Am nächsten Tag lieh ich mir einen Sportwagen und fuhr in der Gegend herum. Während ich am Steuer saß, kam ich ins Grübeln. Steckten Rosemarie und ich in einer Beziehungskrise? Oder hatte ich diese wundervolle Frau sogar schon verloren – ohne es bemerkt zu haben? Zwischen ihren Aufforderungen „Bring mich zum Lachen!“ und „Wir müssen uns mehr um unsere Chakren kümmern!“ war kein Tag vergangen. Und doch kam es mir vor, als wäre in dieser kurzen Zeit etwas geschehen. Zugegeben: Rosie hatte unter Schock gestanden, weil sie sich für Julias Tod verantwortlich gefühlt hatte. Aber reichte das als Erklärung für unseren heftigen Streit?
Und überhaupt: Wenn sich eine Frau vor allem für multiple Orgasmen und Kohle ohne Ende interessierte, was sagte das dann über die Qualität einer Beziehung mit ihr aus?
So fuhr ich viele Stunden und dachte dabei nach. Schließlich parkte ich den schnittigen Wagen vor einer Kneipe.
Der Laden war gut besucht. Es war Freitag und die meisten Gäste waren direkt von der Arbeit an den Tresen gewandert, um das Wochenende einzuläuten. Sie trugen noch ihre Bürokleidung.
Eine Gruppe von Männern hatte ihre Krawatten gelockert und die Sakkos über einen Barhocker gelegt. Zu viert umstellten sie eine attraktive Rothaarige, die die Aufmerksamkeit der Männer sichtlich genoss. Immer wieder lachte sie laut, wenn einer aus der Runde etwas sagte. Gelegentlich prostete sie dem einen oder anderen Mann zu.
Wie Revolverhelden standen die vier um sie herum. Sie belauerten sich gegenseitig und hatten dabei immer ein Auge auf die Frau in ihrer Mitte. So als wäre sie ein Sack voll Gold, der demjenigen gehören würde, der am meisten trinken konnte und dabei bis zum Ende des Abends auf den Beinen blieb. Ständig fielen sich die Männer gegenseitig ins Wort und überboten sich dabei, der Frau plumpe Komplimente zu machen. Alle wirkten, als hätten sie bereits kräftig gebechert.
Ich quetschte mich neben die Gruppe an die Bar und bestellte zwei Gläser Bier. Das erste leerte ich in einem Zug.
„Durstig?“, fragte einer der laut Feiernden aus der Runde.
„Nein, ich bin Biertester. Und meine Tagesaufgabe lautete, dieses Bier auf ex zu trinken, während eine Horde Vollidioten mir ins rechte Ohr brüllt“, antwortete ich so laut, dass die ganze Runde es hören konnte.
Sofort war die Aufmerksamkeit aller Revolverhelden auf mich konzentriert. „Mach hier bloß keine Welle, sonst …“, rief derjenige, der am weitesten von mir entfernt stand.
„Sonst was?“, fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich lächelte milde, nahm das zweite Glas Bier in die Hand und schüttete wieder die ganze Flüssigkeit auf einmal in mich hinein.
„Fahren Sie mich nach Hause?“, unterbrach die Rothaarige die Auseinandersetzung und schritt aus der Mitte der Männer entschlossen auf mich zu.
Die Revolverhelden starrten sie ungläubig an.
„Ich hab schon was getrunken. Wir sollten ein Taxi nehmen“, antwortete ich schlagfertig.
„Ein Taxi? Das geht nicht. Wissen Sie, ich muss auf meinen guten Ruf achten. Und meine Nachbarn wollen schließlich was geboten bekommen. Was denken Sie, was die für Augen machen, wenn ich aus Ihrem schicken Sportwagen steige?“ Sie zeigte durchs Fenster auf mein Auto.
„Ich kann’s mir leider nicht leisten, von der Polizei angehalten zu werden“, entgegnete ich.
„Die Polizei? Die lassen Sie mal meine Sorge sein“, hauchte die Rothaarige, während die Revolverhelden jetzt wie Schuljungen dastanden, denen der Lehrer die Plastikgewehre weggenommen hatte. Respektvoll beobachteten sie die Szene.
„Wir sollten wirklich ein Taxi nehmen. Meinen Wagen könnten wir dann morgen nach dem Frühstück gemeinsam hier abholen und damit wieder zu Ihnen nach Hause fahren, um die Nachbarn zu beeindrucken“, schlug ich vor.
Den auf Schuljungenmaß Geschrumpften fielen die Kinnladen runter.
„Morgen? Wenn es für Sie und mich ein Morgen geben soll, müssen Sie sich das heute verdienen. Und dafür müssen wir jetzt los. In Ihrem Sportwagen.“
Jetzt schöpfte einer der Revolverhelden wieder Hoffnung. Er zückte seinen Autoschlüssel und klimperte damit vor dem Gesicht der Frau herum: „Also wenn’s weiter nichts ist, dann …“
„Schnauze, du Depp!“, fuhr ich den Übermütigen an, der die Autoschlüssel sofort wieder in seiner Tasche verschwinden ließ. „Immer brav zuhören, wenn sich die Erwachsenen unterhalten. Nicht unterbrechen, klar?“
„DU BIST JOHN!“, schrie plötzlich die Rothaarige und zeigte mit dem Finger auf mich. „ER IST ES! SEHT IHN AN!“
Alle Augen waren auf mich gerichtet.
Blitzschnell packte ich die Frau und brüllte: „Höchste Zeit, dass wir aufbrechen, Kleine!“
„Spinnst du?“, schrie sie und wollte sich losreißen.
Doch ich hatte ihr Handgelenk fest umklammert und drehte ihr den Arm auf den Rücken. So schob ich sie bis zum Ausgang vor mir her und zerrte sie ins Auto.
Keiner in der Kneipe rührte sich.
Mein Name hatte ausgereicht, um alle verstummen und vor Schreck erstarren zu lassen.
Ungehindert fuhr ich los.