Sänger mit dem Schmelz in der Stimme, »Engel der Nacht, haaa ahaaa …«

»Malou, eine Flasche Hausmarke, bitte«, rief der zuletzt angekommene Gast. »Aber schön kühl.«

»Wird gemacht, Reinhardt.«

»Für uns zwei doppelte Scotch«, fügte einer der Lampen-Brüder lautstark hinzu.

Der andere lachte: »Und bring meinem Täubchen hier ein Sektglas mit.« Er hatte Maria an seiner Seite, die den Kopf zurückwarf und in sein Lachen einstimmte. Lampe zwei saugte sich in einem langen Kuss an ihrem Hals fest, Klara wandte sich ab.

Die Flügel der Saloontür klappten erneut auf. Beiläufig sah Klara hinüber. Noch ein fleißiges Bienchen, dachte sie und stockte im selben Moment. Eine Blondine mit heller Haut und herzförmigem Gesicht kam herein. Sie trug ein schulterfreies Minikleid aus schwarzem Samt und wirkte fast überirdisch schön.

Sebastian, der gerade sein zweites Lucifer-Bier nachgoss, hielt inne und starrte die Frau an. Sie schwebte heran, elfenbeinfarbene Haut schmiegte sich über zarte Schlüsselbeine und runde Schultern. Die Haltung war elegant, der Blick gewinnend und offen.

Geh weg, dachte Klara.

»Hallo, ich bin Clarissa. Sie müssen Sebastian Langer sein.« Sie reichte Sebastian eine schlanke Hand und sah anschließend fragend zu Klara.

»Das ist meine Freundin, Klara Haag«, stellte Sebastian vor. Klara hatte es nicht richtig verstanden, hatte er »eine« oder »meine« gesagt? Zumindest war es nicht »Frau« oder »Lebensgefährtin« gewesen. »Kollegin« aber auch nicht.

»Sehr erfreut«, erwiderte Clarissa, nickte kurz und richtete ihre Smaragdaugen wieder auf Sebastian. »Malou hat Ihnen sicher schon erzählt, wie schockiert wir alle von Charlys Tod sind.« Jetzt lag Schmerz in ihrem Ausdruck, der diesem schönen Antlitz etwas Madonnenhaftes gab.

»Ja, wissen Sie«, hob Sebastian an, »ich kannte meinen Onkel kaum, umso überraschter war ich von der Erbschaft.« Er lachte auf. »Sozusagen doppelt überrascht.«

»Sicher, das kann ich gut verstehen. Aber Sie sind ein Glückspilz. Man erbt nicht alle Tage ein solches Schmuckstück wie das ›Favorit‹.«

Klara trank noch einen Schluck Bier.

»Ich habe mich hier ein wenig ums Geschäftliche gekümmert«, fuhr Clarissa fort. »Zu irgendetwas müssen die vier Semester BWL-Studium ja gut gewesen sein.« Sie lächelte mit weißen, geraden Zähnen.

Neeeiiin, dachte Klara und hob die leere Bierflasche an. »Malou, bringst du mir bitte noch eins?«

»Ach, ihr seid schon per Du, sehr schön«, säuselte Clarissa, beim Lächeln hatte sie entzückende Grübchen. »Wenn es euch recht ist … ich bin Clarissa.«

Das sagtest du bereits, dachte Klara und sah, wie die blonde Venus plötzlich sehr nah vor Sebastian stand, sich vorbeugte und ihm einen Kuss auf die linke und rechte Wange hauchte.

»Ah, ja, Sebastian«, murmelte Sebastian irgendwo hinter Clarissas Wallemähne hervor.

Deutlich zurückhaltender reichte Clarissa kurz darauf Klara die Hand und gab einen angedeuteten Kuss in die Nähe ihrer Wange. Ein orientalisches Parfum umfing Klara. Sie spürte die Wärme, die von Clarissas Alabasterhaut ausging.

»Du, wenn du magst, können wir nach hinten in Charlys Büro, und ich zeige dir ein paar geschäftliche Dinge«, meinte Clarissa an Sebastian gewandt.

Das geht leider auf gar keinen Fall, hätte Klara am liebsten gerufen, schick ihm den ganzen Krempel einfach zu, wir müssen jetzt nämlich los. Aber schon sagte Sebastian: »Ja, gern, deshalb sind wir ja hier.« Er stand von seinem Barhocker auf. »Bis gleich«, nuschelte er Klara zu und verschwand mit Clarissa durch die Saloontür.

Klara bemerkte, dass ihre Hände zitterten. Einen Moment später setzte Ärger darüber ein, der aufstieg wie ein Ball, den man unter Wasser losgelassen hatte. Als er durch die Oberfläche ploppte, rüttelte sich in Klaras Kopf etwas zurecht. Moment, sagte sie sich. Stopp mal. Reg dich ab, so blöd kann er nicht sein.

Klara trank noch einen Schluck. Falls er es doch ist, ist es vorbei, fügte ihre innere Stimme gedämpft hinzu.

Sie blieb an der Theke sitzen und versuchte, sich zu entspannen. Eigentlich hätte sie sich mit Malou unterhalten mögen, aber die war ziemlich beschäftigt.

Plötzlich legte sich von hinten eine Hand auf Klaras Schulter. Sie erschrak und drehte sich um.

Dicht vor ihrem Gesicht war das eines untersetzten älteren Mannes. Er hatte einen runden Kopf mit grauem Haarkranz und ein gnomenhaftes Grinsen. »Na, meine Schöne, so allein? Was möchtest du trinken?«

Klara roch seinen muffigen Atem. »Nichts«, sagte sie. »Ich möchte nichts mehr trinken, vielen Dank.«

»Ich hab dich hier noch nie gesehen. Bist du neu? Du hättest dir was Netteres anziehen können.«

»Nein«, erwiderte Klara. »Das ist ein Missverständnis.« Irgendjemand hatte die Musik aufgedreht, ein Gitarrenriff, das Klara schon mal gehört hatte, tönte durchs Lokal, sie sprach laut dagegen an. »Ich arbeite nicht hier.«

»Ach nein?«, sagte der Gnom konsterniert. »Was willst du dann hier?«

»In München steht ein Hofbräuhaus«, schallte es aus den Boxen.

Nicht das auch noch, dachte Klara, doch unverdrossen sang die Spider Murphy Gang weiter.

»Ha, gleich gibt’s ’ne Polonaise«, meinte der Gnom freudig und schob sich seine Brille auf der Nase zurecht. »Mach wenigstens da mit.« Seine Beine schlenkerten in ungelenken Bewegungen im Takt.

»Skandal im Sperrbezirk«, johlten etliche Gäste im Chor, »Skandal um Rosi.«

Im vorderen Teil des Gastraums formierte sich eine Schlange, angeführt von den Lampen-Brüdern und ihren Begleiterinnen. Eilig sprang der Gnom hinzu und fasste die Letzte in der Reihe an den Schultern, die Polonaise setzte sich in Bewegung Richtung Theke.

»Ah nee«, stöhnte Klara leise auf.

Schon hatte Malou am Gnom angedockt und forderte Klara lachend auf, mitzumachen. »Los, komm schon!«

Einen Moment zögerte Klara noch, dann rutschte sie widerstrebend von ihrem Barhocker und legte ihre Hände auf Malous nackte Schultern. Deren runder Po wackelte vor Klara im Takt zur Musik, die Menschenschlange bewegte sich grölend durchs Lokal.

»Und wenn dich deine Frau nicht liebt, wie gut, dass es die Rosi gibt.«

Klara gab auf und sang mit.

In ihrer Hosentasche vibrierte ihr Handy. Das Brummen kam im Takt, Klara brauchte ein paar Sekunden, um zu reagieren. Sie nahm die rechte Hand von Malous Schulter und nestelte das Telefon heraus. »Harald Bender«, stand auf dem Display, Haralds Diensthandy.

Mit einem unguten Gefühl koppelte Klara auch die linke Hand von der Polonaise ab, steuerte direkt auf den Ausgang zu und nahm das Gespräch an. »Hallo, Harald. Was gibt’s?« Sie drückte die Tür auf und trat hinaus in die Kälte.

»Leichenfund bei Heidelberg«, sagte Harald knapp. »Eine junge Frau.«

Scheiße, dachte Klara. »Wir sind im Schwarzwald. Sebastian hatte hier was zu erledigen, wir brauchen mindestens anderthalb Stunden für den Rückweg.«

»Dann beeilt euch. Ruft mich an, wenn ihr unterwegs seid.« Harald legte auf.

»Mist«, fluchte Klara, riss die Eingangstür wieder auf und hastete durch das Lokal. An der verdutzt schauenden Malou vorbei eilte sie durch die Saloontür. Hinter ihr klappten die Türflügel zu, sie stand in einem schummerig beleuchteten Flur. Nach ein paar Metern ging links und rechts eine Tür ab, am Ende des Gangs führte eine Treppe nach oben. Arbeitszimmer, dachte Klara und drückte die Klinke der rechten Tür herunter. Der Raum war abgeschlossen.

Sie drehte sich zur anderen Seite und legte ihre Hand auf den Griff der zweiten Tür. Das Metall fügte sich glatt und kühl in ihre Handfläche, einen Atemzug lang hielt Klara inne. Eine tote junge Frau. Das Bild eines verdreht liegenden Körpers flirrte durch ihren Kopf, sie drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür.

Etwas aus schwarzem Samt lag auf dem abgenutzten grünen Teppichboden. Nackte wohlgeformte Beine ragten daneben nach oben. Klaras Blick erfasste einen entblößten Rücken, zwei Köpfe dicht beieinander, zwei Gesichter, die sich berührten, ein Lippenpaar auf dem anderen.

Blitzschnell löste sich Sebastian von Clarissa.

Ein Schlag traf Klara in die Magengrube, ihre Beine drohten nachzugeben. Was sie sah, verschwamm seltsam ineinander, ungläubig blinzelte sie.

»Klara!«, rief Sebastian erschrocken. »Das ist nicht so, wie es aussieht!«

Ist es nicht?, fragte sich Klara. Wie soll es denn sonst sein?

Sebastian kam auf Klara zu, die oberen Knöpfe seines Karohemds waren geöffnet. »Ich hatte ihr gesagt, sie soll sich wieder anziehen.«

»Ach, hattest du?«, gurrte Clarissa. Selbstbewusst und gelassen stand sie in ihrer Nacktheit da.

»Es gibt eine Tote in Heidelberg«, sagte Klara tonlos. »Harald hat angerufen.« Sie fühlte sich wie betäubt.

»Dann komm«, sagte Sebastian eindringlich, er zog Klara zur Tür. Mit einer unwirschen Bewegung schüttelte sie seine Hand ab.

»Seid ihr etwa … bei der Polizei?«, fragte Clarissa und verschränkte die Arme vor ihren Brüsten.

Sebastian stand bereits auf dem Flur. »Klara, bitte«, drängte er.

Wie angewurzelt stand Klara da und starrte Clarissa an.

»Warum tust du das?«, dachte Klara, und ohne dass sie es wollte, hatten ihre Lippen die Frage gemurmelt.

Clarissa zuckte mit den Schultern. »Warum nicht?«

Wortlos verließ Klara den Raum.